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Wie die regierende PiS mit Angriffen auf die Queer-Community politische Unterstützung mobilisiert

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Aktivisten von «Genug geschwiegen - Stoppt die Klerikalisierung Polens» protestieren am 23. Juli 2023, dem Geburtstag von Erzbischof Marek Jedraszewski, vor dem Krakower Bischofspalast und fordern ein Ende der fortschreitenden Klerikalisierung. Erzbischof Jedraszewski wird für seine spalterische Sprache, seine skandalösen Predigten und seine diskriminierende Haltung gegenüber der LGBT-Gemeinschaft kritisiert.
Aktivist*innen von «Genug geschwiegen - Stoppt die Klerikalisierung Polens» protestieren am 23. Juli 2023, dem Geburtstag von Erzbischof Marek Jedraszewski, vor dem Krakower Bischofspalast und fordern ein Ende der fortschreitenden Klerikalisierung. Jedraszewski wird für seine spalterische Sprache, seine skandalösen Predigten und seine diskriminierende Haltung gegenüber der LGBT-Gemeinschaft kritisiert. Foto: IMAGO / NurPhoto

Die Menschen aus der LGBTQIA+-Community «versuchen uns zu sagen, dass sie Menschen sind, aber das ist einfach eine Ideologie.» Dies ist nur eine von vielen Aussagen des polnischen Präsidenten Andrzej Duda vom Sommer 2020, als er sich um die Wiederwahl für eine zweite Amtszeit bemühte. Es war nicht das erste Mal, dass er und seine nationalkonservative Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwość, dt. «Recht und Gerechtigkeit»), die in Polen seit 2015 regiert, die LGBTQIA+-Community angreifen um politische Unterstützung zu mobilisieren. Alles deutet darauf hin, dass es im diesjährigen Parlamentswahlkampf nicht anders sein wird.

Einfluss der Katholischen Kirche

Piotr Janiszewski ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau.

Das kulturelle und politische Leben in Polen war schon immer konservativer als in den meisten anderen europäischen Ländern. Die katholische Kirche hat nach wie vor eine starke Stellung, die sie zur politischen Einflussnahme aktiv nutzt. Ein sehr enger und traditioneller, heteronormativer Familienbegriff steht dabei im Mittelpunkt der Sozialpolitik. Es überrascht daher nicht, dass es in Bezug auf LGBTQIA+ in den vergangenen 25 Jahren kaum Fortschritte gab. Auch in Zeiten sozialdemokratischer und liberaler Regierungen wurde das Thema der gleichgeschlechtlichen Ehe beziehungsweise des Lebenspartnerschaftsrechts stets als «problematisch» oder «umstritten» verdrängt.

Konservative Radikalisierung seit 2015

Doch seit 2015 ist die abweisende Haltung des Staates gegenüber der LGBTQIA+-Gemeinschaft geradezu feindlich geworden. In der «Rainbow Map» der ILGA Europe, die die rechtliche und politische Menschenrechtssituation von LGBTQIA+-Personen in Europa beobachtet, belegt Polen seit vier Jahren den niedrigsten Platz unter allen EU-Mitgliedstaaten. Führende Politiker wie der polnische Bildungsminister Przemysław Czarnek sprechen von der sogenannten «LGBT-Ideologie» als einer großen Bedrohung für die polnische Kultur, insbesondere des «polnischen Familienlebens». Viele lokale und regionale Gemeinden haben Erklärungen abgegeben, dass ihre Gebiete «LGBT-frei» seien. Obwohl viele Gerichtsurteile die Unrechtmäßigkeit dieser Erklärungen bestätigt haben, wurden sie offensichtlich als geeignetes Mittel angesehen um symbolische Gewalt gegen diese Personen auszuüben.

Homophobie als Wahlkampfinstrument

Diese queerfeindliche Rhetorik nimmt vor Wahlen tendenziell zu. Der laufende, noch inoffizielle Wahlkampf für die bevorstehenden Parlamentswahlen im Herbst 2023 scheint diese Regel zu bestätigen. Während seiner vergangenen Wahlkampftour hat der Parteivorsitzende der PiS, Jarosław Kaczyński, wiederholt negative Bemerkungen über die LGBTQIA+-Gemeinschaft, insbesondere gegen Transsexuelle gemacht. Dies geschah zumeist in Form menschenverachtender Witze über die Geschlechtstransformation. Zugleich erklärte er, dass seine Partei und ihre Regierung keine Änderungen im Rechtssystem zulassen werden und sich der sogenannten «LGBT-Ideologie», die Polen durch die Europäische Union aufgezwungen werde, zu widersetzen gedenken.

Aber auch die Partei Suwerenna Polska (dt. «Souveränes Polen»), Junior-Regierungspartner der PiS, setzt auf die gleiche Karte um politische Unterstützung zu erlangen. Ihr Vorsitzender Zbigniew Ziobro, der gegenwärtig das Amt des Justizministers innehat, kritisierte öffentlich einen Richter aus Poznań, weil dieser eine gewaltbereite rechtsextreme Aktivistin wegen schwerer Körperverletzung an einer jungen Frau, die eine Regenbogenhandtasche trug, zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt hatte. Obschon die Strafe des Gerichts angesichts des Vergehens überaus mild ausfiel, bezeichnete Ziobro sie als ungerecht und behauptete: «Das Gericht hat der jungen Frau ihre Freiheit aus politischen und ideologischen Gründen genommen». Der Minister entschied außerdem, dass ihre Strafe bis zur Entscheidung über einen Amnestieantrag ausgesetzt werde.

Hoffnung auf einen Regierungswechsel

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die polnische Queerbewegung und ihre Verbündeten große Hoffnungen auf einen möglichen Regierungswechsel nach den Wahlen im Herbst setzen.

Die Koalicja Obywatelska (dt. «Bürgerplattform») des ehemaligen EU-Präsidenten und polnischen Premierministers Donald Tusk und derzeit größte Oppositionspartei, verhielt sich während ihrer letzten Regierungszeit in Fragen der Homosexualität und bei vielen anderen Menschenrechtsfragen ebenfalls recht konservativ. Aufgrund eines sichtbaren Wandels bei einem beträchtlichen Teil der öffentlichen Meinung rückte sie diesbezüglich in den letzten Jahren zunehmend nach links und kündigte zahlreiche neue Gesetze zugunsten nichtheteronormativer Menschen an, etwa die Ermöglichung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft.

Das konservative Bündnis Trzecia Droga (dt. «Dritter Weg»), das gleichfalls zur demokratischen Opposition zählt, vermeidet Stellungnahmen zu Themen wie Queer- und Frauenrechten, bedient sich jedoch andererseits auch nicht homophober und ausgrenzender Rhetorik, wie es andere rechte Kräfte in Polen tun.

Die «Linke» als konsequenteste Vertreterin queerer Rechte

Innerhalb der demokratischen Opposition verfügt die «Linke» – ein Bündnis aus sozialdemokratischen und progressiven Parteien – über das fortschrittlichste Wahlprogramm in Bezug auf queere Rechte. Es umfasst das Recht gleichgeschlechtlicher Paare, eine Ehe zu schließen, und ein deutlich einfacheres Verfahren zur Registrierung des Geschlechts. Viele linke Politiker*innen, insbesondere aus der jüngeren Generation, sind offensive Verfechter*innen der Rechte von queeren Menschen, wie zum Beispiel Robert Bierdoń, Co-Vorsitzender der sozialdemokratischen Nowa Lewica (dt. «Neue Linke») und erster offen homosexueller Abgeordneter im polnischen Parlament. Nowa Lewica gilt deshalb innerhalb der Queerbewegung als sehr glaubwürdig.

Eine Verschlechterung der Situation ist nicht ausgeschlossen

Allerdings hat in den letzten Wochen ein anderer politischer Akteur an Boden gewonnen – die rechtsradikale Konfederacja (dt. «Konföderation»). Während sie sich derzeit auf ihre neoliberale Forderung nach Steuersenkungen konzentriert, besteht sie auch aus nationalistischen, ultrakonservativen und homophoben Elementen. Wenn die Konfederacja nach der Wahl zum «Königsmacher» werden sollte und dadurch PiS erneut an die Macht bringen würde, wäre das für die polnische LGBTIQ+-Gemeinschaft eine politisch äußerst brisante und gefährliche Entwicklung.

Laut einer Studie des polnischen Zentrums für öffentliche Meinungsforschung aus dem Jahr 2021 sei es in Polen zwischen 2019 und 2021 zu einer langsamen, aber deutlichen Verbesserung in den Einstellungen der Bevölkerung gegenüber Schwulen und Lesben. Diese positive Entwicklung wurde darauf zurückgeführt, dass die LGBTQIA+-Thematik im öffentlichen Diskurs sichtbarer war und der Anteil der Polinnen und Polen, die Menschen aus der LGBTQIA+-Gemeinschaft persönlich kennen, seit Jahren kontinuierlich wächst. In einer Ende 2022 für das Nachrichtenportal OKO Press durchgeführten Umfrage wurden die Befragten nach ihrer Meinung zu Homosexualität gefragt. Die überwiegende Mehrheit von 64 Prozent gab an, dass es sich um eine sexuelle Orientierung wie jede andere handele. Dies deutet darauf hin, dass Homophobie im polnischen politischen Leben keine Einstellung ist, die von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Die bevorstehenden Wahlen werden ein wichtiger Test sein, ob diese These tatsächlich zutreffend ist.