Nachricht | Kapitalismusanalyse - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Koalition ohne Fortschritt Zwangsjacke Schuldenbremse

Die Ampelkoalition blockiert den notwendigen Umbau

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Paul Michel,

Die Fraktionsmitglieder der hessischen Partei Die Linke halten am 15.12.2010 im Landtag in Wiesbaden Plakate mit der Aufschrift "Schuldenbremse heißt Sozialabbau" hoch.
«Mit Hilfe der Schuldenbremse lässt sich jetzt als Sachzwang verkaufen, was in Wirklichkeit Ausgeburt des neoliberalen Weltbildes ist, das die Bereicherung der Kapitaleigner zum Maß allen Handelns macht.»
Manche wussten das schon damals ... Protest der hessischen Linksfraktion am 15.12.2010 im Landtag in Wiesbaden, Foto: picture alliance / dpa | Fredrik Von Erichsen

Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. November 2023 einer Klage von 197 Abgeordneten der CDU/CSU stattgegeben. Es erklärte die von der Ampelkoalition vorgenommene Umschichtung von 60 Milliarden Euro aus einem aufgrund der Covid-19-Pandemie geschaffenen «Sondervermögen» in den Klima- und Transformationsfonds für verfassungswidrig. 

Sondervermögen, zu denen auch der Klima- und Transformationsfonds zählt, werden vor allem durch Staatsanleihen finanziert und sind offiziell außerhalb des Staatshaushalts angesiedelt. Sie wurden im letzten Jahrzehnt von Regierungen in unterschiedlicher Zusammensetzung häufiger genutzt, um die engen Regularien der Schuldenbremse zu umgehen. Allerdings hatte es bis dahin keine Klage einer im Bundestag vertretenen Partei gegen solche Schattenhaushalte gegeben. Es galt: Wo kein Kläger, da kein Richter.  Das Bundesverfassungsgericht lehnte in seinem Urteil vom 15. November Schattenhaushalte nicht per se ab. Solche Ausnahmeregelungen sind bei der Schuldenbremse ausdrücklich vorgesehen. Aber eben nur in Ausnahmefällen und wohl begründet. Die von der Ampel gelieferte Begründung sei ungenügend, urteilte das Verfassungsgericht jetzt. Offenbar war die Ampelkoalition handwerklich hier ziemlich schlampig zu Werke gegangen.

Paul Michel ist aktiv im «Netzwerk Ökosozialismus».

Die Erfindung der Schuldenbremse

Die Schuldenbremse wurde am 29. Mai 2009, unmittelbar nach der weltweiten Finanzkrise unter Federführung einer großen Koalition verabschiedet. Damals  war es der Großen Koalition gerade mit Mühe und Not und viel Glück nach der Pleite der Hypo-Real-Estate (HRE) gelungen, den drohenden Zusammenbruch des gesamten Finanzsektors abzuwenden. Die Rettung privatwirtschaftlicher Pleitiers durch die öffentliche Hand hatte allerdings in der Bundesrepublik, wie in vielen anderen Industriestaaten, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte dramatisch in die Höhe getrieben. Das Vertrauen der Kapitalanleger in die Zahlungsfähigkeit des Staates musste also gestärkt werden, dem sollte die Einführung der Schuldenbremse dienen.

Diese neoliberale Zwangsjacke der Haushaltspolitik kann nur durch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag wieder abgeschafft werden.

Künftig, so das Ziel der Bundesregierung, sollte in «normalen Zeiten» nur noch eine Neuverschuldung von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erlaubt sein. Ausnahmen sollte es nur noch unter besonderen Umständen geben. Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück gelang es, die Schuldenbremse per Zweidrittelmehrheit im Grundgesetz zu verankern. Das hatte zur Folge, dass nun eine fundamentalistisch-neoliberale Spielart der Haushaltspolitik Verfassungscharakter bekam. Diese neoliberale Zwangsjacke der Haushaltspolitik kann nur durch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag wieder abgeschafft werden – was bedeutet, dass sie auf parlamentarischem Weg nur noch ganz schwer zu revidieren ist. Mit Hilfe der Schuldenbremse lässt sich jetzt als Sachzwang verkaufen, was in Wirklichkeit Ausgeburt des neoliberalen Weltbildes ist, das die Bereicherung der Kapitaleigner zum Maß allen Handelns macht. Die Regierung hat damit paradoxerweise ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten – und die der künftigen Regierungen – drastisch eingeschränkt.

Am deutschen Wesen soll die Welt genesen

Die Bundesregierung schaltete bereits im Frühjahr 2009, früher als alle anderen Regierungen, von einer Politik hoher Staatsausgaben zur Krisenbewältigung auf harten Sparkurs um. Sie machte sich sofort daran, den anderen Ländern in der Europäischen Union diese Politik aufzuzwingen. 2012 verständigten sich die Mitgliedstaaten der EU (mit Ausnahme Großbritanniens und der Tschechischen Republik) auf den Europäischen Fiskalpakt, der ähnliche Regelungen wie die Schuldenbremse in Deutschland vorsah. Die Strukturanpassungsprogramme, die in den am stärksten von der Finanzkrise betroffenen Ländern wie Griechenland, Portugal und Irland umgesetzt wurden, erinnerten an die Programme, die der Internationale Währungsfonds und die Weltbank den Ländern des Globalen Südens in den 1980er Jahren aufgezwungen hatten. Dabei legten Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble bisweilen ein derart imperiales Gebaren an den Tag, dass sie in den anderen Ländern Europas zu Hassfiguren wurden. Ihren schamlosen Höhepunkt fand die deutsche Erpressungspolitik im Jahr 2015, als Merkel und Schäuble die griechische Syriza-Regierung ihrem Diktat unterwarfen.

In gewisser Weise war die Situation aber paradox: Die Bundesregierung verzichtete darauf, in der BRD, wo im Gefolge der Finanzkrise die Staatsverschuldung ebenfalls massiv angestiegen war, ein ähnliches Sparprogramm umzusetzen. Das konnten sie sich leisten, weil die deutsche Volkswirtschaft im Vergleich zu anderen Ländern recht gut dastand und über einen Spielraum für Zugeständnisse an die Lohnabhängigen verfügte. Die deutsche Exportwalze rollte in den Jahren vor und nach der Finanzkrise über Europa hinweg und konkurrierte die Industrie von Ländern wie Italien oder Frankreich nieder. Während in Deutschland die industrielle Substanz weitgehend erhalten wurde, hatten Italien und Frankreich mit einem Prozess der Deindustrialisierung zu kämpfen. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Umgang mit der Pleite der HRE nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Dennoch galt Deutschland bei internationalen Anlegern als «Safe Heaven». Die Bundesregierung musste daher für die Aufnahme von Krediten viel niedrigere Zinsen zahlen als die anderen Länder.

Zu Zeiten der Kohl-Regierung lagen der Spitzensteuersatz und die Steuern auf Unternehmensgewinne deutlich höher als heute.

Der deutschen Bevölkerung blieb also zu großen Teilen die neoliberale Rosskur erspart, mit der im Rest Europas oder in den USA die Menschen geplagt wurden. Die Bundesregierung bekam für ihren Kurs als Zuchtmeister Europas in der eigenen Bevölkerung großen Zuspruch. Angestachelt durch Äußerungen des politischen Führungspersonals schwappte eine Welle nationaler Arroganz durch das Land, deren Kernbotschaft war: Wir Deutschen sind eben fleißiger und schlauer als andere. Besonders gegenüber den Griechen zeigte der deutsche Boulevard seine hässliche Fratze.

Schuldenbremse plus neoliberale Steuerpolitik: Institutionalisierte Privilegierung der Reichen

Die Schuldenbremse wirkt besonders problematisch in Kombination mit der von FDP-Finanzminister Lindner vertretenen Steuerpolitik. Er betont, es dürfe keine Steuererhöhungen geben – eine Botschaft klar klassenpolitischer Art. Gemeint sind natürlich Steuererhöhungen für Reiche und Unternehmen. Dabei waren es die üppigen Steuergeschenke an die kleine vermögende Minderheit, die in den letzten Jahrzehnten mehrfach Löcher in den Staatshaushalt gerissen und zu einer höheren Verschuldung beigetragen haben. Zu Zeiten der Kohl-Regierung lagen der Spitzensteuersatz und die Steuern auf Unternehmensgewinne deutlich höher als heute. Wären die Steuern auf dem Niveau der Zeit der Kohl-Regierungen, würde der Fiskus jährlich 45 bis 50 Milliarden Euro mehr in der Kasse haben. Durch staatlich begünstigte Steuerhinterziehung wie die bewusste personelle Unterbesetzung der Finanzämter, den Mangel an Steuerfahndern und eine Politik der gezielten Verhinderung von Betriebsprüfungen gehen nach Schätzung des Politmagazins Monitor jährlich 70 Milliarden Euro an Steuern verloren.

Lindners Sicht der Staatsausgaben hat ebenfalls eine klassenpolitische Komponente. Die Krankenversicherung, Pflegeversicherung oder Rentenversicherung sind für Lindner Bereiche «mit besonders starkem Ausgabenwachstum». Hier kann und soll gekürzt oder gestrichen werden. Lindner spricht davon, dass die aktuellen Kürzungen «nur ein erster Schritt zu einer strukturelleren Lösung seien», um «die Steigerung der Sozialausgaben unter Kontrolle zu bringen». Sinn der Schuldenbremse ist, hier einen Riegel vorzuschieben.

Nun zu dem, was für Christian Lindner «gute Ausgaben» sind. Gute Ausgaben im Staatshaushalt sind solche, die Wachstum, Investitionen und Innovationen bei der Industrie fördern, die helfen, die Kapitalrendite zu steigern. Er sieht seine Aufgabe darin,  private Investitionen zu fördern, indem er dafür sorgt, dass Investor*innen eine höhere Rendite in Aussicht gestellt wird. Diese Rendite muss «wettbewerbsfähig» sein, also sich an den Renditen anderer Standorte messen, mit denen man in Konkurrenz steht. Standortpolitik als Konkurrenz um die höchste Rendite lautet Lindners Ansage.

Natürlich  sollen die Steuern (gemeint sind hier die Steuern für Unternehmen und Begüterte) nicht steigen, sondern eher sinken, da «die steuerlichen Rahmenbedingungen über ihren Einfluss auf Gewinnerwartungen die Entscheidungen der Unternehmen für Investitionen beeinflussen». Sparsamkeit heute soll die «fiskalischen Spielräume» eröffnen, um unter anderem den «Körperschaftsteuersatz auf ein international attraktives und damit wettbewerbsfähiges Niveau zu senken».

Rüstung: Mehr als genug geht immer

Bei allen möglichen Posten hat die Bundesregierung nach dem Verfassungsgerichtsurteil den Rotstift angesetzt. Nur der Rüstungsetat ist außen vor. Der Bundeskanzler hat der Bundeswehr dauerhaft höhere Zuwendungen zugesichert. Durch die Erklärung von Militärminister Pistorius, dass das Land «kriegstüchtig» werden müsse, wird das noch bekräftigt. Die Bundeswehr soll im kommenden Jahr 1,7 Milliarden Euro mehr erhalten, wodurch der offizielle Haushalt auf 51,8 Milliarden Euro ansteigt. Hinzu sollen 2024 noch 19,2 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen der Bundeswehr kommen. Zusammen mit den Ausgaben, die von den sog. NATO-Kriterien erfasst werden (unter anderem die Kosten für Waffenlieferungen an die Ukraine), sollen 2024 damit erstmals zwei Prozent des BIP für Militärausgaben aufgewendet werden – nach den April-Schätzungen des IWF wären das 84 Milliarden Euro.

Auch um sicherzustellen, dass der Krieg in der Ukraine fortgesetzt werden kann, greift die Bundesregierung tief in die Tasche. Die BRD hat bisher etwa 18 Milliarden Euro an Rüstungsgütern für die Ukraine bereitgestellt. Sie ist damit der zweitgrößte Ausstatter des ukrainischen Militärs nach den USA. Die Bundesregierung will alleine für das kommende Jahr die Militärhilfe für die Ukraine von vier auf acht Milliarden Euro verdoppeln.

Kollateralschäden marktradikaler imperialer Politik in Zeiten des Klimawandels

Aus den bisherigen Ausführungen mag mensch den Eindruck bekommen, als sei die marktradikale Position der Freunde der Schuldenbremse und der «schwarzen Null» die authentische kapitalistische Position. Es finden sich zur Zeit jedoch zahlreiche Klagen aus dem Lager des Kapitals, dass die reine Lehre der neoliberalen Hardliner den Problemen, die die kapitalistische Wirtschaft aufwirft, nicht gerecht wird. Investitionen in die Infrastruktur von morgen würden dadurch verhindert. Häufiger findet sich die Aussage, der deutsche Staat habe sich mit seiner im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse in seiner Handlungsfähigkeit selbst beschnitten.

In einer gemeinsamen Studie des arbeitgebernahen «Instituts der deutschen Wirtschaft» (IW) und des gewerkschaftsnahen «Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung» (IMK) wird beklagt, wie drastisch im letzten Jahrzehnt der Rückgang der öffentlichen Investitionen war und wie schlimm die dadurch entstandenen Infrastrukturdefizite sind.

Der Verfall der Verkehrsinfrastruktur, von Straßen, Brücken und Bahnhöfen gibt immer wieder Anlass zur Klage. Gleiches gilt für das permanent schlechte Abschneiden der BRD bei den PISA-Tests. Für unternehmernahe Kreise ist das ein Anlass, die Gefahr möglicher Wettbewerbsnachteile für die deutsche Industrie an die Wand zu malen.

Renommierte Ökonomen aus unterschiedlichen politischen Lagern stimmen in die Klage über die negativen Folgen von zu geringen Investitionen in die Infrastruktur mit ein. Marcel Fratscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), beklagt dass Straßen oder Brücken seit Jahrzehnten verfallen, weil der Staat zu wenig in die Infrastruktur investiert. Die BRD hat seiner Meinung nach mittlerweile eine der schlechtesten Infrastrukturen in Europa. Das gleiche gelte für den Ausbau der Energieinfrastruktur, der Verkehrsinfrastruktur, der Schiene. «Heute ist klar, der Staat, Deutschland als Gesellschaft, braucht massiv mehr Investitionen in eine gute Infrastruktur, in Bildung, in Innovation, damit der Wohlstand, viele gute Jobs in Deutschland, gesichert werden können», sagt Fratzscher im Gespräch mit BR24. Er hält die Schuldenbremse dagegen nicht mehr für zeitgemäß. 

Erstaunlicherweise schlägt Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen IW, bereits seit einiger Zeit ähnliche Töne an.  Auch er meint: «Die Schuldenbremse ist aus der Zeit gefallen.» – «Damit passt die geltende Regel nicht zu großen Investitionsprojekten, die weit über den Zeitraum von zwölf Monaten hinausweisen und die wir mit Blick auf den Umbau der Wirtschaft zur CO₂-Neutralität brauchen.» Er spricht sich aus für eine «Investitionsklausel, sodass Investitionen nicht mehr durch die Schuldenbremse begrenzt werden wie heute». 

Dekarbonisierung kostet…

Durch einige grundlegende politische Entscheidungen gab es in wesentlichen Sektoren der Volkswirtschaft Veränderungen, die die bisherigen Probleme mit einer vernachlässigten Infrastruktur noch einmal verschärfen. Da ist zum einen der Umstand, dass Teile der Politik und auch einige Sektoren der Industrie den Klimawandel nicht mehr leugnen. Sie versuchen in gewissem Maße, dem durch eine Umstellung der Produkte, ihrer Produktionsverfahren und ihrer Struktur Rechnung zu tragen.

Da ist an erster Stelle der Energiesektor zu nennen. Hier haben sich die Politik und – etwas widerstrebend – auch die die Konzerne zumindest offiziell zu einem Umstieg weg von den fossilen Energien hin zu erneuerbaren Energien bekannt. In der Praxis lösen die Konzerne nicht ein, was in Sonntagsreden versprochen wird. So wird z.B. der Ukrainekrieg zu einem Roll-Back hin zu fossilen Energien genutzt. Es ist festzustellen, dass bei vielen großen Konzernen die Investitionen in fossile Energien nicht zurückgehen, sondern teilweise sogar wieder ansteigen. Immerhin aber treibt die Ampelregierung jetzt den Ausbau von Windkraft und Photovoltaik voran. Es ist ein Bemühen erkennbar, den erforderlichen Aufbau einer anderen, auf erneuerbaren Energien basierenden Netzinfrastruktur in Angriff zu nehmen und in einigen Sektoren wie der Wärmeversorgung der Haushalte die Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien zumindest auf die Tagesordnung zu setzen. Dieser Umstieg ist extrem aufwendig und kostspielig. Ohne intensives staatliches Engagement ist das nicht machbar. Völlig ausgeschlossen ist, solche Umstrukturierungen unter Beibehaltung einer Politik der «schwarzen Null» und der Knebelung der öffentlichen Haushalte durch die Schuldenbremse zu stemmen.

Eine umfassende Verkehrswende ist nicht im Interesse der Autokonzerne

Eine anderer wichtiger Bereich, in dem zur Zeit tiefgreifende Umstrukturierungen erfolgen, ist das Verkehrswesen. Die deutsche Autoindustrie hat sich nach langer Zeit der Verweigerung zu einer Umorientierung weg vom Verbrenner hin zum Elektroauto entschlossen. Das geschah nicht ganz freiwillig und nicht aus eigener Einsicht, sondern war im Wesentlichen durch die Veränderungen auf dem wichtigsten Absatzmarkt deutscher Konzerne, in China, geschuldet. Ohne den Schwenk hin zu Elektroautos hätte die deutsche Autoindustrie dramatische Absatzverluste zu erwarten gehabt. Ihr blieb nichts anderes übrig, als den Übergang weg vom Verbrenner hin zum Elektroauto mitzumachen. Auf jeden Fall bedeutet dieser Umstieg einen gewaltigen Aufwand für die Umrüstung der Produktion und der Lieferketten sowie für den Aufbau einer anderen Infrastruktur. Auch hier ist eine massive staatliche Unterstützung in Form von Subventionen, für den Ausbau der dafür erforderlichen Stromnetze und einer Ladeinfrastruktur für Elektroautos erforderlich. Dies erfordert über Jahre hinweg hohe staatliche Zuschüsse und Investitionen und ist unter den Bedingungen des Regimes der Schuldenbremse nach streng neoliberalen Kriterien nicht vorstellbar.

Die von der deutschen Industrie praktizierte «Antriebswende» ist  unter ökologischen Kriterien gelinde gesagt suboptimal. Aber die Konzerne versprechen sich von einem Eins-zu-eins-Umstieg vom Verbrenner zum E-Auto dieselben riesigen Absatzchancen wie bisher. Dagegen hat die Verkehrswende, der Umstieg vom PKW hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln, deutlich niedrigere Priorität und wird bestenfalls halbherzig betrieben. Eine umfassende Verkehrswende ist nicht im Interesse der Autokonzerne, da sie dann mit einem geringeren Absatz und niedrigeren Renditen rechnen müssten. 

Imperiale Machtpolitik kostet….

Aufwand und Kosten der anstehenden «Transformationen» erhöhen sich zusätzlich durch Veränderungen in den geopolitischen Machtstrukturen. Das hat viel mit dem Aufstieg Chinas und der dadurch veränderten Haltung der USA gegenüber China zu tun. China galt um die Jahrtausendwende als Werkbank der Welt, machtpolitisch aber als zweit- bis drittrangige Macht. China lieferte Produkte zu konkurrenzlos niedrigen Preisen. Mit dem ökonomischen und politischen Aufstieg Chinas zur Weltmacht hat sich die Haltung der USA zu China grundlegend verändert. China wird nun als bedrohlicher Rivale angesehen. Wir sehen jetzt unter Federführung der USA und mit den anderen NATO-Staaten mehr oder weniger im Schlepptau eine grundsätzliche Neuorientierung. China wird jetzt mittels einer aggressiven Wirtschafts- und Militärpolitik bekämpft.

Die High-Tech-Konzerne verlangen für die Errichtung von Produktionsstandorten in Deutschland hohe Subventionen.

Nachdem man im Ukrainekrieg die Erfahrung machte, dass Putin durch das Zurückhalten von russischem Gas auf die harte Sanktionspolitik seitens des Westens regierte, ist jetzt eines der Topthemen der USA und der EU-Staaten, im Wirtschaftsaustausch mit China Strukturen zu vermeiden, die China im Falle eines zugespitzten Konflikts ähnliche Optionen eröffnen würden. Deswegen gehen amerikanische und auch deutsche Konzerne dazu über, die Bezugsquellen für die Batterien und Chips für ihre Elektroautos zu diversifizieren und ihre Abhängigkeit von China zu reduzieren. In großer Hektik versuchen sie, in Europa Fabriken für die Produktion von Batterien und Chips aufzubauen. Das ist eine sehr aufwändige und kostspielige Angelegenheit. Die High-Tech-Konzerne verlangen für die Errichtung von Produktionsstandorten in Deutschland hohe Subventionen. Für die Ansiedlung der Intel-Fabrik in Magdeburg zahlt der Staat zehn Milliarden Euro, für die TSMC-Chipfabrik in Dresden fünf Milliarden Euro. Das sind Beträge, die man nicht schnell mal aus der Portokasse zahlen kann. Unter Bedingungen der Schuldengrenze sind solche Summen kaum aufzubringen. Halten wir uns vor Augen: Es war ja die Aufgabe des Klima- und Transaktionsfonds, Summen solcher Größenordnung zur Verfügung zu stellen – ohne gegen die Auflagen der Schuldenbremse zu verstoßen. Hält sich die Bundesregierung strikt an die Schuldengrenze, kann sie solche Subventionen nicht stemmen.

Die eben beschriebenen Veränderungen verlangen zwingend ein noch viel stärkeres staatliches Engagement als bisher. Da sind über Jahre hinweg dreistellige Milliardenbeiträge erforderlich. Das ist mit einer staatlichen Haushaltspolitik, die sich streng an die Regeln der 2009 beschlossenen Schuldenbremse hält, nicht vereinbar. Selbst bei größten rechtlichen Verrenkungen lassen sich für die zahlreichen und riesigen Schattenhaushalte keine Begründungen kreieren, die mit der Schuldenbremse konform sind. Wollte die Regierung sich an die Regeln der Schuldenbremse halten, würden viele als wichtig eingeschätzte Industrieprojekte in Gefahr geraten. Kein Wunder, dass unter den Experten der Wirtschaftsinstitute das Topthema ist: «Wie kann ich solche Ausgaben legal machen?» Fast alle sind sich einig, dass sich etwas ändern soll. Selbst von Christian Lindner ist zu hören, dass er zu Änderungen bereit ist. Aber die Regierenden wissen momentan noch nicht so recht, wie das gehen soll.

Insgesamt zeigt sich: Bei allen neuen Vorschlägen geht es darum, Raum für die staatliche Förderung von Projekten zu schaffen, die aus Sicht des Kapitals und der herrschenden Kreise von vordringlicher Bedeutung sind. Für den «konsumtiven Bereich» (damit sind in der Sprache der Ökonomen der soziale Bereich und alle Bereiche der Daseinsvorsorge gemeint, die für normal Sterbliche wichtig sind) sollen weiter die Regeln der Schuldenbremse gelten. Eine echte Kehrtwende ist also aktuell nicht zu erwarten.