Nachricht | Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit Bonner Klimakonferenz: kritische Etappe auf dem Weg zur COP28 in Dubai

Die Kluft zwischen den Interessen des Globalen Nordens und des Globalen Südens wird immer größer.

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Brennendes Känguru mit der Aufschrift «KLIMA IST NICHT VERHANDELBAR» vom Düsseldorfer Künstler Jacques Tilly auf dem Platz der Vereinten Nationen in Bonn, 7.6.2023
Brennendes Känguru mit der Aufschrift «KLIMA IST NICHT VERHANDELBAR» vom Düsseldorfer Künstler Jacques Tilly auf dem Platz der Vereinten Nationen in Bonn, 7.6.2023 Foto: IMAGO / Marc John

Nach zweiwöchigen Diskussionen endeten die Intersessionals, die jährlich im Sommer stattfindenden Klimaverhandlungen in Bonn, am 15. Juni mit enttäuschenden Ergebnissen. Die Ergebnisse dieser Zwischenverhandlungen bilden den Ausgangspunkt für die UN-Klimakonferenzen (Conferences of Parties, COPs), die jeweils am Ende des Jahres stattfinden, mehr Einfluss haben und verbindlichere Ergebnisse erzielen. Die Zwischenkonferenzen sind ein wichtiger Indikator dafür, welche Fortschritte dort erzielt werden können und wo es zwischen den Staaten, die über den Umgang mit der Klimakrise verhandeln, Konflikte gibt. Die diesjährigen Verhandlungen in Bonn zeigen erneut: Die seit Langem bestehende Kluft zwischen den Ländern des Globalen Nordens und des Globalen Südens zieht sich wie ein roter Faden durch alle Verhandlungspunkte.

Die Frage der Finanzierung - wer zahlt?

Die Schlüsselfrage der hitzigen Debatten zwischen den Verhandlungsparteien lautet: Wer zahlt? Die Prinzipien der «gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung» (Common but Differentiated Responsibilities, CBDR) und des Verursacherprinzips (Polluter Pays), die in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) von 1992 verankert sind, sehen vor, dass die Industriestaaten den Entwicklungsländern Finanzmittel zur Verfügung stellen müssen, um den ungleichen aktuellen und historischen Beitrag zur Klimakrise sowie die ungleiche Betroffenheit durch deren Auswirkungen zu berücksichtigen. Wie diese Prinzipien konkret in politischen Maßnahmen umgesetzt werden, ist in den Verhandlungen jedoch immer wieder Ausgangspunkt von heftigen Konflikten. Die Bruchlinie hierbei verläuft eindeutig zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden.

Nadja Charaby ist Referatsleiterin Internationale Politik und Nordamerika der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

David Williams ist der Direktor des Internationalen Programms für Klimagerechtigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Bei den Klimaverhandlungen in Kopenhagen 2009 verpflichteten sich die Industrieländer unter Bezugnahme auf die oben genannten Grundsätze, bis 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar an Klimafinanzierung bereitzustellen. Trotz umstrittener Berechnungsmethoden – die Industrieländer deklarierten teils auch Gelder aus anderen Töpfen zu «Klimafinanzierung» um – ist inzwischen klar, dass diese Zusage nicht eingehalten wurde. Um den Bedürfnissen der von der Klimakrise betroffenen Länder besser Rechnung zu tragen, wurde 2015 in Paris vereinbart, dass bis 2025 ein neues Ziel für die Klimafinanzierung – das New Collective Quantified Goal on Climate Finance (NCQG) – festgelegt werden soll (ohne dass das vorherige Ziel erreicht wurde).

Die Gespräche über dieses neue Ziel für die Klimafinanzierung zeigen deutlich, dass die Industrieländer das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung und das Verursacherprinzip erneut in Frage stellen. Wiederholt beharrten Vertreter*innen der Industrieländer, wie z.B. der EU, in Missachtung ihrer historischen Verantwortung darauf, dass Schwellenländer wie China oder Brasilien sich verstärkt darum bemühen müssten, ihre Emissionen zu verringern. Dies wurde quasi als Bedingung für Finanzmittel formuliert – Finanzmittel, die die Industrieländer den Ländern des Globalen Südens eigentlich schulden. Dringend notwendige Maßnahmen gegen die Klimakrise werden so unnötig verzögert.

Fossile Brennstoffe - die eigentliche Ursache der Klimakrise

Die Verringerung der Treibhausgasemissionen ist eine der wichtigsten Säulen des Klimaschutzes, und so wurde 2021 das Arbeitsprogramm zur Emissionsminderung (Mitigation Work Programme) eingeführt. Es hat nun die entscheidende Phase erreicht, da die zweijährige technische Berichterstattung abgeschlossen ist und die politische Phase beginnt, in der die einzelnen Staaten die Ergebnisse umsetzen und ihre Anstrengungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen verstärken müssen. Bei den Verhandlungen über die Tagesordnung für die COP28 in Dubai blockierten die Industriestaaten jedoch die Versuche der Entwicklungsländer, einen eigenen Tagesordnungspunkt zur Finanzierung des Arbeitsprogramms auf die Agenda der COP28 zu setzen. Am Ende war die Uneinigkeit über das Thema so groß, dass das Arbeitsprogramm zur Emissionsminderung nicht in die offizielle Tagesordnung der Sitzung aufgenommen wurde.

Noch beunruhigender ist in diesem Zusammenhang die Position der Industriestaaten, dass vor 2020 verursachte Treibhausgasemissionen bei der Frage nach dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen nicht berücksichtigt werden sollen. Um die Klimakrise einzudämmen, ist es dringend notwendig, dass sich alle Staaten zu einem schnellen und gerechten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen verpflichten. Die Länder des Globalen Südens argumentieren, dass die genaue Ausgestaltung dieser Verpflichtung die historisch kumulierten Emissionen widerspiegeln müssen, die Summe der Emissionen also, die das jeweilige Land seit Beginn der Industrialisierung verursacht hat. Die Vertreter*innen der Industrieländer versuchten, diesen Punkt zu verwässern, indem sie argumentierten, dass diese historisch angehäuften Emissionen nicht eindeutig in eine Zahlungsverantwortung für die Klimakrise umgerechnet werden können (obwohl Klimawissenschaftler*innen hierzu eine andere Meinung vertreten). Dieser Konflikt spielte auch beim Tagesordnungspunkt des Global Stocktake eine Rolle, der den Forschritt bewerten soll, den die Länder im Hinblick auf die vereinbarten Zielen des Pariser Abkommens gemacht haben.

Es ist ein fatales Zeichen, dass sich die Staaten weiterhin nicht auf einen vollständigen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen einigen können, geschweige denn, dass das kapitalistische Konsum- und Wachstumsmodell als Treiber dieser fatalen Entwicklung auch nur im Ansatz infrage gestellt würde. Anstatt die Ursachen der Klimakrise zu bekämpfen, haben gefährliche Ablenkungsmanöver wie Carbon Capture and Storage (Kohlenstoffabspaltung und -speicherung) oder Geoengineering ihren Weg in die Klimaverhandlungen gefunden – Manöver, die lediglich dazu dienen, das System neokolonialer Ausbeutung und Ungerechtigkeit aufrecht zu erhalten.

Der Umgang mit den Folgen von Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen

Auf der COP28, so der Plan, soll ein Globales Ziel für Anpassung (Global Goal on Adaptation) beschlossen werden. Auch in diesem Bereich gab es jedoch kaum Fortschritte. Anpassung bedeutet, Maßnahmen zu ergreifen, die die Folgen klimawandelbedingten Extremereignissen wie Hitzewellen, Dürren oder Überschwemmungen verringern, indem sie für einen besseren Schutz der lokalen Bevölkerung sorgen. Auf der COP27 argumentierten die Entwicklungsländer, dass sich der dringende Anpassungsbedarf im Globalen Süden nicht in den mangelnden Fortschritten während der Verhandlungen widerspiegele. Um hier voranzukommen, schlugen sie vor, einen Rahmen mit einer Reihe von Indikatoren zu formulieren, anhand derer sich ablesen lassen soll, ob im Laufe der Zeit Fortschritte bei der Anpassung gemacht werden oder nicht.

Die Länder des Globalen Nordens argumentierten jedoch, die Formulierung eines solchen Rahmens sei verfrüht. Beoabachter*innen vermuten, dass dieser Widerstand darauf zurückzuführen ist, dass ein solcher Rahmen Diskussionen über die Finanzierung dieser Maßnahmen Tür und Tor öffnen würde, ebenso wie Forderungen, diese mit dem Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung in Verbindung zu bringen. Alle Versuche der Entwicklungsländer, den Rahmen genauer zu definieren und ihm in den Verhandlungen ein größeres Gewicht zu verleihen, wurden durch verfahrenstechnische Streitigkeiten darüber aufgehalten, wie die Diskussionen der letzten zwei Wochen in die Verhandlungen auf der COP28 eingebracht werden sollen – Streitigkeiten, die erst in letzter Minute gelöst werden konnten.

Über Anpassung hinaus

Nach jahrelangen, kontroversen Verhandlungen, die von den Ländern des Globalen Südens vorangetrieben und von Kampagnen von Aktivist*innen unterstützt wurden, beschloss die COP27 im November 2022 in Ägypten die Einrichtung eines Fonds für klimabedingte Schäden und Verluste (Loss and Damage) – ein Begriff, der all jene Folgen des Klimawandels fassen soll, die über das hinausgehen, woran Anpassung möglich ist. Ein Ausschuss aus Vertreter*innen von Entwicklungs- und Industriestaaten erörtert derzeit, wie der Fonds konkret ausgestaltet werden soll, ebenso die Schlüsselfragen: wie viel von wem eingezahlt werden soll und wer die potenziellen Empfänger dieser Gelder sein sollen. Im Rahmen des sogenannten Glasgow-Dialogs zu klimabedingten Schäden und Verlusten brachten die Industrieländer Vorschläge ein wie eine Ausweitung von Klima-Versicherungen oder ein verstärktes Einbeziehen von Investor*innen und dem privaten Sektor – Vorschläge, die das Prinzips der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung erneut in Frage stellen. Die Entwicklungsländer hingegen fordern einen eigenständigen Fonds, der sich klar von der humanitären Hilfe und der Entwicklungshilfe abgrenzt, und die Bereitstellung schuldenfreier Finanzmittel für die betroffenen Gemeinschaften.

Mit dem Santiago Network for Loss and Damage ist daneben eine Institution geschaffen worden, die helfen soll, denen, die von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, leichter technische Unterstützung zukommen zu lassen. Allerdings konnten die Parteien bei den Verhandlungen in Bonn keine Einigung darüber erzielen, ob dieses Netzwerk beim UN-Büro für Katastrophenvorsorge (UNDRR) und dem UN-Büro für Projektdienste (UNOPS) oder bei der Karibischen Entwicklungsbank (Caribbean Development Bank, CDB) angesiedelt werden soll. Diese Diskussion darüber soll auf der COP28 fortgesetzt werden.

Auf gerechte Weise weg von fossilen Brennstoffen?

Ein wichtiger Meilenstein der COP27 im vergangenen Jahr war die Schaffung des Just Transition Work Programme, des Arbeitsprogramms für einen gerechten Übergang. Es wurde unter der Annahme ins Leben gerufen, dass der globale Umbau hin zu einer Wirtschaft, die weniger Emissionen verursacht, sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung für nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung darstellen kann. Den Verhandlungsführer*innen wurde die Aufgabe übertragen, ein Arbeitsprogramm zu entwickeln, das auf der COP28 angenommen werden soll. Es soll Aspekte rund um das Recht auf Energie und die Rechte von Arbeiter*innen behandeln, deren konkrete Ausgestaltung von den Entwicklungsprioritäten der einzelnen Länder bestimmt wird.

Dies verspricht ein besonders strittiges Thema zu werden – schon aufgrund der Tatsache, dass der Präsident der COP28, Sultan Al Jaber, gleichzeitig der Chef des größten staatlichen Ölunternehmens der Vereinigten Arabischen Emirate ist. Darüber hinaus argumentieren einige Länder mit großem Nachdruck, dass der Privatsektor bei diesem Übergang eine Schlüsselrolle spielen soll, was bedeuten würde, dass die Öl- und Gaskonzerne und andere gewinnorientierte Unternehmen noch mehr Einfluss in den Klimaverhandlungen bekommen würden, als sie ohnehin schon haben.  

Regeln für die Klimaverhandlungen

In diesem Zusammenhang ist der Schritt des UNFCCC-Sekretariats zu begrüßen, das neue Richtlinien für mehr Transparenz bei den Verhandlungen ankündigte. Lobbyist*innen für fossile Brennstoffe sollen sich künftig eindeutig zu erkennen geben müssen. Diese Entscheidung ist auch eine Reaktion auf den Druck der Zivilgesellschaft und die Kampagnenarbeit der letzten Jahre, die immer wieder deutlich gemacht haben, wie private Unternehmen versuchen, die Klimaverhandlungen in ihrem Interesse zu beeinflussen.

Fragen des Zugangs und der Beteiligung verschiedener Gruppen an den Klimaverhandlungen wurden auch unter einem weiteren Tagesordnungspunkt diskutiert, der Gestaltung zwischenstaatlicher Treffen (Arrangements for Intergovernmental Meetings). Vertreter*innen von Entwicklungsländern (insbesondere Ägypten) betonten die Notwendigkeit, dass die Gastgeberländer den Teilnehmer*innen aus dem Globalen Süden rechtzeitig und effizient Visa zur Verfügung stellen – und verwiesen dabei auch auf die Schwierigkeiten, die Teilnehmer*innen in den letzten Jahren hatten, rechtzeitig die Visa zu erhalten, die sie für die Teilnahme an den Verhandlungen in Bonn benötigten.

Die Diskussionen um diesen Tagesordnungspunkt waren aber auch von den Erfahrungen des letzten Jahres beeinflusst, als sich Teilnehmer*innen der Klimaverhandlungen über Einschüchterung und Überwachtung durch den ägyptischen Sicherheitsapparat beschwerten – was zeigt, wie mangelhaft der Schutz der Menschenrechte war. Grundlegende Menschenrechte wie Versammlungs- und Redefreiheit wurden nicht einmal unter der Schirmherrschaft der UNO gewahrt. Im Hinblick auf die bevorstehende COP in den Vereinigten Arabischen Emiraten, einem Land mit einer ebenso verheerenden Menschenrechtsbilanz und einem beängstigenden Überwachungsapparat, zeigten Vertreter*innen der Zivilgesellschaft durch vielfältige und lautstarke Proteste während der Tagung in Bonn immer wieder, wie besorgt sie um die Einhaltung dieser Rechte auch bei den nächsten Klimaverhandlungen sind.

Verhandlungsführer*innen und Beobachter*innen, die diesen Tagesordnungspunkt verfolgten, wurden aber auch Zeuge von unglaublich starken – und zutiefst beunruhigenden – Aussagen weiblicher Delegierter über Belästigung und sexuelle Gewalt bei den Klimaverhandlungen. Der schließlich vereinbarte Text, der grundlegende Fragen zur Gestaltungen künftiger Klimaverhandlungen festlegen soll, enthielt denn auch eine strenge Formulierung, in der die Gastgeberländer aufgefordert wurden, die Förderung und den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten und «gegen jegliche Verstöße oder Missbräuche einschließlich Belästigung und sexueller Belästigung» vorzugehen. Es ist dennoch bedenklich, dass diese Ergänzungen nur vereinbart werden konnten, weil die Betroffenen bereit waren, durch die Offenbarung ihrer eigenen Erlebnisse einen hohen Preis dafür zu bezahlen.

Was wollen wir? Klimagerechtigkeit!

Da die Fortschritte bei den Verhandlungen in keinem Verhältnis zur Dringlichkeit der Klimakrise stehen, ist es wichtig, dass zivilgesellschaftliche Organisationen den Forderungen der am meisten Betroffenen Nachdruck verleihen und für sie kämpfen. Als konsequente treibende Kraft der nationalen Klimapolitik bleibt der UN-Raum von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, einen raschen, gerechten und ausgewogenen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen zu fordern, ebenso wie eine massive Aufstockung von Finanzmitteln und Technologietransfer für erneuerbare Energien und eine Just Transition. Die Verursacher*innen der Klimakrise müssen für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen werden, anstatt dass ihnen einen Platz am Verhandlungstisch gegeben. Dafür werden die Vertreter*innen der Zivilgesellschaft in Dubai kämpfen.