Nachricht | Sozialökologischer Umbau - Spurwechsel - GK Zukunft Auto Umwelt Mobilität Verkehrswende jetzt – für Klimaschutz und gutes Leben

Diskussionsangebot des Gesprächskreises Zukunft Auto Umwelt Mobilität der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Information

Fahrrad-Demo für eine ökologische Verkehrswende im Rahmen der Proteste gegen die Internationale Automobil-Ausstellung (Frankfurt 2019) CC BY 2.0, ADFC Hessen via flickr

Im Gesprächskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeiten Personen aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen, aus Gewerkschaften, Betriebsräten, Politik und Klima- und Verkehrswendebewegung. Wir schöpfen aus wissenschaftlichen Studien, aus unseren vielfältigen Erfahrungen, aus Gesprächen, Präsentationen und Besuchen von Betrieben und Projekten in vielen Regionen. So haben wir u.a. Gespräche geführt bei Opel in Eisenach, Volkswagen in Kassel, FSU Jena, HWR und WZB Berlin, im Berliner Richard-Kietz, mit der IG Metall, dem DGB, mit ver.di und der Deutschen Umwelthilfe.

Die Klima- und Verkehrswendebewegung ist stark – auf den Straßen und medial: In der Autostadt Wolfsburg mischt eine Verkehrswendeinitiative wahrnehmbar und mit viel öffentlicher Resonanz den automobilen Konsens auf; in Florenz kämpfen die Beschäftigten des Automobil-Zulieferers GKN mit Unterstützung vieler gesellschaftlicher Gruppen für eine Produktkonversion; ver.di und Fridays for Future streiten zusammen für den Ausbau des ÖPNV und für bessere Arbeitsbedingungen der hier Beschäftigten; Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände haben das «Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende» gegründet; in vielen Großstädten auf der ganzen Welt werden Autos durch Kiez-Blocks und durch die Sperrung von Fahrbahnen für den Autoverkehr zurückgedrängt; die Klimagerechtigkeitsbewegung streut Sand in das Getriebe von Autopräsentationsmaschinen wie der IAA. Forderungen nach einem Umbau der Industrie und einer Verkehrswende in Stadt und Land ergänzen sich auf diese Weise. Das ermöglicht neue Allianzen für die sozial-ökologische Transformation.

Welche Schritte zu einer sozial-ökologischen Verkehrswende sind nötig?

  • Tempolimit auf allen Straßen,
  • Ausbau des öffentlichen Verkehrs,
  • kurze Wege in Stadt und Land und ein deutschlandweites Klimaticket, leistbar für alle sowie eine
  • gesamteuropäische Investitionsstrategie in den grenzüberschreitenden Güter- und Personenschienenverkehr.

Das Geld dafür steht zur Verfügung:

  • Keine Subventionen für die Autoindustrie, stattdessen ein
  • Sondervermögen des Bundes von 200 Milliarden Euro und eine
  • Gewinnabschöpfung bei den Autokonzernen für Verkehrswende, Ausbau der Infrastruktur, Aufbau von Kapazitäten für Schienenfahrzeuge und smarte Busse.

Auch wenn die Regierung das nicht hören will: Durch Tempolimit von 120 / 80 / 30 km/h werden Treibhausgasemissionen in Höhe von 7,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten eingespart. Die Verkehrspolitik der Regierung, zum Beispiel die Zulassung von E-Fuels (Verbrennungsmotoren über 2035 hinaus) und die Produktpolitik der Autoindustrie sind verheerend. Es gibt nicht ausreichend Ressourcen und die Emissionen aus Produktion und Nutzung sind zu zerstörend, als dass die Autogesellschaft einfach mit anderen Antrieben weiterzuführen wäre. Zudem ändert die Antriebswende weder etwas an den Problemen, die uns die autogerechte Zurichtung unserer Städte beschert hat, noch an den negativen Auswirkungen der deutschen Rohstoffstrategie, die auf der Ausbeutung von Menschen und Natur im globalen Süden beruht.

Elektroantriebe und die Produktstrategie der Autohersteller (Produktionsverlagerung und immer größere und teurere Fahrzeuge) führen zu negativen Auswirkungen auf die Beschäftigten. Zehntausende Arbeitsplätze in der Auto- und Zulieferindustrie wurden in den vergangenen vier Jahren schon verlagert oder vernichtet. Dagegen können im Schienenfahrzeugbau, bei der Bahn und in den Betrieben des ÖPNV im Prozess der Transformation hunderttausende Arbeitsplätze neu entstehen, wenn diese Betriebe Planungssicherheit erhalten. Zu gewinnen sind gute Arbeit, gutes Leben und eine lebenswerte Zukunft für nachfolgende Generationen. In diesem Prozess gilt es den Beschäftigten Sicherheit zu geben, auch durch gesetzlich garantierte Fort- und Weiterbildung und ein Transformationsgeld.

Warum spitzt sich die Krise zu?

Die oben genannten Lösungsvorschläge sind bereits bekannt. Neu ist, dass sich mit der Zuspitzung der Klimakrise auch der Konflikt um die Zukunft der Automobilität verschärft.

Zum einen besteht die Gefahr eines verkehrspolitischen Backlash, der die Klimakrise zusätzlich verschärft, Milliarden an Mitteln vergeudet und dadurch weitere Arbeitsplätze gefährdet. Fortgesetzter Autobahnneubau und die aberwitzigen Subventionen, die in die Autoindustrie fließen, sind eine Umverteilung von unten nach oben. Viele, auch ärmere Menschen sind noch auf Autos angewiesen, jedoch sinken die PKW-Dichte und die Emissionen mit dem Haushaltseinkommen. Anstatt sich auf die Forderungen der Mehrheiten im Land einzulassen, intensiviert die Regierung ihre autozentrierte Politik und stößt die ganze Welt vor den Kopf. Selbst der Abschied vom Verbrennungsmotor wird von antiökologischen Kräften wie der FDP immer wieder von Neuem infrage gestellt. Dadurch kommen Klimaschutz und Mobilitätswende unter die Räder bzw. unter den Asphalt. Das ist zu verhindern.

Zum anderen schließen sich das klimapolitische Zeitfenster und die engen Möglichkeitsräume einer fortschrittlichen Verkehrspolitik, da wir auf Kipppunkte zusteuern. Deshalb forcieren einige Klimaaktivistinnen zugespitzte Aktivitäten wie Straßenblockaden. «Der Verzicht auf Führung ist kriminell», so der UN-Generalsekretär António Guterres. Gemessen am Ausmaß der Probleme sind die Forderungen der «Letzten Generation» nach einem Tempolimit und einem 9-Euro-Ticket geradezu harmlos. Es sagt allerdings einiges über den Zustand der Politik, dass sich Aktivist*innen auf der Straße festkleben und den Anfeindungen von Autofahrer*innen aussetzen müssen, um Gesetz und Völkerrecht (Pariser Klimaabkommen) Gehör zu verschaffen.

Wie schaffen wir breite Bündnisse für bessere Arbeit und gutes Leben für alle?

Die Forderungen nach grundlegenden sozial-ökologischen Veränderungen, wie sie von den Verkehrswendeinitiativen erhoben werden, brauchen breite Bündnisse, um die notwendige Wirkung entfalten zu können. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Zwar gibt es gemeinsame Verlautbarungen seitens Gewerkschaften, Umweltverbänden und Kirchen. Vor allem in der Praxis der IG Metall, aber auch im Agieren von Teilen der LINKEN wird den gemeinsamen Forderungen zu wenig Nachdruck verliehen. Besonders der Partei DIE LINKE kommt hier eine große Verantwortung zu, den vermeintlich unlösbaren Widerspruch zwischen Ökologie und Arbeitsplätzen aufzulösen und die berechtigten Interessen der Beschäftigten an guter Arbeit und gutem Leben mit der Verkehrswende zu verbinden. Dafür machen wir dieses Diskussionsangebot.

Jüngst haben mehrere Studien gezeigt, welches große Potenzial für gute Arbeit in einer konsequenten Mobilitätswende liegt (Spurwechsel, Fraunhofer/m-five). Großen Arbeitskräftebedarf gibt es im Schienenfahrzeugbau, bei den Bahn- und ÖPNV-Betrieben. Rechnet man dazu den Arbeitskräftebedarf, der sich aus dem nötigen Ausbau des Care-Sektors ergibt und berücksichtigt man die beschäftigungspolitischen und gesellschaftlichen Potenziale einer Arbeitszeitverkürzung zugunsten der 28-Stunden-Woche, dann wird deutlich, dass es viel zu gewinnen gibt.

Das setzt aber voraus, dass Kräfte wie die Gewerkschaften und die LINKE die Impulse der Verkehrswendeinitiativen konsequent aufgreifen. Es setzt zudem voraus, dass die Gewerkschaften ihr politisches Mandat zugunsten einer sozial-ökologischen Transformation wahrnehmen. Und es setzt voraus, dass die vielen guten Ansätze und Überlegungen, wie sie von Beschäftigten in der Autoindustrie selbst ausgehen, nicht länger vom rauen Wind der Konkurrenz weggefegt, sondern aufgegriffen, standort-übergreifend gebündelt und offensiv in die gesellschaftspolitischen Debatten eingebracht werden.

Unsere konkrete Utopie für lebenswerte Städte, guten öffentlichen Verkehr, intelligente Mobilität auch auf dem Land statt Zwang zum Auto, für eine erfolgreiche sozial-ökologische Wende in der Verkehrs- und Industriepolitik: Die Anzahl der Autos auf unseren Straßen wird bis 2030 halbiert – vor allem in den größeren Städten mit ausgebautem öffentlichem Verkehr. Dazu autofreie Quartiere und eine Reform der Mineralöl- und KFZ-Steuer (Bonus für Kleinwagen, Malus für Fahrzeuge mit mehr als 120 PS, mehr als 2.000 ccm, exponentiell steigend für größere, schwere Autos). Füllung der Lücken im ländlichen Raum durch Fahrservices, Rufbusse und Carsharing als Teil einer integrierten Verkehrsplanung und staatlicher Daseinsvorsorge. Kostengünstige und langfristig kostenlose öffentliche Mobilität als sozial-ökonomisches Grundrecht. Eine konsequente, langfristige und verlässliche Investitionspolitik in den öffentlichen Verkehr.

Darum geht es jetzt:

  1. Aufbau von regionalen Transformationsräten aus Gewerkschaften, regionaler Politik, Umwelt- und Verkehrsverbänden, Energie- und Verkehrswendeinitiativen, die gesellschaftliche Foren initiieren und direkten Einfluss auf die sozial-ökologische Transformation der Produkte in der gesamten Mobilitätsindustrie nehmen. Förderung dieser regionalen Transformationsräte und gesellschaftlicher Foren aus dem Zukunftsfonds Automobil.
  2. Forcierung und Unterstützung lokaler Initiativen und Bündnissen für die sozial-ökologische Transformation von Autoindustrie und Mobilität.
  3. Auf- und Ausbau (gemeinwirtschaftlicher, demokratischer) Unternehmen, die die Lücken in der derzeitigen Mobilitätsindustrie für den smarten Bus-, Schienen- und Güterverkehr füllen: Das ergibt eine sinnvolle Kompensation von wegfallenden Arbeitsplätzen. Ergänzend: Vergesellschaftung von Unternehmen, die die Verkehrswende blockieren nach Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes.
  4. Reform von Straßenverkehrsordnung und -gesetz, sodass Kommunen ermächtigt werden, sozial-ökologische Maßnahmen wie Tempolimits, Busspuren und anderes mehr zu beschließen und umzusetzen.
  5.  Eine europäische Industriepolitik zum Aufbau einer europäischen Mobilitätsindustrie für den so notwendigen Bau von Bussen und Schienenfahrzeugen. Die Möglichkeit der Direktvergabe (public service obligation) für den ÖPNV und die Bahn muss weiterhin erhalten bleiben.

Eine so verstandene Verkehrs- und Mobilitätswende ist Teil einer am Bedarf orientierten Transformation von Produktion und Dienstleistungen in unserem Land. Es gilt, die Ökonomie vom Kopf auf die Füße zu stellen, sozial-ökologisch schädliche Aktivitäten zurückzubauen und menschliche Kreativität und gesellschaftliche Ressourcen in den Dienst des guten Lebens zu stellen. Die Mobilitätswende ist Baustein und Ergebnis einer solchen Transformation.

Berlin, 11. Mai 2023

https://www.rosalux.de/stiftung/gespraechskreise/zukunft-auto-umwelt-mobilitaet