Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Südasien Bangladesch auf dem Weg in die Autokratie

Die jüngsten Wahlen bestätigen den autoritären Trend in der südasiatischen Republik

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Ein großes Plakat der bangladeschischen Premierministerin Sheikh Hasina hängt auf einer Bühne in der Nähe der Universität Dhaka im Vorfeld der Parlamentswahlen am 4. Dezember 2023.
Ein großes Abbild der bangladeschischen Premierministerin Sheikh Hasina steht auf einer Bühne in der Nähe der Universität Dhaka im Vorfeld der Parlamentswahlen am 4. Dezember 2023. Foto: IMAGO / ZUMA Wire

Vor kurzem fand in Bangladesch die zwölfte Parlamentswahl seit Gründung des Staates im Jahr 1971 statt. Die Partei der amtierenden Premierministerin Sheikh Hasina, die Awami League (AL), gewann 223 von 300 Sitzen. Damit ist ihre Vorsitzende die dienstälteste Premierministerin Bangladeschs und zugleich das am längsten amtierende weibliche Staatsoberhaupt weltweit.

Hasina ist die Tochter von Sheikh Mujibur Rahman, dem «Vater der Nation», der den Unabhängigkeitskampf Bangladeschs anführte. Nach seiner Ermordung im Jahr 1975 übernahm sie eine führende Position in der Partei und regiert das Land seit 2008.

Mohammad Tanzimuddin Khan ist Professor am Institut für Internationale Beziehungen der Universität Dhaka in Bangladesch.

Nadja Dorschner leitete bis Februar 2024 das Regionalbüro Neu-Delhi der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Ihren Gründungsprinzipien zufolge versteht sich die Awami League als demokratisch, säkular und nationalistisch, aber Zweifel daran, dass sie sich an diese Prinzipien hält, sind mehr als angebracht. Hasinas größte politische Gegnerin, Khaleda Zia, die Vorsitzende der größten Oppositionspartei Bangladesh Nationalist Party (BNP), steht unter Hausarrest. Ihre Partei hat die Wahl boykottiert.

Die letzten drei Wahlen in Bangladesch waren von Unruhen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Anhänger*innen der dominierenden Parteien und der Polizei überschattet. Mit der Verhaftung von Oppositionsführer*innen und der Unterdrückung kritischer Stimmen sicherte sich Sheikh Hasina den Sieg. Die Regierung räumt selbst ein, dass in den Monaten vor der Wahl, die im Januar stattfand, 11.000 Menschen verhaftet worden seien. Laut BNP liegt die Zahl sogar bei 25.000. Bei einem Brandanschlag auf einen Zug während der Oppositionsproteste starben vier Menschen.

Hasinas Regierung wird seit langem der Korruption und der engen Zusammenarbeit mit den wirtschaftlichen Eliten beschuldigt, deren Interessen sie mit ihrer Politik schützt. Doch seit dem Beginn von Hasinas fünfter Amtszeit als Premierministerin ist eine neue, noch beunruhigendere Entwicklung zu beobachten. Mit der Parlamentswahl wurde in Bangladesch nämlich de facto ein Ein-Parteien-System etabliert, eine personalisierte Autokratie mit der AL-Chefin an der Spitze.

Von der Autokratie zur Demokratie und wieder zurück

Die Wahlpolitik in Bangladesch ist seit den ersten landesweiten Wahlen im Jahr 1973 von Unregelmäßigkeiten geprägt. AL und BNP kristallisierten sich bald als die beiden wichtigsten konkurrierenden Parteien heraus. Daneben gibt es eine Vielzahl kleinerer Parteien, darunter die Kommunistische Partei von Bangladesch und andere linke Gruppierungen sowie die Jatiya-Partei, die heute von der Witwe des ehemaligen Militärdiktators Hussain Muhammad Ershad geführt wird.

Mit dem vorgeblichen Ziel, faire und ordnungsgemäße Wahlen zu gewährleisten, führte die damalige BNP-Regierung 1996 eine Verfassungsänderung ein, die vorsah, dass Wahlen immer unter neutralen Übergangsregierungen abgehalten werden sollten, um einen reibungslosen Regierungswechsel zu gewährleisten. Dieses System war erstmalig bei der Wahl von 1991 erprobt worden, die das Land aus der Militärherrschaft herausführten.

Die Ablösung der Regierungspartei im Rahmen von mehr oder weniger freien und fairen Wahlen durch solche Übergangsregierungen war ein Novum in der Geschichte Bangladeschs, denn bis dato war jeder Regierungspartei die Wiederwahl sicher gewesen. Im Jahr 2011 änderte die von der AL geführte Regierung jedoch die verfassungsrechtlichen Bestimmungen für Übergangsregierungen und ließ die lange Tradition der Ein-Parteien-Herrschaft wiederaufleben. Diese und andere zunehmend restriktive Maßnahmen haben den Raum der Demokratie in Bangladesch eingeengt. Die Rücknahme der Verfassungsänderung von 1996 und ihre Folgen haben das Land zurück in die Vergangenheit katapultiert– in eine Vergangenheit, die von tödlicher Gewalt, Morden, politischer Unterdrückung, Wahlfälschung und schweren Menschenrechtsverletzungen geprägt war.

Aus Protest gegen den Schritt der AL boykottierte die BNP die Wahl von 2014. Neben dem Wahlboykott beteiligten sich die Partei und ihre Verbündeten an Verkehrsblockaden, Streiks, Bombenanschlägen, politischen Einschüchterungsmaßnahmen und am Wahltag auch an Angriffen auf Wahllokale und Beamt*innen. Laut Human Rights Watch war diese Wahl «die gewalttätigste» in der Geschichte; es wurden mindestens elf Wahllokale in Brand gesetzt, drei Beamt*innen getötet und 330 Polizist*innen verletzt. An mehreren Orten wurden auch Minderheitengruppen zur Zielscheibe von Gewalt. Darüber hinaus dokumentierte Human Rights Watch die Ermordung von elf Oppositionsführer*innen und Aktivist*innen vor, während und nach der Wahl.

Die Wahlbeteiligung lag seinerzeit bei lediglich 22 Prozent, wie ein anonymes Mitglied der Wahlkommission internationalen Medien mitteilte. Die Wahlkommission Bangladeschs gab offiziell allerdings eine Wahlbeteiligung von 40,04 Prozent an.

Nach der Wahl von 2014 blieb Hasinas Regierung an der Macht. In der Folge wurden zahlreiche Oppositionsführer*innen unter dem Vorwurf der Beteiligung an den gewalttätigen Übergriffen unrechtmäßig verhaftet. Analyst*innen zufolge verlor die BNP aufgrund der Gewalt vor und während dieser Wahl einen Großteil ihrer Anhängerschaft. Daraufhin änderte die Partei ihre Strategie und nahm 2018 friedlich an den Wahlen teil, konnte aber die Unterstützung der Bevölkerung nicht zurückgewinnen.

Bei der Wahl 2024 forderte die BNP erneut den Rücktritt von Sheikh Hasina und die Übergabe der Wahlaufsicht an eine neutrale Behörde, doch die amtierende Regierung weigerte sich.

Wie Medien ausführlich berichteten, war die Wahl bereits im Vorfeld von Intrigen, Manipulationen, Razzien, Massenverhaftungen, Gewalt und Rechtsverletzungen durch den Staatsapparat überschattet. Führende Oppositionspolitiker*innen wurden verhaftet, einige von ihnen unter falschen Anschuldigungen. Laut Tazreena Sajjad von der American University wurde die Pressefreiheit im Land massiv beschnitten, etwa durch die Verabschiedung des repressiven Gesetzes über die digitale Sicherheit im Jahr 2023, auf dessen Grundlage Hunderte von Menschen verhaftet wurden, darunter Jugendliche, Akademiker*innen, Schriftsteller*innen, Studierende und politische Aktivist*innen, die die Regierung in den sozialen Medien kritisiert hatten.

Viele Intellektuelle und zivilgesellschaftliche Gruppen in Bangladesch haben wiederholt ihre Besorgnis über den Zustand der Demokratie zum Ausdruck gebracht und vor einem Abgleiten des Landes in eine autokratische Herrschaft gewarnt. Außerdem haben vor allem die jungen Menschen das Vertrauen in demokratische Prozesse verloren. Die zahlreichen Fälle von Korruption in den Regierungsinstitutionen lassen sie resigniert zurück; die Wahlbeteiligung in dieser Altersgruppe ist folglich gering.

Die Politikverdrossenheit wuchs im Vorfeld der Wahl noch weiter: Polizeigewalt gegen Oppositionsführer*innen, Desinformationskampagnen und aufwiegelnde politische Rhetorik, wie Sheikh Hasinas Bezeichnung der BNP als «terroristische» Gruppe, schufen ein politisches Umfeld voller Misstrauen, Angst und Desillusionierung.

Der unangefochtene Sieg der Regierungspartei kam daher nicht überraschend. Von den insgesamt 300 Sitzen gingen 153 an Bewerber*innen ohne Gegenkandidaturen. Die Opposition behauptet, die Awami League habe «Scheinkandidat*innen» aufgestellt, um die Wahl fair erscheinen zu lassen. Dabei hat die Awami League offenbar ihre eigenen Mitglieder angehalten, als «unabhängige» Kandidat*innen anzutreten, um ein breiteres Spektrum an Wahlmöglichkeiten vorzutäuschen. In vielen Fällen entschied sich das Rennen daher zwischen offiziellen AL-Bewerber*innen und vermeintlich unabhängigen Kandidat*innen aus den Reihen der AL. Die Wahlkommission schätzte die Wahlbeteiligung auf 40 Prozent, eine der niedrigsten in der Geschichte Bangladeschs.

Der Weg zur personalisierten Autokratie

Die Wahlen 2014 und 2018 waren notwendige Elemente einer Erfolgsformel, die 2024 Früchte trug und in der die autoritäten Züge der Awami League zur vollen Entfaltung kamen. Ging die Regierungspartei aus den letzten beiden Wahlen lediglich als klare Siegerin hervor, markiert die diesjährige Wahl den Beginn einer Ära der «Personokratie» in Bangladesch. Bei der Diskussion über diese Parlamentswahl sollte deshalb immer berücksichtigt werden, dass die Wahlen 2014 und 2018 den Weg hin zu dieser «Personokratie» geebnet haben.

Das US-Außenministerium gab eine Erklärung ab, in der es die Gewalt gegen Oppositionelle verurteilte und zu dem Schluss kam, die Wahl sei nicht «frei und fair» gewesen. Einige Tage später änderte sich die Haltung der internationalen Gemeinschaft jedoch deutlich. Insbesondere die USA, die EU und Kanada drückten ihren Unmut über die Gewalt aus, die die Wahl überschattet hatte, erklärten aber gleichzeitig, dass sie mit der regierenden Awami League zusammenarbeiten würden. Mehrere Länder, darunter Indien, Russland und China, gratulierten Hasina.

Die Wahl fand unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen für Bangladesch statt. Die Pandemie und der Krieg Russlands gegen die Ukraine hatten zu Unterbrechungen in den globalen Lieferketten und zu steigender Inflation geführt. Die wichtigsten Handelspartner Bangladeschs, die USA und die EU, hatten vorab mit Sanktionen gedroht für den Fall, dass die Wahl nicht frei und fair verlaufen sollte. Solche Sanktionen könnten die Devisenknappheit in Bangladesch, die Expert*innen auf fragwürdige politische Entscheidungen und Korruption in Hasinas Kabinett zurückführen, weiter verschärfen. Bangladesch musste im Jahr 2023 die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds um Unterstützung bitten, während aus China, Russland und Indien Direktinvestitionen ins Land flossen. Doch seit dem Bekanntwerden der Wahlergebnisse wurde nichts mehr unternommen, um die angekündigten Sanktionen einzuleiten.

Man kann sich die personalisierte Autokratie in Bangladesch als eine Art neopatrimoniales Regime mit einem korrumpierten Wahlsystem vorstellen, in dem die Herrscherin nicht nur die absolute Macht besitzt und ihr Wahlsieg von vornherein feststeht, sondern in dem sie selbst das System verkörpert, getreu der Maxime: «Der Staat bin ich.» Das geht über Faschismus und Autokratie hinaus. In einem solchen System unterwerfen die Herrschenden erfolgreich alle vier Säulen der demokratischen Regierungsführung – Legislative, Exekutive, Judikative und Medien. Mit der eigenen Partei verfahren sie genauso, schließlich symbolisiert diese in erster Linie die Person an der Macht. Weder demokratische Werte und Normen noch moralische oder ideologische Zwänge spielen eine Rolle, da die Herrschenden selbst das «System erschaffen».

Auch die überaus regierungstreuen Medien trugen massiv zum Aufstieg einer nicht rechenschaftspflichtigen und auf eine Person zugeschnittenen Regierung bei. Infolgedessen ist der gesamte Staatsapparat von den politischen und persönlichen Interessen und der Gunst dieser einen Person abhängig geworden.

Bangladesch befindet sich in der vertrackten Situation, dass keine Oppositionspartei eine echte politische Alternative bieten kann und die Regierung von Sheikh Hasina kritische Stimmen mit aller Macht zum Schweigen bringt. Das Land bräuchte geeignete politische Akteure, um einen konstruktiven Dialog über eine Wahlreform führen zu können, die künftigen Wahlen Legitimität verleiht. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass die Regierung in absehbarer Zeit einen solchen Prozess einleiten wird.
 

Übersetzung von Cornelia Gritzner & Sabine Voß für Gegensatz Translation Collective.