Nachricht | Krieg / Frieden - Afrika Kongo: Die unlösbare Krise

Die Kriege im Osten der Republik bekommen wenig internationale Aufmerksamkeit

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Mai 2022: Menschen fliehen vor den Kämpfen zwischen der Armee und den Rebellen der Bewegung des 23. März (M23) in der Nähe der Stadt Goma, der Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo.
Mai 2022: Menschen fliehen vor den Kämpfen zwischen der Armee und den Rebellen der Bewegung des 23. März (M23) in der Nähe der Stadt Goma, der Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo. Foto: picture alliance / Xinhua News Agency | Alain Uaykani

Während die ganze Welt die Augen auf den Gazastreifen und die Ukraine richtet, gehen die Kriege im Osten der Demokratischen Republik Kongo in ihr viertes, vielleicht gefährlichstes Jahrzehnt, wobei sich eine größere regionale Eskalation nicht ausschließen lässt. Der Konflikt, an dem derzeit rund 100 bewaffnete Gruppen beteiligt sind, hat im Laufe der Jahre Millionen Tote und Vertriebene gefordert. Seit 2021 ist er in eine neue Phase eingetreten, die durch das Wiedererstarken der Rebellengruppe M23 – der sogenannten Bewegung des 23. März – gekennzeichnet ist. Private Militär- und Sicherheitsunternehmen sowie Nachbarstaaten haben sich den Kämpfen angeschlossen, und das diffuse Spektrum der Kriegsparteien ist in zwei Lager gespalten: eines auf der Seite der kongolesischen Regierung, das andere auf der Seite der M23. Die Lage verschlechtert sich von Tag zu Tag, und die Aussicht auf Frieden liegt in weiter Ferne.

Völkermord in Ruanda und kongolesischer Bürgerkrieg

Die gewaltvollen Auseinandersetzungen begannen 1993, als Zaire, der Vorgängerstaat der DR Kongo, nicht mehr in der Lage war, die Identitätspolitik, die es drei Jahrzehnte lang betrieben hatte, unter Kontrolle zu halten. Mobutu, der während seiner 32-jährigen Herrschaft ein treuer Verbündeter des Westens gewesen war, hatte versucht, das Land zu spalten und zu regieren, indem er die seit langem bestehenden kommunalen Spannungen instrumentalisierte. Die Vertreibungen, willkürlichen Grenzziehungen und ethnischen Pogrome der Kolonialzeit boten einen fruchtbaren Boden für diese Strategie, die sich häufig gegen die Kinyarwanda-sprachige Bevölkerung im Osten der DR Kongo richtete. 1994 kamen mit dem Völkermord an den Tutsi in Ruanda Millionen von Hutu – sowohl Zivilist*innen als auch Täter*innen – nach Zaire. Die Ruandische Patriotische Front (RPF), die bald die Zentralregierung Ruandas übernehmen sollte, verfolgte die Völkermörder*innen bis in die Provinz Nord-Kivu der DR Kongo, von wo aus der Konflikt sich rasch auch auf den Osten des Landes ausbreitete.

Dr. Christoph N. Vogel hat die Kongo-Forschungsgruppe an der New York University mit gegründet und ist Forschungsdirektor des Projekts «Unsichere Existenzgrundlagen» an der Universität Gent.

Unter den Augen einer internationalen Gemeinschaft, die dem Völkermord in Ruanda tatenlos zugesehen hatte und nun mit den Konflikten nach dem Kalten Krieg – von Somalia bis Jugoslawien – beschäftigt war, spielten sich zwischen 1996 und 2003 zwei verheerende Kriege ab. Der aufständische Veteran Laurent-Désiré Kabila stürzte Mobutu im «Befreiungskrieg» von 1996-97 und übernahm mit Hilfe einer von Ruanda und Uganda unterstützten Rebellenbewegung die Macht. Der «Zweite Kongokrieg» brach 1998 aus, nachdem Kabila sich von seinen Verbündeten Ruanda und Uganda losgesagt hatte, die daraufhin eine Aufstandsbewegung gegen dessen Regierung unterstützten. Diesmal waren es die ehemals völkermordenden ruandischen Truppen, die bald als Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) bekannt wurden, die Kabila im bewaffneten Kampf zur Seite standen. Zahlreiche afrikanische Staaten ergriffen Partei für die eine oder andere Seite.

Nachdem Laurent-Désiré Kabila 2001 ermordet wurde, nahm sein Sohn, Joseph Kabila, sein Amt als Präsident ein und beendete drei Jahre später offiziell den Krieg, indem er sowohl mit den Rebellen im Land als auch mit der ruandischen Regierung Friedensverträge unterzeichnete. Doch 2005 begann der abtrünnige Armeegeneral Laurent Nkunda erneut eine Rebellion gegen die Regierung in Kinshasa. Dies führte zu einem weiteren Abkommen zwischen der DR Kongo und Ruanda, die sich darauf einigten, Nkunda niederzuschlagen und gemeinsame Operationen gegen die FDLR einzuleiten. Der Rebellenführer wurde verhaftet, und seine Truppen wurden, zusammen mit verschiedenen anderen bewaffneten Gruppen, in die kongolesische Armee integriert. Die regionale Zusammenarbeit war jedoch nur von kurzer Dauer.

Nach den Wahlen in der DR Kongo 2011, bei denen der junge Kabila in einer umstrittenen Abstimmung wiedergewählt wurde, desertierte eine Gruppe Kinyarwanda-sprachiger kongolesischer Offiziere und ehemaliger Partisanen der von Ruanda unterstützten Rebellenarmee und gründete die M23. Mit Unterstützung Ruandas und Ugandas konnte die Gruppe Ende 2012 kurzzeitig die Stadt Goma im Osten der DR Kongo erobern. Ein Jahr später zwang die kongolesische Armee die M23 mit Hilfe der UNO ins Exil. Allerdings scheiterten die anschließenden Friedensverhandlungen, und die Überreste der Gruppe kehrten Anfang 2017 in die DR Kongo zurück, wo sie sich zwischen den Vulkanen nahe der Ostgrenze versteckten. Weitere bewaffnete Gruppen zersplitterten und vervielfachten sich während dieser Jahre. Obwohl ihre Präsenz zahlreiche zivile Opfer gefordert hat, sind sie zu weit verstreut und zu unbedeutend, um internationales Interesse zu wecken.

Ein seltener friedlicher Machtwechsel

Bei der Parlamentswahl im Dezember 2018 konnte trotz der Beweise für massiven Wahlbetrug der erste friedliche Machtwechsel in der kongolesischen Geschichte seit der Unabhängigkeit vollzogen werden. Kabila, von dem weithin angenommen wurde, dass er eine verfassungswidrige dritte Amtszeit anstrebte, bevor er schließlich der Wahl zustimmte, wurde von Felix Tshisekedi abgelöst – dem Sohn eines langjährigen Oppositionsführers und ersten Präsidenten seit den 1960er Jahren ohne Verbindungen zum Militär oder zu den Aufständen. Diplomat*innen und Journalist*innen sagten einen dauerhaften politischen Wandel voraus. Doch in den letzten fünf Jahren sind die meisten demokratischen und wirtschaftlichen Reformen der Regierung ins Stocken geraten, und Tshisekedis Versprechen, die Sicherheitskräfte zu «humanisieren», blieb unerfüllt. Immer wieder kam es auch zu Übergriffen auf Menschenrechtler*innen und Journalist*innen.

Zunächst leitete Tshisekedi eine Phase der Entspannung mit Ruanda ein, mit symbolträchtigen Momenten wie dem weithin bekannten Händedruck zwischen Tshisekedi und dem ruandischen Präsidenten, Paul Kagame, im Dezember 2019 sowie einem feierlichen Treffen an der Grenze nach einem Ausbruch des Vulkans Nyiragongo im Mai 2021. Unter Tshisekedi begann die kongolesische Regierung mit der Ausarbeitung verschiedener politischer, wirtschaftlicher und militärischer Abkommen mit den östlichen Nachbarländern und trat der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) bei. Darüber hinaus schloss die DR Kongo militärische Abkommen mit Burundi – und formalisierte somit die jahrelange inoffizielle Präsenz der burundischen Armee auf kongolesischem Boden – sowie mit der Regierung in Kampala, womit der Einsatz der ugandischen Armee in der Region Beni ermöglicht wurde, wo die Alliierten Demokratischen Kräfte (ADF), eine mit dem «Islamischen Staat» verbundene Rebellengruppe ugandischer Herkunft, seit 2014 für massive Gewalt verantwortlich zeichnet.

Die DR Kongo schloss auch vielversprechende Abkommen mit Ruanda, doch die angespannten Beziehungen zu Burundi und Uganda – deren Militäroperationen in der DR Kongo für Ruanda strategische und sensible Gebiete zu betreffen drohten – erschwerten das regionale Gleichgewicht. Ein informelles Militärbündnis zwischen Kigali und Kinshasa, das zwischen 2015 und 2020 Verstecke der FDLR ins Visier genommen hatte, wurde aus nicht nachvollziehbaren Gründen aufgelöst. Gleichzeitig scheiterten die Verhandlungen zwischen Kinshasa und der M23. Die DR Kongo verhängte das Kriegsrecht in Nord-Kivu und Ituri und kündigte ein neues Programm zur Demobilisierung der Rebellen an.

Militärische Eskalation statt diplomatische Lösung

Sowohl die DR Kongo als auch Ruanda entschieden sich gegen eine diplomatische Lösung und für die militärische Eskalation. Während Kigali Truppen entsandte, um an der Seite der M23 zu kämpfen, versammelte Kinshasa eine Reihe bewaffneter Gruppen – die sogenannten «Wazalendo» – und beauftragte private Militärunternehmen mit dem Kampf gegen die Rebellen. Inzwischen investieren alle Konfliktparteien in hochentwickelte Waffen – darunter Drohnen, ruandische Boden-Luft-Raketen, die aus dem von der M23 kontrollierten Gebiet abgefeuert werden, und hochwertige Sturmgewehre, die die DR Kongo an ihre Streitkräfte liefert. Die kongolesische Armee hat begonnen, burundische Soldaten in ihre Reihen aufzunehmen, während Uganda – obwohl es gemeinsame Operationen mit der DR Kongo gegen die ADF durchführt – beschuldigt wird, die M23 entlang der kongolesischen Grenze zu unterstützen.

Kinshasa sieht in der Rückkehr der M23 den Beweis dafür, dass es Ruanda mit dem Frieden nie ernst meinte. Die DR Kongo stellt den Konflikt als Ergebnis der ruandischen Intervention dar und bezeichnet die M23 angesichts ihrer überwiegend Kinyarwanda-sprachigen Führung als ausländische Marionette. Für Ruanda wiederum ist die erneute Zusammenarbeit der DR Kongo mit der Miliz FDLR ein Indiz, dass Kinshasa kein Interesse an einer Verbesserung der regionalen Sicherheit hat. Ruanda wirft der DR Kongo ethnische Säuberung gegenüber der Kinyarwanda-sprachigen Bevölkerung vor und stellt die Gewalt als Folge der Diskriminierung der Bevölkerungsgruppen der Banyamulenge, Tutsi und Hema durch die kongolesische Regierung dar. Beide Seiten gewichten das Leid dementsprechend unterschiedlich und privilegieren entweder die Opfer der M23-Gewalt oder die Kinyarwanda-sprachige Bevölkerung.

Diese politische Polarisierung hat ein zunehmend feindseliges Diskussionsklima geschaffen, das sich in einem Schlagabtausch sowohl in den traditionellen als auch in den neuen Medien widerspiegelt. Während des ersten M23-Konflikts konnten humanitäre Helfer*innen, Journalist*innen und Forscher*innen die Frontlinien noch überschreiten und auf verschiedenen Seiten des Konflikts arbeiten. Seit den 1990er Jahren gab es immer wieder gemäßigte Stimmen in der Bevölkerung der DR Kongo, die sich von der schlechten Regierungsführung in Kinshasa, der ethnischen Spaltung und den ruandischen Bestrebungen, Nord-Kivu für sich zu beanspruchen, geschädigt sahen. Sie haben stets versucht, sich der ethnischen Polarisierung des Konflikts zu widersetzen (mit wechselndem Erfolg). Heute jedoch verunglimpfen Online-Spindoctors, Trolle und Hetzer*innen auf beiden Seiten des Spektrums ihre Kritiker*innen entweder als Verbündete von FDLR-Völkermörder*innen oder als Marionetten Ruandas und reduzieren so den Raum für eine sachliche Diskussion. Versuche, ein Mindestmaß an gesellschaftlichem Zusammenhalt zu bewahren, sind ernsthaft gefährdet.

Gescheiterte Interventionen

Die dem Konflikt zugrundeliegenden Strukturen – einschließlich des Erbes der rassistischen Kolonialherrschaft, der Politik des Teilens und Herrschens in der postkolonialen Ära und der Wunden der Kriege der 1990er Jahre – bestehen weiterhin fort. Lokale Konflikte um Land, Ressourcen und politische Macht werden durch die Aktivitäten ausländischer Bergbauunternehmen verschärft, die es auf die Bodenschätze abgesehen haben. Massenvertreibungen haben im Laufe der Jahrzehnte nicht nur die Landwirtschaft im Osten der DR Kongo zerstört, sondern auch eine wachsende Zahl von Arbeitskräften für den informellen Bergbau und die Rekrutierung bewaffneter Gruppen hervorgebracht und auf diese Weise das soziale und wirtschaftliche Gefüge der Region verändert. Der Konflikt hat inzwischen eine Eigendynamik entwickelt, in der das sozioökonomische Leben hauptsächlich von Militarisierung und Gewalt geprägt ist. Internationale Interventionen haben zu dieser Entwicklung lediglich beigetragen. So wurde während der Rebellion von 2005 bis 2009 der Satz «no Nkunda, no job» (Ohne Nkunda kein Job) zum geflügelten Wort, das suggerierte, dass UN-Mitarbeiter*innen und humanitäre Helfer*innen den Krieg instrumentalisierten, um sich lukrative Aufträge und Einnahmen aus den Bodenschätzen zu sichern, anstatt sich für eine Friedenslösung einzusetzen.

Externen Akteuren gelang es in der Vergangenheit nicht, die Eskalation einzudämmen. Die 1999 eingesetzte UN-Friedensmission wurde nach und nach zu einem politisch marginalen Verbündeten der kongolesischen Armee degradiert. Angesichts des Unmuts der Bevölkerung und des Vorwurfs, mit der FDLR, mit der sie indirekt über die Unterstützung Kinshasas verbunden ist, unter einer Decke zu stecken, zog sie sich zuletzt immer weiter zurück. Die Friedenstruppe der Ostafrikanischen Gemeinschaft hingegen überwachte fast ein Jahr lang den prekären Waffenstillstand von 2023, bevor sie von Kinshasa entlassen wurde, weil sie die M23 nicht bekämpfte. Nun wird eine neue regionale Truppe unter der Schirmherrschaft der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) von der M23 und auch von Ruanda als feindlich und parteiisch angesehen. Dass es ihr besser ergehen wird als ihren Vorgängern, ist unwahrscheinlich.

Zwei große afrikanische Friedensinitiativen – der Nairobi-Prozess, der die kongolesischen bewaffneten Gruppen mit Ausnahme der M23 zusammenbrachte, und die von der Afrikanischen Union geförderte Luanda-Roadmap, die zwischen Kigali und Kinshasa vermitteln sollte – haben bisher nur wenig Früchte getragen. Die Nairobi-Gespräche waren ohnehin kaum mehr als ein Mittel, um die bewaffneten Gruppen als Handlanger der Regierung zu rekonstituieren, während die Luanda-Roadmap zu einem Forum wurde, in dem Ruanda und die DR Kongo sich gegenseitig beschuldigten, frühere Verpflichtungen nicht eingehalten zu haben.

Obwohl mehrere Länder die Unterstützung Ruandas für die M23 und deren Militäroperationen in der DR Kongo sowie den Einsatz bewaffneter Stellvertreter durch Kinshasa verurteilten, blieb das internationale Engagement in dieser Krise schwach und unbeständig. Die internationalen Großmächte betrachten die Krise nach wie vor als Randproblem. Dies hat den Vorwurf der Voreingenommenheit genährt, ob nun ruandische Stimmen die Mitschuld des Westens am Völkermord betonen oder DRK-freundliche Stimmen die angelsächsische Unterstützung der von Ruanda geförderten Rebellionen. Das Ergebnis ist eine berechtigte und tief sitzende Abneigung gegen den Westen, die durch die ständigen diplomatischen Pannen noch verstärkt wird. Im Februar 2024 unterzeichnete die EU ein Abkommen über nachhaltigen Rohstoffhandel mit Ruanda, das seit langem beschuldigt wird, von illegalen Exporten von Bodenschätzen aus dem Osten der DR Kongo zu profitieren. Nach heftigen Protesten ruderten die EU-Vertreter*innen zurück und gaben eine Erklärung ab, in der sie versuchten, ein Gleichgewicht zwischen der Verurteilung Ruandas und der DR Kongo herzustellen.

In der Sackgasse

Es ist viel darüber geschrieben worden, wer die Hauptverantwortung für den Konflikt trägt. Millionen wurden für ehrgeizige Friedensprogramme ausgegeben, die sich oft auf Themen wie «ethnische Gewalt» oder «Gier nach Ressourcen» konzentrierten und davon ausgingen, dass die verschiedenen Parteien nach «rationalen Interessen» handelten, die der Westen in ihrem Handeln zu erkennen glaubt. In Diplomatie, Wissenschaft und Aktivismus gibt es verschiedene Theorien darüber, wo die Schuld zu suchen ist: bei der ruandischen Einmischung, den Regierungsproblemen der DR Kongo, den internationalen Interventionen, den transnationalen Handelsbeziehungen und den zahlreichen bewaffneten Gruppen. Der Versuch, eine Balance in der Verantwortungszuschreibung zu finden, wird häufig als Relativierung interpretiert. So argumentieren die Verteidiger*innen Ruandas, dass die FDLR aufgrund ihrer Wurzeln im Genozid nicht mit den anderen Akteuren des Konflikts gleichgesetzt werden könne, sondern moralisch eine eigene Kategorie besetze. Die Unterstützer*innen Kinshasas wiederum argumentieren, dass Ruanda die FDLR als Vorwand für den Einmarsch in den Osten der DR Kongo instrumentalisiere.

Daraus ergeben sich zahlreiche moralische Probleme. Aus Sicht der Überlebenden des ruandischen Genozids verfolgt die FDLR immer noch die gleiche extremistische Anti-Tutsi-Ideologie und stellt daher eine anhaltende Bedrohung dar. Aus kongolesischer Sicht hingegen ist die Miliz kaum mehr in der Lage, Gewalt auszuüben, und ihre Präsenz lediglich ein Vorwand für wiederholte ruandische Aggressionen. Beide Positionen sind nachvollziehbar. Ziel sollte es sein, sie miteinander ins Gespräch zu bringen, was aber unter den gegebenen Bedingungen fast unmöglich erscheint. Es ist schwierig, selbst über die grundlegendsten Fakten des Konflikts Einigkeit zu erzielen, da diese zunehmend für die Narrative der einen oder anderen Seite instrumentalisiert werden. Der berüchtigte UN-Mapping-Report – eine Bestandsaufnahme der Verbrechen im Osten der DR Kongo zwischen 1993 und 2003 – ist dafür ein typisches Beispiel. Er listet auf über 500 Seiten die Verbrechen aller Kriegsparteien auf, wird aber oft selektiv zitiert, um bestimmten Akteuren die alleinige Verantwortung zuzuschreiben und andere zu entlasten. Das hat die Versuche, diese andauernde Krise zu verstehen, ebenso behindert wie die Bemühungen, sie zu lösen.

Der Mangel an aufrichtigen Friedensbemühungen und die jüngste – sowohl militärische als auch diskursive – Radikalisierung des Konflikts haben das soziale Gefüge im Osten der DR Kongo zersetzt. Kürzlich wurde mir bei einem Aufenthalt in Nord-Kivu von vielen Seiten berichtet, dass sich die politische Polarisierung derart verschärft habe, dass jeder Versuch, eine unparteiische Haltung einzunehmen, als «Unterstützung des Feindes» angesehen werde. Seit kurzem ist Goma vom Rest des Landes isoliert, während die M23 große Teile von Nord-Kivu kontrolliert. Die kongolesische Armee setzt ihre Handlanger für ständige Gegenoffensiven ein, die zu weiteren Vertreibungen führen. Die diplomatischen Bemühungen sind festgefahren, da jede Seite auf ihrer Maximalforderung beharrt: Kinshasa besteht auf einem bedingungslosen Rückzug der M23 und der ruandischen Truppen, während Kigali ein sofortiges Ende der Zusammenarbeit mit der FDLR fordert und vor einer Intervention von außen warnt. Vor diesem Hintergrund erinnert die aktuelle Eskalation zunehmend an die Unruhen und regionalen Flächenbrände der 1990er Jahre.
 

Deutsche Erstveröffentlichung des Textes «Intractable Crisis», der zuerst von der «New Left Review» publiziert wurde. Die Zwischenüberschriften wurden redaktionell eingefügt. Übersetzung aus dem Englischen von Camilla Elle und Charlotte Thießen für Gegensatz Translation Collective.