Nachricht | Autopsie einer Zeitschrift: Die erste Phase der »konkret«

Rezension zu Obermair: Sex, Kommerz und Revolution. Vom Aufstieg und Untergang der Zeitschrift "konkret" (1957-1973), Marburg 2011

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1956 war neben der Franco Diktatur Spaniens Deutschland das einzige europäische Land, in dem die Kommunistische Partei verboten war. Ein Jahr später wurde "konkret" gegründet, die bis heute eine der meistgelesenen linken Zeitschriften ist. Obermaiers Buch, das aus seiner Diplomarbeit hervorging, widmet sich der ersten Phase von "konkret", die bis 1973 andauert und vor allem mit den Namen von Klaus Rainer Röhl verbunden ist. Der 1928 geborene Röhl hatte vor der Gründung von "konkret" schon einige andere publizistische Projekte unterschiedlicher Couleur und Reichweite initiiert und ist bis 1973 der Chef von "konkret". "konkret" wurde bis 1964, wie auch sein Vorläufer, der 1955 gegründete "Studentenkurier", aus der DDR mitfinanziert, redaktionell lehnte es sich an sein großes Vorbild, die "Weltbühne" an.

Der Undercover-Schriftsteller und Sozialaktivist Günter Wallraff ist von 1966 bis 1968 Redakteur, der 1946 geborene Stefan Aust, der wie Röhl aus Stade kommt, und später führender Kopf des SPIEGEL wird, ebenfalls. Ab 1965 kommt immer mehr "Sex" in das linke Periodikum – in den Artikeln, den Fotos und den Titelblättern. Die Auflage, die 1963 26000 Hefte betragen hatte, steigt an. Ulrike Meinhof ist von 1961 bis 1964 Chefredakteurin. In der APO gibt es dann viel Kritik an "konkret", nicht zuletzt von Ulrike Meinhof selbst, die zum Boykott aufruft und im April 1969 die Zeitschrift im Zorn verlässt. Da hat "konkret" eine Auflage von 320.000 Stück. Meinhof schließt sich später der Roten Armee Fraktion an und verübt dann 1976 im Gefängis Selbstmord.

In ihrer Hochphase erscheint die Zeitschrift vierzehntäglich, von 1972 an bis zum Ende im November 1973 sogar wöchentlich. Als Röhl zum Ziel interner Kritik wird und konkret ohne nackte Haut erscheint, sinkt die Auflage rapide und die Zeitschrift gerät in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Röhl verlässt die Zeitschrift im August 1973, im November meldet man Konkurs an. Im Herbst 1974 wiederum kommt nach einer Pause die erste neue "konkret", dann dem unter dem bis heute amtierenden Herausgeber Hermann L. Gremliza, an die Kioske.

Obermaiers Buch beruht auf der Autopsie von 332 konkret-Heften und auf 12 Interviews, unter anderem mit Röhl, Wallraff, der für ihre Gerichtsreportagen berühmten Peggy Parnass und anderen, die für "konkret" wichtig waren. Stefan Aust verweigerte sich einem Interview. Das Buch enthält einen 60 Seiten umfassenden Serviceteil mit Literatur, mit einer Liste der im Buch zitierten Artikel, und einer Liste "der konkret-AutorInnen 1957-1973". Das Buch ist sehr flüssig geschrieben, hier macht sich positiv bemerkbar, dass Obermair auch als Journalist arbeitet. Es bietet viele spannende und zeitgeschichtlich relevante Informationen, den größten Neuigkeitswert dürften die Abschnitte zu den Vorgänger-Projekten haben. Politisch spannend ist wie der Konflikt zwischen den kommerziellen Notwendigkeiten der Zeitschriftenproduktion in einer kapitalistischen Gesellschaft und den Erwartung der Leser in den verschiedenen Phasen der Zeitschrift bearbeitet wurde. Nicht zuletzt war "konkret" Medium wie Resultat der kulturellen und sexuellen Liberalisierung der Bundesrepublik.


Bernd Hüttner


Frederik Obermair: Sex, Kommerz und Revolution. Vom Aufstieg und Untergang der Zeitschrift "konkret" (1957-1973), Tectum Verlag, Marburg 2011, 227 Seiten, 24,90 EUR

Manuskriptfassung einer Rezension, die am 20. Juni 2012 auch in der Tageszeitung "Neues Deutschland" erschienen ist.