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Roma-Familien diskutieren über Strategien zur Vernetzung nach der Rückkehr aus Deutschland

Der eintägige Workshop «Youth in action – be an emigrant, be equal», organisiert von der Partnerorganisation der RLS «Romski Edukativno Kulturni Centar» aus Belgrad, stellt den Versuch dar, Roma-Familien zusammenzubringen und auf lokaler Ebene zu aktivieren. Das Treffen  fand am 24. März in Kikinda statt, einer Stadt in der Vojvodina an der Grenze zu Rumänien.
 
Die etwa 20 TeilnhemerInnen haben alle in Deutschland gelebt, bevor sie nach Serbien abgeschoben wurden oder freiwillig zurückkehrten. Die Mehrheit von ihnen verließ Serbien in den 90er Jahren, um der Einberufung in die Armee zu entgehen, und blieb länger als fünf Jahre in Deutschland. Bei ihrer Ankunft in Deutschland verfügten sie über nur geringe Kenntnisse über das Asylgesetz, und die meisten bekamen im Rahmen des Asylantragsverfahrens einen lediglich befristeten Aufenthaltstitel, den sie mehrmals verlängern mussten,  bis die Abschiebungsandrohung kam. Für viele bedeutete die Abschiebung eine Zäsur in ihrem Leben und das Erlöschen einer Perspektive: Ein Neuanfang in der Stadt, aus der sie geflohen waren, wird durch viele Umstände erschwert. In Serbien werden sie mit Armut, Arbeitslosigkeit und gesellschaftlicher Ausgrenzung konfrontiert. Es bestehen wenig Ansatzpunkte zur Selbstorganisation, um die Lage zu verbessern.
 
Die erste Aktivität des Workshops bestand aus einer Diskussion über die «Vision» dieser Familien bezüglich ihres künftigen Lebens in Kikinda. Viele äußerten den Wunsch, zu einer selbstständigen beruflichen Tätigkeit gemäß ihren Interessen zu gelangen.
 
Nach dieser Einführung fand ein Rollenspiel statt, in dem die TeilnehmerInnen in drei Gruppen geteilt wurden, je nach Selbstwahrnehmung in Bezug auf das Verhalten gegenüber zu treffenden Entscheidungen. Innerhalb dieser Gruppen (die «Bedächtigen», die «Impulsiven» und die «Resoluten») wurde jeweils eine Selbstdarstellung und eine Darstellung der anderen skizziert sowie die Vorstellung, wie die eigene Gruppe von außen angesehen wird. Beim Vergleichen dieser Ergebnisse entstand eine Diskussion zum Thema Vorurteile und Stereotype, Selbst- und Fremdzuschreibung und anschließend über das Risiko, entsprechend diesen Stereotypen «diskriminierend» zu handeln und behandelt zu werden. Die TeilnehmerInnen vertraten dabei weitgehend einstimmig die Meinung, es sei Interesse und aktive Verantwortung jeder Gemeinschaft, negative Vorurteile abzuschaffen.
 
Der spannendste Teil der Aktivitäten kam am Ende mit einer Gruppenarbeit, in der mögliche Ziele zur Verbesserung der Lage der Roma auf lokaler Ebene definiert wurden. Die nötigen Strategien dazu wurden besprochen und schrittweise dargelegt. Dabei wurde sowohl der starke Wille der TeilnehmerInnen, sich zu engagieren, als auch die bisher geringen gesammelten Erfahrungen in diesem Zusammenhang deutlich.
 
Übereinstimmung bestand darin, dass die Ausbildung der Kinder von großer Bedeutung ist. Dazu müssten Strategien entwickelt werden. Viele Kinder, so die Begründung, würden auch gegen ihren Willen in Sonderschulen und –klassen eingeschrieben, was ihre Fähigkeit unterfordere und ihre Motivation abschwäche. Außerdem stelle die Sprachbarriere der Kinder, die in Deutschland geboren und eingeschult worden seien, und deshalb besser Deutsch und Rromanes als Serbisch können, ein großes Problem dar. Um ihre erfolgreiche Integration und schulische Leistung zu ermöglichen, bedürfte es spezifischer langfristiger Betreuungsprogramme, welche die Stadt zur Zeit nicht anbiete.
 
Der Workshopleiter Aleksandar Janković äußerte seine Zufriedenheit über die aktive Teilnhame der Familien und betonte die Notwendigkeit, andere Treffen und Aktionen zu planen, damit sich das Potential der vernetzten Roma nicht gleich nach diesem ersten Schritt erschöpfe. Er fügte hinzu, es sei wichtig, ganze Familien mit einzubeziehen, obwohl künftige Aktivitäten über die Grenzen der patriarchalen Struktur hinaus erfolgen sollten um die Entfaltung aller Mitglieder der Gemeinschaft zu ermöglichen.  
 
Dieses Treffen erweist sich als Beispiel einer Förderung der Vernetzung zum Zweck des Engagements der Roma in der Öffentlichkeit nach der Rückkehr aus Deutschland, und könnte auch auf andere lokale Gemeinschaften – vor allem die unter sehr harten Bedingungen lebenden und von Segregation am stärksten betroffenen Roma in Südserbien übertragen werden.
 
Text: Andreas Guidi

Foto: Romski Edukativno Kulturni Centar