Nachricht | Deutsche / Europäische Geschichte - Afrika «How Europe underdeveloped Africa»

Bafta Sarbo über die Neuübersetzung des Klassikers von Walter Rodney

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Bafta Sarbo,

Ende November erschien eine Neuübersetzung des Buches «How Europe underdeveloped Africa». Worin liegt aus Deiner Sicht die Notwendigkeit einer Neuübersetzung und woraus speist sich die Aktualität von Rodneys Buch?

Eine neue Übersetzung ist schon lange überfällig, denn die alte Übersetzung war in vielerlei Hinsicht nicht ausreichend. Abschnitte waren beispielsweise nicht mit dem entsprechenden marxistischen Vokabular übersetzt. Vor allem der Titel der alten Übersetzung macht es sehr offensichtlich, dass es eine Verzerrung gibt, denn er heißt «Afrika. Die Geschichte einer Unterentwicklung». Entwicklung und Unterentwicklung sind bei Rodney ein Verhältnis, bei dem das eine das andere bedingt. Beim alten Titel gibt es plötzlich kein Europa, das zur afrikanischen Unterentwicklung in Beziehung steht. Es wirkt fast so, als ob Unterentwicklung in Afrika ganz allein wie ein Automatismus passiert wäre, ohne das Zutun Europas.

Ende November erschien im Manifest-Verlag die Neuübersetzung von Walter Rodneys‘ Klassiker «How Europe underdeveloped Africa». Andreas Bohne sprach mit Bafta Sarbo, die ein Kapitel in der Übersetzung beitrug, über die Aktualität des Buches. Bafta Sarbo ist Sozialwissenschaftlerin und Autorin. Mit Eleonora Roldan Mendivil gab sie 2022 den Sammelband «Die Diversität der Ausbeutung. Zur Kritik des herrschenden Antirassismus» heraus.

Die Buchpremiere findet am 11.12.2023 in Berlin statt.

1973 erschien die erste Übersetzung. Polemisch könne man sagen, das Buch dient weiterhin als eine Kritik der politischen Ökonomie, d.h. der Analyse einer kapitalistischen Gegenwart, wo Produktionsmittel unterschiedlich verteilt sind. Jedoch leben wir nicht mehr in der gleichen (kapitalistischen) Welt am Anfang der 1970er Jahre, u.a. weil die Krisen multipler und häufiger auftreten, oder der Kapitalismus - Stichwort Finanzkapitalismus - anders auftritt. Wie kann Rodneys Buch hier zur Analyse beitragen?

Das stimmt und das sind Faktoren, die Rodney selbst in späteren Texten immer wieder aufgreift. Das Buch ist zu einer Zeit geschrieben, in der viele afrikanische Länder erst jüngst dekolonisiert wurden und einige – wie z.B. Angola - noch nicht unabhängig waren. Ich würde behaupten, dass das Buch auf der einen Seite sogar jetzt seine Botschaft besser entfalten kann, da es knapp 50 Jahre später klarer als je zuvor ist, dass die Probleme von Afrikas Unterentwicklung vor allem ökonomisch waren und auch nach dem formalen Ende des Kolonialismus nicht gelöst wurden. Der kapitalistische Weltmarkt besteht schließlich weiterhin. Andererseits haben sich heute vor allem andere Erklärungen für die Lage Afrikas durchgesetzt, die den Kapitalismus nicht benennen wollen, sondern einseitig apolitisch korrupte Regierungen oder schlechtes Regieren beklagen.

Insbesondere in den letzten Jahrzehnten sind Analysen zum Imperialismus in den Hintergrund einer Kapitalismuskritik im Westen gerückt. Dass aber die Klassenstruktur in Afrika und in anderen Ländern außerhalb des Westens nicht die gleiche ist, wissen viele nicht mehr. Um das nachzuvollziehen ist Rodney ein wichtiger Einstieg.

Nun thematisiert Rodney eines der umstrittensten Paradigmen der postkolonialen Diskussion, die der «Entwicklung» und «Unterentwicklung»? Denn wer formuliert, wer bestimmt was «Entwicklung» ist, ist umstritten? Tritt Rodney hier in eine Falle oder denkst Du, dass diese Kategorien trotzdem weiterhin leitend für die Analyse sein sollten?

Rodney spricht sehr bewusst von «Entwicklung» und «Unterentwicklung». Diese Begriffe wurden heute weitestgehend diskreditiert, aber eigentlich verschleiert der Begriff «Entwicklungsländer» die eigentlichen Zusammenhänge auf dem Weltmarkt. Rodney unterscheidet zwischen allgemein menschlicher Entwicklung, die es in Afrika wie überall auf der Welt gegeben hat, und Entwicklung im Kapitalismus. Die kapitalistische Entwicklung in Europa ist direkt verknüpft mit Unterentwicklung in Afrika, das heißt sie bedingen sich gegenseitig. Hier von Entwicklungsländern zu sprechen wäre irreführend, weil der Begriff für die Länder Afrikas impliziert, dass sie sich noch entwickeln werden. Eine nachholende Entwicklung Afrikas, die es auf das ökonomische Level Europas bringt, bei dem alle Länder weltweit auf einem Niveau produzieren und handeln, ist nach Rodney aber überhaupt nicht möglich.

Aus meiner Sicht wird Rodney überwiegend rein ökonomisch gelesen. Ich würde die These aufstellen, dass Lesen unter intersektionalen Verständnis interessanter wäre. Denn bei Rodney gehen Ausbeutungsverhältnisse mit Sozialchauvinismus und Rassismus wie Hierarchisierung von Arbeit einher? Wie siehst Du das?

Ich denke das kommt darauf an, wo er rezipiert wird. Viele Afrikaner*innen in seiner Generation und auch danach haben das Buch im Kontext von Rodneys Intention gelesen. Ihm ging es um Selbstermächtigung für Afrikaner*innen, die ihre eigene Lage begreifen sollten, um damit politisch für Selbstbestimmung zu kämpfen. Es ist also gewissermaßen eine Antwort auf die rassistische Abwertung, die kolonisierte und ehemals kolonisierte Menschen erfuhren.

Eine von Rodneys‘ Kernaussagen ist, dass die europäische Wirtschafts- und Lebensqualität auf der Ausbeutung Afrikas beruht. Jedoch im Verständnis des Nordens besteht – weitergesponnen - die Illusion und Ignoranz, beides beruhe auf der eigenen Leistung. Wie also ein Umdenken bewirken?

Einerseits durch Aufklärung, wie dieses Buch, das aufzeigt, was die wirklichen Ursachen dieser Ungleichheit sind. Andererseits braucht es aber auch politische Kräfte die relevant genug sind, um auf diese Wahrheit auch unter die Leute zu bringen. Das heißt konkret ohne politische Organisierung, als rein akademische oder theoretische Kritik, funktioniert das nicht.

Würdest Du den Kritikpunkt gelten lassen, dass Rodney zwar eine gründliche Analyse mit dem Buch vorlegt, aber zu seinen Vorstellungen einer Wirtschaftsordnung schweigt – und das in Jahren, wo z.B. viel über «Dependenztheorien» gesprochen wurden?

Das würde ich nicht sagen. Rodney hat sich in seiner Politisierung und sein ganzes Leben hindurch mit sozialistischen Revolutionen weltweit auseinandergesetzt und sich beispielsweise immer wieder positiv auf die russische Revolution und auf Kuba bezogen.

Ein Blick in die Glaskugel. Rodney schrieb das Buch im tansanischen Dar-es-Salaam während der Ujamaa-Zeit und in Anbetracht der Unabhängigkeitskämpfe in Angola und Moçambique. Was denkst Du, würde er einen ähnlichen Text 50 Jahre später nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte schreiben?

Rodney schrieb den Text damals in Dar Es Salaam, Tansania zu einer Zeit, als man sich dort am afrikanischen Sozialismus versuchte. Während es zwar nicht Rodneys marxistischem Anspruch entsprach, war dort eine politische Atmosphäre, die es zum Mekka der afrikanischen Befreiung machte. Intellektuelle und Aktivist*innen aus Afrika und der Diaspora sahen dort einen wichtigen Anhaltspunkt, afrikanische Befreiungsbewegungen hatten dort Büros und Trainingslager und es kamen Besuche wie von vietnamesischen Delegationen. Er lehrte an der Universität und das Buch entstand auch in dem Versuch seine marxistisch politisierten Studierenden mit der Anwendung einer marxistischen Analyse für Afrika vertraut zu machen. Das ist ein relativ einzigartiger politischer Kontext.

Heute könnte dieses Buch so wahrscheinlich gar nicht entstehen, denn der Rahmen ist ein anderer. Das könnte man aber wahrscheinlich über jedes Buch so sagen, das marxsche Werk ist auch ohne die Arbeiterbewegung und seine philosophischen Bezüge kaum vorstellbar. Der Niedergang der Sowjetunion war für die globale Linke ein Punkt, der die Ausgangslage global verändert hat. Heute gibt es weder erfolgreiche Revolutionen noch eine präsente Arbeiterbewegung. Länder, wie die USA spielen global und in Afrika eine wichtige Rolle und Institutionen wie der Internationale Währungsfond oder die Weltbank, aber auch die EU, spielen eine tragende Rolle was die Ausbeutung Afrikas angeht. So etwas verändert natürlich die Kampfbedingen innerhalb der Länder - aber auch außerhalb.