Nachricht | Geschichte - Soziale Bewegungen / Organisierung - Mexiko / Mittelamerika / Kuba 30 Jahre Aufstand, 40 Jahre Zapatismus

...und eine nicht enden wollende Transformation, die international inspiriert

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Interkontinentales Treffen 1996 im lakandonischen Urwald, Mexiko: Delegation von Zapatistas aus einem Dorf in Chiapas
Interkontinentales Treffen 1996 im lakandonischen Urwald, Mexiko: Delegation von Zapatistas aus einem Dorf in Chiapas Foto: Bärbel Högner, Berlin

Als «erste Revolution des 21. Jahrhunderts» galt die Rebellion der Zapatistas im mexikanischen Bundesstaat Chiapas der Frankfurter Rundschau schon im Mai 1994. Der Aufstand platzte in eine Zeit, die als Sieg des Kapitalismus, ja sogar als «Ende der Geschichte» diskutiert wurde. Davon unbeirrt riefen die Zapatistas «Ya basta! – Es reicht!» und schrieben Passagen wie:

«Es gilt, nicht die Formel zu wiederholen, es sei notwendig, die Macht zu ergreifen, um die Welt zu verändern, und dann in der Macht fangen wir an, die Welt besser zu führen, das heißt so wie ich, der ich an der Macht bin, finde, dass sie besser wäre. Sondern es kommt darauf an, eine Welt zu schaffen, [...] in die viele Welten passen, so viele Welten wie nötig sind, damit jeder Mann und jede Frau ein Leben in Würde führen kann und alle ihren eigenen Begriff von Würde leben können. Wenn wir nicht mehr versuchen als das alte müde Rad der Geschichte zu drehen, kommen wir wieder an, wo wir hergekommen sind».

Neu war auch, dass die Zapatistas die klassische Solidarität »mit ihnen« ablehnten. Mit einer Spende an die streikenden Fiat-Arbeiter* in Turin hatte ihr Sprecher Subcomandante Marcos das traditionelle Verhältnis ironisch umgedreht.Stattdessen riefen sie zu einer gleichberechtigten Vernetzung der Widerständigkeiten auf.

Heutzutage wählen die Zapatistas Formulierungen wie «eine Welt, wo jede*r ist, die*r si*er ist» – und zeigen (nicht nur) damit, dass ihre stete Bereitschaft zur Erneuerung durch ein Voneinanderlernen die gleiche geblieben ist.Was jedoch den Zapatismus aus heutiger Sicht zusätzlich besonders macht, ist, dass er weder an Kraft verliert noch sich entradikalisiert. Er wird nicht korrupt und er tötet auch nicht seine Kinder. Der uruguayische Theoretiker Raúl Zibechiurteilt darum in der mexikanischen linken Tageszeitung La Jornada: «Aus all diesen Gründen können wir 30 Jahre nach dem ‚Ya basta!‘ sagen, dass der Zapatismus weiterhin die Welt verändert, die neue Welt schafft und sie verteidigt».

Es war die Neujahrsnacht 1994, als das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA in Kraft trat. Große Teile der indigenen Bevölkerungvon Chiapas besetzten die lokalen Städte. Doch dies war mehr als ein Protest gegen den Neoliberalismus, der u.a. die Privatisierung der 1910 von der mexikanischen Revolution unter Emiliano Zapata erkämpften Allmenden wieder ermöglichen sollte. Viele Zapatistas befreiten sich hierdurch erst von den einer Leibeigenschaft ähnlichen Lebensverhältnissen als Landarbeiter*innen. Damit war ihr Aufstand auch weit mehr als ein Zeichen. Zumalsie zeitgleich ihre Autonomie verwirklichten.

Zum Inbegriff eines neuen Politikansatzes wurde die Erhebung, deren anfänglich brutale Niederschlagung inklusive Bombenangriffen nationale und internationale Proteste auslöste, insbesondere durch die Comunicados von Subcomandante Marcos. Dieser beschrieb sich als letzter einer kleinen Gruppe von Städtern, die zehn Jahre zuvor in den Urwald gekommen waren, um dort zu agitieren. Was daraus entstand, sei ein «choque» gewesen, ein Zusammenstoß des Denkens. Sie seien auf Menschen getroffen, die sich durch die maoistische Rhetorik weder abschrecken noch beeindrucken ließen, sondern in einen Prozess des Austausches traten. Daraus sei ein neuer Diskurs entstanden: der Zapatismus. Allerdings zeichnete sich bereits in vielen Winkeln der Welt ein ähnliches neues Politikverständnis ab; über sogenannte «Intergalaktische Treffen» fanden diese ab 1996 zueinander. Daraus entstand die Vernetzung Peoples Global Action, welche mit den Protesten gegen die Wirtschaftsgipfel begann.

Neu war nicht zuletzt, dass nicht nur die Kämpfe gegen Kapitalismus zählen, sondern alle, gegen jedes Herrschaftsverhältnis. Dass das auch durch die eigenen Reihen gehen kann, zeigte eine interne Rebellion der zapatistischen Frauen für ihre Rechte schon vor dem Aufstand. Denn dieser war alles andere als spontan. Am 17. November 2023 jährte sich der 40. Jahrestag der Gründung der EZLN, der ‚Zapatistischen Nationalen Befreiungsarme‘, wie das Kürzel übersetzt und ausgeschrieben hieße.

Anlässlich dieser doppelten runden Jubiläen veröffentlichen die Zapatistas Ende 2023 eine «Lawine» (John Hollowayu.a.) von Comunicados – und sorgen damit für viel Diskussion innerhalb der Solidaritätsbewegung. Es werden nicht ganz einfach nachvollziehbare Veränderungen der Selbstverwaltungsstrukturen angekündigt. Die Zapatistischen Rebellischen Autonomen Landkreise (MAREZ) und die Räte der Guten Regierung (JBG) werden aufgelöst: Wohl kam es zum «Stille Post»-Effekt im bislang pyramidenartig, nur auf den Kopf gestellten Entscheidungssystem, nach welchem die Organe der ‚Guten Regierung‘ «gehorchend befehlen». Und ja: Es ist auch von vereinzelter Korruption die Rede. Nun werden diese jeweiligen regionalen höheren Instanzen aufgelöst. Die Selbstverwaltung soll von der jeweiligen lokalen Basisgemeinde aus geschehen. Mehr Dezentralität also. Eine Stärkung der Basis aufgrund der gemachten Erfahrungen. Es dient jedoch wohl auch dem Schutz der Zapatistas, keine offiziellen Vertretungen mehr zu haben.

Einfache Zeiten gab es für die Zapatistas nie. Immer waren sie belagert, immer fuhren Militärs durch ihre Dörfer, nie waren sie sicher vor Gewaltübergriffen durch insbesondere Paramilitärs. Ihr Gebiet stellt keine isolierte autonome Zone dar; viele der Dörfer sind gespalten in Zapatistas und andere. Diese anderen werden von der Regierung finanziell begünstigt.

In den letzten zehn Jahren wurde jedoch auch der Drogenkrieg zu einem immer größer werdenden Problem. Vor Entführungen ist in ganz Mexiko zumindest kein*e Migrant*in sicher. Vom Norden in den Süden sich ausbreitend, sind den Drogenkartellen die selbstverwaltenden Strukturen der Zapatistas im Weg. Auch die Militarisierung nahm entsprechend weiter zu. Doch der durch keine politischen Überlegungen gehemmten Gewalt dieser ‚Narcos‘ sind die Zapatistas auf neue Art brutal ausgesetzt. Die sogenannten Caracoles, eine Art soziale Zentren, wurden zu Zielscheiben und werden nun als öffentliche Kontaktstellen aufgegeben. Selbst Menschenrechtsbeobachtungen wurden zu gefährlich. So laden die Zapatistas zu den diesjährigen Feierlichkeiten gleichzeitig ein – und raten davon ab, zu kommen.

Neu ist in den Comuncados auch, dass Marcos wieder ‚lebt‘. 2014 war er eines symbolischen Todes gestorben und durch Subcomandante Galeano ersetzt worden. Hatte das ‚Sub‘ vorm ‚comandante‘ bereits davon zeugen sollen, dass Marcos den indigenen Comandantes unterstellt war, so war diese Transformation ein nochmaliger Versuch gewesen, aus dem Fokus der (Medien-)Wahrnehmung zu gelangen. Sub Galeano sprach und schrieb nicht viel. Am meisten lesen konnte man von ihm im Vorfeld der «Reise für das Leben» im Jahr 2021, als über 170 Zapatistas über Monate hinweg den europäischen Kontinent bereisten. In Kleingruppen aufgeteilt, besuchten diese hiesige Projekte und Bewegungen, um von ihnen zu lernen, wie es hieß. Und ihre eigenen Erfahrungen weiterzugeben. So ungleich die Bedingungen sind – sich auszutauschen zum Beispiel über Praktiken der Transformative Justice, also Praktiken des Umgangs mit Gewalt- und anderen Vergehen in den eigenen Reihen, war durchaus bereichernd.

Dass nun der Sub Galeano im Laufe der aktuellen Comunicado-Reihe literarisch dahinschied, wie von einem «Capitán Marcos» zu lesen war, könnte auch weniger politisch begründet sein, als schlicht darin liegen, dass die Person, von der immer noch als Marcos gesprochen wurde, sich auch gerne wieder so nennen mag. Capitán heißt Hauptmann und bedeutet in diesem Sinne wieder eine symbolische Degradierung. Wobei Capitán aber auch die Person sein kann, die das Sagen hat – dies aber ist vielleicht nur eine unfreiwillige Ambivalenz.

Auch Raúl Zibechi betont, dass der Zapatismus unsere Vorstellung davon, wie die Welt zu verändern ist, verändert hat. Statt uns auf Daten und Orte zu konzentrieren, sei der Beginn der Transformation vielleicht gar nicht zu datieren, und ende bestenfalls nie. In diesem Sinne geht es im dritten Comunicado der aktuellen Reihe um Deni. Deni war eine Compaňera, die getötet wurde, als es die Zapatistas eigentlich noch gar nicht gab. Deni ist jetzt eine Compaňera, die nach dieser benannt wurde. Und bekommt sie eine Tochter oder eine Nachfolgerin, so folge Denilita, und dann Denilitilla und dann Denilititilla etc. Und für sie alle gelte es zu kämpfen. Heute.

Tipps zum Weiterlesen

https://www.ya-basta-netz.org/comunicados-der-zapatistas.

Friederike Habermann: Geschichte wird gemacht. Etappen des globalen Widerstands, aus der Reihe ´Bibliothek des Widerstands´, Hamburg 2014.

Inés Durán Matute, John Holloway, Karla Sánchez Félix: Was machen die Zapatistas? Die neuen Kommuniqués, in: Contraste. Zeitung für Selbstorganisation, Ausgabe Januar 2024.

Luz Kerkeling: Kleine Geschichte des Zapatismus. Ein schwarz-roter Leitfaden, Münster 2011.

REDaktion: Chiapas und die Internationale der Hoffnung, Köln 1996.

Raúl Zibechi: México: Zapatistas 40 años construyendo autonomía