Es ist der fünfte Band der Reihe Kitchen Politics – Queerfeministische Interventionen, der im Gedenken an und mit Beiträgen der 2019 viel zu früh verstorbenen Felicita Reuschling nun erschienen ist. Kitchen Politics ist eine Buchreihe, die vom gleichnamigen Kollektiv, dem «Feli» angehörte, herausgegeben wird. Die reale Utopie vom kollaborativen Arbeiten und Leben durchzieht den neuen Band «Die Neuordnung der Küchen. Materialistisch-feministische Entwürfe eines besseren Zusammenlebens».
Dabei geht es in sieben Beiträgen – drei davon sind von Felicita - tatsächlich nicht nur, aber auch um Leben und Arbeit in der und um die Küche als Ort der Sorge-Arbeit, als politischen Ort. Wie schon die autonomen Feministinnen der 1970er Jahre greifen die Autorinnen vor allem auf die Perspektiven und Utopien der Jahrhundertwende und der 1920er Jahre zurück. Es verwundert daher nicht, dass die Küchenentwürfe und Baupläne der russischen sozialistischen Revolutionärin Alexandra Kollontaiim Mittelpunkt stehen. Sowohl in der BRD als auch in der DDR erschienen in den 1970er und 80er Jahren von Feministinnen initiierte Neuauflagen ihrer Texte. Kollontai, die ihrer Zeit weit voraus war, wusste schon vor mehr als 100 Jahren, dass der Umbau der Gesellschaft auch einen radikalen Umbau der Küchen erfordert. Sie und ihre Zeitgenossinnen hätten sich sicher nicht Feministinnen genannt, denn das waren für sie die Bürgerlichen, die die gleichen Rechte wie ihre Männer wollten. Ehe, Familie, Liebesbeziehungen und Sexualität infrage zu stellen, Arbeit, Wohnungen und Küchen radikal neu zu gestalten, lag den Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung fern. Heute ist «Feminismus» vieles, daher die Bezeichnung »materialistisch-feministisch».
Kollontais Text «Familie und der kommunistische Staat» hatte Clara Zetkin schon einmal übersetzt. Mit dem Buch liegt eine neue deutsche Übersetzung vor, die Felicita und eine aus diesem Anlass zusammengebrachte Gruppe am virtuellen Küchentisch für das Buch diskutieren.
In einem zweiten Teil knüpft der Band an das Erbe der Wohnutopien der sowjetischen 1920er Jahre, des Roten Wien und der Kommunen der 1960er Jahre an, fragt nach dem Scheitern und den schweren Hypotheken dieser Geschichten wie nach ihrer Strahlkraft für zeitgenössische queer-feministische Diskussionen um nachhaltigere und glücklichere Lebensweisen. Schließlich sind nicht alle Versuche kläglich gescheitert. Die gegenwärtige Debatte um Stadtpolitik und ein Recht auf Wohnen, aber auch um die Neuauflage von Familismus, romantischer Zweierbeziehung, patriarchaler Herrschaft und Besitzdenken verlangen eine Antwort darauf, warum queer-feministische Diskussionen über Arbeiten, Wohnen und Sexualität nicht auf einander bezogen werden. Die Frage bleibt auch in dem lesenswerten Buch unbeantwortet, obwohl Kollontai bereits 1920 schrieb, dass der private Haushalt und die Familie nicht mehr gebraucht wird und die «Kernfamilie» auch in der BRD nicht mehr die gängige Familienform ist.
Kitchen Politics (Hg.): Die Neuordnung der Küchen. Materialistisch-feministische Entwürfe eines besseren Zusammenlebens; edition assemblage, Münster 2023, 187 Seiten, 9,80 Euro
Transparenzhinweis: Das rezensierte Buch wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziell unterstützt.