Nachricht | Bibliothek Fundstücke: «Sowjet-Russland im Bild» und «Sichel und Hammer»

Organe der Internationalen Arbeiterhilfe

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Autor

Tobias Taibbi,

Die illustrierte Zeitung «Sowjet-Russland im Bild» erschien erstmals am 7. November 1921. Zwölf weitere Ausgaben folgten in monatlichen Abständen. Die «Sichel und Hammer» wurde ab dem 31. Oktober 1922 herausgegeben. Inhaltlich zeigen sich Kontinuitäten zwischen beiden illustrierten Zeitungen. Sie waren aufeinanderfolgende Organe der «Internationalen-Arbeiter-Hilfe» (IAH). In der «Sichel und Hammer» fand zunehmend eine thematische Erweiterung zu Gesellschaftskritik und Gesellschaftsanalyse statt. Diese Entwicklung zeigt sie sich auch in den Reportagen der ab 1924 erschienenen Nachfolgerin: «Arbeiter-Illustrierte-Zeitung» (AIZ). Die genannten Titel und weitere Publikationen wurden von dem Politiker, Publizisten und Verleger Willi Münzenberg herausgegeben. Die Zeitungen standen der KPD nahe und wandten sich an Arbeiter und Arbeiterinnen.

Das unscheinbare achtseitige Blättchen «Sowjet-Russland im Bild» erschien zunächst in kleiner Auflage von nicht mehr als 10.000 Exemplaren. Die Reichweite war aber deutlich größer. Nicht selten wurden gelesene Exemplare weitergereicht oder gleich gemeinsam diskutiert. Die Entstehung der «Sowjet-Russland im Bild» war unmittelbar mit der durch Krieg und Ernteausfall verursachten Hungersnot von 1921/22 im russischen Wolgagebiet verbunden. Die IAH war die Antwort auf Lenins Appell an das internationale Proletariat, Russland angesichts der Hungersnot zu unterstützen. Münzenberg gründete die IAH und auch die «Sowjet-Russland im Bild», um mit ihr für die Unterstützung Russlands zu mobilisieren. Er machte die IAH in nur kurzer Zeit zu einer Massenbewegung. Namenhafte Zeitgenossen wie Albert Einstein, Käthe Kollwitz, Arthur Holitscher, Ernst Toller und weitere unterstützten die IAH. Unter großem Aufwand wurden Sammlungen von Nahrungsmitteln und Kleiderspenden in die betroffenen Gebiete transportiert. Für Münzenberg, der Lenin aus dem gemeinsamen Schweizer Exil kannte, bedeutete die solidarische Unterstützung Russlands ein emanzipatives Moment. Der Grundgedanke war, dass vor allem das Proletariat aktiv solidarische Unterstützung leisten sollte. Die Bildberichterstattung aus den notleidenden Gebieten war durchaus schonungslos, die Fotografien zeigen Verzweiflung und Tod. Die Bilder und Texte stellen besonders das Leid der hungernden Kinder heraus. Gezielt wird eine solidarische und empathische Nähe zu den hungernden Arbeiter- und Bauernfamilien in Russland beschworen. 

Die Zeitschrift «Sowjet-Russland im Bild» stellte die neugegründete Sowjetrepublik als Ort der Möglichkeiten und als bereits existierenden Sehnsuchtsort des internationalen Proletariats dar. Nachdem die Hungersnot in Russland als weitgehend unter Kontrolle galt, verlagerte sich die Berichterstattung auf den sozialistischen Aufbau von Landwirtschaft und Industrie. Dabei sind Traktoren und besonders Lokomotiven wiederkehrende Motive, sie fungieren als Symbole für Modernisierung und Industrialisierung. Zeitgenössisch bedeutete die Lokomotive die Überwindung räumlicher und zeitlicher Begrenzungen und war Sinnbild für Kraft, Wandel und Beschleunigung.

Die «Sichel und Hammer» informierte ab 1922 weiter werbend über Sowjet-Russland und über die Tätigkeit der IAH. Sie agitierte weiterhin im Sinne einer solidarischen internationalen Arbeiterbewegung. Die sechste Ausgabe der «Sichel und Hammer» berichtet zum Beispiel vom internationalen Kampf um die Erhaltung des Acht-Stunden-Tages, das Cover zeigt eine Fotografie der Liverpooler Docks. Ein Ort, den die Leser*innen der «Sichel und Hammer» kaum selbst erleben konnten, der aber als Ort des Arbeiterkampfes zu Solidarität aufforderte. Der Untertitel der Ausgabe lautet: «Englischer Dockarbeiterstreik, die verlassenen Goule Docks in Liverpool, auf den Kanälen kein Schiff, die Krane stehen still, die Betriebe sind verlassen».

Die zwölf Ausgaben der «Sowjet-Russland im Bild» und die zwölf Ausgaben der «Sichel und Hammer» sind in der Bibliothek der Rosa-Luxemburg-Stiftung einsehbar. Die Zeitungen nutzten früh und intensiv das Medium Fotografie. Schriftlich und fotografisch macht die «Sowjet-Russland im Bild» die Unterstützung der IAH für Russland sichtbar. Die Unterstützung Russlands bei der Bewältigung der Hungersnot ging mit einer beeindruckenden Mobilisierung von Arbeitern und Arbeiterfrauen einher, die sich in der «Sowjet-Russland im Bild» nachverfolgen lässt. Willi Münzenberg erkannte, dass internationale Solidarität konstitutiv für ein proletarisches Klassenbewusstsein ist.

Heute sind nur noch wenige Exemplare von «Sowjet-Russland im Bild» [Signatur: Z 822] und «Sichel und Hammer» [Signatur: Z 824] erhalten. Die Bibliothek der Rosa-Luxemburg-Stiftung freut sich diese seltenen Zeugnisse von Krise und internationaler Solidarität in ihrer Gesamtheit der Öffentlichkeit präsentieren zu können.