Am 17. August 1956, also vor fast genau 60 Jahren, erreichte der Antikommunismus in der Bundesrepublik seinen vorläufigen Höhepunkt: Die Kommunistische Partei Deutschlands - zu diesem Zeitpunkt politisch weitgehend isoliert und marginalisiert - wurde vom Bundesverfassungsgericht verboten. Vorausgegangen war dem Verbot eine Welle von Verboten, Verhaftungen, Polizeieinsätzen und antikommunistischer Hysterie, die maßgeblich das Klima der frühen Bundesrepublik prägten.
Ab 1950 wurde mit massiver Polizeigewalt gegen Veranstaltungen und Kundgebungen von FDJ und KPD vorgegangen. Der bekannteste und traurigste Höhepunkt war der Tod des jungen FDJ-Mitglieds Philipp Müller im Mai 1952 bei einer Demonstration in Essen.
Alexander von Brünneck ermittelte in seinem Standardwerk zur politischen Justiz in der Bundesrepublik, dass von 1951 bis 1958 allein 80 Verbote gegen reale und halluzinierte kommunistische Organisationen über den Verwaltungsweg erlassen wurden. Das bekannteste Verbot galt 1951 der FDJ in Westdeutschland. In jenen Jahren gab es jährlich rund 14 000 staatsanwaltliche Ermittlungen und von 1951 bis 1968 wurden insgesamt 125 000 staatsanwaltschaftliche Ermittlungen durchgeführt, die zu rund 7000 Verurteilten mit zum Teil hohen Haftstrafen führten.
Welche wahnhaften Züge das politische Strafrecht besaß, erkennt man auch daran, wenn man die Verfolgung von kommunistischer Gesinnung mit der justiziellen Verfolgung von NS-Mördern in der Bundesrepublik vergleicht. Der «Spiegel» machte im Jahr 2009 spät aber immerhin darauf aufmerksam: «Die Zahl der zwischen 1951 und 1968 gefällten Urteile gegen Kommunisten lag fast siebenmal so hoch wie die gegen NS-Täter - obwohl die Nazis Millionen Menschen ermordet hatten, während man westdeutschen Kommunisten politische Straftaten wie Landesverrat vorwarf.»
Und das KPD-Verbot erwies sich als ein Mittel gesellschaftlicher Repression, die weit über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinauswirkte. Die Kommunistenverfolgung jener beiden Jahrzehnte betraf direkt oder indirekt mehr als 500 000 Menschen. Sie fand ihre Fortsetzung in den 1970er und 1980er Jahren in der Politik der Berufsverbote und der ausufernden Anti-Terror-Maßnahmen.
Die junge Bundesrepublik hatte sich ein politisches Strafrecht zusammenbeschlossen, welches der Publizist und Anwalt Rolf Gössner als ein «wahres Panoptikum des Verrats, der Zersetzung, Verunglimpfung und Geheimbündelei» charakterisierte. Das dehn- und interpretierbare politische Strafrecht war in seiner Stoßrichtung klar antikommunistisch ausgerichtet und wurde nicht nur gegen Kommunisten, sondern gegen alle, denen auch nur eine eventuelle kommunistische Gesinnung unterstellt wurde, angewandt.
Gesellschaftlich verheerende Auswirkungen hatte das politische Strafrecht, weil es von jenen angewandt wurde, die bereits von 1933 bis 1945 Kommunisten verfolgt hatten. Gerade im Justiz- und Polizeiapparat war der Grad an ehemaligen Nazis besonders hoch, was die geradezu fanatische Kommunistenverfolgung in der frühen Bundesrepublik erklärt.
Dass der Verbotsantrag gegen die KPD pure Ideologie war, kann man auch daran nach erkennen, dass die KPD wie oben erwähnt de facto keinerlei politischen Einfluss in der BRD hatte und Anfang der 1950er Jahre auf dem Weg zur Splitterpartei war. Bei den Bundestagswahlen 1953 erreichte sie gerade einmal 2,2 Prozent der Stimmen. Insbesondere mit Blick auf diesen Zustand der KPD wirkt das Ausmaß der Verfolgung heute umso grotesker und verheerender.
Den Ursachen kommt man auf die Spur, wenn man sich den deutschen Sonderweg im Antikommunismus genauer ansieht: Zunächst war und ist Antikommunismus immer eine Ideologie des Bürgertums gegen die revolutionären und reformistischen Bestrebungen der Arbeiterbewegung. Das ist die Faustformel.
Allerdings gibt es auch hier eine erhebliche Abweichung in Deutschland. Neben dem Antisemitismus war der Antikommunismus der Kitt zwischen Konservativen und der extremen Rechten, schon in der Weimarer Republik. Der Mord an Rosa Luxemburg war eben besonders antikommunistisch und antisemitisch konnotiert. Die Wehrmacht wurde von Hitler maßgeblich über den Antikommunismus in das NS-Regime integriert. Und schließlich wurde der Antikommunismus ab 1933 zu einem eliminatorischen Antikommunismus: durch die Verschleppung und Ermordung kommunistischer Politiker in den KZs und schließlich in einer völlig enthemmten und barbarisierten Kriegsführung gegen die «jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung».
Das Verschmelzen von Antisemitismus und Antikommunismus war die ideologische Grundlage für die Außerkraftsetzung aller zivilisatorischen Normen und der Aufkündigung aller internationalen Abkommen beim Krieg gegen die Sowjetunion.
Mit dem Sieg der Alliierten erlebten der offene Antisemitismus und Antikommunismus einen temporären Bruch. Im Potsdamer Abkommen war die Erneuerung und Demokratisierung unter Einschluss der Kommunisten vorgesehen. Erst mit dem Kalten Krieg fand der Antikommunismus eine offene Wiederbelebung. Ein offen antisemitisches Agieren in Politik und Gesellschaft wurde demgegenüber ein Riegel durch die westlichen Alliierten vorgeschoben. Die Message: Antikommunismus ist in Ordnung, er hat eine weltpolitische Entsprechung. Den Antisemitismus werden wir hingegen nicht akzeptieren.
Dieses Angebot der westlichen Alliierten wurde dankbar aufgenommen, denn Adenauer und sein Umfeld hatten erkannt, dass der Antikommunismus die unverzichtbare vergangenheitspolitische Komponente lieferte, um Wahlen zu gewinnen. Die Staatsreligion Antikommunismus beinhaltete nämlich das entscheidende Moment, damit sich Politik und Bevölkerung nicht mit ihrer Verstrickung in den NS-Faschismus auseinandersetzen mussten.
In der damaligen Zeit galt: Wenn der Kommunismus genauso schlimm bzw. noch schlimmer als der NS-Faschismus ist, dann muss man halt alle Kraft gegen den Kommunismus mobilisieren und kann auf eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit verzichten. Und in diesem Klima galt der Krieg gegen die UdSSR als de facto legitim, die Wehrmacht wurde reingewaschen und die Rückkehr der alten Eliten wurde antikommunistisch begründet vollzogen.
Aber natürlich muss gefragt werden, warum die Verfolgung der Kommunisten von der breiten Gesellschaft unterstützt bzw. geduldet wurde. Dafür seien folgende Punkte zusammenfassend genannt:
- Erstens: Der Antikommunismus war seit der Weimarer Republik eine stete Konstante in der deutschen Gesellschaft. Besonders die Prägung durch die NS-Gesellschaft war fundamental. Alexander und Margarete Mitscherlich haben in ihrem Werk «Die Unfähigkeit zu trauern» die emotionale Internalisierung des Antikommunismus erfasst: «Das Folgenreichste (der NS-Gesellschaft, J.K.) dürfte der emotionelle Antikommunismus sein. Er ist die offizielle staatsbürgerliche Haltung, und in ihm haben sich die ideologischen Elemente des Nazismus mit denen des kapitalistischen Westens amalgamiert. So ist eine differenzierte Realitätsprüfung für alles, was mit dem Begriff ›kommunistisch‹ bezeichnet werden kann, ausgeblieben. Das unter Adolf Hitler eingeübte Dressat, den eigenen aggressiven Triebüberschuss auf das propagandistisch ausgenutzte Stereotyp ›Kommunismus‹ zu projizieren, bleibt weiter gültig; es stellt eine Konditionierung dar, die bis heute nicht ausgelöscht wurde, da sie in der weltpolitischen Entwicklung eine Unterstützung fand. Für unsere psychische Ökonomie waren der jüdische und der bolschewistische Untermensch nahe Verwandte. Mindestens, was den Bolschewisten betrifft, ist das Bild, das von ihm im Dritten Reich entworfen wurde, in den folgenden Jahrzehnten kaum korrigiert worden.»
- Zweitens: Dem folgernd hatte der Antikommunismus in der Bundesrepublik in erster Linie eine vergangenheitspolitische Funktion. Nämlich die Verdunkelung der NS-Vergangenheit und ein Exkulpationsangebot an die Mehrheitsgesellschaft.
- Drittens: Der Antikommunismus in der Bundesrepublik war nicht nur ein Projekt der Eliten oder der Regierung Adenauer. Der Antikommunismus war eine Massenideologie. Es gab einen harten Antikommunismus der Lohnabhängigen. Dieser Antikommunismus der Arbeiterklasse war vergangenheitspolitisch determiniert (siehe zweitens) und materiell. In Zeiten des Wirtschaftswunders waren der Verweis und die Glorifizierung der DDR nicht attraktiv. Weder in materieller Hinsicht noch im Bereich der individuellen Freiheitsrechte war die Orientierung der KPD auf Ost-Berlin und Moskau überzeugend.
- Viertens: Natürlich darf nicht vergessen werden, dass die KPD durch den NS-Faschismus enorm geschwächt war. Zahlreiche ihrer Funktionäre waren ermordet worden oder litten an den Folgen der grausamen Folterungen und Inhaftierungen. Die Parteistrukturen waren in weiten Teilen zerschlagen worden und es gab wenig Nachwuchs direkt nach dem Krieg.
Natürlich gab es auch minoritäre Gegenpositionen: Gustav Heinemann etwa, der sich immer gegen den Antikommunismus gewandt hat; oder Eugen Kogon, der ableitend aus der Geschichte den Antikommunismus ablehnte. Und nicht zu vergessen, Martin Niemöller, der den Antikommunismus als geschichtslos und den Frieden gefährdend einschätzte. Dies waren Einzelpositionen von Menschen, die gleichwohl zum Establishment gehören. Und sie haben schließlich den Weg bereitet, um den Antikommunismus 1968 ff. zurückzudrängen.
Viele Linke und Journalisten, Geschichtsinitiativen und Gedenkstätten haben hier Enormes geleistet. Für Linke ist es dabei entscheidend, den Antikommunismus immer von einem antistalinistischen Standpunkt zu kritisieren. Allerdings gelang es bis heute nicht, die vom Verbot und von den damit legitimierten Staatsschutzprozessen betroffenen Kommunisten und ihre Bündnispartner zu rehabilitieren, obwohl die damaligen Ermittlungen und die zum Teil von Altnazis geführten Prozesse mit rechtsstaatlichen Prinzipien kaum zu vereinbaren waren.
60 Jahre nach dem KPD-Verbot ist es deshalb Zeit, dass Bundesregierung und Bundestag anerkennen, was es an Unrecht gegeben hat und sich bei den Justizopfern des Kalten Krieges entschuldigen. Der Bundestag ist gefordert, alle notwendigen Schritte einzuleiten, um dieses Relikt aus der Eiszeit des Kalten Krieges so schnell wie möglich zu überwinden.
Schon 1969 hatte der damalige FDP-Bundestagsabgeordnete und spätere Innen- sowie Außenminister Hans-Dietrich Genscher einen möglichen Weg dahin aufgezeigt: Eine Novellierung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, die es ermöglicht, Parteiverbotsurteile zu befristen und aufzuheben. Denn da der KPD-Verbotsantrag eine «Ermessensentscheidung einer politischen Instanz» gewesen sei, müssten Überprüfung und Aufhebung des Verbots «ebenfalls einer Ermessensentscheidung zugänglich sein».
Jan Korte, Jahrgang 1977, ist Politikwissenschaftler und stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Linkspartei. 2009 erschien von ihm das Buch: «Instrument Antikommunismus: der Sonderfall Bundesrepublik» im Verlag Dietz Berlin. Korte ist Mitglied des Vorstandes der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Der Text erschien ursprünglich in neues deutschland vom 08.08.2016.