Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Westeuropa - Demokratischer Sozialismus - Rosa-Luxemburg-Stiftung «Ein schwerer Schlag»

Sahra Wagenknechts Entscheidung, DIE LINKE zu verlassen, sorgt für Klarheit, aber zu einem hohen Preis, erklärt RLS-Vorstandsvorsitzender Heinz Bierbaum.

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Lukas Schön (l-r), Ralf Suikat, Christian Leye, Amira Mohamed Ali und Sarah Wagenknecht am 23. Oktober 2023 vor der Pressekonferenz zur Gründung des Vereins «Bündnis Sahra Wagenknecht».
 
 

 

 

Foto: IMAGO / Funke Foto Services

Nach jahrelangen Turbulenzen ist innerhalb der Partei DIE LINKE endlich eine Lösung gefunden worden. Sahra Wagenknecht, die ehemalige Fraktionsvorsitzende und eines der bekanntesten Gesichter der Partei, hat am Montag gemeinsam mit neun weiteren Abgeordneten ihren Austritt aus der Partei erklärt. Sie werden nun einen neuen Verein, das «Bündnis Sahra Wagenknecht» (BSW), gründen, um den Aufbau einer neuen Partei im Frühjahr 2024 vorzubereiten.

Mit der Spaltung der LINKEN geht ein jahrelanger interner Konflikt zu Ende. Sie gibt der Partei die Chance, den Streit hinter sich zu lassen. Wagenknechts Abgang bedeutet aber auch den Verlust des Fraktionsstatus und damit eine erhebliche Einschränkung ihrer Ressourcen.

Der Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Heinz Bierbaum, sprach mit Loren Balhorn darüber, was Wagenknechts neue Partei für DIE LINKE und progressive Kräfte in der Bundesrepublik insgesamt bedeuten wird.

Sahra Wagenknecht und neun weitere Mitstreiter*innen aus der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE haben am Montag ihren Austritt bekannt gegeben und ihr Vorhaben angekündigt, im Frühjahr eine neue Partei zu gründen. Damit kommt es 16 Jahre nach der Gründung einer bundesweiten Partei links der Sozialdemokratie zu einer ersten gravierenden Spaltung. Was bedeutet diese Entscheidung unmittelbar für die deutsche Linke, sowohl parlamentarisch als auch gesellschaftlich?

Heinz Bierbaum ist Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler. Seit 2022 ist er Vorstandsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die Entscheidung Wagenknechts bedeutet den Verlust des Fraktionsstatus und damit das Ende einer Fraktion der Partei DIE LINKE im deutschen Bundestag. Auch wenn DIE LINKE als Gruppe im Bundestag bleibt, verliert sie erheblich an Ressourcen und vor allem an politischem Einfluss. Sie ist politisch weniger sichtbar. Dies führt zwangsläufig auch zu einer Schwächung der Partei insgesamt. Ich befürchte, dass weiterhin personelle Debatten sowie die Konkurrenz zwischen der LINKEN und dem Projekt Wagenknecht im Vordergrund stehen werden und eben nicht politische Themen. Wann diese Trennung tatsächlich erfolgt, ist allerdings noch offen. Klar ist jedenfalls schon jetzt, dass damit die linken Kräfte insgesamt geschwächt werden. Die Gründung einer zweiten Partei führt nicht zur Stärkung der gesellschaftlichen Linken. Ganz im Gegenteil.

Wie sieht der mittelfristige Plan des Vereins aus? Ab wann will man sich zur Wahl aufstellen und wie wird die Partei heißen?

Ich gehe davon aus, dass die neue Partei zu den Europawahlen im nächsten Jahr antritt. Unter welchem Namen, weiß ich nicht. Bislang konzentriert sich das Projekt stark auf die Person Wagenknecht. Von ihr hängt alles ab.

Bevor Du Vorsitzender der Stiftung wurdest, warst Du Präsident der Europäischen Linkspartei, in der DIE LINKE historisch ein großes Gewicht hat. Wird diese Abspaltung auch Folgen für die Partei der Europäische Linken (EL) haben?

Die Entscheidung Wagenknechts und ihrer Mitstreiter*innen, DIE LINKE zu verlassen und eine neue Partei zu gründen, ist für die Europäische Linke ein schwerer Schlag. DIE LINKE war immer ein ganz wesentlicher Bestandteil der EL, auf den viele andere linke Parteien in Europa geschaut haben. Die Schwächung der deutschen DIE LINKE schwächt auch die EL.

Wagenknecht bewegt sich in einem nostalgischen SPD- und sehr bürgerlichen Rahmen. Das hat mit Klassenorientierung, wie sie sich aus dem Gegensatz von Kapital und Arbeit ergibt, nichts zu tun.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Europawahlen, in der sich die EL als geeinte und starke linke Kraft präsentieren wollte. Stattdessen haben wir es mit Spaltungen zu tun. Das gilt beispielsweise auch für Frankreich, wo das Bündnis NUPES, das bei den letzten Parlamentswahlen in Frankreich erfolgreich war, so nicht mehr zu den Europawahlen antreten wird.

Die Parteineugründung erfolgt nach jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen Wagenknecht und der Parteispitze, sowohl der aktuellen als auch der vorherigen. Kannst Du erklären, was dabei die Hauptstreitpunkte waren oder sind? Und was war letztendlich der Auslöser für diesen endgültigen Bruch?

Wagenknecht hat der Parteiführung immer vorgeworfen, sich zu wenig um die sozialen Belange zu kümmern und stärker Klimafragen und Diversität in den Vordergrund zu stellen. Dies ist meines Erachtens nichtzutreffend, auch wenn es dazu in der DIE LINKE unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gibt. Diese Streitpunkte sind nie wirklich ernsthaft diskutiert worden. Die Debatte war stark personifiziert. Eine große Rolle spielte auch die Migrationsfrage, wo ganz deutliche Unterschiede bestehen. Zurecht kritisierte die Parteiführung in dieser Frage Wagenknechts Position. Auch in der Frage der Bewertung des Ukraine-Kriegs gibt es Differenzen.

Das sogenannte «Bündnis Sahra Wagenknecht» steht, laut den Gründer*innen, für «Vernunft und Gerechtigkeit» – darunter lässt sich aber alles Mögliche vorstellen. Wie würdest Du die inhaltlichen Konturen des Projekts beschreiben, und wie unterscheiden sich diese von der jetzigen LINKEN? In welchem politischen Lager würdest Du diese beispielsweise verorten?

Bislang ist ein konkretes Programm nicht zu erkennen. Die Aussagen sind allesamt sehr allgemein und vage. Klar, man will denjenigen, die sich von den bestehenden Parteien in ihren Sorgen und Nöten nicht mehr vertreten fühlen, eine neue Heimat geben. Es geht vor allem um die soziale Absicherung der sogenannten «kleinen Leute». Man zielt damit insbesondere auf den Nicht-Wähler*innen-Bereich. Es gibt auch Spekulationen, dass damit die AfD geschwächt werden könnte. Das glaube ich nicht.

Auf der Pressekonferenz am Montag saß neben Wagenknecht und anderen MdBs aus ihrem Umfeld auch der Millionär Ralph Suikat, ein Unternehmer, der sich seit Jahren für ein gerechtes Steuersystem einsetzt. Wagenknechts politischer Schulterschluss mit dem deutschen Mittelstand ist aber nichts Neues – seit geraumer Zeit schreibt sie in ihren Büchern über die Notwendigkeit, innovative Unternehmer*innen vor der Macht der großen Monopolist*innen zu schützen, und auch das Gründungsmanifest des BSW spricht von «denjenigen, die sich anstrengen und gute, ehrliche und solide Arbeit leisten» im Kontrast zu denen, die «nur noch von der Motivation getrieben sind, aus Geld mehr Geld zu machen».

Wie würdest Du diese klassenpolitische Orientierung erklären? Ist das nicht etwas seltsam für jemanden, der jahrelang die kommunistische Strömung in der Partei angeführt hat?

Seit Langem ist Wagenknecht wirtschaftspolitisch ordoliberal ausgerichtet. Das private Unternehmertum soll gestärkt werden, wofür der Staat den Ordnungsrahmen bieten soll. Der eigentliche Gegner ist das Finanzkapital. Damit bewegt sich Wagenknecht in einem nostalgischen SPD- und sehr bürgerlichem Rahmen. Das hat mit Klassenorientierung, wie sie sich aus dem Gegensatz von Kapital und Arbeit ergibt, nichts zu tun. In der Tat ist heute schwer vorstellbar, dass sie einmal führende Repräsentantin der kommunistischen Plattform war.

DIE LINKE muss die Frage der Lebenserhaltungskosten und die soziale Absicherung in den Mittelpunkt stellen, was sie auch tut.

Aus vielen Kreisen der LINKEN wurde die Nachricht von der Spaltung eher begrüßt in der Hoffnung, dass die Partei nun geschlossen auftreten und hoffentlich zu ihrer alten Stärke zurückfinden kann. In der Tat hat es die Partei nicht leicht, und das schon seit Jahren nicht mehr. Wagenknechts öffentliche Demontage der Parteiführung wird von Parteimitgliedern oft als Grund für die Schwierigkeiten angeführt. Wird es der Partei nach ihrem Ausscheiden leichter fallen, wieder gesellschaftliche Relevanz zu gelangen?

Der Schritt Wagenknechts ist in der Tat eine Klärung. Doch ein Befreiungsschlag, wie einige meinen, ist er nicht. Die Probleme in der Partei sind damit nicht vom Tisch. Nach wie vor gibt es ganz unterschiedliche Positionen, zum Beispiel bei der Schwerpunktsetzung von ökologischen und sozialen Fragen. Hier rächt sich, dass versäumt worden ist, eine ernsthafte strategische Debatte zu führen. Dies ist in den letzten Jahren unterblieben.

Amira Mohamed Ali, bis vor kurzem noch Fraktionsvorsitzende und jetzt Mitbegründerin des BSW, sagte am Montag, sie und die anderen wollten «ohne Groll» gehen und sich nicht an ihrer alten Partei abarbeiten, sondern sich anstelle dessen auf Kernthemen wie soziale Gerechtigkeit, Frieden und «Freiheit» konzentrieren. Was sind aus Deiner Sicht die Themen, auf die sich DIE LINKE in den kommenden Jahren konzentrieren sollte?

Die Aussage Amiras ist ebenso richtig wie banal. Denn soziale Gerechtigkeit und Frieden sind natürlich Kernthemen der Linken. DIE LINKE muss die Frage der Lebenserhaltungskosten und die soziale Absicherung in den Mittelpunkt stellen, was sie auch tut. Frieden ist und bleibt ein zentrales Thema, wo DIE LINKE sich trotz unterschiedlicher Auffassungen in bestimmten Fragen auf eine gemeinsame Position verständigen muss. Es bedarf dringend einer Veränderung der Migrationspolitik, die human und integrativ ausgerichtet sein muss.

Ein zentrales Feld für DIE LINKE ist ökologische Transformation der Wirtschaft und besonders der Industrie. Es geht um sozial-ökologische Transformation und das ist eben auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Dabei geht es aber nicht nur um die soziale Absicherung der betroffenen Beschäftigten, sondern um deren Einbeziehung in diese Prozesse. Damit ist die Frage der Transformation mit wirtschaftsdemokratischen Konzepten zu verbinden. Die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ist dafür zentral. Hier kann sie sich politisch profilieren. Denn eine wirkliche sozial-ökologische Transformation wird nur gelingen, wenn sie zwar in den heutigen Strukturen ansetzt, aber über diese hinausgeht, und mithin eine sozialistische Perspektive aufweist.

Das Interview führte Loren Balhorn.