Nachricht | Arbeit / Gewerkschaften - Brasilien / Paraguay - Gewerkschaftliche Kämpfe Die neue brasilianische Gewerkschaftsbewegung

Um die Arbeiter*innenklasse in einer veränderten Wirtschaft zu organisieren, muss sich auch die Arbeiter*innenbewegung verändern.

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Demonstrant*innen nehmen an einem Marsch teil.
Demonstrant*innen nehmen an einem Marsch anlässlich eines von den Gewerkschaften ausgerufenen Generalstreiks gegen Jair Bolsonaros vorgeschlagene Rentenreform in Belo Horizonte, Brasilien, teil, 14.06.2019.
 
 

 

 

Foto: IMAGO / Agencia EFE

Die brasilianische Wirtschaft hat in den letzten 40 Jahren einen tiefgreifenden Strukturwandel erfahren. Dieser war bedingt durch die zunehmende Exportabhängigkeit des Landes, die sich aus der Rückkehr zu einer spezialisierten Produktion und der vorwiegenden Ausfuhr von Rohstoffen ergab. Der nationale Abwärtstrend drückte sich mitunter im Verlust des brasilianischen Anteils am Bruttoweltprodukt von 3,2 Prozent im Jahr 1980 auf 1,6 Prozent im Jahr 2021 aus.

Marcio Pochmann ist Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Professor an der Universidade Estadual de Campinas in São Paulo.

Die Entwicklung hatte auch erhebliche Folgen für die brasilianische Klassenstruktur und die unterschiedlichen Gruppen innerhalb der sozialen Klassen. Die politische Tragkraft der sogenannten «neuen Gewerkschaftsbewegung» (pt. «novo sindicalismo»), die sich zum Höhepunkt der urbanen Industriegesellschaft gegen Ende der 1980er Jahre noch gegen die zivil-militärische Diktatur und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse hatte behaupten können, erlitt seit 1990 schwere Rückschläge, als sich Brasilien in einer passiven und untergeordneten Rolle den neoliberalen Globalisierungsprozessen anschloss.

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad lag in den 1980er Jahren bei 30 Prozent der Beschäftigten und ging bis 2019 auf 11,2 Prozent zurück, während die Anzahl an jährlichen Streiks in der gleichen Zeitspanne von 4000 auf nur 600 abnahm. Mit der Reform des Arbeitsrechts 2017 haben sich die Angriffe auf die Gewerkschaftsstrukturen nur noch weiter intensiviert: Die notwendigen Ressourcen für eine minimale Finanzierung der gewerkschaftlichen Aktivitäten wurden brutal gekürzt und die Möglichkeiten für arbeitsgerichtliche Auseinandersetzungen und Tarifverhandlungen stark eingeschränkt.

Angesichts der regressiven Entwicklung der Arbeiter*innenklasse und der Strukturen, die ihre Interessen vertreten – und der zunehmend verbreiteten Meinung, dass die alte Gewerkschaftsbewegung sich weigert, das Feld für eine neue Bewegung zu räumen – befasst sich dieser Abriss mit der neuen Gewerkschaftsbewegung, die sich zu dem Zeitpunkt bildet, in dem Brasilien sich für seinen tatsächlichen Eintritt in das 21. Jahrhundert vorbereitet.

Die Feststellung, dass sich eine neue Arbeitswelt anbahnt, die sich stark von jener der Industriegesellschaft unterscheidet, offenbart auch den Horizont der nötigen Neustrukturierung der Gewerkschaften, während sich auch im Arbeitsministerium zu Beginn des dritten Mandats von Präsident Lula (2023-2026) die Einsichten bezüglich einer Neudefinition der Gewerkschaftsarbeit weiterentwickeln.

Das Ende der urbanen Industriegesellschaft und die Rückschläge für den «Novo Sindicalismo»

Gerade als Brasilien seinen Eintritt in das sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts ankündigende digitale Zeitalter vorbereitete – angetrieben vom Ausbau der Mikroelektronik und großen Entwicklungssprüngen in den Bereichen Technologie und Informatik, die durch das Informatikgesetz und die Zusammenarbeit mit deutschem und japanischem Kapital begünstigt wurden –, kam es zur historischen Kapitulation des Landes. Dies geschah um 1980, genau als der «Novo Sindicalismo» am Höhepunkt der urbanen Industriegesellschaft mit seinen erneuernden und kämpferischen Impulsen die Arbeiter*innenklasse zum ersten Mal als kollektives Subjekt mit enormer Schlagkraft auf den Plan rief.

Die schnelle gewerkschaftliche Aktivierung der Arbeitsplätze und der zunehmende Organisationsgrad richtete ländliche und urbane Gewerkschaften neu aus. Auch die wachsende Anzahl an Streiks und Tarifverhandlungen bewies das neue Ausmaß der Organisation der Arbeiter*innen und deren unbestreitbaren Einfluss auf die Politik des Landes.

Die Auslandsschuldenkrise und der Übergang zu einer rezessiven Wirtschaftspolitik zwischen 1981 und 1983 setzte dem Wachstumszyklus ein Ende, der ein halbes Jahrhundert lang für die umfangreiche kapitalistische Modernisierung verantwortlich gewesen war. Diese hatte 1930 mit der Revolution eingesetzt, die u. a. auch die betriebliche Gewerkschaftsarbeit strukturiert hatte. Die wachsende in- und ausländische Staatsverschuldung, die von den letzten Regierungen der zivil-militärischen Diktatur (1964–1985) geerbt worden war, führte dazu, dass sich die Finanzialisierung und die Inflation verselbständigten.

Im Digitalzeitalter unterscheidet die internationale Arbeitsteilung zwischen zwei Ländergruppen: jene, die digitale Waren und Dienstleistungen exportieren und jene, die sie durch Import verbrauchen und praktisch nichts selber produzieren.

Infolge der passiven und untergeordneten Eingliederung Brasiliens in die neoliberale Globalisierung seit 1990, konnte die Hyperinflation nur durch die Neuverhandlung der Auslandsschulden und der Implementierung des «Plano Real» beendet werden. Das hatte fatale Folgen für die Industrialisierung. Die hohen Realzinsen zogen ausländisches Kapital an, was die nationale Währung aufwertete und zur Folge hatte, dass die inländische Produktion durch Importe ersetzt wurde, insbesondere wenn sie eine größere Wertschöpfung und gute Arbeitsbedingungen aufwies.

Schließlich hat der «Tripé Macroeconomico» – eine makroökonomische Lehre, die sich aus den drei Säulen eines freien Wechselkurses, Haushaltsüberschüssen und Inflationszielen zusammensetzt – seit 1999 letzten Endes dazu geführt, dass das ausländische Kapital das Finanzialisierungsregime festigte, das sich auf extrem hohe Zinsen und eine zunehmende Distanzierung von der alten peripheren Beziehung Brasiliens zu den Ländern des globalen Nordens und Zentrums stützte. In diesem nach außen gerichteten Wirtschaftsmodell bestimmt die Abhängigkeit vom Ausland die Dynamik im Inland, die sich aus einem schwachen Binnenmarkt ergibt, in dem Produktion und Verbrauch von Industriegütern gehemmt sind, die zunehmend importiert werden.

Im generellen Kontext der Deindustrialisierung hat der «Novo Sindicalismo» große Rückschläge erlitten. Dies ist weitgehend dem Abbau der Grundstrukturen geschuldet, auf die sich die Gewerkschaftsbewegung gestützt hatte und mit denen sie seit Ende des 19. Jahrhunderts verbunden wurde, als Brasilien sich von einer langlebigen primitiven Agrargesellschaft zu einer modernen urbanen Industriegesellschaft entwickelte.

Von der Veröffentlichung des «Manifesto Republicano» im Jahr 1870 bis hin zur Revolution von 1930 wurden die objektiven Verhältnisse geschaffen, die dazu führten, dass Brasilien neben Südkorea ein peripheres Land mit kolonialer Vergangenheit war, das zwischen den 1930er und den 1980er Jahren seine nationale Industrialisierung (wenn auch spät) auf besonders beeindruckende Weise voranbringen konnte. Mit dem passiven und untergeordneten Eintritt in die neoliberale Globalisierung seit 1990 traf die bis dahin im Aufbau begriffene urbane Industriegesellschaft ein starker regressiver Schlag, der folglich auch die materiellen Grundlagen zersetzte, auf denen die Gewerkschaftsbewegung sich im Laufe des 20. Jahrhunderts aufgebaut hatte.

Mit der Deindustrialisierung wurde der expansive Wirtschaftszyklus umgekehrt, was dazu führte, dass das Land in einer langen Stagnationsphase gefangen blieb, die auf die Finanzialisierung alter Vermögensreserven und der Zuwendung zu einem früheren Exportmodell von Rohstoffen zurückgriff. Zudem hat der Bevölkerungsüberschuss auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt eine Stagnation in der Beschäftigungsentwicklung und einen Abstieg der sozial- und arbeitsrechtlich geregelten Anstellungen bewirkt.

Auch ließ sich eine Neugestaltung der Aktivitäten in der informellen und Subsistenzwirtschaft beobachten, die sich aus kleinen Gewerben und Anbieter*innen allgemeiner Dienstleistungen zusammenstellt und die nicht in der Lage ist, Arbeiter*innen eine kollektive Identität zu verleihen. Da es vorwiegend um wirtschaftliche Aktivitäten handelt, die von geringer Produktivität sind, nimmt der Widerstand gegen Sozial- und Arbeitsrechte in diesen Bereichen tendenziell zu, auch von Seiten der Beschäftigten.

Das Digitalzeitalter und Brasiliens Vorbereitungen für den Eintritt in das 21. Jahrhundert

Die nationale Situation lässt sich nur mit politischen Maßnahmen umkehren, die eine unabhängige Entwicklung Brasiliens anstreben und so die Inlandsproduktion wieder wettbewerbsfähig machen. Das bedeutet, dass Brasilien sich in der internationalen Arbeitsteilung des Digitalzeitalters strategisch neu positionieren und das Wirtschaftsmodell des Rohstoffexports hinter sich lassen muss, das vom Import von Waren mit größerem Mehrwert abhängt, die im Ausland mit den dort vorhandenen technischen Mitteln und unter angemessenen Arbeitsverhältnissen hergestellt werden.

Im Digitalzeitalter unterscheidet die internationale Arbeitsteilung zwischen zwei Ländergruppen: jene, die digitale Waren und Dienstleistungen exportieren und jene, die sie durch Import verbrauchen und praktisch nichts selber produzieren. Brasilien zählt zu der zweiten Gruppe, die zunehmend von Importen abhängig ist. Aktuell stellt es den weltweit viertgrößten Verbrauchermarkt für digitale Waren und Dienstleistungen dar.

Das gehemmte Wirtschaftswachstum, das aus der sich an die Rohstoffkonjunktur anpassenden liberalen und neoliberalen Politik hervorgeht, hat als Nebenwirkung, dass die Reservearmee der Arbeiter*innen des kapitalistischen Privatsektors konstant zugenommen hat. So hat auch mit dem verfrühten Fortschreiten der Deindustrialisierung seit 1990 der Anteil der Beschäftigten aus dem Mittelstand und der industriellen Arbeiter*innenklasse im Gesamtbild der Beschäftigungen abgenommen.

Anstelle der Hauptstädte und Metropolen entlang der Küstenregionen des Landes haben sich mittelgroße Städte als bevorzugte Produktionsstätten für Rohstoffe und damit als modernisierende Zentren hervorgetan. Während der frühere Aufschwung der Industrieregionen in wirtschaftliche Stagnation umschlug und die wachsende industrielle Reservearmee ohne Zukunftsaussichten immer mehr einem religiösen Fanatismus oder sozialem Banditentum verfiel, konzentrierte sich die Wirtschaftsleistung in den Regionen des Landesinneren, in denen Rohstoffe für den Export produziert, aber kaum Arbeitsplätze geschaffen wurden.

Auf der anderen Seite nimmt die Anzahl allgemeiner Hilfsarbeiter*innen und Dienstleister*innen stetig zu (Wächter*innen, Hausangestellte, Babysitter*innen, Personal Trainer, Pflegekräfte, Fahrer*innen, Lieferbot*innen, Hunde-Sitter*innen, Pool-Reinigungskräfte u. a.). Es handelt sich dabei weitgehend um Beschäftigungen, die weder eine Berufsidentität haben noch ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln, da sich Arbeiter*innen in diesen Beschäftigungen oft fälschlich als Unternehmer*innen verstehen und ihnen gewerkschaftliche Aktionen fern liegen.

Gewerkschaften werden auch im digitalen Zeitalter eine fundamentale Rolle spielen.

Zudem bedienen sich Arbeitgeber*innen zunehmend an Arbeit, die Sklaverei ähnelt und die der große Anteil an verarmten Arbeiter*innen ohne Beschäftigung oder festes Einkommen verrichten muss, die, um den Lebensunterhalt zu sichern, auf staatliche Hilfen angewiesen sind. Die Staatsausgaben für die verarmten Massen und der Import von digitalen Waren und Dienstleistungen hat die Modernisierung des Konsumverhaltens weiter angekurbelt.

Da Brasilien weitgehend von Importen und nicht von der Produktion im Inland abhängig ist, sieht sich das Land mit der zunehmenden Abwanderung der Wertschöpfung ins Ausland konfrontiert, wo Arbeitsplätze mit besseren Bedingungen in der Produktion von höherwertigen Gütern entstanden sind. Zwischen 1985 und 2020 zum Beispiel ist der Anteil der Bevölkerung, der staatliche Hilfen bezieht, von 3 auf circa 40 Prozent gestiegen.

Eine Vorbereitung für den Eintritt in das 21. Jahrhundert setzt eine Politik voraus, die sich auf die Konzentration von Kapital auf ein neues Modell der Akkumulation ausrichtet, das zum Höhepunkt des Digitalzeitalters die nationale Entwicklung und Reindustrialisierung ankurbeln soll. Dies wird wohl kaum stattfinden, solange Brasilien in seiner Abhängigkeit vom Ausland verharrt, die durch Finanzialisierung und extreme Arbeitsausbeutung angetrieben wird, und seinen Platz in der internationalen Arbeitsaufteilung als Rohstoffexportland beibehält.

Die Arbeit muss seine zentrale Position zurückgewinnen. In den letzten 40 Jahren wurde das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit, auf das die Gewerkschaftsarbeit aufbaut, zunehmend ausgehöhlt. Weichen für den sich anbahnenden Wandel stellt die dritte Amtszeit von Präsident Lula, der nun die Möglichkeit hat, Brasilien wieder auf einen wirtschaftlichen Entwicklungskurs zu bringen, der auch die soziale Mitbestimmung und Ausweitung der Demokratie miteinbezieht.

Ein Neuanfang für die Gewerkschaftsbewegung

Im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts befand sich die brasilianische Gewerkschaftsbewegung vorwiegend in einem Zustand der Stagnation. Die Forderungen der Arbeitskämpfe begrenzten sich stets auf die Verteidigung entschädigender öffentlicher Maßnahmen und konzentrierten sich darauf, Arbeitsrechte wiederherzustellen, die durch die neoliberale Politik untergraben worden waren, und die Gewerkschaftsbewegung der Industriegesellschaft wieder aufzubauen.

Auch wenn sie nachvollziehbar und notwendig sind, scheinen entschädigende Maßnahmen unzulänglich, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass die strukturellen und objektiven Verhältnisse der Vergangenheit auf die Gegenwart nicht mehr zutreffen. Entschädigende Maßnahmen für die Arbeiter*innen befassen sich mit der Gegenwart unter dem Blickwinkel der Vergangenheit, ein durchaus berechtigtes Vorhaben, insbesondere wenn im besagten Zeitraum kein nennenswerter struktureller Wandel vonstatten gegangen ist.

Allerdings befinden wir uns augenscheinlich an einer Zeitenwende, und eine strategische Vorgehensweise sollte die Gegenwart viel mehr in Hinblick auf die Zukunft verstehen, die sich aus der sich anbahnenden neuen Epoche ergibt. Ein Neuanfang für die Gewerkschaftsbewegung muss sich also mit den Anforderungen auseinandersetzen, die sich aus dem Übergang vom industriellen in das digitale Zeitalter ergeben.

Die Entschädigungspolitik tendiert dazu, ihren Erwartungshorizont an das Fortbestehen einer historischen Ära (des Industriezeitalters) zu koppeln, jedoch deuten alle Zeichen auf einen Strukturwandel hin (digitales Zeitalter). In diesem Kontext gestaltet sich auch ein neuer Arbeitsalltag, der durch die neuartigen Anforderungen der Arbeit im digitalen Zeitalter bestimmt wird.

So wird zum Beispiel die Unterscheidung zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit bzw. Arbeit innerhalb und außerhalb des Haushalts hinfällig, da im Zuge der Digitalisierung die Grenzen, die im Industriezeitalter begründet waren, zunehmend angegriffen und kontaminiert wurden. Die herkömmlichen Berufe bieten keine Aussicht auf eine bessere Zukunft mehr, und das führt dazu, dass sich Brasilien angesichts der neuen internationalen Arbeitsteilung neu ausrichten muss.

Die Beschäftigungsmöglichkeiten verstärken sonst nur das Prekariat und verbreitern die Kluft zwischen Kapital und Lohnarbeit. So lässt sich auch die Herausbildung neuer Finanzsubjekte beobachten, die nicht genug Geld verdienen und keine Aussicht auf ein Auskommen aus Kapital-Arbeit-Verhältnissen haben, und daher versuchen, sich ihren Lebensunterhalt anderweitig zu sichern. An die Stelle des Kapital-Arbeit-Verhältnisses tritt zunehmend ein Verschuldungsverhältnis. Letzteres ist sowohl mit den typisch kapitalistischen Arbeitsstrukturen auf digitalen Plattformen kompatibel als auch mit nicht kapitalistischen Strukturen, die die Beschäftigung in informellen und Subsistenzwirtschaften bestimmen.

In Anbetracht der Lebenshaltungskosten, die durch die urbane Ordnung definiert werden, bietet sich eine Überlebensstrategie an, die sich auf verschiedene Kredite stützt. Durch Lohnsenkungen und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, die typisch ist für das Wirtschaftsmodell des Rohstoffexports, hat die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit dazu geführt, dass mehrere Nebentätigkeiten (ob legal oder illegal) immer stärker von staatlichen Transferleistungen und Verschuldung (u. a.) abhängig wurden.

In diesem Sinne entsteht auch das Szenario einer vermeintlichen Abwesenheit von sozialen Klassen und Gruppen, die sich aus informellen Beschäftigungsverhältnissen ergibt. Indem sie die kollektive Identität und Zugehörigkeit untergraben, wirken diese unklaren Arbeitsverhältnisse sich letzten Endes negativ auf jene Institutionen aus, die bisher die Interessen in der Industriegesellschaft vertreten haben (Vereine, Gewerkschaften, politische Parteien).

Gewerkschaften werden auch im digitalen Zeitalter eine fundamentale Rolle spielen. Die Strukturen, die sich im Zuge der Industrialisierung gebildet haben, tendieren dazu, in der digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft an ihre Grenzen zu stoßen. Es braucht eine radikale Neupositionierung der Gewerkschaften, die ihrer Starre ein Ende setzt, sie aus der Vergangenheit befreit und die Aufgaben der Gegenwart mit Blick auf die Zukunft angeht.

Übersetzung von Charlotte Thießen und André Hansen für Gegensatz Translation Collective.