Nachricht | Deutsche / Europäische Geschichte - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Im Osten was Neues Folgen der Treuhandpolitik bis heute spürbar

Ausstellung erfreut sich in Ostdeutschland großer Nachfrage

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Alrun Kaune-Nüßlein bei der Eröffnung der Treuhand-Ausstellung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin, 29.10.2019
Alrun Kaune-Nüßlein bei der Eröffnung der Treuhand-Ausstellung in Berlin, 29.10.2019 CC BY 2.0, Fotostream Rosa-Luxemburg-Stiftung, via Flickr

Am 20. August 2019 wurde im Kunsthaus Erfurt erstmals die Ausstellung «Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale» eröffnet. Drei Jahrzehnte nach der politischen Wende in der DDR und der deutschen Vereinigung gab die Ausstellung einen ungeschönten Einblick in das Agieren der Treuhandanstalt und deren Folgen. 25 Betroffene fanden damals den Mut, ihre persönlichen Erfahrungen und die damit verbundenen individuellen Schicksale zu erzählen – in Kurzform für die Ausstellung und ausführlich für das Begleitbuch. Gerahmt wurden die persönlichen Geschichten durch ausgewählte Zahlen und Fakten, eine politische Einordnung der damaligen Ereignisse, bspw. durch die Wirtschaftsministerin der Modrow-Regierung Christa Luft, und durch Beispiele von einstigen volkseigenen Betrieben und was aus ihren wurde.

Die Resonanz war von Anfang an bemerkenswert. Zahlreiche Medien griffen das Thema auf und berichteten über diese, vor allem für nachwachsende Generationen oft unbekannte Seite der deutschen Vereinigung. Als Wanderausstellung konzipiert war die Präsentation – von einer corona-bedingten Pause unterbrochen – mittlerweile in rund 30 Orten zu sehen, derzeit im Thüringer Schwarzatal, im Herrenhaus Katzhütte. Das Bedürfnis, sich über die persönlichen Erfahrungen und Lebenswege auszutauschen ist in Ostdeutschland sehr groß. Die Ausstellung bietet einen geeigneten Rahmen dafür. In den alten Bundesländern ist das Interesse bislang leider gering. In nur zwei Städten wurde sie bisher gezeigt, so im Januar 2020 in der Aula der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Die Kanzlerin der Hochschule zeigte sich damals erfreut, die Wanderausstellung erstmals an einem Standort der «alten Bundesrepublik» präsentieren und so ein Forum für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven der deutschen Wiedervereinigung bieten zu können. Im Frühjahr dieses Jahres hatten Schüler*innen der Jacob-Grimm-Schule in Kassel eine Projektwoche zum Thema Treuhand organisiert und aus diesem Anlass die Ausstellung im Oberstufenzentrum gezeigt.

In Ostdeutschland ist auch 33 Jahre nach der Wende das Interesse an Geschichte und Geschichten aus der Nachwendezeit ungebrochen. Verkauf, Liquidierung oder Umwandlung der volkseigenen Betriebe Anfang der 1990er Jahre in private Unternehmen war für viele Familien verbunden mit Arbeitsplatzverlust, Existenzangst und Demütigungen. Zusammengefasst wird dieser Teil der deutsch-deutschen Geschichte gern als «gebrochene Erwerbsbiografie» bezeichnet, der bei ganzen Generationen zu Altersarmut geführt hat.  Daran ändert auch die Ankündigung der Bundesregierung nichts, dass zum 1.7.2023 und damit ein Jahr früher als erwartet die Rentenwerte Ost-West endlich angeglichen werden.

Die von der Kohl-Regierung übertragene Aufgabe der Treuhand war es, 9.000 volkseigene Betriebe mit insgesamt 4,1 Millionen Arbeitsplätzen in kürzester Zeit «markttauglich» zu machen. Betriebe wurden privatisiert, liquidiert und Millionen Menschen wurden arbeitslos. Die Folgen sind bis heute spürbar: Noch immer besteht eine wirtschaftliche und soziale Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland. Ostdeutsche sind auch heute noch in Führungspositionen unterrepräsentiert. Das Versprechen gleichwertiger Lebensverhältnisse ist nicht erfüllt. Die Wirtschaftsstruktur im Osten ist eher kleinteilig, es gibt kaum große Industriebetriebe. Auch bei Einkommen und Vermögen hinkt der Osten dem Westen hinterher. So liegt das Bruttoentgelt für Mechatroniker laut Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit 2021 im Osten zwischen 2.681 und 2.977 Euro, in den alten Bundeländern zwischen 2.978 und 3.867 Euro. Altenpfleger*innen erhalten im Beitrittsgebiet zwischen 2.955 und 3.115 Euro, in den alten Bundesländern zwischen 3.116 und 3.598 Euro. Und ganz konkret: Bei Maurern liegt der Lohnunterschied zwischen Brandenburg und Baden-Württemberg bei 902 Euro.

Das Anliegen der Ausstellung «Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale» ist es, die Erinnerungen der Zeitzeug*innen für künftige Generationen zu bewahren. Die meisten ostdeutschen Familien waren direkt oder mittelbar vom Wirken der Treuhandpolitik betroffen, ihr ausgeliefert. Sie erlebten die Treuhandanstalt als Schicksalsmacht. Wie erging es den betroffenen Menschen? Wie gingen sie mit dieser «Schocktherapie» um? Wie verarbeiteten sie die biografischen Brüche? Welche Protestaktionen gab es und mit welchem Erfolg? Sozialwissenschaftler hatten für die Jahre 1990 bis 1993 in Auswertung von Tages­ und Wochenzeitungen 1.032 Protestaktionen für Ostdeutschland ermittelt. Die Ausstellung gibt einen Einblick in die Vielzahl und Vielfalt der Lebenswege. Interessant ist auch, was aus den Betrieben wurde. 13 ausgewählte Branchen und Betriebe, die exemplarisch für die ostdeutsche Wirtschaft stehen, werden beleuchtet.

Noch offen ist die politische Aufarbeitung der Rolle der Treuhandanstalt für die heutige wirtschaftliche und soziale Situation in Ostdeutschland und Berlin. Zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse des Bundestages konnten diese Aufgabe nicht erfüllen, weil die Akten noch unter Verschluss waren und die Union, als damaliger politischer Akteur, kein Interesse an ehrlicher Aufarbeitung hatten.  In Thüringen hat im vergangenen Jahr ein Untersuchungsausschuss zum Thema «Treuhand in Thüringen: Erfolgsgeschichte oder Ausverkauf – Rolle und Untersuchung der Arbeit der Treuhandanstalt und der zuständigen Niederlassungen im Gebiet des heutigen Thüringens» seine Arbeit aufgenommen, um das Agieren der Treuhandanstalt in Thüringen aufzuarbeiten.

Die Ausstellung kann kostenfrei ausgeliehen werden.