Fragen nach der Verteilung des Wohlstandes und der Folgen, der offensichtlich ungleichen Verteilung, sind wieder verstärkt in den Blick des öffentlichen Interesses und der politischen Auseinandersetzung gerückt. Soziale und ökonomische Ungleichheit sind globale Phänomene, was neue Studien immer wieder belegen. Anfang dieses Jahres meldete die Hilfsorganisation Oxfam, dass extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zugenommen hätten und das reichste Prozent der Weltbevölkerung seinen Reichtum massiv steigerte.
Für Deutschland ergibt sich das gleiche Bild: Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung verfügen über 50% des gesamten Nettovermögens in Deutschland. Die Hälfte der Haushalte in der Bundesrepublik gilt als „vermögensarm“. Ihr Anteil am Nettovermögen betrug laut Bundesbank 2021 nur 1,2 Prozent. Entsprechend stellte der DGB 2021 fest: Die Einkommensarmut ist kein Randphänomen, sondern stellt ein gesamtgesellschaftliches Problem dar. Derzeit gilt jede:r Sechste als einkommensarm. Im Jahr 2022 nutzten 1,1 Millionen Menschen die Angebote der Tafeln, seitdem melden sie eine Überlastung aufgrund der hohen Nachfrage.
Die reichsten Deutschen, die Familie Reimann, Beate Heister und Karl Albrecht jr. von Aldi Süd, Klaus-Michael Kühne oder Dieter Schwarz, werden kaum in den Schlangen der Bedürftigenspeisung gesehen werden. Ihre Stimmen, so sie sich denn in die Öffentlichkeit begeben, finden schnell Gehör und Zugang in den Medien. Ihr Reichtum steigt und steigt – ist es ihr privater Verdienst, ihr Fleiß oder gar ihre Gier, die sie reich macht und reicher werden lässt?
Oder liegt nicht viel mehr eine wesentliche Ursache in unserer Wirtschaftsordnung der Reiche wie Arme, Arbeitgeber:innen wie Arbeitnehmer:innen unterworfen sind? Wie funktioniert ein wirtschaftliches System, das landläufig als ‚Kapitalismus‘ bekannt ist? Die Mythen und Bilder sind vielfältig. Dass Arbeiternehmer:innen und Arbeitgeber:innen in zentralen Fragen Interessensgegensätze haben und Interessenskonflikte austragen, kann jeder Mensch mit Eintritt in die Arbeitswelt unmittelbar erfahren.
Doch sind es die Spieler:innen in dem Spiel, die den Reichtum der Einen und die Armut der Anderen verantworten, oder sind es die Regeln des Spiels?
Der Workshop beruht auf den erprobten Bildungsmaterialien „The Winner Takes it All?“ und „Kapitalismus für Einsteiger:innen“. Ihre Erarbeitung, Erprobung und ihr Einsatz auch im Bereich der schulischen wie außerschulischen Bildung wurden zum einen von Brot für die Welt, der AWO, dem Bildungsjugendwerk der AWO und Epiz Globales Lernen in Berlin und zum anderen durch die Rosa Luxemburg Stiftung gefördert.
Beide Materialienpakete folgen dem Beutelsbacher Konsens, der richtungsweisend für politische Bildung, auch in Schulen, ist.
Der Workshop soll Schüler:innen der Klassenstufen 9 und 10 sowie Schüler:innen der beruflichen Schulen ansprechen und ist für die Personenzahl einer Klasse ausgerichtet.
Der A-Teil der Hamburger Bildungspläne stellt im Bereich 3.2 Bildung für nachhaltige Entwicklung schon selbst heraus, dass in unserer Gesellschaft eine „Entwicklung von Arm und Reich“ vorzufinden ist. Die Ausrichtung auf eine nachhaltige Entwicklung geht über ökologische Fragen hinaus, und „bedeutet, Aktivitäten in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt an den Kategorien der Zukunftsfähigkeit und Gerechtigkeit auszurichten.“ Durch Bildung für nachhaltige Entwicklung sollen Schüler:innen „in die Lage versetzt und zugleich motiviert werden,“ entsprechend der Prämissen von einem gerechten und gleichberechtigten Zugang zu planetarischen Ressourcen, „zu handeln.“
Konkret heißt es in den Bildungsplänen für Politik/Gesellschaft/Wirtschaft an Stadtteilschulen Jahrgangsstufen 7-11 bzw. am Gymnasium Sekundarstufe I: „Die Schülerinnen und Schüler erwerben Einsichten in gesellschaftliche Strukturen und Prozesse. […] [Sie] reflektieren ihre eigene Rolle als Wirtschaftssubjekte, v. a. also als Konsumenten. […] Ökonomische Bildung unterstützt die Schülerinnen und Schüler bei der Planung ihrer Lebensentwürfe und dabei, sich den Herausforderungen des technischen und ökonomischen Strukturwandels aktiv zu stellen. […] Die Schülerinnen und Schüler erkennen die internationale Dimension politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns. Sie lernen, dass Entscheidungen auf der regionalen, nationalen und europäischen Ebene nicht nur miteinander verflochten sind, sondern zunehmend auch durch internationale Interessen und Entwicklungen beeinflusst werden. Sie erfahren, dass angesichts globaler Probleme und Konflikte globale Lösungswege gesucht, entsprechende Institutionen geschaffen und Vereinbarungen getroffen werden müssen.“
Die Schüler:innen werden mithilfe von verschiedenen kreativen und partizipativen Methoden wie Planspielen, Plenumsdiskussionen, Kleingruppen, SMS-Umfragen und der Erstellung von Schaubildern in den Workshop miteinbezogen.
Die Methodenvielfalt des Projekttags öffnet die Möglichkeit, in verschiedenen Settings hinsichtlich der in den P/G/W-Bildungsplänen festgehaltenen überfachlichen Kompetenzen Wirkung zu entfalten sowie in der Auseinandersetzung um Armut und Reichtumsbildung die fachlichen Kompetenzen – sozialwissenschaftliche Analysefähigkeit, Perspektiven- und Rollenübernahme, Konfliktfähigkeit, politisch-moralische Urteilsfähigkeit und Partizipationsfähigkeit – zu stärken.
Didaktisch zielt der Projekttag darauf, den Schüler:innen anhand eines spezifischen Inhalts den Raum zu eröffnen, auf ihre erworbenen/im Erwerb befindlichen Kompetenzen bei der Bewältigung der Anforderungssituation der Aufgabenstellung des Projekttags zu nutzen. Durch den thematischen Zuschnitt auf ökonomische Ungerechtigkeit und ihre gesellschaftlich-strukturelle Entstehung und Fortführung, fügt sich der Projekttag in das Ziel der Bildungspläne, die Schüler:innen durch „die Beschäftigung mit politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen und Prozessen“ […] zur aktiven Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben [zu] befähigen.“
Als zeitlicher Umfang sind knapp sieben Zeitstunden inklusive Pausen angesetzt.
Der Ablauf könnte wie folgt aussehen
- Begrüßung und Einführung/Erwartungen (20 Min)
- Plenumsgespräch: Der reichste Mensch (15 Min)
- SMS-Umfrage „Was tun gegen ökonomische Ungleichheit“ (5 Min)
- Plenumsgespräch mit Visualisierung: Reiche Menschen der Welt (10 Min - Pause 10‘)
- Planspiel Unsere Wirtschaftsordnung: Kapitalismus (120 Min - Pause 60‘)
- Aufstellung: Entwicklung der Einkommensverteilung in Dtld. (30 Min)
- Kleingruppenarbeit: #unten (30 Min - Pause 15‘)
- Kleingruppenarbeit: Ideen für eine gerechtere Welt (40 Min)
- Feedback und Abschluss (20 Min)
- Puffer (30 Min)
Die Kosten belaufen sich auf €1.400.
Zur Durchführung ist es an diesem Tag nötig, dass die Schüler:innen ihre Mobiltelefone mitbringen und zur Absetzung einer Textnachricht nutzen können.
Es wäre wünschenswert auf eine Reihe schulischer Verbrauchsmaterialien wie Papier, Stifte und Schere zurückgreifen zu können.
PDF-Download: Konzept Projekttag „Woher kommen Reichtum und Armut in unserer Welt?“