Nachricht | Geschichte Drei Golfkriege und ihre Auswirkungen

Der Golfkrieg von 2003 wirkt bis heute verheerend nach, doch muss er in eine längere zeitliche Perspektive eingeordnet werden

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Florian Weis,

Junge Protestierende auf dem Tahrirplatz in Bagdad, Dezember 2019. © Photo: Miriam Younes

Der Angriff einer von den USA-geführten «Koalition der Willigen» am 20. März 2003 auf den Irak eröffnete den Dritten Golfkrieg. Auf welche Lügen dieser Krieg aufgebaut war und welche verheerenden globalen Auswirkungen seine Folge waren, hat Ingar Soltyaus Anlass des zwanzigsten Jahrestages des Kriegsbeginns hierdargestellt. Miriam Younes blickt in ihrem Beitragaus Anlass des 20. Jahrestages des vermeintlichen Kriegsendes, erinnert sei hier an den, wie sich bald herausstellte, ebenso großmäuligen wie voreiligen Auftritt von George W. Bush am 1. Mai 2003 («Mission accomplished»), auf die damaligen Proteste gegen den Krieg zurück und problematisiert im Weiteren, dass damalige wie heutige irakische Sichten und Stimmen in der Betrachtung zu kurz kommen. Sie verbindet den Rückblick mit einer Einordnung der großen Protest- und Erneuerungsbewegung im Irak vor allem im Jahr 2019.

Der Protest einer damals wirklich internationalen Friedensbewegung gegen den US-geführten Krieg von 2003 stellt sich auch im Nachhinein immer noch als richtig dar. Zu verlogen waren die angeblichen Kriegsgründe, zu verheerend die Folgen des Krieges für die Menschen im Irak, zu destabilisierend die Auswirkungen auf die internationale «Ordnung». Andere Diktaturen zogen aus dem Sturz Saddam Husseins den Schluss, nun erst recht eigene Atomwaffen besitzen zu wollen, um nicht gestürzt zu werden, und waren damit, wie etwa Nordkorea, durchaus erfolgreich. Hoffnungen auf eine multilaterale Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges waren endgültig obsolet. Während der Zweite Golfkrieg 1990/91 zumindest zeitweilig einige positive Entwicklungen in anderen Teilen Westasiens anstieß (etwa den Madrid- und dann Oslo-Prozess für Israel und Palästina), destabilisierte der Angriff auf den Irak die Region. Paradoxer Weise leitete der scheinbar erfolgreiche Krieg einen langsamen Abstieg der USA als wichtigster Großmacht in der Region ein und stärkte ihren größten Gegner, den Iran. Das Desaster des US-Krieges ist ein nahezu totales. Doch sowenig der Sturz der brutalen Diktatur Saddam Husseins die Lage der Menschen im Irak verbesserte, so führte umgekehrt der selbstverursachte Abstieg der USA keineswegs zu friedlicheren und demokratischen Verhältnissen, wie der Bürgerkrieg in Syrien und die gewaltsamen Interventionen des Iran, der Türkei, von Saudi-Arabien, Israel und Russland im Irak, in Syrien und im Jemen zeigen. Nicht zufällig griffen kürzlich fast zeitgleich der Iran und die Türkei den kurdischen Nordirak an.    

Es gab im Irak 2003 nicht wenige Menschen, die durchaus Hoffnungen in die Invasion und damit den Sturz der Diktatur setzten, wie es etwa Ghaith Abdul-Ahad im Guardian hierbeschreibt. Doch machte das ebenso rücksichts- wie planlose Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten diese Hoffnungen schnell zunichte. Das enthebt jedoch Linke in Deutschland und anderen Ländern nicht der Notwendigkeit, sich dem Dilemma zu stellen, wie sich die - richtige - Ablehnung – der Kriege von 2003 und 1991 auf den Umgang mit Diktaturen wie der damaligen im Irak oder den fortbestehenden in Syrien und dem Iran auswirkt. Als der Deutsch-Kurdische Freundschaftsverein Berlin und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Ende 2002 eine Veranstaltung im Vorfeld des drohenden Krieges gegen den Irak durchführten, wurden auch kurdische Stimmen aus dem Irak und dem Iran laut, die die dortigen Diktaturen als weit schlimmer als die US-Intervention bewerteten. Für manche deutsche Linke im Publikum war dies unerträglich und stieß auf heftigen Widerspruch. Internationale Solidarität endete damals, und endet heute im Umgang etwa mit Menschen in der Ukraine, bei manchen Linken offenbar dort, wo nicht die USA das Hauptproblem und der Hauptgegner sind. Dieses verkürzte Verständnis von Antiimperialismus leidet unter einem großen Mangel an Empathie und Solidarität und missachtet die vielbeschworene «Augenhöhe».

In seinem großartigen Dokumentarfilm «Iraqi Odyssee» des schweizerisch- irakischen Regisseurs Samir kommt eine im Exil bzw. der Diaspora lebende Irakerin zu Wort, die die Proteste gegen den drohenden US-Angriff 2003 unterstützte, aber sich gleichzeitig wünschte, das dem «Stoppt den Krieg!» ein «Stoppt Saddam Hussein!» hinzugefügt werde. Daran sollten sich Linke und Internationalist:innen orientieren.

In Großbritannien war die Protestbewegung gegen den Irak-Krieg und die britische Beteiligung die wohl größte der britischen Geschichte. Tony Blairs fanatische Unterstützung des Krieges beschädigte seinen Rufauf Dauer schwer. In Deutschland fanden ebenfalls große Demonstrationen statt, an denen sich auch viele darüber politisierte Jugendliche beteiligten. Die Bundesregierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer lehnte eine Kriegsbeteiligung frühzeitig ab und profierte dabei bei den Wahlen 2002.

Auch gegen den Zweiten Golfkrieg 1990/91, genauer gesagt gegen die US-geführte Allianz, die sich nach dem irakischen Überfall auf Kuweit gebildet hatte, protestierte in Deutschland zahlreiche Menschen. Auf einen speziellen Aspekt der damaligen Debatten geht Markus Mohrin seinem Textaus dem Jahre 2021 ein. Im Unterschied zum dritten Golfkrieg stützte sich die anti-irakische Allianz 1991 freilich auf UN-Resolutionen und umfasste auch viele arabische Staaten. Auch im Nachhinein gibt es dennoch sehr gute Gründe, die damalige Ablehnung des Krieges durch Linke und Friedensbewegungen zu verteidigen, doch sind die völkerrechtlichen Unterschiede zwischen 1991 und 2003 gleichwohl anzuerkennen. Dem Sieg über den Irak 1991 folgte kein Regimewechsel, wohl aber eine harte Sanktionspolitik, unter der die Zivilbevölkerung fürchterlich zu leiden hat, wie Schluwa Samain ihrem vor kurzem erschienen Text in Erinnerungruft. 

Fast vergessen ist in Deutschland dagegen der Erste Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran von 1980 bis 1988, obwohl dieser mit, je nach Schätzung, etwas unter 400.000 bis hin zu einer Million Toten der blutigste der Kriege war. Es war sowohl ein genuiner Krieg zwischen zwei diktatorischen Staaten als auch ein Stellvertreterkrieg mit zynischen wechselnden Bündnissen und Waffenlieferungen vieler Länder, auch aus der BRD und DDR, die noch dazu oftmals beide Kriegsseiten versorgten. Das dieser Krieg so wenig im – auch linken - deutschen und europäischen Gedächtnis geblieben ist, kann auch als eine Art von Desinteresse gegenüber Entwicklungen gelesen werden, die sich einer einfachen antiamerikanischen Interpretation entziehen.

Auch nach über 30 bzw. nach 20 Jahren halte ich die Proteste gegen die Kriege von 1991 und 2003, an denen ich teilgenommen habe, für richtig. Aber in diesen Protesten wurden Fragen der Solidarität mit den Opfern der Diktatur im Irak zu sehr ausgeklammert. Oppositionelle Stimmen aus dem Irak (oder auch dem Iran) wurden zu wenig gehört. Darin liegt eine fortdauernde Schwäche einer Friedensbewegung, die den Anspruch hat, internationalistisch und solidarisch zu sein. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 wurde dieses Defizit überdeutlich. Linke und Internationalist:innen müssen nicht notwendig jede Stimme, auch nicht notwendig jede linke Meinung etwa aus dem Irak und dem Iran oder der Ukraine und Polen teilen, aber sie müssen sie hören und respektieren. Andernfalls sprechen wir den betroffenen Menschen in der Konsequenz ab, selbstbestimmte Subjekte zu sein, sondern degradieren sie zu Objekten einer umgekehrten «linken» Geopolitik.

Weiterführender Literaturhinweis:

Henning Fürtig, Geschichte des Irak. Von der Gründung 1921 bis heute, 3. überarbeitete und aktualisierte Auflage, München 2016.