Nachricht | Cono Sur - Nordafrika - Südliches Afrika - Westafrika - Ostafrika - Südostasien - Sozialökologischer Umbau - Ernährungssouveränität Gentechnik gegen den Welthunger?

Alte Lösungsversprechen und neue Entwicklungen im Globalen Süden

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Verschiedene globale Krisen verschärfen den Hunger und die Mangelernährung auf der Welt. Die Sorge um die Welternährung dient dabei vielen, um Biotechnologien wie die Gentechnik in der Landwirtschaft anzupreisen. Einige neue Projekte im Globalen Süden wurden mit dieser Argumentation begründet. Ob sie längerfristig Erfolg haben, bleibt abzuwarten. Zweifel sind in Anbetracht von gemachten Erfahrungen, oberflächigen Lösungsversprechen sowie bestehenden globalen Machtstrukturen angebracht – der alten wie der neuen Gentechnik gegenüber.

«Der Welternährungstag 2022 fällt in eine Zeit, in der es um die weltweite Ernährungssicherheit schlecht bestellt ist», schrieb der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres im Oktober 2022.[1] Ungefähr 730 Millionen Menschen auf der Welt leiden an chronischem Hunger und circa 30 Prozent der Weltbevölkerung sind von mittlerer bis schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen. «Diejenigen, die am verwundbarsten sind, werden besonders hart von der COVID-19-Pandemie, der Klimakrise, Umweltzerstörung, Konflikten und den sich verschärfenden Ungleichheiten getroffen.» Damit benennt Guterres einige der wichtigsten Treiber von Hunger und Mangelernährung, die immer wieder zu gravierenden Ernährungskrisen auf der Welt führen.

Judith Düesberg ist Mitarbeiterin im Gen-ethischen Netzwerk e.V. und arbeitet schwerpunktmäßig zu den Themen Eigentumsrechte auf genetische Ressourcen wie Patente und die sogenannten klassischen Gentechniken.

Es herrscht eine gewisse Einigkeit bei der Benennung dieser wichtigen Treiber, die allerdings mit einer großen Diskrepanz zwischen den propagierten Lösungsansätzen einhergeht. So herrschte in den ersten Monaten in dem von Russland begonnen Krieg in der Ukraine die Sorge, dass sich durch den Krieg die Ernährungslage von Millionen von Menschen dramatisch verschlechtern könnte.[2] Die Ukraine und auch Russland produzieren einen großen Anteil des weltweit verschifften Weizens. In 50 Ländern kommen 30 Prozent des Getreides aus der Ukraine und Russland – darunter viele Länder aus Nordafrika, Asien und Westasien.[3] Gleichzeitig ließ der angenommene Weizenmangel die Preise in die Höhe schnellen und auch Düngemittel, Pestizide und Kraftstoffe wurden knapper und teurer.

Genome Editing als Heilsbringer

Eine Antwort auf diese Ereignisse war die Forderung, mehr Weizen in anderen Ländern anzubauen. In der EU hieß diese Forderung konkret: aus ökologischen Gründen stillgelegte Flächen für den Nahrungs- und Futteranbau freizugeben.[4] Verschiedene Umwelt- und Naturschutzverbände befürchteten einen Rückschlag in der landwirtschaftlichen Praxis, bei dem erlangte und sinnvolle Natur- und Klimaschutzmaßnahmen langfristig zurückgenommen werden könnten. «Unter dem Vorwand der Ernährungssicherheit wird angesichts des Krieges in der Ukraine dazu aufgerufen, geplante soziale und ökologische Verbesserungen in der europäischen und deutschen Agrarpolitik aufzuschieben oder sogar zu streichen. Diese Appelle sind verantwortungslos. Es geht nicht um Kleinigkeiten oder gar Luxus, sondern um den Schutz von Böden, Gewässern, Biodiversität oder Klima. Dies sichert die zukünftigen Produktionsgrundlagen der Landwirtschaft und damit die Ernährungssicherung der Bevölkerung von morgen. […]», sagte Christian Rehmer, der damalige BUND-Experte für Agrarpolitik.[5]

Es standen noch andere Veränderungs- und Anpassungsvorschläge im Raum. Agrarökonom Martin Qaim von der Universität Göttingen betonte, dass möglichst wenige der Getreideerzeugnisse außerhalb des Lebensmittelbereiches oder als Futtermittel verwendet werden sollte. Zudem könnten neue Technologien wie genomische Züchtung und digitale Innovationen längerfristig helfen, hohe Erträge mit weniger Dünger und Pestiziden zu erreichen, behauptet Qaim gegenüber dem MDR.[6] Mit der genomischen Züchtung meint Qaim die Verfahren des «Genom Editing». Darunter fallen auch die «neue Gentechniken», zu denen u. a. CRISPR-Cas gehört. Sie ermöglichen im Gegensatz zur klassischen Gentechnik eine gezieltere Manipulation der DNA, sowie ihre Veränderung ohne den Einbau von Fremdgenen. Viele Limitationen der klassischen Gentechnik gelten allerdings auch für das Genom Editing: So kann es zu Nebeneffekten auf der DNA und im Organismus kommen, fehlt das Verständnis von biologischen Prozesse innerhalb des Organismus und mit seiner belebten und unbelebten Umgebung um komplexe Pflanzeneigenschaften (z-B. Trockenheitstoleranz) anzupassen.[7] Die gentechnische Veränderung von Pflanzen und Tieren hat mit diesen neuen Verfahren einen wiederholten Boom erlebt. Die verschiedenen Krisen allen voran die Folgen des Klimawandels aber auch der Krieg in der Ukraine werden herangezogen, um die vermeintlichen Vorzüge dieser Anwendungen zu untermauern und als alternativlos darzustellen.

Profiteur der Krisen: Gv-Weizen in Argentinien

Ein umstrittenes Gentechnik-Projekt, welches von den aktuellen Krisen profitiert hat, ist der Anbau von gentechnisch verändertem (gv) Weizen in Argentinien. Am 12. Mai 2022 hat das argentinische Landwirtschaftsministerium die freie Vermarktung vom gv-Weizen HB4 autorisiert.[8] Zwar durfte der Weizen schon seit 2020 durch 250 lizensierte Betriebe auf rund 52.775 Hektar (von insgesamt 6,7 Millionen Hektar Weizenanbaufläche im Land) angebaut werden, der Verkauf und die Verwendung waren aber streng reguliert. Die Autorisierung zur Vermarktung ist daher ein großer Schritt und beruhte auf der Zusage Brasilliens (der wichtigste Abnehmer von argentinischem Weizen) und anderer Staaten, den HB4-Weizen auch tatsächlich abzukaufen.

Die Widerstände und Zweifel am Projekt sind groß. Nicht nur Wissenschaftler*innen und Umweltverbände sondern auch die großen Landwirtschaftsverbände wie die Sociedad Rural oder die Confederaciones Rurales Argentinas hegen Zweifel und Kritik.[9] Befürchtet wird eine Kontamination von Saatgut und Weizen-Produkten, die in der Folge auf den internationalen Märkten zurückgewiesen werden würden. Für Umwelt- und Verbraucher*innenverbände steht vor allem ein vermehrter Pestizideinsatz im Fokus. HB4 ist gegen das Herbizid Glufosinat-Ammonium resistent, welches als krebserregend und hormonschädigend gilt. Die Erfahrungen mit Glyphosat haben gezeigt, dass der Anbau von Glyphosat resistenten gv-Pflanzen zu einem erheblich gesteigerten Einsatz des Herbizides geführt hat.[10] Ein Hauptgrund hierfür ist die Entwicklung von Glyphosat resistenten Beikräutern. Eine ähnliche Entwicklung wird bei der Resistenz gegen Glufosinat-Ammonium erwartet.

Eine magere Bilanz

Für die mediale Kommunikation und Rechtfertigung des Projektes war allerdings die vermeintliche Trockenheitstoleranz des Weizens, welche durch den Einbau eines Sonnenblumen-Gens erreicht wurde, von zentraler Bedeutung. Laut Hersteller soll der Weizen bei Trockenheit bis zu 20 Prozent höhere Erträge liefern als herkömmlicher Weizen. Das Nachrichtenmagazin Canal Abierto hingegen verwies – mit Bezug auf Daten vom argentinische Agrarministerium – darauf hin, dass die Produktivität nur bei 2,4 Tonnen pro Hektar lag und damit rund eine Tonne unter dem nationalen Durchschnittsertrag von konventionellem Weizen (3,4 Tonnen pro Hektar).

Das argentinische Biotech-Unternehmen Argentina's Bioceres Crop Solutions hat den Weizen entwickelt und plant auch Feldversuche in anderen Ländern. Der Vorstandsvorsitzende von Bioceres, Federico Trucco, bezeichnete gegenüber Reuters den Einmarsch Russlands in die Ukraine – den wichtigsten Weizenproduzenten – als «Realitätscheck» für die weltweite Nahrungsmittelversorgung. «Dies hat eine ganz andere Situation geschaffen als vor dem Konflikt und rückt den Weizen in den Mittelpunkt», sagte er in einem Interview in London. Er hoffe damit wachse auch die Akzeptanz von Landwirt*innen und Verbraucher*innen gegenüber gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln. Auch Matías Lestani, Staatssekretär im argentinischen Landwirtschaftsministerium, bezieht sich bei der Begründung ihrer Entscheidung, den Weizen zum Verkauf zuzulassen, auf den Krieg in der Ukraine: «Unser Ziel ist, die Gelegenheit zu nutzen, die sich aus dem internationalen Szenario ergibt», sagte sie gegenüber der taz.[11]

Kaum gv-Pflanzen zur direkten menschlichen Ernährung

Gv-Weizen ist eine der wenigen zum menschlichen Verzehr angebauten gv-Pflanzen weltweit. Es gibt verschiedene Obst-, Gemüse- und Getreidesorten, die in einzelnen Ländern zum Anbau zugelassen sind, wie Papaya in den USA, China und Japan, Aubergine in Bangladesh und seit 2022 auf den Philippinen oder Gartenbohnen in Brasilien. Häufig werden diese jedoch gar nicht oder nur in kleinem Maßstab angebaut. Die Daten von 2019 des International Service for the Acquisition of Agri-biotech Applications (ISAAA) – welche die Gentechnik in der Landwirtschaft als sehr positiv bewerten - zeigen, dass von den 190,4 Millionen Hektar (gesamte Anbaufläche weltweit 1,6 Milliarden Hektar[12]) weltweitem Anbau von gv-Pflanzen fast die Hälfte (48,2 Prozent) Soja ist. Es folgt Mais mit 32 Prozent, Baumwolle mit 13,5 Prozent und Raps mit 5,3 Prozent. Das restliche Prozent wird auf 1,8 Millionen Hektar angebaut und verteilte sich 2019 auf Zuckerrüben, Kartoffeln, Äpfel, Kürbisse, Papaya und Auberginen.[13]  Durch diese Zahlen wird deutlich, dass gv-Pflanzen einen verschwindend geringen Anteil an der direkten menschlichen Ernährung haben.

Dennoch greift das Versprechen, mit Gentechnik die Ernährungslage verbessern zu können. Neben dem schon erwähnten Weizen sind in den letzten Jahren weitere gv-Pflanzen für die menschliche Ernährung in den Anbau gelangt. Fast immer mit der Begründung, die Ernährungssituation der Menschen in den jeweiligen Ländern durch stabilere Erträge, mehr Nährstoffe oder weniger Einsatz von Pestiziden zu verbessern.

30 Jahre nach seiner Entwicklung: Gv-Reis auf den Philippinen

So wurde 2022 erstmals der viel debattierte Goldene Reis in nennenswerten Mengen auf den Philippinen angebaut.[14] Der gentechnisch veränderte Reis soll gegenüber konventionellem Reis mehr ß-Carotin (Provitamin A) enthalten, welches im Körper zu Vitamin A umgewandelt wird. Ein Mangel an diesem Vitamin kann schwere Auswirkungen auf den Körper und die Entwicklung haben (z.B. Erblinden). Besonders Kinder, Schwangere und stillende Personen aus finanziell schwachen Teilen der Bevölkerung sind betroffen. Die Ursache für den Mangel an Vitamin A ist eine sehr einseitige Ernährung, die durch Armut, fehlenden Zugang zu Ressourcen wie Land und medizinischer Versorgung begünstigt wird.

Die Debatte um den Goldenen Reis ist vielleicht die prägendste in der Geschichte der gentechnischen Veränderung von Pflanzen.[15] Während einige in ihm die Lösung für den Vitamin A-Mangel sehen, ist er für andere eine Scheinlösung und Teil eines sich stetig weiter konzentrierenden Saatgutmarktes und damit einhergehend des Verlustes von Saatgutvielfalt weltweit.[16] Ob der gv-Reis sich bei den philippinischen Bauern und Bäuerinnen durchsetzen kann und wie sein Anbau die Situation der Bevölkerung verändern wird, kann erst im Rückblick bewertet werden aber ist sicherlich von großem wissenschaftlichem Interesse.[17]

Neue Märkte auf dem afrikanischen Kontinent

Neben Südamerika und Asien ist ein weiterer Kontinent von aktueller Bedeutung für den Anbau von gv-Pflanzen: Afrika. Dabei ist vor allem die Regierung von Südafrika seit Langem gegenüber der Gentechnik offen eingestellt und war über Jahre, das einzige afrikanische Land mit gv-Pflanzen auf den Feldern. Neben Baumwolle werden hier Soja und Mais kultiviert. Einige andere Länder folgten mit dem Anbau einzelner gv-Pflanzen, allen voran Baumwolle. Manche stiegen nach enttäuschenden Erfahrungen aus dem Anbau wieder aus, wie Burkina Faso.[18] Seit einigen Jahren ist allerdings zu beobachten, dass es immer mehr Zulassungsanträge und Feldversuche mit gv-Pflanzen in einzelnen afrikanischen Staaten gibt. So wurde eine gv-Kuhbone (eines der Grundnahrungsmittel in Westafrika) 2019 in Nigeria und 2022 in Ghana zum Anbau zugelassen. Die Bohne produziert durch die gentechnische Veränderung ein Toxin, welches giftig für einige Schadinsekten ist. Weitere Nutzpflanzen sind in den letzten Jahren in den Testanbau gekommen. So zum Beispiel: Gv-Maniok in Nigeria und Ghana, Sorghum in Kenia und Nigeria und Weizen in Mosambik und Tansania. Der ISAAA sieht daher «eine neue Welle der Akzeptanz» auf dem afrikanischen Kontinent.

Kenia hebt zehnjähriges Verbot von gv-Pflanzen auf

Exemplarisch für diese Entwicklungen sind die laufenden Prozesse in Kenia. Der im September 2022 neu gewählte kenianische Präsident William Ruto hat das seit zehn Jahren bestehende Verbot, gv-Pflanzen anzubauen oder zu importieren, aufgehoben.[19][20] Er begründet dies mit dürrebedingten Hungersnöten in Teilen des Landes. Zahlreiche Organisationen kritisierten diese Entscheidung.[21] Der Import von günstigen Getreideprodukten und Saatgut würde die kenianische Landwirtschaft und lokale Strukturen schwächen, da sie mit den Preisen nicht konkurrieren könnten. Die Landwirtschaft ist für mehr als 60 Prozent der Kenianer*innen nach wie vor die Haupteinnahmequelle und 80 Prozent der Bauern und Bäuerinnen bewirtschaften kleinbäuerliche Betriebe mit Flächen unter zwei Hektar Land. Die Dürren, der Krieg in der Ukraine und andere Krisen haben bestehende Probleme im Zugang zu Nahrungsmitteln verschärft. So argumentieren die Organisationen, dass «mehr als 50 Prozent der Bevölkerung sind von einem weniger sichtbaren Problem betroffen – dem Zugang zu Nahrungsmitteln –, und zwar vor allem in städtischen Gebieten aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage des Landes, die ebenso bedeutsam ist, aber meist ignoriert wird.» Kenia besitzt eine Vielzahl an angepassten Pflanzensorten und produziert in vielen Teilen des Landes nährstoffreiche und diverse Nahrungsmittel. Allerdings fehlt es an funktionierender Infrastruktur, was dazu führt, dass viele Produzent*innen ihre Lebensmittel nicht zu geeigneten Märkten bringen können, um sie zu verkaufen. Hierdurch verloren kenianische Bauern und Bäuerinnen 2017 rund 1,9 Millionen Tonnen Nahrungsmittel.[22]

So liegen die tatsächlichen Ursachen für Hunger und Mangelernährung nicht nur in einer globalen Schieflage der Verteilung von Nahrungsmitteln, sondern auch auf nationaler und lokaler Ebene. Trotz dieses Wissens werden Verfechter*innen der Biotechnologie in der Landwirtschaft nicht müde sie als Lösung oder mindestens als unabdingbares Hilfsmittel zu bewerben. So beschrieb Bill Gates, Gründer und Vorsitzender der Bill und Melinda Gates Stiftung gv-Pflanzen als „eine Technik, die verspricht, Ernährungs-, Produktivitäts- und Krankheitsprobleme afrikanischer Landwirt*innen zu lösen“.[23] Die Stiftung ist einer der größten Förderer von gv-Pflanzen auf dem afrikanischen Kontinent und hat über 170 Millionen US-Dollar in gv-Pflanzen investiert.[24] Dennoch bleiben auch 30 Jahre nach dem ersten kommerziellen Anbau von gv-Pflanzen die großen Erfolge für Afrika aus: Laut ISAAA befanden sich 2019 nur 2 Prozent der Globalen Anbaufläche von gv-Pflanzen auf dem afrikanischen Kontinent, wovon 1,7 Prozent nur auf Südafrika fallen.

Neue Technik, alte Debatten?

Die Debatte rund um Gentechnik hat einen erneuten Aufschwung bekommen, durch die neuen Techniken des Genom-Editings. Diese Techniken ermöglichen es, das Genom (die gesamte Erbsubstanz) gezielter und weitreichender zu verändern, als es die vorherigen Gentechniken. Weltweit ringen Regierungen mit der Einordnung und der Frage der Regulierung dieser neuen Techniken.[25] In Afrika haben bisher Nigeria und Kenia Genom-Editing in ihre Regulierung aufgenommen bzw. sind dabei. Beide Staaten sehen eine Fall-zu-Fall-Entscheidung vor, basierend auf der Tatsache, ob das genetische Material neu kombiniert wurde oder nicht. Ist dies nicht der Fall werden die Produkte wie konventionelle Produkte gehandhabt. Verschiedene Befürworter*innen sehen in den bestehenden Regulierungen von gv-Pflanzen in afrikanischen Ländern und anderswo ein Hemmnis und die Ursache für den bescheidenen Erfolg der bisherigen Produkte.

In einem aktuellen Artikel zeigen kritische Sozialwissenschaftler*innen, welche Ursachen möglicherweise tatsächlich hinter diesem Scheitern stehen.[26]  Unter anderem ist gv-Saatgut teurer und es bedarf mehr chemischer Mittel um gute Ergebnisse zu liefern[27]; eine geringe Einbeziehung von afrikanischen Wissenschaftler*innen, Bauern und Bäuerinnen in die Forschungs- und Züchtungsprogramme[28]; öffentlich-private Partnerschaften, die den Prioritäten der Geber*innen Vorrang vor denen der Bauern und Bäuerinnen geben[29]; sowie eine unzureichende Prüfung ob die gv-Pflanzen zu den landwirtschaftlichen Systemen passen, die sie verbessern sollen[30]. Diese wichtigen Erkenntnisse fließen leider in die aktuellen Debatten um die neue und alte Gentechnik nicht bzw. unzureichend ein.

Patente und Marktkonzentration

Eine wichtige Gemeinsamkeit der biotechnologischen Anwendungen ist, dass die Erforschung, Entwicklung und Kommerzialisierung von gv-Pflanzen eine wissensintensive und kostspielige Angelegenheit ist. Entgegen der Auffassung einiger Befürworter*innen, die Genom-Editing als deutlich günstiger und daher verfügbarer für viele einschätzen, ist von einer ähnlichen Privatisierung und Konzentration von Marktmacht durch einige, wenige Unternehmen auszugehen, wie sie durch die erste Generation von gv-Pflanzen angestoßen wurde. Die Konzentration der Saatgutmärkte ist in den letzten Jahren stetig angestiegen. Heute dominieren vier Chemie- und Biotechnologie-Konzerne den globalen Saatgutmarkt: Bayer-Monsanto, ChemChina-Syngenta, BASF und Corteva Agriscience. Dabei unterscheidet sich der Grad der Konzentration unter den verschiedenen Kulturpflanzen, während die Märkte für biotechnologische Merkmale wesentlich stärker konzentriert sind.[31]

Ähnliches ist für die neue Gentechnik zu erwarten: Die Patentanmeldungen für die Genome Editing-Technologie haben seit 2005 um mehr als das 15-fache zugenommen.[32] Einige der größten Patenthalter sind Forschungsinstitute und Konzerne wie Corteva Agriscience im Globalen Norden.[33] Auch wenn von einigen Akteuren Lizenzen zur Forschung gratis weitergegeben werden, so behalten sie doch die Rechte für sich. Außerdem werden die patentierten Verfahren und Eigenschaften erst wirklich valide, wenn sie in Produkten enden, die kommerzialisiert werden.[34] In diesem Fall muss für die Patente gezahlt werden, was einer der Gründe für die deutlich höheren Preise von gv-Saatgut ist, dass zum Beispiel in Südafrika bis zu 10-Mal teurer verkauft wird als konventionelles.[35]

Momentan ist die Einbeziehung von bäuerlichen Bedürfnissen, staatlichen Forschungsinstituten aus dem Globalen Süden sowie sozialpolitischen Anpassungen kaum bis gar nicht gegeben. Ein Versuch, afrikanische Akteur*innen ins Zentrum biotechnologischer Pflanzenanpassung zu stellen, ist ein Projekt vom International Livestock Research Institute in Nairobi. Afrikanische Wissenschaftler*in haben das Projekt initiiert und koordinieren es. Bei Bedarf werden internationale Partner*innen für Schulungen und zum Informationsaustausch aufgesucht.[36] [37]  Ob Genom-Editing jedoch zu dem erhofften Erfolg führt und die Landwirtschaft verbessern kann bleibt abzuwarten. Denn selbst wenn in absehbarer Zeit gv-Pflanzen durch Genom-Editing entwickelt werden sollten, die möglicherweise einen Beitrag zur Ernährungssicherung leisten können, bleiben viele der genannten Fallstricke bestehen. Verschiedene afrikanische Bewegungen und Organisationen kritisieren die Anwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft. Sie sehen in ihr das Risiko, dass durch ihre Einbettung in das internationale Machtgefüge von den tatsächlichen Problemen wie Verteilungsfragen abgelenkt wird und stattdessen eine fortlaufende Unterlaufung ihrer selbstständigen, regionalen Entwicklung stattfindet.[38] [39]

Stresstolerante gv-Pflanzen sind in weiter Ferne

Auch wenn in wissenschaftlichen Artikeln ständig von neuen Eigenschaften zu lesen ist, die durch Genom-Editing herbeigeführt wurden, sind die tatsächlichen Erfolge bescheiden. Im April 2022 waren erst drei Genom editierte -Pflanzen weltweit im kommerziellen Anbau. Ein Raps mit Herbizidresistenz, eine Soja mit verändertem Ölsäuregehalt und eine Tomate mit erhöhtem Gehalt an Amino-Buttersäure. Eigenschaften, die als relevant für die Anpassung der Landwirtschaft an die Klimakrise beschrieben werden – darunter Kälte-, Trockenheits- und Salztoleranz –, tauchen bislang nur vereinzelt in den Entwicklungspipelines der Unternehmen auf.[40] Eine Erklärung hierfür ist die Komplexität dieser Eigenschaften, die durch ein Zusammenspiel vieler verschiedener Gene gesteuert wird und bisher nur bedingt verstanden ist. Eine weitere Herausforderung, die bei gv-Pflanzen der alten Gentechnik zu beobachten war, ist die tatsächliche Performance der Pflanzen auf den Äckern, die sich häufig als schlechter herausstellte als angepriesen.[41] [42] So kommt man in der Wissenschaft durchaus zu dem Schluss, dass die Entwicklung neuer Pflanzen mit veränderten Eigenschaften nicht ausreichen wird, um in kurzer Zeit Ernährungssicherheit zu erreichen oder sich an klimatische Veränderungen anzupassen.[43]

Auch die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze setzt bei der Bekämpfung des weltweiten Hungers ausdrücklich nicht auf die Gentechnik: «Es gibt keine gentechnisch veränderten Pflanzen, die den Hunger in der Welt wirklich bekämpfen», erklärte die SPD-Politikerin bei einer Regierungsbefragung im Bundestag.[44] Stattdessen baue ihr Ministerium auf die Förderung von regional und lokal angepassten Pflanzensorten. Durch ihre Entwicklung unter den lokalen Bedingungen kommen sie mit weniger externe Inputs wie Düngemitteln oder Pestiziden aus und können von den Bauern und Bäuerinnen selbst weiterentwickelt werden.[45]

Saatgut ist in jedem Fall immer nur einer von sehr vielen Bausteinen, um eine gesunde und stabile Ernährung für alle zu gewährleiten. Jede Pflanze kommt trotz züchterischer Bemühungen an ihre physiologischen Grenzen bei zu viel Trockenheit, Salz oder Wasser. Daher ist eine Diversifizierung der angebauten Sorten, genauso wie des direkten Umlandes, z.B. durch die Integration von Bäumen und Büschen, eine relevante Anpassung der landwirtschaftlichen Praxis. Der Aufbau von Humus im Boden, eine passende Fruchtfolge sowie Maßnahmen zur Erhöhung der Biodiversität tragen zur Stabilität bei. Viele dieser Maßnahmen können vor Ort und sofort umgesetzt werden. Weiter ist der Zugang zu Ressourcen wie Land, Wasser, Mobilität aber auch technischem Gerät und Wissen fundamental für die Sicherung der Ernährung.


[1] Botschaft der UN zum Welternährungstag (16.10.2022). Online: www.un.org/depts/german/gs/messages/SGM-WorldFoodDay-2022.pdf

[2] Behnassi, M./ El Haiba, M. (2022): Implications of the Russia–Ukraine war for global food security. In: Nat Hum Behav 6, S. 754–755. doi.org/10.1038/s41562-022-01391-x

[3] Harvey, F. (14.03.2022): Ukraine invasion may lead to worldwide food crisis, warns UN. The Guardian, online: www.theguardian.com/world/2022/mar/14/ukraine-invasion-worldwide-food-crisis-warns-un

[4] Rudloff, B. (01.07.2022): Krieg und Hunger – Versorgungsrisiken, Lösungsansätze, Konfliktkonstellationen. Stiftung Wissenschaft und Politik, online: www.swp-berlin.org/publikation/krieg-und-hunger-versorgungsrisiken-loesungsansaetze-konfliktkonstellationen

[5] PM BUND (18.03.2022): BUND-Expertendienst: Konsequenzen aus dem Krieg in der Ukraine / Interviewpartner*innen beim BUND. Online: www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/bund-expertendienst-konsequenzen-aus-dem-krieg-in-der-ukraine-interviewpartnerinnen-beim-bund/

[6] MDR (30.03.2022): Wie man der Lebensmittelknappheit durch den Ukraine-Krieg begegnen könnte. Online: www.mdr.de/wissen/ukraine-krieg-steigende-lebensmittelpreise-welthunger100.html

[7] Wilson, A. (2020): Will gene-editing and other GM crops fail sustainable food systems? In: Rethinking Food and Agriculture, S.247 – 284, https://doi.org/10.1016/B978-0-12-816410-5.00013-X

[8] Ministerio de agricultura, ganadería y pesca secretaría de alimentos, bioeconomía y desarrollo regional (11.05.2022): Resolución 21/2022. Online: www.boletinoficial.gob.ar/detalleAviso/primera/262355/20220512

[9] Guadagno, L. (10.06.2022): El Ministerio Público Fiscal reclamó la suspensión urgente del trigo transgénico HB4. Online: agenciatierraviva.com.ar/el-ministerio-publico-fiscal-reclamo-la-suspension-urgente-del-trigo-transgenico-hb4/

[10] Benbrook, C.M. (2012): Impacts of genetically engineered crops on pesticide use in the U.S. - the first sixteen years. In: Environ Sci Eur 24, doi.org/10.1186/2190-4715-24-24

[11] Vogt, J. (19.05.2022): Reaktion auf Ernährungskrise - Argentinien erlaubt neuen Genweizen. Taz, online: taz.de/Reaktion-auf-Ernaehrungskrise/!5852657/

[12] Statista (Juli 2022): Entwicklung der globalen Ackerfläche und Weidelandfläche in den Jahren 1961 bis 2020. Online: de.statista.com/statistik/daten/studie/1196555/umfrage/anbauflaechen-und-weideflaechen-weltweit/

[14] Rüegg, P. (28.11.2022): For the first time, farmers in the Philippines cultivated Golden Rice on a larger scale and harvested almost 70 tons. ETH Zürich, online: ethz.ch/en/news-and-events/eth-news/news/2022/11/the-seeds-have-germinated.html

[15] Stokstad, E. (2019): After 20 Years, Golden Rice nears approval. In: Science, Vol 366, Issue 6468, S. 934, doi.org/10.1126/science.366.6468.934

[16] MASIPAG (08.08.2020): Why We Oppose Golden Rice. Online: masipag.org/2020/08/why-we-oppose-golden-rice/

[17] Glover, D./ Kim, S.K. / Stone, G.D. (2020): Golden Rice and technology adoption theory: A study of seed choice dynamics among rice growers in the Philippines. In: Technology in Society, Volume 60, doi.org/10.1016/j.techsoc.2019.101227

[18] Luna, J.K. (2020): Peasant essentialism in GMO debates: Bt cotton in Burkina Faso. In: J Agrar Change.20, S.579– 597, https://doi.org/10.1111/joac.12381

[20] Cheruiyot, K. (03.10.2022): GMO food now legal in kenya after government lifts ban. NairobiNews, online: nairobinews.nation.africa/gmo-food-now-legal-in-kenya-after-government-lifts-ban/

[21] PM Pelum und andere (06.10.2022): A call to respect and protect Kenya´s food system – Stop GMO.Online:

www.pelumkenya.net/wp-content/uploads/2022/10/Press-Statement-A-call-to-respect-and-protect-Kenyas-Food-Systems-Stop-GMOs.pdf

[23] Euractive Video (22.01.2015): Bill, Melinda Gates advocate GMOs to a Brussels audience. Online: www.euractiv.com/section/agriculture-food/video/bill-melinda-gates-advocate-gmos-to-a-brussels-audience

[24] GRAIN (17.06.2021): How the Gates Foundation is driving the food system, in the wrong direction. Online: grain.org/e/6690

[25] Buchholzer, M./ Frommer, W. B.  (2022): An increasing number of countries regulate genome editing in crops. In: New Phytologist 237, S 12 - 15, doi.org/10.1111/nph.18333

[26] Rock, J.S. et al. (2023): Beyond the Genome: Genetically Modified Crops in Africa and the Implications for Genome Editing. In: Dev Change, 54, S. 117-142, doi.org/10.1111/dech.12750

[27] Dowd-Uribe, B. (2014): Engineering Yields and Inequality? How Institutions and Agro-ecology Shape Bt Cotton Outcomes in Burkina Faso. In: Geoforum 53, S. 161–71, doi.org/10.1016/j.geoforum.2013.02.010

[28] Adenle, A.A. (2014): Stakeholders’ Perceptions of GM Technology in West Africa: Assessing the Responses of Policymakers and Scientists in Ghana and Nigeria. In: Journal of Agricultural and Environmental Ethics 27, S. 241– 63, doi.org/10.1007/s10806-013-9462-y

[29] Rock, J./ Schurman, R. (2020): The Complex Choreography of Agricultural Biotechnology in Africa. In: African Affairs 119(477), S. 499– 525, doi.org/10.1093/afraf/adaa021

[30] Luna, J.K./ B. Dowd-Uribe (2020): Knowledge Politics and the Bt Cotton Success Narrative in Burkina Faso. In: World Deveopment 136, S. 1– 12, doi.org/10.1016/j.worlddev.2020.105127

[31] Deconinck, K. (2020): Concentration in Seed and Biotech Markets: Extent, Causes, and Impacts. In: Annual Review of Resource Economics, 12:1, S.129-147, doi.org/10.1146/annurev-resource-102319-100751

[32] Graff, G.D. /Sherkow, J.S. (2020): Models of Technology Transfer for Genome-editing Technologies. In: Annual Review of Genomics and Human Genetics, 21(1), S. 50934, doi.org/10.1146/annurev-genom-121119-100145

[33] Egelie, K.J. et al. (2016): The Emerging Patent Landscape of CRISPR-Cas Gene Editing Technology. In: Nature Biotechnology, 34(10), S.102531, doi.org/10.1038/nbt.3692

[34] Rock, J.S. et al. (2023): Beyond the Genome: Genetically Modified Crops in Africa and the Implications for Genome Editing. In: Dev Change, 54, S. 117-142, doi.org/10.1111/dech.12750

[35] Fischer, K. (2022): Why Africa's New Green Revolution is Failing: Maize as a Commodity and Anti-commodity in South Africa. In: Geoforum, 130, S. 96104, www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0016718521002359

[36] Njaci, I. et al. (2022): Chromosome-scale Assembly of the Lablab Genome — A Model for Inclusive Orphan Crop Genomics. In: bioRxiv, preprint, doi.org/10.1101/2022.05.08.491073

[37] Nordling, L. (2023): Putting CRISPR into African hands to future-proof crops. In: Nat Biotechnol, 41, S. 165–166, doi.org/10.1038/s41587-023-01668-0

[38] AGRA Watch und Alliance for food sovereignty in africa (10.11.2022): An Open Letter to Bill Gates on Food, Farming and Africa. Online: www.commondreams.org/views/2022/11/10/open-letter-bill-gates-food-farming-and-africa

[39] Rock, J. (2019): “We Are not Starving”: Challenging Genetically Modified Seeds and Development in Ghana. In: Culture, Agriculture, Food and Environment, 41(1), S.15–23, doi.org/10.1111/cuag.12147

[40] Gelinsky, E. (2022): Blick in die Entwicklungspipeline – Neue Gentechnik-Pflanzen. Global2000, Online: www.global2000.at/publikationen/neue-gentechnik-pflanzen-in-der-entwicklungs-pipeline

[41] Schnurr, M.A./ Dowd-Uribe, B. (2021): Anticipating Farmer Outcomes of Three Genetically Modified Staple Crops in Sub-Saharan Africa: Insights from Farming Systems Research. In: Journal of Rural Studies, 88, S. 377–387, doi.org/10.1016/j.jrurstud.2021.08.001

[42] Kranthi, K.R./Stone, G.D. (2020): Long-term Impacts of Bt Cotton in India. In: Nature Plants, 6(3), S.188– 96, doi.org/10.1038/s41477-020-0615-5

[43] Hüdig, M. et al. (2022): Genome Editing in Crop Plant Research—Alignment of Expectations and Current Developments. In: Plants, 11(2), S. 212, doi.org/10.3390/plants11020212

[44] DPA (18.01.2023): Entwicklungsministerin: Keine Gentechnik gegen Hunger. Finanznachrichten, Online: www.finanznachrichten.de/nachrichten-2023-01/58089086-entwicklungsministerin-keine-gentechnik-gegen-hunger-016.htm

[45] Vijayan, D. et al. (2022): Indigenous knowledge in food system transformations. In: Commun Earth Environ, 3, S.213, doi.org/10.1038/s43247-022-00543-1