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Eine kritische Analyse des Freihandelsabkommens zwischen China und Ecuador

Information

Im Januar 2023 kündigte die ecuadorianische Regierung – nach einer Rekordzeit von zehn Monaten und nur vier Verhandlungsrunden – den Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen der Volksrepublik China und Ecuador an. Am 10. Mai unterzeichneten die Regierungen beider Staaten den Vertrag. Um in Kraft zu treten, muss das Abkommen noch vom Verfassungsgericht überprüft und von der ecuadorianischen Nationalversammlung gebilligt werden. Sollte alles wie geplant vonstattengehen, wäre Ecuador nach Costa Rica, Peru und Chile das vierte Land der Region mit einem Freihandelsabkommen mit China. Was können wir – ausgehend von den costa-ricanischen, peruanischen und chilenischen Erfahrungen – erwarten?

Chinas Einfluss: Von großer Bedeutung, aber kaum beachtet

Latinoamérica Sustentable ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Ecuador, die sich für den Schutz der Umwelt und der lokalen Gemeinschaften im Zusammenhang mit chinesischen Investitionen in Lateinamerika und der Karibik einsetzt, https://latsustentable.org.

An das Jahr 2023 wird man sich in Ecuador wegen einer der größten politischen Krisen des Jahrhunderts noch lange erinnern. Inmitten der Debatten über die Zukunft von Präsident Guillermo Lasso – und während eines laufenden Amtsenthebungsverfahrens gegen ihn – scheint es, dass ein Thema von historischer Bedeutung für das Land nicht beachtet wird: Am 10. Mai wurde das Freihandelsabkommen zwischen China und Ecuador unterzeichnet. Wenn es in Kraft tritt, wird Ecuador das 25. Land der Welt und das vierte in der Region sein, das ein Freihandelsabkommen (FTA) mit China unterzeichnet. Abgesehen von den bekannten wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Abkommen auf ein rohstoffexportierendes Land wie Ecuador – wie Handelsabhängigkeit, weitere Konzentration des Exports auf Rohstoffe und Deindustrialisierung – sollen in diesem Artikel die sozialen und ökologischen Folgen der Unterzeichnung eines Handelsabkommens mit der «Werkbank der Welt» erörtert werden.

Handelsbeziehungen zwischen China und Lateinamerika

Die Handelsbeziehungen zwischen China und Lateinamerika lassen sich bis in die 1970er Jahre zurückverfolgen, als die lateinamerikanischen Länder China in den Vereinten Nationen anerkannten. In den 1990er Jahren unterzeichnete China im Zuge des weltweiten Trends zu Freihandel und Globalisierung mehr als zehn bilaterale Investitionsabkommen (BITs) mit lateinamerikanischen Ländern.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts lösten zwei Meilensteine in Chinas globaler Expansionsstrategie einen noch nie dagewesenen Aufschwung des Außenhandels aus: die sogenannte Going-Out-Politik (die Förderung von Auslandsinvestitionen chinesischer Unternehmen) und Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO). Die damit einhergehende Öffnung neuer Märkte und die Transnationalisierung chinesischer Unternehmen wurden von einem Anstieg der Rohstoffpreise in der Region begleitet, was den Beziehungen zwischen dem asiatischen Riesen und den lateinamerikanischen Ländern eine hohe Dynamik verlieh. Am Ende des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts war China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt sowie der weltweit führende Produzent und Exporteur von Industriegütern. Außerdem verfügte das Land über den weltweit größten Bestand an Devisenreserven und war der weltweit drittgrößte Kapitalgeber ausländischer Direktinvestitionen (Serbin 2022, 7).

2008 und 2016 veröffentlichte die chinesische Regierung zwei Weißbücher über Pekings Außenpolitik gegenüber Lateinamerika. Chinesische Firmen würden verstärkt in natürliche Ressourcen, Infrastruktur und Energie investieren, hieß es dort. In diesem Kontext schlossen sieben Länder der Region eine umfassende strategische Partnerschaft mit China, die höchste vom «Reich der Mitte» gewährte Stufe bilateraler Beziehungen.

Chinas Expansionsstrategie in der Region wurde 2018 gefestigt, als Lateinamerika in die 2013 von Präsident Xi Jinping ins Leben gerufene Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) eingeschlossen wurde. Diese Initiative soll globale Lieferketten verbinden, unter anderem in den Bereichen Infrastruktur, Handel und Finanzen.[1] Aktuell sind 21 lateinamerikanische Länder der Neuen Seidenstraße beigetreten.

Ein Blick auf die wichtigsten bilateralen Handelsabkommen (BIT und FTA) und strategischen Abkommen (Interimswirtschaftspartnerschaftsabkommen, IEPA und BRI), die zwischen China und lateinamerikanischen Ländern unterzeichnet wurden, zeigt, dass Chile und Peru China «am nächsten» stehen (vier Abkommen), gefolgt von Argentinien, Costa Rica und Ecuador (drei Abkommen). Brasilien ist ein interessanter Fall, denn obwohl es nur ein Abkommen unterzeichnet hat (IEPA), gehört es zweifellos zu den wichtigsten Partnern Chinas in der Region. Dies deutet – wie auch mit Blick auf Venezuela und Mexiko – darauf hin, dass das IEPA das wichtigste Abkommen für die chinesischen Außenbeziehungen ist (Bittencourt, 2023).

China ist wichtigster Handelspartner Südamerikas

In den letzten zwei Jahrzehnten haben chinesische Unternehmen rund 172 Milliarden US-Dollar investiert und in mehr als zwanzig Ländern Lateinamerikas über 200 Infrastrukturprojekte, vor allem in den Bereichen Energie und Verkehr, erstellt (Dussel Peters, 2022a, 2022b). Im Handel ist China von einem unbedeutenden zum wichtigsten Partner Südamerikas und zum zweitwichtigsten in der gesamten Region geworden. Zwischen 2000 und 2021 hat sich der Handel zwischen den beiden Regionen um das 26-fache vergrößert, und die Trends zeigen, dass er sich bis 2035 noch einmal verdoppeln könnte (Sahd, 2022). Die Handelsbilanz offenbart eine asymmetrische Beziehung, in der Lateinamerika seine Rolle als Exporteur von Primärgütern gestärkt und das extraktivistische Modell vertieft hat, um Chinas wachsende Nachfrage nach natürlichen Ressourcen zu decken.

Bislang hat China Freihandelsabkommen mit Chile (2005), Peru (2009) und Costa Rica (2010) unterzeichnet. Chile konnte den sogenannten Optimierungsprozess 2019 abschließen, während die Verhandlungen mit Peru ins Stocken gerieten. Wenn Ecuadors FTA ratifiziert wird, wäre es sein erstes Freihandelsabkommen mit einem asiatischen Land. Uruguay beschloss im Juli 2022 eine Machbarkeitsstudie für ein FTA mit China anzufertigen, und Nicaragua und Honduras kündigten Verhandlungen für 2023 an.

Die lateinamerikanischen Regierungen präsentierten die Freihandelsabkommen als einen Mechanismus, um den Exportwarenkorb zu diversifizieren, einen Markt mit mehr als 1,4 Milliarden Einwohner*innen zu erschließen und Investitionen anzuziehen. Es trifft zu, dass in Chile und in Peru der Handel nach Inkrafttreten der Verträge rasch zunahm und die Länder einen Überschuss in der bilateralen Handelsbilanz erzielten; die Hoffnung auf Diversifizierung wurde jedoch bei weitem nicht erfüllt.

In beiden Ländern haben die Bergbauexporte in den letzten zehn Jahren stetig zugenommen und führen die Liste der wichtigsten nach China ausgeführten Produkte an. So entfielen im Jahr 2021 84,4 Prozent der chilenischen und 88 Prozent der peruanischen Exporte nach China auf den Bergbausektor. Auf Kupfer, das wichtigste Exportprodukt, entfielen 71,6 Prozent der chilenischen und 70 Prozent der peruanischen Ausfuhren. China wurde seinerseits zum weltweit wichtigsten Abnehmer von chilenischem und peruanischem Kupfer (De Echave y Yauri, 2023, 12-14).

Auf der Importseite kaufen Peru und Chile von China vor allem Produkte aus den Bereichen Informationstechnologie, Mobiltelefone, Fahrzeuge und Maschinen. Dies zeigt eine erhebliche Asymmetrie im Handel: Die lateinamerikanischen Länder bauen ihre Rolle als Exporteure von Primärgütern aus, während sie Industrieerzeugnisse mit hoher Wertschöpfung aus China importieren.

China und Ecuador: strategische Partner

Die Handelsbeziehungen zwischen China und Ecuador begannen im Jahr 1973, nachdem Ecuador die Beziehungen zu Taiwan abgebrochen und erstmals den Verkauf von 20.000 Tonnen Bananen an China ausgehandelt hatte. Im Januar 1980 eröffneten Botschaften in Quito und Peking (Garzón y Castro, 2018, 23). In den folgenden zwei Jahrzehnten bemühte man sich vor allem um Handel, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit, Krediterleichterungen für soziale Infrastruktur und Investitionsabkommen, insbesondere im Ölsektor (Castro, 2021).

Erst 2007, mit dem Amtsantritt der Regierung von Rafael Correa, nahmen die Beziehungen strategischen Charakter an. Ein Jahrzehnt später war Ecuador zum viertgrößten Empfänger chinesischer Finanzhilfen in Lateinamerika geworden. Für Ecuador war China die wichtigste Quelle für bilaterale Finanzierungen, der Hauptauftragnehmer für öffentliche Infrastrukturprojekte sowie zweitgrößter Handelspartner.

Als Guillermo Lasso 2021 seine Präsidentschaft antrat, wandelten sich die Beziehungen Ecuadors zu China – wie von einer rechtsgerichteten Regierung zu erwarten war: Die Finanzierung und der Bau öffentlicher Infrastruktur wurde zurückgefahren, und die Förderung von Handel und Investitionen trat in den Vordergrund. Die Regierung Lasso begann in einem historisch einmaligen Ausmaß die Handelsöffnung des Landes voranzutreiben und kündigte an, bis 2025 mindestens zehn Handelsabkommen zu unterzeichnen[2] (Benarroch y Brik, 2021). In seiner Antrittsrede im Mai 2021 sagte Lasso: «Wir werden Ecuador für Freihandelsabkommen mit unseren größten Verbündeten öffnen. Wir werden uns voll in die Welt einbringen, um einen freien und fairen Handel zu betreiben» (Coba, 2021). Bisher hat die Regierung Abkommen mit China, Costa Rica und Südkorea abgeschlossen. Die Verhandlungen über Abkommen mit Ländern wie Mexiko und den USA treten hingegen auf der Stelle. In Bezug auf die USA erklärte der zuständige Minister für Produktion, Außenhandel, Investitionen und Fischerei, Julio José Prado, dass er «weder von China noch von den Vereinigten Staaten unter Druck gesetzt wurde, die Verhandlungen auszusetzen». («El Comercio», 2023b). Der Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta Burneo betonte, dass «die Vereinigten Staaten das wichtigste Ziel für unsere gesamten Exporte und China das [größte] Ziel für unsere Nicht-Öl-Exporte sind», was beide Märkte für Ecuador sehr wichtig mache (France 24, 2023).

Schnellste Verhandlung der Geschichte

Zehn Monate nachdem Präsident Lasso in Peking die Absichtserklärung unterzeichnet hatte, gab die ecuadorianische Regierung im Januar 2023 den Abschluss der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen bekannt. Die Regierungen unterzeichneten den Vertrag am 10. Mai 2023 in Quito.

Der Vertrag wurde in Rekordzeit abgeschlossen: Es gab zwischen Juli und Dezember 2022 vier Verhandlungsrunden mit 17 Fachthemen. Die Regierung bezeichnete sie als die «schnellste Verhandlung der Geschichte» (González, 2023).[3] Der Text des Abkommens umfasst mehr als 700 Seiten mit 17 Kapiteln zu Themen wie Marktzugang, Ursprungsregeln, Zollverfahren und Handelserleichterungen, Handelssicherung, pflanzenschutzrechtliche Protokolle, Abbau von Handelshemmnissen, Investitionszusammenarbeit, elektronischer Handel, Wettbewerb, Transparenz und Streitbeilegung (Freihandelsabkommen China-Ecuador, 2023). Im Unterschied zu den kürzlich mit Costa Rica und Südkorea ausgehandelten Vereinbarungen sieht dieses Abkommen die Liberalisierung des Warenhandels vor, nicht aber die Liberalisierung von Dienstleistungen oder Investitionen, so dass es sich für einige nicht um ein Freihandelsabkommen im eigentlichen Sinne, sondern eher um ein Handelsabkommen handelt (González, 2023).

Ecuadors Exporte nach China sind in den letzten Jahren jährlich um rund 50 Prozent gestiegen (El Comercio, 2023b). Im Jahr 2022 überholte das asiatische Land die Vereinigten Staaten und die Europäische Union als wichtigstes Ziel für ecuadorianische Nicht-Öl-Exporte. Es wird erwartet, dass die Ausfuhren durch das Freihandelsabkommen noch weiter zunehmen und 99 Prozent dieser Ausfuhren mit Zollvergünstigungen in ihr Zielland gelangen werden.

Gegenwärtig sind Ecuadors Exporte nach China hauptsächlich Produkte aus dem Erdöl- und Bergbausektor sowie in zunehmendem Maße aus dem Agrar- und Nahrungsmittelsektor: Garnelen, Holz, Bananen und Fisch. Ecuador importiert seinerseits Maschinen und mechanische Geräte, Fahrzeuge, Elektrogeräte und andere Industrieerzeugnisse aus China (Fedexport, 2022).[4]

Werden sich die ecuadorianischen Exporte durch den Handelsvertrag diversifizieren? Wird ein Technologietransfer stattfinden? Die Erfahrungen Perus und Chiles deuten darauf hin, dass dies wahrscheinlich nicht der Fall sein wird; vielmehr ist zu erwarten, dass die Exporte traditioneller Produkte aus dem Öl-, Bergbau- und Agrarsektor weiter zunehmen werden. Deren Abbau hat erhebliche soziale und ökologische Auswirkungen. Präsident Lasso erklärte zu dieser möglichen Intensivierung des extraktivistischen Exportmodells im August 2022: «mehr Bananen, Garnelen und Blumen aus Ecuador in der Welt bedeuten mehr Arbeitsplätze in Ecuador» (Primicias, 2022). Manche Beobachter kritisieren, das Freihandelsabkommen mit China sei nicht mit Blick auf die Produktions- und Industriepolitik, sondern auf die Interessen der Ex- und Importeure (France 24, 2023) konzipiert worden.

Geheime Verhandlungen

Der Wirtschaftssektor war an den Verhandlungen über den Mechanismus des «vierten Beisitzers» beteiligt, bei dem Unternehmer*innen «Inputs und Informationen lieferten» (MPCEIP, 2023). Organisationen der Zivilgesellschaft, der Presse und der Wissenschaften waren hingegen ausgeschlossen. Die Verhandlungen wurden geheim geführt. Dabei soll der «vierte Beisitzer» eigentlich ein Mechanismus für Partizipation und Transparenz sein, der es verschiedenen Sektoren der Zivilgesellschaft ermöglicht, während des Verhandlungsprozesses zu informieren, zu kommunizieren und Empfehlungen abzugeben.

Im Gegensatz zu den Abkommen, die Ecuador mit Costa Rica und Südkorea abgeschlossen hat, wurden die Themen geistiges Eigentum, öffentliches Beschaffungswesen, Arbeits- und Umweltrechte in den Verhandlungen mit China nicht berücksichtigt. Umweltfragen werden nur in zwei Artikeln des Abkommens erwähnt: Umweltmaßnahmen (Art. 9.3) und Umweltzusammenarbeit (Art. 16.13), die beide den Handelskapiteln über Investitionszusammenarbeit (IX) und wirtschaftliche Zusammenarbeit (XVI) untergeordnet sind.

In einem Interview erklärte Minister Prado, dass die Verhandlungen auf diese Weise geführt wurden, weil es «einfacher und schneller» sei, nur über den Warenhandel zu verhandeln, als auch über jene Themen, die zumeist in Abkommen der dritten Generation (die auch Dienstleistungen und Investitionen umfassen) behandelt werden (Sonorama, 2023). Diese Annahme verkennt die Tatsache, dass der Export von Primärgütern in großem Stil erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und die Arbeitnehmerrechte hat. Laut einer vertraulichen Quelle wurden Umwelt- und Arbeitsrechtsfragen auf Wunsch der chinesischen Regierung an keinem Verhandlungstisch berücksichtigt. Dabei sind in Chinas Freihandelsabkommen mit Costa Rica und Chile Abschnitte zu diesen Themen enthalten. Obwohl sie unverbindlich und somit begrenzt sind, bieten sie einen Ansatzpunkt für die Forderung nach ihrer Umsetzung.

Nach der Unterzeichnung muss das Abkommen den Prozess der verfassungsrechtlichen Kontrolle und der Zustimmung des Gesetzgebers durchlaufen, damit es ratifiziert werden und in Kraft treten kann. Das Ganze könnte etwa ein Jahr dauern.[5] Artikel 438 der Verfassung sieht vor, dass das Verfassungsgericht bei internationalen Verträgen vor deren Ratifizierung durch die Nationalversammlung ein verbindliches Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit abgibt. Sobald das Gutachten des Gerichts vorliegt, bedarf «die Ratifizierung oder Kündigung internationaler Verträge der vorherigen Zustimmung der Nationalversammlung», sofern die Verträge «das Land an Integrations- und Handelsabkommen binden» (Art. 419, Absatz 6). Der Legislativrat – das Gremium, dem alle Gesetzesentwürfe vorgelegt werden – bestimmt eine Kommission, die einen Bericht für das Plenum erstellt. Nach der Aussprache ist für die Annahme des Berichts eine absolute Mehrheit erforderlich. Wird er angenommen, kann der Präsident das Abkommen ratifizieren, woraufhin es schließlich in Kraft tritt.

Soziale und ökologische Herausforderungen

Obwohl keine detaillierten Studien über die Auswirkungen von Freihandelsabkommen mit China vorliegen, gibt es zahlreiche Belege für die Herausforderungen, die diese Art von Abkommen für Rohstoffexportländer mit sich bringen. Tendenziell nehmen die ökonomische Abhängigkeit von Rohstoffexporten sowie die Reprimarisierung und Deindustrialisierung zu – mit den bekannten negativen Auswirkungen auf Wirtschaft, Menschenrechte und Umwelt.

Die überwiegende Mehrheit der chinesischen Projekte in Lateinamerika – und insbesondere in Ecuador – sind extraktiver Natur (Bergbau, Öl, Energie, Agrarindustrie u.a.) und befinden sich in ökologisch sensiblen Gebieten (Amazonas, andine Hochlandsteppen, Wälder) mit einer bedeutenden Präsenz indigener Völker und/oder lokaler Gemeinschaften. Ein Freihandelsabkommen mit China birgt die Gefahr, den nationalen Markt mit Produkten chinesischer Herkunft zu überschwemmen und damit die ecuadorianische Industrie zu schwächen. Das FTA verstärkt auch die «extraktive Logik», die die Arbeits- und Umweltrechte in jenen Gebieten, in denen Investitionen getätigt werden, gefährdet. Der Vertrag stärkt zudem die Rechtssicherheit internationaler Investoren und bedroht dadurch die Souveränität von Staaten, die dann nicht mehr in der Lage sind, die Menschenrechte bei Investitionsprojekten zu garantieren.

In Peru beispielsweise beriefen sich die Unternehmen Aluminium Corporation of China und Chinalco 2016 auf «den durch das Freihandelsabkommen gewährten Schutz», um den peruanischen Staat zu verklagen, weil er im Falle des Bergbauprojekts Toromocho den Zugang zu (besetztem) Land nicht garantierte. In Ecuador war das Freihandelsabkommen noch nicht einmal in Kraft, als Junefield Gold im Rahmen des Investitionsabkommens BIT den ecuadorianischen Staat im Oktober 2022 wegen mangelnder Garantien und Rechtssicherheit verklagte, weil er «Übergriffe von Aktivisten und Minengegnern» im Bergbauprojekt Rio Blanco[6] zuließ, das seit 2018 durch einen Gerichtsbeschluss lahmgelegt ist.

Ein weiterer Punkt, der Sorge bereitet, ist die Ernährungssouveränität. Ein FTA mit einem Land wie China, das eine wachsende Nachfrage nach Nahrungsmitteln hat, könnte zur Folge haben, dass sich die für den Export bestimmten Monokulturen intensivieren, was nicht nur das Recht der Länder beeinträchtigen würde, über ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln selbst zu entscheiden, sondern auch die öffentliche Politik gegenüber dem heimischen Markt schwächen würde. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass landwirtschaftliche Standards gefördert werden, die großen Exportkonzernen zugutekommen und irreversible Auswirkungen auf die Böden und Gewässer der Gebiete hätten. Die Regierung hat angekündigt, dass das Freihandelsabkommen mit China den Export traditioneller Produkte wie Garnelen, Bananen, Blumen, Kakao und Kaffee erheblich steigern und die Türen für nicht-traditionelle Produkte wie «Pitahaya, Ananas, Mango, Blaubeeren, Quinoa, verarbeitete Lebensmittel, frische und konservierte Früchte und eine große Anzahl anderer landwirtschaftlicher und agroindustrieller Produkte» öffnen werde (MPCEIP, 2023).

Die Erfahrungen aus Chile und Peru indizieren, dass die Nachteile der FTAs die Vorteile überwiegen dürften. So erklärt etwa Javier Mujica, Peru brauche «dieses Abkommen generell nicht, um seine Exporte zu steigern”. Die Bergbauexporte, insbesondere von Kupfer, seien aufgrund der chinesischen Nachfrage zwar erheblich gestiegen, was jedoch nicht direkt auf die Unterzeichnung des Abkommens zurückzuführen sei. Der Rechtsanwalt Juan Carlos Urquidi Fell weist darauf hin, dass in Chile seit der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens die Fälle von Korruption und mangelnder Transparenz bei Investitionsprojekten, die unter das Abkommen fallen, gestiegen sind. Beide betonen, dass sich die Menschenrechte und Umweltbedingungen verschlechterten, obwohl die Abkommen Umwelt- und Sozialschutzklauseln enthalten (Latinoamérica Sustentable, 2022).

In Peru und Chile wurde wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen, Umwelt- und Arbeitsrechtskapitel in die Abkommen aufzunehmen. Derartige Kapitel gelten als gute internationale Praxis, um die mit der Förderung des internationalen Handels und der Investitionen einhergehenden schädlichen Auswirkungen zu vermeiden oder abzumildern, auch wenn ihre Umsetzung vor großen Herausforderungen steht.[7] Das chilenische und das costa-ricanische Abkommen enthalten Umwelt- und Arbeitsrechtskapitel, die allerdings nicht verbindlich sind.

Im Falle Perus wurde der Optimierungsprozess des Freihandelsabkommens angehalten. Dort hatte die Zivilgesellschaft gefordert, Umwelt- und Arbeitsrechtsfragen einzubeziehen (Ministerio de Comercio Exterior y Turismo de Perú, 2019). In Ecuador ist die Situation dramatischer: Wie bereits erwähnt, wurden Umwelt- und Arbeitsrechtsfragen gar nicht erst erörtert und blieben im endgültigen Abkommen außen vor.

Was ist zu tun? Erstens ist die kritische Auseinandersetzung der Zivilgesellschaft mit den Freihandelsabkommen von großer Bedeutung, da die Regierungen dazu neigen, die FTAs zu technokratisieren und zu entpolitisieren. Es geht darum, den Inhalt des Abkommens zu «übersetzen»: Welche Auswirkungen wird es auf das Leben der Menschen haben? Um diese Frage zu beantworten, müssen die Risiken und Auswirkungen, die die Ratifizierung eines FTA mit China mit sich bringen würde – und die vielen Menschen nicht bewusst sind –, herausgearbeitet und die Kräfte gebündelt werden.

Zweitens müssen wir neue Erzählungen herstellen und neue Formen des kollektiven Widerstands entwickeln. Wir brauchen Wege, um uns gegen einen zunehmend invasiven und extraktivistischen Kapitalismus zu wehren, der die ökologischen und sozialen Kosten unsichtbar macht, die freier Markt, Rechtssicherheit für Investoren und Wirtschaftswachstum mit sich bringen. Derzeit findet eine Demobilisierung bzw. Desinformation der Zivilgesellschaft statt, die kollektives Handeln erheblich erschwert.

Drittens spielen die Medien eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, diese Herausforderungen sichtbar zu machen sowie Transparenz, Zugang zu Informationen und die Umsetzung international bewährter Praktiken in Bezug auf Sozial- und Umweltstandards und die Beteiligung der Zivilgesellschaft einzufordern – Aspekte, die in den bilateralen und regionalen Beziehungen zu China ein anhaltendes Problem darstellen.

Eine ausführlichere Fassung auf Spanisch (mit den Quellenangaben) findet sich hier. Übersetzt aus dem Spanischen von David Rojas Kienzle.


[1]     Es ist erwähnenswert, dass auf dem 20. Nationalen Kongress der Kommunistischen Partei im Oktober 2022 eine neue Globale Entwicklungsinitiative vorgestellt wurde, die Präsident Xi zuvor auf der UN-Generalversammlung vorgestellt hatte. Diese könnte einen bedeutenden Wandel in der chinesischen Außenpolitik signalisieren.

[2] Die Verhandlungen mit den USA, Mexiko, Panama und der Dominikanischen Republik waren bereits von seinem Amtsvorgänger Lenín Moreno begonnen worden.

[3] Zum Vergleich: Das Freihandelsabkommen mit Peru, das seinerzeit wegen der Geschwindigkeit, mit der die Verhandlungen geführt wurden, in die Kritik geriet, hatte sechs Runden in elf Monaten.

[4]     Das Abkommen schließt elf Prozent der ecuadorianischen Produkte aus, hauptsächlich in den Sektoren Fußbekleidung, Metallverarbeitung und weiße Ware, mit dem Ziel, diese nationalen Industrien zu schützen (El Comercio, 2023b). Für andere sensible Sektoren wie Fahrzeuge, Haushaltswaren, Fleisch, Textilien, Holz und Möbel gelten Zollsenkungsfristen von bis zu zwanzig Jahren (El Comercio, 2023a).

[5] Bei Redaktionsschluss dieses Artikels unterzeichnete Präsident Guillermo Lasso das Exekutivdekret 741, was die Auflösung der Nationalversammlung bis zu Neuwahlen, voraussichtlich am 20. August 2023, bedeutet. In dieser Zeit will der Präsident beim Verfassungsgericht die vorläufige Inkraftsetzung des Handelsabkommens erwirken (www.expreso.ec/actualidad/economia/gobierno-busca-corte-vigencia-temporal-acuerdo-comercial-china-160844.html). Regierungsminister Henry Cucalón erklärte jedoch, dass das Genehmigungsverfahren ausgesetzt und erst die nächste Nationalversammlung das Freihandelsabkommen prüfen und ratifizieren werde (www.eluniverso.com/noticias/economia/muerte-cruzada-pone-en-espera-la-vigencia-del-acuerdo-comercial-con-china-nota/).

[6] Weitere Informationen zu diesem Projekt finden Sie unter: https://thepeoplesmap.net/project/rio-blanco-mining-project. Informationen über das Gerichtsverfahren finden Sie im Urteil von 2018: www.derechosdelanaturaleza.org.ec/wp-content/uploads/2018/04/SENTENCIA-R%C3%8DO-BLANCO.pdf.

[7] Dieses Thema ist für China nicht neu. Bis Ende 2020 hatte das Land Freihandelsabkommen mit Neuseeland, der Schweiz und Chile unterzeichnet, die Umweltkapitel oder -anhänge enthielten, während sich andere in der Endphase der Verhandlungen mit Norwegen und Israel befanden.

 

 

 

«Die Ungleichheit der Handelspartner verstärkt sich»

Details

Karin Gabbert, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Quito, Ecuador erklärt, warum das neue Freihandelsabkommen zwischen China und Ecuador Gefahren für Arbeitnehmer*innenrechte und Umweltschutz mit sich bringt.