Nachricht | Bibliothek Fundstücke: Lea Grundig: Im Tal des Todes – frühe Bilder der Shoah

Die Jüdin, Kommunistin und Graphikerin Lea Grundig (1906–1977) war früh von Kunstschaffenden wie Käthe Kollwitz oder Otto Dix inspiriert.

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Tobias Taibbi,

Die Jüdin, Kommunistin und Graphikerin Lea Grundig(1906–1977) war früh von Kunstschaffenden wie Käthe Kollwitzoder Otto Dixinspiriert. Deren schonungslose Darstellungen des Kriegsgrauens und des sozialen Elends wirkten sich auf ihr eigenes Schaffen und auf ihre politische Haltung aus.

Grundig wurde 1906 als Lea Langer in Dresden geboren und heiratete dort 1928 den Maler Hans Grundig. Gemeinsam waren sie 1929 Mitbegründer der Dresdner Ortsgruppe der «Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands» (ASSO). Lea Grundigs Bilderserie «In the Valley of Slaughter», im Tal des Todes, hat den Holocaust zum Thema. Ein signiertes Exemplar mit Drucken der Zeichnungen befindet sich in der Bibliothek der Rosa-Luxemburg-Stiftung [Signatur: 13 B 0169]. Viele Originalzeichnungen gelten heute als verschollen.

Bei dem querformatigen Band handelt es sich um die Erstauflage aus dem Jahr 1944, die von der Organisation Kibbuz-Hameuchad in Tel Aviv herausgegeben wurde. Der Schriftsteller Schin Schalom hat die 17 Darstellungen mit hebräischen Versen versehen. Die Bilder wurden seinerzeit in Palästina, England und Amerika gezeigt und in Zeitschriften abgedruckt. Das Erscheinungsjahr 1944 verdeutlicht, dass der Holocaust vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges international durchaus bekannt war. «In the Valley of Slaughter» ist eine bemerkenswert frühe künstlerische Auseinandersetzung mit der Shoah. In einem Brief an ihren Mann schrieb Lea Grundig im August 1946, ihr erschiene die Welt noch immer voller Gefahr, voller Bestialität, die sich zurzeit noch duckt, aber sie sehe die Konturen, spüre den Schatten, ihre Bilder seien noch immer finster, schrecklich, und das Geschehene laste noch allzu sehr auf ihr.

Lea Grundig schuf die figürlich-gegenständlichen Tusch-Pinselzeichnungen bereits seit 1942. Sie tragen Namen wie «In the Death Wagons» oder «Treblinca». Grundigs Darstellungen des Holocaust zeigen Hilflosigkeit und die Angst der Opfer nationalsozialistischer Gewalt. Das Bild «In the Death Wagons» thematisiert die Deportationen jüdischer Menschen. Der Betrachter blickt einem Zug nach, der in der Dunkelheit zu verschwinden scheint, und wird so Zeuge des Verbrechens. Am Horizont löst sich der Zug scheinbar von den Gleisen und steigt hinauf in den Nachthimmel. Möglicherweise ist dies eine direkte Anspielung auf die Krematorien der Nazis. Dem letzten Viehwagen fehlt die Rückwand. Von innen zerborsten ragt die zersplitterte Holzwand in alle Richtungen. Einfallendes Licht offenbart dem Betrachter das Innere des Wagons – Körper von Frauen, Männern, Alten und Kindern, dichtgedrängt und zu einem Menschenberg angehäuft. Jüdinnen und Juden werden aber auch als handelnde, widerständige Subjekte dargestellt. So zum Beispiel in dem Bild «Partisans». Dieses Blatt zeigt eine Gruppe selbstbewusster, entschlossener und bewaffneter Frauen und Männer, die dem Betrachter entgegentreten. Hinter ihnen, in der oberen Hälfte das Bildes, sind drei Pfähle erkennbar, an denen hingerichtete Menschenkörper hängen. Ihre gefesselten Beine sind gerade noch unter dem oberen Bildrand zu sehen. Am Boden liegen weitere Körper. Mit den fünf bewaffneten Menschen im Bildvordergrund knüpft Grundig gestalterisch an die Arbeiter-Ikonographie der späten 1920er Jahre an. Diese und weitere Zeichnungen aus dem Zyklus «In the Valley of Slaughter» weisen bereits auf die kurze Zeit später entstandenen Bilderzyklen «Ghetto» und «Ghettoaufstand» hin, die besonders den jüdischen Widerstand zum Thema haben.

Bis zu ihrer ersten Verhaftung im Jahr 1936 war Lea Grundig künstlerisch und politisch in Deutschland aktiv. Ihr gelang es, im Dezember 1939 nach Palästina zu fliehen. «The Valley of Slaughter» ist ein bedeutendes Werk der wenig erforschten Zeit Lea Grundigs im Exil. Gerade ihre in Palästina entstandenen Werke, die durch einen oft expressiv und fantastisch übersteigerten Realismus gekennzeichnet sind, gelten als Höhepunkt ihres Schaffens. Lea Grundig kehrte 1948 nach Deutschland zurück und gehörte mit ihrem Mann, der den Krieg in russischer Gefangenschaft überlebte, zur künstlerischen und kulturpolitischen Intelligenz der DDR. Sie war von 1964 bis 1970 Präsidentin des Verbandes Bildender Künstler.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat im Jahr 2011 treuhänderisch die Hans-und-Lea-Grundig-Stiftung übernommen, dazu gehört auch der Hans-und-Lea-Grundig-Preis, den Lea Grundig 1972 stiftete. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung lobt den Preis nun alle zwei Jahre in den Kategorien Bildende Kunst, Kunstvermittlung und Kunstgeschichte aus. Verbunden mit dem Preis ist zum einen der Anspruch einer historisch-kritischen Aufarbeitung der Leben und Werke der Namensgeber und zum anderen eine zeitgenössische künstlerische Auseinandersetzung mit den Themen Widerspruch, Widerstand, Migration, Flucht und Exil. Diese Themen betreffen sowohl das Leben Lea Grundigs selbst als auch die Leben vieler Menschen in gegenwärtigen Gesellschaften weltweit.