Feature | Südliches Afrika - Sozialökologischer Umbau - Ernährungssouveränität Ein grüner Alltagsheld

Sambia: Der Bauer Royd Michelo schult Nachbarn in Agrarökologie. Aber die Regierung und Bill Gates machen ihm den Job als Ökolehrer täglich schwerer

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Kathrin Hartmann,

Royd Michelos Kreislaufbeet kommt ohne synthetischen Dünger und ohne giftige Pestizide aus.
Royd Michelos Kreislaufbeet kommt ohne synthetischen Dünger und ohne giftige Pestizide aus. Foto: Jan Urhahn, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Ein hüfthoher Kreis aus Beton erhebt sich zwischen zwei Häusern, Hühner staksen drum herum, ein Truthahn mit zwei Küken liegt nebenan im Schatten eines Mangobaums. Eine trapezförmige Kerbe bildet den Zugang zu dem Rondell, in der Mitte ist ein Loch. Von oben sieht es aus wie ein Schlüsselloch, und so heißt dieses besondere Hochbeet auch: Schlüssellochgarten. Royd Michelo klettert auf die Erde, mit der die runde Mauer bis zum Rand gefüllt ist. «Nicht Erde», korrigiert Michelo, «sondern Bokashi», fermentierter Küchenkompost. Noch ist das Beet karg. Aber ein paar Wochen nach meinem Besuch wird mir Michelo Fotos schicken, auf denen alles sprießt, inklusive einer Bananenstaude.

Wie man so ein Beet anlegt und bewirtschaftet, hat Michelo schon Tausenden Bauern und Bäuerinnen in Sambia gezeigt. Er ist Kleinbauer in Chongwe, 50 Kilometer westlich der Hauptstadt Lusaka. Auf seiner Farm kultiviert er nicht nur Obst und Gemüse, sondern Wissen, Zukunft und Klimaschutz. Michelo arbeitet agrarökologisch und schult darin Bauern und Bäuerinnen. «Hier pflanze ich Karotten, Amaranth, Salate, Kohl, Rote Bete und Kräuter», sagt er. Das Gemüse im Schlüssellochbeet wächst auf verschiedenen organischen Schichten. Unten befinden sich Erntereste von Mais, um den Boden abzuschließen und Feuchtigkeit zu erhalten. Darauf kommt organisches Material, Erde, Asche und Bokashi. In das Loch in der Mitte werden Küchenabfälle und Brauchwasser gefüllt, das führt Nährstoffe zu. «So ein Garten muss in der Nähe der Küche sein, damit keine Ressourcen verschwendet werden.»

Kathrin Hartmann ist Journalistin und Buchautorin in München. Ihre Bücher «Aus kontrolliertem Raubbau» und «Die grüne Lüge» sind im Blessing Verlag erschienen. Mit Werner Boote hat sie den Greenwashing-Film «The Green Lie» gemacht. Im Juli 2024 erscheint ihre neues Buch «Öl ins Feuer» bei Rowolth.

Dann kann so ein Kreislaufbeet eine Familie das ganze Jahr über mit Gemüse versorgen. Günstig ist das obendrein: Sie müssen weder synthetischen Dünger kaufen noch Unkrautvernichter. Diese Art der Landwirtschaft kommt mit weniger Wasser aus und benötigt keine giftigen Pestizide. Sie vereint traditionelles lokales Wissen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Bauern und Bäuerinnen arbeiten und experimentieren mit dem, was die Ressourcen vor Ort bieten. Sie nutzen kein lizensiertes Saatgut, sondern vermehren, entwickeln und tauschen eigenes, das an die örtlichen Gegebenheiten angepasst ist und eine größere Ernährungsvielfalt bietet.

Agrarökologie ist viel mehr als Landwirtschaft mit Bio-Siegel. «Sie stellt eine bestimmte Sichtweise auf unser Verhältnis zur Natur dar. Um diese Sichtweise bildet sich eine wachsende soziale Bewegung, die den direkten Austausch von Informationen zwischen Bauern und Bäuerinnen fördert», schreibt Olivier de Schutter, ehemaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nation für das Recht auf Nahrung.

Es ist ein ganzheitliches Konzept, das auch Ernährungssouveränität, soziale und Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheit, Bildung, Wohlstand, Biodiversität, Klimaschutz und -anpassung sowie eine lokale Wirtschaft, von der alle profitieren, miteinbezieht. Kurzum: Es ist das Gegenkonzept zur industriellen Landwirtschaft, die von Agrarmultis dominiert wird und gekennzeichnet ist durch Technisierung, Monokulturen, Cash Crops für den Export, künstliche Bewässerung, lizensiertes Saatgut, giftige Pestizide und synthetischen Dünger. Das macht Menschen nicht nur krank, sondern sorgt für Landkonflikte, schadet dem Klima, degradiert Böden und stürzt Bauern und Bäuerinnen in die Abhängigkeit von Konzernen und Schulden.

Nachhaltigkeit kommt billiger

Vor mehr als zehn Jahren war Royd selbst noch konventioneller Landwirt im Süden des Landes. Dann wurde er vom Kasisi Agricultural Training Center (KATC) in einem Trainingsprogramm in Agrarökologie ausgebildet. Die Methode hat ihn sofort überzeugt: «Es ist viel günstiger! Als konventioneller Landwirt musste ich Dünger, Pestizide und Saatgut kaufen und die Felder pflügen. Als agrarökologischer Bauer verwende ich mein eigenes Saatgut, ich betreibe Fruchtwechsel und reduziere damit Schädlinge, und ich bearbeite den Boden minimal, um ihn zu schützen.» Heute lebt Michelo einen Steinwurf vom Trainingscenter entfernt. Dort arbeitet er seit acht Jahren als Ausbilder und ist gerade zum Agrarökologie-Champion von Sambia nominiert worden.

Die späte Nachmittagssonne zaubert einen goldenen Glanz auf den Lehmboden und spiegelt sich in der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach seines Hauses. «Die konnte ich mir nach der letzten Saison leisten», sagt Michelo beiläufig, als er mich zu seinem Acker führt, der sich dahinter erstreckt. Sattgrün wachsen viele verschiedene Pflanzen aus der roten Erde. Mit stolzer Stimme ergänzt er: «Auf meinem fünf Hektar großen Land baue ich 39 verschiedene Nutzpflanzen an.» Tomaten, Mais, Maniok, Kürbis, Hibiskus, Bohnen und Papaya. Deren Blätter nutzt er als Medizin für seine Hühner, sie helfen gegen Parasiten. Dazwischen hat Michelo Gleditschien gepflanzt, Lederhülsenbäume, die Schatten spenden und Wasser im Boden halten. Michelo bückt sich und gräbt mit der Hand ein Stück Erde aus. «Siehst du? So sieht gesunder, reicher Boden aus», sagt Michelo und ich sehe, wie sich Würmer darin räkeln. «Synthetischer Dünger füttert nur die Pflanze, nicht den Boden. Aber wir müssen den Boden ernähren. Der ernährt die Pflanzen und die Pflanzen ernähren uns.»

Michelo trägt eine alte Wasserflasche mit schwarzer Flüssigkeit mit sich. «Das ist mein eigener Dünger.» Er stellt ihn aus Melasse, Asche, Mulch, Wasser, Milch und Mist her. «Für einen Liter Kunstdünger zahlt man 200 Kwacha», erklärt er. Das sind umgerechnet sieben Euro. Für dasselbe Geld könne er 200 Liter Naturdünger herstellen. Wie das geht, das bringt er regelmäßig Bauern und Bäuerinnen bei. Denn seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Düngerpreise extrem gestiegen. In Sambia allein 2022 um 30 Prozent. Damit wächst auch das Interesse an Michelos Dünger-Schulung. «Viele Landwirt:innen haben ihre Lektion gelernt und wollen gerne auf Agrarökologie umsteigen, aber es gibt dafür leider keine politische Unterstützung.»

Drei Viertel der Menschen, die in Sambia auf dem Land leben, sind arm. Die Landwirtschaft ist ihre wichtigste Einkommensquelle. Vor allem wird dort Mais in Monokulturen angebaut. Seit mehr als zwanzig Jahren subventioniert die sambische Regierung Hybridsaatgut und synthetischen Dünger für Kleinbauern und -bäuerinnen. 2009 wurde das Programm FISP (Farmer Input Support Programme) aufgesetzt. Das sollte Erträge und Produktivität steigern, sodass sich Kleinbauern und -bäuerinnen zu mittelgroßen Landwirten entwickeln und keine staatliche Unterstützung mehr brauchen. Doch dieses Ziel wurde nicht erreicht. Im Gegenteil: Die Produktivität stagnierte, Erträge gingen zurück, während die Ausgaben für FISP weiter stiegen.

Zwischen 2015 und 2021 betrugen die Mittel für dieses Programm zwischen 33 und 80 Prozent des Agrarhaushaltes. Davon profitieren vor allem die großen Konzerne, während Kleinbauern und -bäuerinnen in eine Abwärtsspirale geraten: Je mehr Dünger sie einsetzen, umso stärker degradieren die Böden und sie brauchen noch mehr Dünger, damit noch etwas wächst. «FISP bringt die Bauern um», sagt Michelo. Darüber hinaus fehlt das Geld im Agrarhaushalt für Forschung und Schulungen von Bauern und Bäuerinnen, eben in agrarökologischen Methoden. Dabei ist wissenschaftlich belegt, dass Agrarökologie die Erträge steigert: 2006 untersuchte die Universität Essex 360 entsprechende Projekte in 57 Ländern und stellte eine Steigerung der Erträge um 79 Prozent im Vergleich zu industrieller Landwirtschaft fest. In einer Metastudie analysierte die Universität Nebraska knapp 300 Studien zur Agrarökologie vor allem im Globalen Süden und kam zum selben Ergebnis. Nur die Agrarmultis schauen in diesem Konzept in die Röhre.

Agrarökologie ist mehr als Bio

Nun wird die sambische Regierung das Comprehensive Agriculture Support Programme (CATSP) implementieren. Es will die Produktion mit Mitteln der «Grünen Revolution» steigern – sprich: mit Monokulturen, synthetischem Dünger, Hybridsaatgut, Pestiziden und in Zusammenarbeit mit Agrarkonzernen. FISP soll für arme Bauern und Bäuerinnen bleiben, obendrauf kommt ein Kreditprogramm für synthetischen Dünger. Das koloniale Modell der «Farmblocks» wird noch ausgeweitet: Dabei werden Regionen für landwirtschaftliche Großbetriebe ausgewiesen, die privatwirtschaftliche Investoren anlocken sollen. Involviert sind die üblichen Verdächtigen: die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO, die von der Bill- und Melinda Gates-Stiftung gegründete «Allianz für eine grüne Revolution in Afrika» (AGRA), das AGRA-nahe African Fertilizer and Agribusiness Partnership (AFAP) sowie die deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Organisationen wie die Zambia Alliance for Agroecology and Biodiversity (ZAAB), mit der auch Michelo arbeitet, fürchten, dass das Programm zu Vertreibung und Abholzung führt. Royd Michelo rennt gegen die Zeit. Und er wäre gern sehr viel schneller. «Die ganze Sache würde sich ändern, wenn wir mehr Leute überzeugen könnten», sagt der Bauer. «Aber wie sollen wir zu den Bauern kommen, wenn wir nicht mobil sind?», fragt Michelo. Die vom Landwirtschaftsministerium bezahlten landwirtschaftlichen Berater, die den Bauern das Industriemodell aufschwatzen, sogenannte «Extension Officers», die haben Motorräder. «Aber Leute wie ich, die Agrarökologie unterrichten, nicht». Also hat Michelo seine agrarökologische Revolution vor der Haustüre gestartet: «Ich habe hier mein eigenes Landwirtschaftsprogramm in der Nachbarschaft.» Und das geht so: «Früher hat mein Nachbar sein Feld vor der Bestellung abgebrannt. Ich habe versucht, ihn von der Agrarökologie zu überzeugen. Ich habe gesagt: Du musst ja nicht alles umstellen, probiere das auf einem Hektar, ich helfe dir, wir machen das zusammen. Wenn es dir nicht gefällt, lässt du es wieder bleiben.» Michelo macht eine dramaturgische Pause und grinst. «Danach war nie wieder Feuer auf seinem Acker.» Seine Nachbarn und Nachbarinnen arbeiten dank seines Programms nun alle agrarökologisch. Allein im vergangenen Jahr, zählt Michelo auf, habe er 3.050 Bauern und Bäuerinnen geschult sowie in 15 Kooperativen, 30 Schulen und zwei Colleges unterrichtet. Was er den Menschen mitgibt? «Ihr solltet an euren Höfen ein Schild aufstellen, auf dem Agrarökologie steht, damit die Leute den Unterschied erkennen und sehen, wie gut es funktioniert.»
 

Der Beitrag ist zuerst in der Wochenzeitung Der Freitag erschienen und die Reise der Autorin wurde vom «Programm Ernährungssouveränität“»der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt.