Unkontrollierte Abholzung des Regenwaldes, Brände, Landraub und gewaltsame Konflikte: Das ist die Realität an den Grenzen der Bundesstaaten Acre, Amazonas und Rondônia. Im Jahr 2022 war diese Region für ein Drittel der Abholzung im ganzen brasilianischen Amazonasgebiet verantwortlich. Dort lässt sich die brutalste Seite des räuberischen Agrobusiness beobachten.
Im Januar 2021 fand die virtuelle Version des Weltwirtschaftsforums statt. Brasiliens damaliger Vizepräsident (und damaliger Präsident des Nationalen Amazonasrates), General Hamilton Mourão, kam dort mit einer Reihe internationaler Investor*innen zusammen. Sie stellten ein neues Projekt für das Amazonasgebiet vor: AMACRO (das Akronym setzt sich aus den beiden ersten Buchstaben der Bundesstaaten Amazonas, Acre und Rondônia zusammen, Anm. d. Übersetzers). Laut eigener Aussage ist es ein «Pilotprogramm zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung in einem Gebiet von 450.000 Quadratkilometern zwischen den Bundesstaaten Amazonas, Acre und Rondônia».
Verena Glass ist Projektkoordinatorin im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo.
Die Initiative wurde gemeinsam mit den Gouverneuren der drei Bundesstaaten, Wilson Miranda Lima (Amazonas, von der Partei União Brasil), Gladson Cameli (Acre, von der Partei Progressistas) und Coronel Marcos Rocha (Rondônia, von der Partei União Brasil), ins Leben gerufen. Erklärtes Ziel: «Einen Waldschutzgürtel zu schaffen, der Alternativen für die sozioökonomischen Herausforderungen der Bevölkerung bietet, die lokale Ökonomie stärkt sowie Arbeitsplätze schafft.» Ein genauerer Blick auf die Region zeigt allerdings, dass die propagierten Ziele von General Mourão und seinen Verbündeten der Realität diametral gegenüberstehen.
Die AMACRO-Region erstreckt sich über 32 Munizipien. Sie umfasst 96 Naturschutzgebiete, 53 geschützte indigene Gebiete, 374 indigene Gemeinschaften und 255 assentamentos (nach Landbesetzungen entstandene, legalisierte Siedlungen, Anm. d. Übersetzers). Besonders eine Studie sorgte für Aufsehen: Laut dem Weltraumforschungsinstitut INPE fielen im Jahr 2022 rekordverdächtige 36 Prozent der gesamten Entwaldung im brasilianischen Amazonasgebiet auf diese Region. Der Grund für diese Tragödie ist laut eines Berichtes die Ausdehnung der Landwirtschaft in der Region. Diese sei «gekennzeichnet durch unkontrollierte Waldumwandlung und eine mit jedem Jahr zunehmende Zerstörung. In den letzten vier Jahren sind die Zahlen immer weiter angestiegen, ohne sich zu stabilisieren».
Um es deutlicher zu machen: Der Rinderbestand im Bundesstaat Acre ist laut des Statistikinstituts IBGE alleine zwischen 2020 bis 2022 um acht Prozent gestiegen. Das ist der größte Zuwachs im gesamten Amazonasgebiet. 3,8 Millionen Rinder gibt es alleine in diesem Bundesstaat. In Lábrea, einer Gemeinde im Bundesstaat Amazonas, die seit drei Jahren in Folge die Entwaldungsrangliste des gesamten Bioms anführt, war der Zuwachs sogar noch stärker: Der Rinderbestand stieg von 28.000 Tieren im Jahr 2017 auf 328.000 im Jahr 2021. Im gleichen Zeitraum wuchs der Rinderbestand in Porto Velho im Bundesstaat Rondônia, dem größten Rindfleisch-Produzenten in der AMACRO-Region, von 416.000 auf 1,3 Millionen Tiere an. Bei Soja stieg die Anbaufläche in Rondônia von 280.000 Hektar im Jahr 2017 auf 489,5 Hektar im Jahr 2022, in Acre von 127 Hektar im Jahr 2017 auf 6.570 Hektar im Jahr 2022 und in Amazonas von null Hektar im Jahr 2017 auf 5.900 Hektar im Jahr 2022.
Gemeinden unter Druck
Überträgt man diese Zahlen auf die Realität der Naturschutzgebiete, der indigenen Gebiete, der traditionellen Gemeinschaften und der Kleinbauern in der AMACRO-Region, so lässt sich vor allem eine Sache beobachten: eine Explosion der Gewalt. Diese äußert sich in einem exponentiellen Anstieg von Landraub, Holzdiebstahl, illegaler Abholzung, Bränden und Landkonflikten. Laut eines Berichtes der Landpastorale CPT über «Konflikte auf dem Land» kam es allein im Jahr 2022 zu 150 Vorfällen.
Dies hat den Indigenen-Missionsrat CIMI dazu veranlasst, in Zusammenarbeit mit der Landpastorale CPT und Caritas Rondônia sowieso mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung das «Treffen über die Auswirkungen der Agrarisierung, der Entwaldung und des Bergbaus in der AMACRO-Region» einzuberufen. Es fand Mitte August in Porto Velho statt. Besonders wichtig: Es nahmen viele Vertreter*innen indigener Gemeinden teil. Aus Rondônia waren die Aikanã, Kanoe, Amondawa, Kwazá, Karitiana, Karipuna, Arara (Karo), Oro Mon, Oro Wari, Puruborá, Guarasugwe, Kassupá und Kaorowaje anwesend. Daneben nahmen auch Bauernvereinigungen und Gruppen von ribeirinhos (an Flussufer lebende Amazonas-Bewohner*innen, Anm. d. Übersetzers) teil. Aus dem Bundesstaat Acre reisten Vertreter*innen der Apurinã, Jamamadi, Jaminawa, Huni Kuī, Nukini, Nawa und Manchineri an. Die Torá, Mura, Munduruku, Tenharin und Apurinã kamen aus dem Bundesstaat Amazonas und die Bororo, Enawene Nawe, Maimandé, Myky, Rikbaktsa und Kuikuro aus dem Bundesstaat Mato Grosso.
Ausgehend von den Berichten indigener Führungspersönlichkeiten konnte eine Diagnose der aktuellen Situation erstellt werden. Indigene Vertreter*innen machten klar, dass Gewalt und Umweltverbrechen einerseits auf die mangelnde Umsetzung grundlegender staatlicher Maßnahmen wie die Ausweisung und Anerkennung indigener Gebiete in den vier Staaten zurückzuführen sind. Andererseits hängt die Situation mit Nachsicht sowie aktiver Förderung illegaler Aktivitäten durch die Behörden zusammen. Dies paart sich mit «kompensatorischen» Klimamaßnahmen der grünen Wirtschaft, wie REDD+-Projekten. Diese haben dem Bericht zufolge äußerst schädliche Auswirkungen auf die Gemeinschaften. Daneben gefährden auch Infrastrukturprojekte wie Wasserkraftwerke, Straßen und Eisenbahnen die Region und ihre Bewohner*innen.
Für uns bleibt nur die Gewalt
«Die Kohlenstoffkompensationsprojekte zerstören dort, wo sie hinkommen, die Harmonie in den Dörfern. Sie bieten einigen Leute Geld an, die werden reicher. Doch viele andere werden es nicht. Und sie sagen, dass ihnen jetzt unsere Bäume gehören. Die Infrastrukturprojekte zerstören den Frieden in den Territorien. Indem sie die Produktion und den Transport von Mineralien, Rindern und Soja erleichtern, verstärken sie den Landraub und die Abholzung der Wälder. Außerdem erleichtern sie Großgrundbesitzern die Aufzucht von Vieh und deren Export ins Ausland. Für uns bleibt nur die Gewalt», erklärt ein Anführer der Huni Kui aus dem Bundesstaat Acre.
Indigene Gemeinde Karipuna: Beispiel einer Tragödie
Die rund 100 Kilometer von Porto Velho entfernte indigene Gemeinde Karipuna wurde 1998 auf 153.000 Hektar als Schutzgebiet ausgewiesen. Heute ist sie eine der am stärksten zerstörten Gebiete des Bundesstaates. Einem Bericht der «Beobachtungsstelle BR 319» zufolge war sie im Jahr 2022 auch die am stärksten entwaldete der 69 indigenen Gebiete, durch die die Bundesautobahn BR 319 läuft. In Zusammenarbeit mit Greenpeace veröffentlichte der Indigenen-Missionsrat CIMI einen Bericht mit dem Titel «Gewalt gegen indigene Völker 2022». Es konnte aufgedeckt werden, dass mindestens 31 private Grundbucheinträge sich mit dem indigenen Land überschneiden. Diese decken 2.600 der 153.000 Hektar des Karipuna-Landes ab. Dieselbe Recherche ergab, dass von Oktober 2020 bis Oktober 2021 insgesamt rund 850 Hektar des Gebietes illegal abgeholzt wurden.
Wir haben seit Jahren mit Landraub und Holzdiebstahl zu kämpfen
Um zu der kleinen Gemeinde zu gelangen, in der die Karipuna an den Ufern des Formoso-Flusses leben, durchquert man riesige abgeholzte Flächen, auf denen weiße Rinder weiden. Einige Minuten vom Dorf entfernt ist ein Schild an einen Baum genagelt. «Bitte rühren Sie mein Holz nicht an», steht darauf. Die Botschaft eines Holzfällers.
«Wir haben seit Jahren mit Landraub und Holzdiebstahl zu kämpfen, nichts hat sich geändert», erklärt Häuptling André Karipuna. Im Mai dieses Jahres führte die Bundespolizei eine Operation im indigenen Gebiet durch. Dabei konnten zwölf Abholzungsstandorte sowie 20 Holzfäller- und Sägewerksbetriebe in der Nähe des indigenen Gebiets ermittelt werden. Mehr als 7.400 Kubikmeter Holz wurden beschlagnahmt, ein Verdächtiger wurde verhaftet und 14 Unternehmen wurden geschlossen. Aber die Operation löste das Problem nicht, meint André Karipuna. «Unser Gebiet wird immer noch von Landräubern heimgesucht, ganz zu schweigen von den Bedrohungen, denen wir täglich ausgesetzt sind. Wir alle hier sind bedroht. Es wurden noch keine Maßnahmen ergriffen, um das Problem zu lösen», sagt der Häuptling.
Für Luis Ventura, stellvertretender Sekretär des Indigenen-Missionsrates CIMI, ist das geographische Konzept von AMACRO «nichts anderes als eine neue Regionalisierung des Kapitals». Für ihn hat das Vordringen des Kapitals in das Innere des Amazonasgebietes verschiedenen Facetten: Agrobusiness, Abholzung, Landnahme, Bergbau, große Infrastrukturprojekte wie Straßen und Staudämme und, besonders intensiv in den letzten Jahren, die sogenannte «grüne Wirtschaft». «Wir sind im Dialog mit anderen Organisationen wie der CPT und Caritas, vor allem aber mit den indigenen Gemeinschaften. Wir versuchen zu verstehen, welche Auswirkungen dieser Vormarsch des Kapitals hat, und vor allem, welche Möglichkeiten des Widerstandes es für die indigenen Völker gibt.»
Übersetzung aus dem Portugiesischen: Niklas Franzen
Zum Weiterlesen:
- Original-Artikel in portugiesisch auf der Website der RLS Brasilien und Paraguay
- Abschlussdokument des «Treffens über die Auswirkungen der Agrarisierung, der Entwaldung und des Bergbaus in der AMACRO-Region» (auf Portugiesisch)
- Mehr Fotos von der Veranstaltung auf Google Fotos (Fotos: Verena Glass)