Nachricht | Zentralasien Identitäten in Kasachstan verändern sich unter dem Einfluss des Ukrainekriegs

Nationalistische Stimmungen erhalten Aufwind in den Medien

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Eingang des Nationalmuseums von Kasachstan in Astana. Fragen der nationalen Indentität gewinnen momentan an Aktualität. Foto: IMAGO / ITAR-TASS

In Kasachstan sind nach Kriegsbeginn in der Ukraine neue Trends bei der Identitätsbildung sichtbar geworden. In kasachstanischen Medien und sozialen Netzwerken werden nationalistische Stimmungen stärker geteilt, vor allem im Hinblick auf die Sprachenfrage, die Umdeutung des sowjetischen Erbes und den Einfluss geflüchteter Russ*innen im Land.

Talgat Aralkhan ist Student der Internationalen Beziehungen an der Deutsch-Kasachischen Universität Almaty. Der Text entstand im Rahmen seines Praktikums im Regionalbüro der RLS in Zentralasien.

Identitätsfragen sind in Kasachstan genauso aktuell wie in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, die sich seit der Erlangung ihrer Unabhängigkeit vor mehr als dreißig Jahren in einem Identitätsfindungsprozess befinden. Dabei gibt es im heutigen Kasachstan keine homogene Identität: Verschiedene soziale Gruppen unterscheiden sich in ihren Werten und ihrer Kultur, sprechen unterschiedliche Sprachen und haben unterschiedliche Vorstellungen von Sicherheit.

Der militärische Konflikt in der Ukraine hat diese Identitätsbildungsprozesse in Kasachstan zugespitzt. Er «überlagert» Identifikationsprozesse innerhalb des Landes und verschärft die Gegensätze zwischen den sozialen Gruppen mit ihren unterschiedlichen Identifikationsmustern.

Mit Beginn der Kriegshandlungen Russlands in der Ukraine am 24. Februar 2022 bekam in Kasachstan die Debatte über die Staatssprache Kasachisch und ihrer Verwendung im Alltag neuen Aufwind, ebenso die Debatte über Entkolonisierung, damit verbunden auch der Umdeutung der sowjetischen Vergangenheit und die Situation der sogenannten «Relokant*innen», russischer Staatsbürger*innen, die nach Kasachstan flüchten, um der Mobilmachung zu entgehen.

Die Sprachenfrage

Nicht in allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist die Sprachenfrage aktuell, weil das Russische trotz seiner dominanten Rolle in der Sowjetzeit unterschiedlich stark verbreitet war. Die besten Russischkenntnisse außerhalb Russlands fanden sich in der Bevölkerung Lettlands, Belarus, der Ukraine und Kasachstans. Sprache ist ein wichtiger Bestandteil von Identität, und deshalb haben die ehemaligen Sowjetrepubliken nach dem Zerfall der UdSSR unterschiedliche Ansätze und Politiken in Bezug auf ihre Staatssprachen und die russische Sprache entwickelt.

So verweist beispielsweise die ukrainische Verfassung von 1996 darauf, dass der Staat den Schutz und den freien Gebrauch des Russischen und der Sprachen anderer nationaler Minderheiten fördert. Nach der Verabschiedung des Gesetzes «Über die Grundlagen der staatlichen Sprachenpolitik» (2012) erhielt die russische Sprache zusammen mit einigen anderen Minderheitensprachen den Status einer Regionalsprache, was ihre gleichberechtigte Verwendung neben der (ukrainischen) Staatssprache in so gut wie allen Lebensbereichen ermöglichte. Zu tiefgreifenderen Veränderungen der Sprachenpolitik kam es nach den Ereignissen von 2014. In der Ukraine wurde begonnen, die Rolle des Ukrainischen als Staatssprache zu stärken und die Sphären auszuweiten, in denen sie obligatorisch anzuwenden ist: im Radio und Fernsehen wurden Sprachquoten eingeführt, und der Gebrauch des Ukrainischen auf dem Gebiet Bildung wurde verändert. Mit dem 2019 verabschiedeten Gesetz «Über die Sicherstellung der Funktion des Ukrainischen als Staatssprache» wurde seine Verwendung in staatlichen Einrichtungen, im Dienstleistungssektor, in Handel, Medizin und anderen gesellschaftlichen Bereichen verpflichtend gemacht. Nach dem Ausbruch des Krieges nahm die Bedeutung des Ukrainischen weiter zu: Bürger*innen der Ukraine verzichteten darauf, Russisch zu sprechen, was mit dem Wunsch erklärt wurde, wegen des Kriegsbeginns die Beziehungen zu Russland zu kappen.

In Kasachstan hat das Russische gemäß der Verfassung von 1995 den Status einer offiziellen Sprache, Kasachisch den Status einer Staatssprache. Der gleichberechtigte Gebrauch des Russischen ist in staatlichen Einrichtungen und lokalen Selbstverwaltungsorganen möglich. Eine analoge Bestimmung ist im Gesetz «Über die Sprachen in der Republik Kasachstan» von 1997 verankert. Das Russische ist im Land relativ weit verbreitet und erfüllt trotz der Abwanderung russischer und russischsprachiger Bevölkerungsteile in den 1990er Jahren auch weiterhin eine wichtige Funktion als Verkehrssprache zwischen verschiedenen Ethnien. Von der Bildung bis zum Dienstleistungsgewerbe ist es in nahezu allen Lebensbereichen präsent.

Allerdings sind in einigen Bereichen kasachische Sprachkenntnisse verpflichtend - so müssen beispielsweise Kandidat*innen vor ihrem Eintritt in den öffentlichen Dienst eine Sprachprüfung des Kasachischen bestehen. Auch im Dienstleistungssektor sind, wenn staatliche Leistungen erbracht werden, Kasachischkenntnisse erforderlich, weil Bürger*innen die Leistungen in der Sprache erhalten sollen, in der sie sie angefordert haben. In nichtstaatlichen Organisationen hängt von Art der Tätigkeit und den von der Organisation selbst festgelegten Richtlinien ab, welche Anforderungen an die Beherrschung des Kasachischen oder des Russischen der Bewerber*innen gestellt werden. In den letzten Jahren gibt es jedoch immer mehr Stellenausschreibungen, in denen beide Sprachen vorausgesetzt werden.

Artikel 18 des «Sprachengesetzes» sieht für Sendeanstalten unabhängig von deren Eigentumsform vor, dass Radio- und TV-Sendungen in der Staatssprache mindestens dem Umfang der Summe der Sendezeiten der Sendungen in anderen Sprachen gleichkommen müssen.

Der Krieg in der Ukraine hat in den sozialen Netzwerken erneut die Frage aufgeworfen, ob die Rolle der kasachischen Sprache weiter gestärkt werden sollte, da sie nach Ansicht einiger Aktivist*innen nicht den ihr gebührenden Platz im öffentlichen Leben einnimmt und gegenüber dem Russischen in den Hintergrund tritt. Die Sprachenfrage ist in Kasachstan ein vergleichsweise sensibles Thema und die geopolitischen Umwälzungen haben es noch weiter in den Vordergrund gerückt.

Seit Ende Februar 2022 sind in den kasachischen Medien zahlreiche Beiträge dazu erschienen. Eine Serie von Publikationen widmete sich russischsprachigen Bürger*innen, die zielstrebig begonnen hatten, das Kasachische zu erlernen; andererseits wurde diskutiert, wie bilinguale Bürger*innen (Menschen, die das Kasachische ebenso gut beherrschen wie das Russische) Russisch im Alltag bewusst vermeiden. Auf die russische Sprache zugunsten der kasachischen zu verzichten, wurde als Möglichkeit deklariert, das Land zu einen.

Offizielle Stellen bemühen sich, eine Balance in der Sprachenpolitik zu wahren. Während der Regierungszeit des ersten Präsidenten Nursultan Nasarbajew wurde die positive Bedeutung der russischen Sprache für das Land betont. Der zweite Präsident Qassym-Schomart Toqajew tritt in der Sprachenfrage für Kontinuität ein und erklärte im Oktober 2022, das Kasachische dürfe nicht für politische Spiele missbraucht werden, man dürfe sich dem Erlernen anderer Sprachen nicht verweigern und solle in der Sprachenfrage eine ausgewogene Politik verfolgen.

Wie schon Nasarbajew unterstreicht er bei seinen öffentlichen Auftritten jedoch auch immer wieder, wie wichtig die Förderung der kasachischen Sprache sei, dass sie anstelle des Russischen die Rolle der Verkehrssprache zwischen verschiedenen Ethnien einnehmen müsse. In diese Richtung wurden bereits einige Schritte unternommen. So trat im Januar 2022 ein neues Gesetz in Kraft, das Beschriftungen im öffentlichen Raum regelt. In Werbung, Anzeigen und Preislisten, auf Preisschildern, Speisekarten und Informationstafeln ist nun nur noch das Kasachische verpflichtend. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes musste jede öffentliche Beschriftung auch von nichtstaatlichen Organisationen zusätzlich ins Russische übersetzt werden.

Ein weiterer bedeutsamer Schritt zum Ende der ersten Amtszeit Toqajews waren die Beratungen im November 2022 über eine Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes. Der neue Gesetzesvorschlag sieht die Möglichkeit vor, die Verleihung der Staatsbürgerschaft oder ihre Wiederherstellung zu verweigern, wenn der Bewerberin oder dem Bewerber ausreichende Kenntnisse der kasachischen Sprache und Geschichte fehlen. Begründet wurde dies mit dem Wunsch kasachischer Regierungsstellen, auf Ängste in der Bevölkerung angesichts des Zustroms von Relokant*innen zu reagieren. Im April 2023 wurde das Gesetzesvorhaben noch nicht vom Parlament beschlossen und ein Zeitplan für seine Umsetzung ist nicht bekannt.

Auf internationaler Ebene erkennt der derzeitige Präsident von Kasachstan die große Bedeutung der russischen Sprache für die ehemaligen Sowjetrepubliken an. So bekräftigte Toqajew auf dem informellen Gipfeltreffen der Staatschefs der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) im Dezember 2022 in St. Petersburg die wichtige Rolle der russischen Sprache in der GUS. Vor dem Hintergrund, dass das Jahr 2023 zum Jahr der russischen Sprache in der GUS erklärt wurde, schlug er vor, eine internationale Organisation zur Förderung der russischen Sprache unter der Schirmherrschaft der GUS zu gründen.

Der kasachische Staat ist also bestrebt, sukzessive und ohne dies zu überstürzen das Kasachische als Staatssprache zu stärken und als Verkehrssprache zwischen verschiedenen Ethnien zu etablieren. Dies wird nicht nur durch die Rhetorik Toqajews, sondern auch durch die Wahlkampfprogramme von sechs Parteien bezeugt, die nach den Wahlergebnissen vom 19. März 2023 ins Parlament eingezogen sind und die die Förderung der kasachischen Sprache als eines ihrer Ziele benannt haben.

«Entkolonialisierung»

Seit Ausbruch des Ukrainekriegs wird die Frage der «Entkolonialisierung» in Kasachstan lebhaft in den Massenmedien und in sozialen Netzwerken diskutiert. Der «Entkolonialisierungsprozess» im Land hat jedoch keinen systematischen und konsequenten Charakter. In der Tat beschränkt sich die Diskussion auf die Medien und die sozialen Netzwerke. Verbreitet wird dabei eine Rhetorik, die eine Entkolonialisierung des Bewusstseins und eine Ablehnung der zur Sowjetzeit vorherrschenden Bewertungen und Narrative hinsichtlich vergangener Schlüsselereignisse als unausweichlich darstellt. Ein Beispiel ist die Anerkennung der Hungersnot in Kasachstan in den 1930er Jahren als Folge zielgerichteter sowjetischer Politik, wie dies auch in Bezug auf den Holodomor in der Ukraine der Fall war. Auf offizieller Ebene wird die Hungersnot in Kasachstan als Tragödie bewertet. Bereits 2021 erklärte der Senatsvorsitzende Mäulen Äschimbajew (der Senat ist das Oberhaus des Parlaments – d.Ü.), dass an diese Frage wissenschaftlich herangegangen werden sollte, ohne ihr politischen Anstrich zu verleihen.

Neben der Neubewertung der sowjetischen Vergangenheit lässt sich zur «Entkolonialisierung» auch der Wechsel vom kyrillischen zum lateinischen Alphabet als Grundlage der kasachischen Schrift zählen. Am 27. Januar 2023 wurde über die endgültige Version der lateinischen Schrift [für das Kasachische – ML] entschieden. Der Übergangsprozess zum lateinbasierten Alphabet begann lange vor Ausbruch des Ukrainekriegs in der Amtszeit des ersten kasachischen Präsidenten Nasarbajew. Dieser Prozesses sollte zunächst bis 2025 abgeschlossen werden, aber 2021 teilte die Regierung mit, die Umstellung auf das lateinische Alphabet würde von 2023 bis 2031 erfolgen. Die Latinisierung der kasachischen Sprache wird von einem bestimmten Teil der Gesellschaft als Entkolonialisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins und als Annäherung an die turksprachigen Länder wahrgenommen.

Offiziell sprechen staatliche Stellen nicht davon, dass sie eine «Entkolonialisierung» des Landes anstreben, aber einige ihrer Maßnahmen lassen sich in diesem Sinne interpretieren. So wurde 2020 auf Initiative Toqajews eine staatliche Kommission zur vollständigen Rehabilitation der Opfer der politischen Repression in der Sowjetzeit ins Leben gerufen. Im Rahmen der Kommissionstätigkeit wurden in Staatsarchiven zur Sowjetzeit unter Verschluss gehaltene Dokumente untersucht. Als Ergebnis dieser Arbeiten erschienen 2022 zwei Material- und Dokumentsammlungen über die Repression in Kasachstan. An der Veröffentlichung weiterer Materialsammlungen wird gearbeitet. Der größte Skandal im Zuge der Tätigkeit dieser Kommission war ein Vorschlag des Mäschilis-Abgeordneten Berik Abdighaliuly (der Mäschilis ist das Unterhaus des Parlaments). Als Vorsitzender des der Kommission angehörenden Unterausschusses für die schrittweise Freigabe der geschlossenen Archivbestände regte er an, die Mitglieder der Turkistanischen Legion zu rehabilitieren, die im Zweiten Weltkrieg an der Seite Nazideutschlands gekämpft hatte. Als Grund führte er an, dass die Mitglieder der Legion in Gefangenschaft geraten und dadurch gezwungen gewesen seien, für Hitler zu kämpfen. Das Ansinnen wurde von einem Teil der Bevölkerung negativ aufgenommen und dann nicht mehr weiterverfolgt.

Als anderes Beispiel für Entkolonialisierung kann der Plan zur Umbenennung ideologisch veralteter Ortsnamen im Zeitraum 2022 bis 2025 dienen. Seit 2022 wurden bereits 68 Ortsbezeichnungen geändert. Die Umbenennung dieser Ortschaften und Straßen wird nicht überall in Kasachstan positiv aufgenommen. Die Behörden sind jedoch entschlossen, die Arbeit fortzusetzen, wobei sie Bereitschaft demonstrieren, den Meinungen der Anwohner*innen von Orten Gehör zu schenken, deren Umbenennung geplant ist.

Relokant*innen

Am 21. September 2022 wurde in Russland eine Teilmobilmachung verkündet. In den ersten Tagen danach stauten sich an der Grenze zwischen Kasachstan und Russland unzählige Autos und in grenznahen kasachstanischen Städten waren viele junge slawisch aussehende Männer mit oft nur wenig Gepäck anzutreffen. Nach Aussagen der Ministerin für Arbeit und sozialen Schutz der Bevölkerung Kasachstans, Tamara Düissenowa, trafen nach Verkündung der Teilmobilmachung 400.000 Russen*innen in Kasachstan ein, von denen ungefähr 100.000 im Land blieben.

Ein Teil der kasachischen Bevölkerung zeigte Mitgefühl mit den Geflüchteten. Nicht alle hatten genügend Geld bei sich, um die erste Zeit in Kasachstan zu überstehen, so dass Aktivist*innen in den Grenzstädten Hilfsstellen für sie einrichteten, wo sie Verpflegung und Unterkunft erhielten. Der Staat organisierte «Servicezentren für die Bevölkerung» (ZON – Centry po obsluživaniju naselenija) speziell für die ankommenden Russen, damit sie sich schnell und unkompliziert um ihre Aufenthaltsberechtigung kümmern konnten.

Die Situation der Relokant*innen war jedoch nicht so eindeutig, denn neben den Menschen, die den Russen Hilfe und Unterstützung anboten, gab es auch solche, die die Einwanderung nach Kasachstan äußerst negativ sahen. Der enorme Zustrom von Russen führte bei einem Teil der Kasachstaner*innen zu Befürchtungen, dass sich die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verschärfen würde und kasachstanische Fachkräfte weniger wettbewerbsfähig sein würden als die Neuankömmlinge. Die Mieten stiegen sowohl in den Grenzstädten als auch in der Hauptstadt Astana und in der größten Stadt des Landes Almaty deutlich an. In den sozialen Netzwerken zirkulierten massenhaft Erzählungen, die die Relokant*innen für die Situation verantwortlich machten.

Es gab Fälle provozierter Konflikte zwischen den angereisten Russen und der ansässigen Bevölkerung. Um potenzielle ethnische Auseinandersetzungen zu unterbinden, begannen die kasachstanischen Behörden, die Medien sorgfältiger zu überwachen, und verhängten Verwaltungsstrafen gegen diejenigen, die versuchten, Konflikte zu schüren. Auch gegen russische Bürger*innen, die neu in Kasachstan angekommen waren und die öffentliche Ordnung störten oder Konflikte provozierten, wurden entschiedene Maßnahmen bis hin zur Ausweisung ergriffen.

An den verschiedenen Haltungen der Kasachstaner*innen gegenüber den Relokant*innen wird die Zersplitterung der kasachstanischen Gesellschaft hinsichtlich ihrer Identitäten sichtbar, die sich teilweise auch durch unterschiedliche Einstellungen zum Ukrainekrieg erklären lässt. Eine soziologische Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Demoscope im März 2022 unter Kasachstaner*innen durchführte, ergab, dass die kasachstanische Gesellschaft in dieser Frage tief gespalten ist. So unterstützten zu Anfang des Krieges 38,9 Prozent der befragten Kasachstaner*innen Russland und nur 8,5 Prozent die Ukraine. 36,6 Prozent waren der Meinung, dass Russland eine «militärische Spezialoperation gegen Nazis in der Ukraine» durchführe, und 13,2 Prozent teilten die Überzeugung, dass Russland die Ukraine annektieren wolle [1]. Im November 2022 wurde eine zweite Erhebung durchgeführt, die einige Veränderungen in der Bewertung der Ereignisse zeigte. So unterstützten nun 22 Prozent die Ukraine, während 13 Prozent für Russland eintraten, wobei es sich hier unabhängig von der Nationalität vor allem um ältere Menschen handelte [2]. Der Anteil derjenigen, die der Aussage zustimmten, dass Russland eine «militärische Spezialoperation gegen Nazis in der Ukraine» durchführe, hat sich um fast zwei Drittel reduziert und betrug nun 15 Prozent. Gleichzeitig vergrößerte sich der Anteil derjenigen, die die Ansicht vertraten, Russland führe «einen Krieg gegen die Ukraine mit dem Ziel der Besetzung und anschließenden Annexion», auf 22 Prozent. Die Mehrheit der befragten Kasachstaner*innen (59 %) bevorzugt es, neutral zu bleiben, während der Anteil der «neutralen» Umfrageteilnehmer*innen im März 2022 noch 46,2 Prozent betragen hatte [1, 2]. Es lässt sich ein Trend zu einer geringeren Unterstützung für Russland und einer größeren Unterstützung für die Ukraine beobachten. Doch es bleibt dabei, dass der größere Teil der Kasachstan*innen sich auf keine der beiden Seiten stellen möchte.

So hat der Ukrainekrieg insgesamt Einfluss auf die Identität der kasachstanischen Gesellschaft und verstärkt gewissem Umfang nationalistische Stimmungen, die in Medien und sozialen Netzwerken weiterverbreitetet wurden. Die Diskussionen um die Sprachenfrage, den Entkolonialisierungsprozess und die Bewertung des Einflusses der Relokant*innen auf die Situation in Kasachstan erhielten neue Impulse erhalten. Während die offizielle Rhetorik von der Wichtigkeit der russischen Sprache und partnerschaftlicher Beziehungen zu Russland beibehalten wird, nehmen die kasachischen Behörden zugleich schrittweise Änderungen vor, die gleichermaßen auf eine Stärkung der Rolle des Kasachischen wie auf eine Umbewertung des sowjetischen Erbes abzielen. Bis jetzt handelt es sich dabei lediglich um neue Trends, die sich im Land und in der Gesellschaft verzeichnen lassen. Ob sie sich in dauerhafte Tendenzen verwandeln, wird die Zukunft zeigen.

Verwendete Quellen

  1. Vtorženie rossijskich vojsk v Ukrainu // Bjuro ėkspress-monitoringa obščestvennogo mnenija Demoscope («Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine // Demoscope – Büro am Puls der öffentlichen Meinung») – 2022. // https://demos.kz/scenarij-oprosa/  (abgerufen am 08.03.2023).
  2. Otnoschenie kasachstanzew k wojne w Ukraine // Bjuro ėkspress-monitoringa obščestvennogo mnenija Demoscope («Die Haltung der Kasach*innen zum Krieg in der Ukraine» // Demoscope – Büro am Puls der öffentlichen Meinung») – 2022. // https://demos.kz/otnoshenie-kazahstancev-k-vojne-v-ukraine-2/ (abgerufen am 08.03.2023).

Übersetzung von Roman Kowert & Daniel Fastner für Gegensatz Translation Collective, überarbeitet von Marlies Linke