Vier Tage Diskussionen und Debatten über die Ursachen und Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise aus linker Perspektive. Die Sommerschule des RLS-Büros für Südost Europa versammelte vom 20. bis 24. Juli in der Nähe von Novi Sad etwa 70 junge WissenschaftlerInnen und AktivistInnen aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Slowenien, Serbien und Mazedonien. Die Gäste verwandelten das idyllische Tagungshaus in einem abgelegenen Waldgebiet im Fruška gora Gebirge in einen dynamischen Treffpunkt der Linken auf dem Balkan.
Die zweite Sommerschule des RLS Regionalbüros in Belgrad stand unter dem Motto „Krise – Antworten – Linke“. Inhaltliches Ziel war die in der Region aus linker Perspektive bisher kaum strukturierte Diskussion über die globale Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre spezifischen Folgen in Südost Europa zu befördern. Außerdem sollte die Vernetzung kritischer junger WissenschaftlerInnen und AktivistInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien verbessert werden. Die positive und offene Stimmung während der Sommerschule zeigte, dass die RLS ein Angebot gemacht hat, das auf großen Bedarf stößt.
Am ersten Tag stand die marxistisch orientierte Kapitalismusanalyse und eine Analyse der Situation in Südost Europa im Vordergrund. Goran Musić, Historiker und Wirtschaftswissenschafler aus Belgrad, der derzeit in Florenz promoviert, hielt einen Einführungsvortrag zu unterschiedlichen marxistischen Krisentheorien (Überproduktionskrise, Unterkonsumptionskrise, Tendenzieller Fall der Profitrate). Er bettete die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise in einen historischen Kontext ein.
Im Anschluss führte Mislav Žitko von der Universität Zagreb in Debatten zwischen postkeynsianistischen und marxistischen Krisenanalysen ein. Zwei weitere Vorträge spezifizierten diese Einführungen: Der Soziologe Andreja Živković, Doktorant an der Universität Cambridge, ging auf die neoliberale „Transition“ in Südost Europa ein. Er verwies darauf, dass die Schuldenkrise im ehemaligen Jugoslawien bereits zu Beginn der achtziger Jahre ausgebrochen sei. Bereits damals – noch im „Sozialismus“ – konzipierten IWF und Weltbank ein Austeritätsprogramm für Jugoslawien. Mit Krieg und „Transition“ setzte sich der Deindustrialisierungs- und Peripherisierungsprozess durch, der bis heute anhält. Stipe Ćurković von der Universität Zagreb ging in seinem Vortrag abschließend auf das Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit im kapitalistischen Arbeitsmarkt ein.
Konferenzmitschnitt von Skripta TV aus Zagreb (weitere: https://www.youtube.com/SkriptaTV )
Der zweite Tag der Sommerschule stand unter dem Motto „Nach dem Neoliberalismus?“. Im Mittelpunkt stand die Fragestellung, welche politischen Auswirkungen die globale Krise und die Krisenlösungsstrategien erzeugen. Im ersten Vortrag ging Ankica Čakardić, Dozentin am Lehrstuhl für Sozialphilosophie an der Zagreber Universität, auf die Transformation von Staatlichkeit ein. Nach einer Einleitung über den Funktionswandel des Staates im Übergang vom Fordismus zum Postfordismus ging sie auf das Konzept und die Umsetzung des „minimalen Staates“ in den neoliberalen Strategien ein.
Die Philosophin Tihana Pupovac (Zagreb, Ljubljana) hielt anschließend einen Vortrag über die Studentenproteste in Kroatien vor einem Jahr. Unter der Überschrift „Frühling der Demokratie“ zeigte Pupovac, wie die neoliberale Umstrukturierung der Universität in Kroatien eine basisdemokratische und linksorientierte Studierendenbewegung in Gang gesetzt hat.
In einem weiteren Vortrag widmete sich der Soziologe Dražen Šimleša, Assistent am Institut für Gesellschaftswissenschaften Ivo Pilar in Zagreb, einem anderen wichtigen Themenfeld. Unter dem Titel „Ökologisierung des Kapitalismus: Green New Deal oder noch ein normaler Deal?“ fragte Šimleša danach, wie unter den Bedingungen der globale Krise eine Ökologisierung des Kapitalismus gelingen kann. Seine Antwort lautete, dass diese Perspektive nicht möglich ist. Er plädierte daher für die Entwicklung alternativer Ökonomien, die sozial und ökologisch nachhaltig sind, und die Profitlogik des Kapitalismus überwinden.
Zum Abschluss des zweiten Tages referierte der Zagreber Publizist Srećko Horvat zu den Protesten in den arabischen Ländern und ihren Implikationen für Südost Europa. Horvat, der ein Buch zu den Bewegungen in den arabischen Ländern veröffentlichte, stellte die These auf, dass es einige Elemente der Krise in Südost Europa gibt, die sich mit der gesellschaftlichen Lage in den arabischen Ländern vergleichen lassen.
Am dritten Tag standen Fragestellungen zu Strategien der Linken in Südost Europa im Vordergrund. Die Feministin und Publizistin Đurđa Knežević aus Brač leitete den Tag mit einem Vortrag zu den Problemen feministischer Politik und dem Verhältnis der feministischen Bewegung zur Linken ein. Knežević, die selbst viele Jahre eine feministische NGO in Zagreb geleitet hat, sparte dabei nicht an Kritik. Vor allem verwies sie auf das Problem der NGOisierung der Bewegung und das damit verbundene Konzept des Gender-Mainstreaming, das von den meisten internationalen Donatoren vertreten wird. Durch die Übernahme dieses Konzeptes habe sich die feministische Bewegung teilweise selbst neutralisiert. Das Verhältnis zwischen internationalen Donatoren und lokalen NGOs bezeichnete sie als ein „Marktverhältnis“. Knežević plädierte für eine Rückkehr des Aktivismus und einer Verbindung von Feminismus mit einer linken Perspektive.
Im zweiten Vortrag ging Primož Krašovec vom Pädagogischen Institut in Ljubljana unter dem Titel „Klasse und Identitäten“ auf das Konstrukt der „kreativen Klasse“ und ihrer ideologischen Rolle im neoliberalen Kapitalismus ein. Krašovec zeigte dabei die Integrativpotentiale des Kapitalismus gegenüber Subkulturen. Zum Abschluss referierte der Philosoph und Publizist Boris Buden (Berlin) über das Konzept der „Öffentlichkeit“ in der liberalen Demokratie. Buden zeigte dabei, wie Konzepte der „Gegenöffentlichkeit“ strukturell begrenzt bleiben und warf damit die Frage auf, welche Strategien eine gesellschaftskritische Linke zu entwickeln hat.
Im Anschluss an alle Vorträge fanden lebhafte und kontroverse Diskussionen statt. Es wurde dabei deutlich, wie notwendig die Herstellung von Foren für linke Debatten und Analysen in Südost Europa sind. Die Sommerschule der RLS hat sich bereits nach dem zweiten Mal als ein wichtiges Diskussionsforum etabliert, das in Zukunft weitergeführt werden soll. Die Party in der Nacht vom Samstag zum Sonntag zeigte, dass die Linke im ehemaligen Jugoslawien nicht nur auf hohem Niveau diskutieren sondern auch gut tanzen kann. Alle Vorträge wurden von Skripta TV aus Zagreb gefilmt und können hier angesehen werden: www.youtube.com
Text und Fotos: Boris Kanzleiter und Vladan Jeremić, RLS Belgrad