Nachricht | Osteuropa - Rosa-Luxemburg-Stiftung «Solidarität in Zeiten der Krise!»

20 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau

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Autor

Achim Kessler,

Das Team im Büro Warschau
Das Team im Büro Warschau

100 Gäste aus Polen, Litauen, Lettland, Estland und Deutschland feierten am 25. Mai im Rathaus des Warschauer Stadtteils Bielany das 20. Jubiläum des Regionalbüros der Stiftung in Polen.

Unter den Gästen waren Prof. Heinz Dr. Bierbaum, Vorstandsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Gesandte der Bundesrepublik Deutschland in Warschau, Robert Rohde, die Bundesabgeordnete Caren Lay, die Sejm-Abgeordneten Agnieszka Dziemianowicz-Bąk, Daria Gosek-Popiołek, Małgorzata Prokop-Paczkowska, Maciej Konieczny, Katarzyna Ueberhan, der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes OPZZ, Piotr Ostrowski, Vertreter*innen von Partnerorganisationen aus Polen, Litauen, Lettland und Estland.

Wie es anfing

Das Regionalbüro wurde am 21. Mai 2003 durch Evelin Wittich, die damalige Geschäftsführerin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch und den Europaabgeordneten André Brie eröffnet. Außenminister Włodzimierz Cimoszewicz schickte ein schriftliches Grußwort. Die Senatorin Prof. Maria Szyszkowska und Andrzej Ziemski, Vorsitzender der Polnischen Sozialistischen Partei nahmen an der Eröffnung persönlich teil.

Chef-Buchhalterin Agnieszka Wesołowska war von 20 Jahren bei der Eröffnung dabei: «Ich erinnere mich noch gut an die Eröffnungsfeier unseres Büros. Polen stand damals kurz vor dem Beitritt zur Europäischen Union. Die Feier stand unter dem Motto ‹Europäische Vision und soziale Gerechtigkeit›».

Solidarität in Zeiten der Krise

Dieses Thema hat bis heute nicht an Aktualität verloren. «Heute stehen wir vor einer Wahl zum Europarlament. Und soziale Gerechtigkeit ist heute mehr denn je ein großes Problem», betonte Dr. Achim Kessler, der seit Oktober 2022 das Regionalbüro in Warschau leitet. «Deshalb steht unsere Feier heute unter dem Motto ‹Solidarität in Zeiten der Krise›».

Das Programm der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Polen, Estland, Lettland und Litauen umfasst viele Themen: Die Erinnerung an die Gräuel, die Deutsche während des Krieges verübt haben. Die Rechte von Frauen, queeren Menschen und Geflüchteten, der Klimawandel, die Geschichte der Arbeiter- und sozialistischen Bewegung und nicht zuletzt linke Gesellschaftstheorie.

An die Partnerorganisationen gewandt sagte Achim Kessler: «Wir freuen uns auf die Fortsetzung unserer erfolgreichen Zusammenarbeit. Und ich bitte Sie, uns Ihre Vorschläge und Anregungen für zukünftige Projekte mitzuteilen. Denn wir bemühen uns, unser Programm immer zu aktualisieren, das gilt besonders in Zeiten der Krise». Er betonte: «Die Folgen der Krise werden wir nur durch internationale Solidarität bewältigen. Ein Streik bei Amazon in Deutschland bleibt beispielsweise wirkungslos, wenn das Unternehmen seine Kunden dann aus Polen beliefert. Deshalb wünsche ich mir persönlich für die Zukunft eine bessere Zusammenarbeit zwischen linken Politikerinnen und Politikern, Gewerkschaften, sozialen und Menschenrechtsorganisationen aus allen fünf Ländern, die heute hier vertreten sind.»

Achim Kessler, Büroleiter der Rosa_Luxemburg-Stiftung in Warschau

Teamwork

Achim Kessler dankte seinen beiden Vorgänger*innen Dr. Holger Politt und Dr. Joanna Gwiazdecka für ihren maßgeblichen Beitrag zum Erfolg des Büros. Unter großem Beifall würdigte er die Leistung des gesamten Teams, Agnieszka Wesołowska, Magdalena Sawa, Joanna Najda, Dr. Piotr Janiszewski, Krzysztof Kwater, Krzysztof Baran und Krzysztof Pilawski, als unverzichtbar für die zukünftige Arbeit des Büros.

Ehemalige und langjährige Weggefährten

Mit einer Schweigeminute ehrten die Teilnehmer*innen der Veranstaltung verstorbene Personen, mit denen das Büro eng zusammengearbeitet hat. Unter ihnen waren Prof. Feliks Tych, Historiker der Arbeiterbewegung, die Mitglieder der Widerstandsbewegung während der Nazi-Besatzung, Krystyna Kulpińska-Cała und Prof. Krzysztof Dunin-Wąsowicz, die Vorsitzenden des Vereins «Kinder des Holocaust in Polen», Anna Drabik und Prof. Aleksandra Leliwa-Kopystyńsk, der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes OPZZ, Jan Guz, die Feministin, Vizepremierministerin und Ministerin für Sozialpolitik, Izabela Jaruga-Nowacka, die Vorsitzende der Demokratische Frauenunion, Renata Berent-Mieszczanowicz. Wenige Tage vor dem Jubiläum verstarb Susanne Kramer-Drużycka, ehemalige Projektkoordinatorin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau.

«Wir haben mit vielen Menschen und Partnerorganisationen zusammengearbeitet. Ich erinnere mich an Veranstaltungen mit Robert Biedroń, Adrian Zandberg und Krzysztof Śmiszek, die damals junge Aktivisten waren und heute bekannte Politiker sind», sagte Agnieszka Wesołowska. Robert Biedroń, Gründer der Kampagne «Gegen Homophobie» ist heute Co-Vorsitzender der Partei «Nowa Lewica» und Europaabgeordneter. Adrian Zandberg ist Co-Vorsitzender der Partei «Razem» und ebenso wie Krzysztof Śmiszek Abgeordneter des Sejm.

Heinz Bierbaum

Hauptredner des Jubiläums war Prof. Heinz Bierbaum, Vorsitzender des Vorstands der Rosa-Luxemburg-Stiftung. In seiner Rede betonte er die Notwendigkeit von starken Streikbewegungen, um den sinkenden Reallöhnen entgegenzuwirken. Der umfassenden sozialen Krise und der drohenden Klimakatastrophe sei nur durch einen grundlegenden Systemwechsel erfolgreich zu begegnen.

Maciej Konieczny

Der Sejm-Abgeordnete Maciej Konieczny (Razem) betonte, dass viele bedeutende Personen der Linken im Rahmen von Projekten der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Kenntnisse im Bereich Politik und Wirtschaft erworben haben: «Das ist das bleibende Erbe der Aktivitäten der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Polen».

Maciej Konieczny erzählte von seiner persönlichen Beziehung zur Stiftung: «Seit 2005 werde ich von der Rosa-Luxemburg-Stiftung als Aktivist in linken Organisationen begleitet, bei ATTAC und dann im Jugendsozialistenverband. Durch Projekte, die die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt hat, habe ich viel über demokratischen Sozialismus und Alternativen zum Kapitalismus, über Feminismus und LGBTQIA-Rechte gelernt».

Piotr Ostrowski

«Es waren 20 erfolgreiche Jahre», resümierte der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes OPZZ, Dr. Piotr Ostrowski. «Unsere Zusammenarbeit wird immer besser. An seinem ersten Tag als Büroleiter in Warschau nahm Achim an der Eröffnung einer Ausstellung über die Aktivitäten der Gewerkschaften während der Nazi-Besatzung teil. Seitdem haben wir viele weitere gemeinsame Projekte realisiert».

Krystyna Kacpura

Krystyna Kacpura, Geschäftsführerin der Föderation für Frauen- und Familienplanung, FEDERA, betonte, dass Frauenrechte von Anfang an eine der Hauptprioritäten des Stiftungsbüros in Warschau waren: «Die Unterstützung der Stiftung hat uns geholfen, die schwierigste Zeit zu überstehen. Wir zählen auf eine weitere Zusammenarbeit, denn der Kampf für die Rechte der Frauen, einschließlich der reproduktiven Rechte, geht weiter».

Grzegorz Pietruczuk

Der Sitz des Warschauer Büros befindet sich seit über zehn Jahren im Warschauer Stadtteil Bielany. «Das ist eine Ehre für uns», versicherte der Bürgermeister von Bielany, Grzegorz Pietruczuk. Er erinnerte an gemeinsame Projekte mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, darunter Projekte zur Tradition der Wohnungsbaugenossenschaften. Grzegorz Pietruczuk schlug als Thema für die weitere Zusammenarbeit die Probleme im Zusammenhang mit der Integration von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine vor.

Jolanta Bielskiene

Dr. Jolanta Bielskene vom litauischen Institut für Kritischen Denken «Demos» sprach über eine Reihe linker Debatten und die erstmalige Veröffentlichung von Rosa Luxemburgs Texten auf Litauisch.

Kristine Gariana

Kristine Garina, die Vorstandsvorsitzende von MOZAIKA, einer einflussreichen Organisation, die Interessen von LGBTQIA-Menschen in Lettland vertritt, stellte als letztes gemeinsames Projekt das Buch zur Geschichte queerer Menschen in Lettland vor.

Manny De Guerre

Manny De Guerre kämpft seit vielen Jahren für die Rechte von LGBT-Menschen in Russland. Nach der russischen Aggression gegen die Ukraine floh sie nach Tallinn. Dort gründete sie die Organisation «Q-Space», die sich mit ihren Projekten an queere Menschen aus allen Sprachgruppen wendet. Sie agiert aber auch in der russischsprachigen Minderheit in Estland, die von der homophoben Propaganda der russischen Medien beeinflusst wird.

Wohnen ist keine Ware, sondern ein Menschenrecht!

Den zweiten Teil der Jubiläumsveranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion zum Thema Wohnungspolitik, an der die Abgeordnete des Bundestages, Caren Lay (DIE LINKE), die Abgeordnete des Sejm, Daria Gosek-Popiołek (Razem), und der Vorsitzende der Bewegung für Soziale Gerechtigkeit, Piotr Ikonowicz, teilnahmen. Zuzanna Dąbrowska, Journalistin der Tageszeitung «Rzeczpospolita» (Republik), moderierte die Diskussion. Sie erinnerte daran, dass sich das Rathaus Bielany in der Stefan-Żeromskiego-Straße befindet, benannt nach einem Schriftsteller, der vor hundert Jahren mit seiner Idee der «Glashäuser» moderne, günstige Wohnungen für alle Menschen gefordert hatte. Doch auch nach 100 Jahren sei das Thema noch immer ein drängendes soziales Problem, das an Schärfe immer weiter zunehme. Die Diskussionsteilnehmer stellten fest, dass Wohnraum nicht nur für Menschen mit niedrigem, sondern auch mit mittlerem Einkommen immer knapper werde. Die Preise für den Kauf und das Mieten von Wohnungen stiegen rasant, weil Wohnungen zum Gegenstand von Spekulationen gemacht wurden: Große internationale Investmentfonds kaufen massenhaft Wohnungen in Großstädten.

Caren Lay wies darauf hin, dass die Mieten in Deutschland um 40 Prozent gestiegen seien. Das sei dramatisch, weil die Hälfte der Menschen in Deutschland in Mietwohnungen lebt. Neuerdings würden auch die Mieten für Wohnungen in ländlichen Regionen steigen. Diese katastrophale Entwicklung sei nicht von selbst entstanden, sondern von den letzten Bundesregierungen erzeugt worden, indem sie Wohnungen zum Gegenstand der Spekulation gemacht hätten.

Daria Gosek-Popiołek wies darauf hin, dass die Mieten für Wohnungen in polnischen Innenstädten stiegen, weil sie teuer an Touristen vermietet würden, Dies beschleunige die Gentrifizierung von Stadtteilen, zum Beispiel Nowa Huta in Krakau. Die polnische Verfassung garantiere zwar theoretisch «ein Dach über dem Kopf», aber dieses Verfassungsgebot würde von der Regierung ignoriert, denn es gebe keine wohnungspolitischen Programme. Die Situation in Polen sei zwar noch nicht so schlimm wie in Deutschland, ein großes Problem sei jedoch der fehlende Rechtsschutz für Mieter*innen.

Piotr Ikonowicz sagte, dass eine Gesetzesänderung dazu geführt habe, dass in Polen sogar Schutzbedürftige aus ihren Wohnungen geworfen werden könnten. Nach Protesten hätte das Verfassungsgericht allerdings entschieden, dass dies gegen die Verfassung verstoße.

Auf die Frage, was dagegen zu tun sei, antworteten alle Teilnehmer*innen der Diskussion ähnlich: Die Privatisierung von Wohnungen durch Städte und Gemeinden müsse beendet, die Spekulationen der internationalen Investmentfonds eingeschränkt und eine Mietobergrenze gesetzlich festgelegt werden. Außerdem seien aus dem Staatshaushalt finanzierte Mietwohnungsbauprogramme erforderlich.

Daria Gosek-Popiołek forderte, dass Wohnungen, die für kurze Zeit zum Beispiel an Touristen vermietet würden, wieder auf den Wohnungsmarkt gebracht werden müssten. In die Gestaltung der Wohnungspolitik müssten die Selbstverwaltungen stärker einbezogen werden. Der Staat selbst müsse sich stark auf dem Wohnungsmarkt engagieren und es bedürfe einer Rückkehr zu früheren Verhältnissen mit stärkeren Wohnungsbaugenossenschaften.

Für Deutschland forderte Caren Lay, die Enteignung oder den Rückkauf von privatisierten Wohnungsgesellschaften und eine gesetzliche Begrenzung der Mietpreise. Auch in Deutschland müssten Wohnungsbaugenossenschaften gestärkt werden. Als Menschenrecht müsste das Recht auf Wohnen in die Verfassung aufgenommen werden. Außerdem müsse durch den Rückkauf von Grundstücken durch Städte dem Problem der wachsenden Grundstückspreise durch Grundstückspekulation entgegengetreten werden.

Caren Lay wies auf die Gemeinsamkeiten hin, die es in ganz Europa hinsichtlich der Situation von Mieter*innen gebe. Eine europaweite Kooperation sei dringend notwendig gegen starke Gegner wie internationale Milliardäre, große Konzerne. Viele Probleme seien nur in Zusammenarbeit mit der europäischen Mieter*innenbewegung auf Europaebene zu lösen. Denn wenn es beispielsweise in einem Land gelänge, die Spekulation mit Wohnraum zu verbieten, dann würden sich die Investoren einfach auf die Wohnungen in den anderen europäischen Ländern stürzen. Für die Wahlen zum Europaparlament sei eine offensive linke Wohnungspolitik ein wichtiges Thema.