Er und sein Team sähen sich »enormer Verantwortung« gegenüber, sagte der neue Generalsekretar des ZK der KP Chinas, Xi Jinping, nach der Vorstellung der sechs Genossen, die mit ihm künftig im Ständigen Ausschuss des Politbüros sitzen werden. Xi wurde unerwartet auch gleich zum Vorsitzenden der Militärkommission, also zum Chef der Streitkräfte, ernannt.
Dem Ständigen Ausschuss des 24-köpfigen Politbüros gehören neben Parteichef Xi Jinping (59) der künftige Regierungschef Li Keqiang (57), der neue Vorsitzende der Disziplinkommission Wang Qishan (64), Vizepremier Zhang Dejiang (65), Propagandachef Liu Yunshan (65) sowie die Parteichefs von Shanghai und Tianjin, Yu Zhengsheng (65) und Zhang Gaoli (65), an. Mit diesen Personalentscheidungen geht ein Parteitag zu Ende, der wenig Neues gebracht hat und über weite Strecken von politischen Kompromissen und vom "weiter so" geprägt war. Dabei sind die Aufgaben, vor denen die neue Führung des Landes steht, wahrhaftig gewaltig: China muss in den nächsten Jahren mit deutlich weniger Wachstum zurecht kommen, zugleich ökologischer und sozialer wirtschaften sowie transparent und rechtsstaatlich werden und gleichzeitig muss die Stabilität des Landes bewahrt werden. Auf diesen Nenner gebracht, lassen sich die Aufgaben zusammenfassen, vor denen die neue Führung der Partei und des Landes steht.
Weniger Wachstum
Nach dreißig Jahren mit Wachstumsraten über 10 Prozent wird die Wirtschaft in China 2012 erstmals weniger als 8 Prozent wachsen. Das stellt die neue Führung vor riesige Probleme. Ex-Parteichef Hu Jintao sprach zum Auftakt des Parteitages von einem "neuen Wirtschaftsmodell", das China jetzt benötigt. Die arbeitsintensive Exportindustrie taugt nicht mehr zum Wachstumsmotor. Mit Binnenmarktentwicklung und nationaler Konjunktur sollte seit Ausbruch der Euro- und Schuldenkrisen im Westen die Wende in der Wirtschaftsentwicklung eingeleitet werden. Aber die politischen Karrieren von Kadern und Funktionären der Partei hängen nach wie vor hauptsächlich von den Wachstumsraten ab, die sie in ihrem Verantwortungsbereich erreichen. Bei den Bürgern wächst die Erkenntnis, dass dieser obsessive Drang nach Wachstum immer weniger nachhaltig ist. Aber die Frage, ein anderes Wachstumsmodell einzuführen, stand schon auf dem letzten Parteitag, der im Jahre 2007 abgehalten wurde. Und obwohl der scheidende Generalsekretär Hu Jintao in seinem Bericht an den Parteitag die Forderung wiederholte, die wirtschaftlichen Reformen fortzusetzten, liess er offen, welche konkreten Massnahmen damit gemeint sind. Das Spektrum der diskutierten und geforderten Maßnahmen reicht von der Liberalisierung des Bankensektors bis zur Zerschlagung der grossen Staatsbetriebe, ohne dass erkennbar wurde in welche Richtung es geht. Gleichzeitig heißt es, dass China am Aufbau seines „Sozialismus mit chinesischen Besonderheiten“ festhalten wird. Dazu passt, dass Hu Jintao hat seinen Landsleuten versprochen hat, dass sich ihre Einkommen bis 2020 noch einmal verdoppeln sollen. Auch Chinas gesamte Wirtschaftsleistung solle sich bis dahin erneut verdoppeln. Wie das angesichts der gegenwärtigen Probleme erreicht werden soll, das überlässt Hu Jintao weitgehend seinen Nachfolgern.
China muss in Zukunft ökologischer und sozialer wirtschaften
Die atemberaubende wirtschaftliche Entwicklung Chinas ist mit gigantischen Umweltschäden und einem ständig steigenden Verbrauch an Ressourcen erreicht worden. Gleichzeitig hat sich die Schere zwischen Arm und Reich enorm vergrößert, drohen die sozialen Gegensätze das Land auseinander zu reißen. Hu Jintao hat auf dem Parteitag deutlich gemacht, dass dieser Weg nicht weiter gegangen werden kann. Erstmals werden im Bericht an den Parteitag Umweltschutz und Ökologie gleichrangig neben wirtschaftlicher, politischer und kultureller Entwicklung genannt. Ökologie und Umweltschutz wurden als Aufgabe in das Statut der Partei aufgenommen. Hu nannte die Verringerung der sozialen Gegensätze und die stärkere Berücksichtigung der Interessen der Bürger eine wichtige Aufgabe der Partei. Die zunehmende Polarisierung im Land war zuletzt durch heftige Auseinandersetzungen um den Bau eines neuen Chemiewerkes in der Stadt Ningbo international bekannt geworden. Dort waren tausende Bürger auf die Strasse gegangen, weil sie befürchteten, dass ihre Interessen denen des grössten chinesischen Ölkonzerns geopfert werden. Die Regionalregierung hat den Bau der Anlage jetzt vorläufig gestoppt und den Protesten nachgegeben. Anderswo kommt es immer wieder zu sogenannten „Zwischenfällen mit Massencharakter“ – eine beschönigende Umschreibung für soziale Proteste, die sich häufig an nicht gezahlten Löhnen, an Beamtenwillkür oder Schikanen der Sicherheitskräfte entzünden. Es wird an der neuen Führungsgeneration sein, die Probleme zu lösen.
Politik und Wirtschaft müssen transparent und rechtsstaatlich werden
In seiner Parteitagsrede hat Hu Jintao hervorgehoben, dass China in den vergangenen zehn Jahren zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen und "neue historische Erfolge" errungen habe. Er ruft zur Fortführung der Reformen auf und schloss auch politische Reformen ein. Westlichen Vorbildern erteilte er jedoch eine klare Absage: "Wir werden niemals ein westliches politisches System kopieren" sagte er. Er sprach von den grundlegenden Veränderungen in China und in der ganzen Welt. Diesen könne sich die Partei nicht entziehen. Die Meinungen zu politischen Reformen gehen in China jedoch nach wie vor weit auseinander. Fang Ning von der Chinesischen Akademie fuer Sozialwissenschaften tritt dafür ein, den bisherigen Weg “Die Steine ertastend den Fluss überqueren“ weiter zu gehen. Patriarch Deng Xiaoping hatte Anfang der achtziger Jahre diese Losung für die Wirtschaftreformen ausgegeben. Danach waren überall im Lande Sonderwirtschaftszonen entstanden und Reformen in der Wirtschaft eingeleitet worden, die letztlich dazu geführt haben, dass sich Chinas Bruttosozialprodukt seit 1980 vervierfacht hat. Eine nicht unbedeutende Gruppe von Parteifunktionären, beraten von Sozialwissenschaftlern wie Fang tritt nun dafür ein, dieses Modell auch anzuwenden, um Wahlen und andere demokratische Freiheiten in China schrittweise einzuführen. Dem widerspricht die Zeitung Global Times: Das Vorgehen Deng’s war für die 80er/90er Jahre und für die Wirtschaft anwendbar, heißt es dort, für die Reform des politischen Systems sei es nicht praktikabel. Auch wie es weitergehen soll im Kampf gegen Korruption und Verschwendung blieb unklar. Zwar warnte Hu Jintao die Parteitagsdelegierten, wenn es nicht gelinge, die Korruption in den Griff zu bekommen, könne dies zum "Kollaps von Partei und Staat" führen, aber über die bekannten Aufrufe zu mehr Disziplin und Wachsamkeit hinaus blieb er die Antwort schuldig, wie die vorhandenen strengen Grundsätze der Partei schliesslich durchgesetzt werden sollen. Bislang werden Partei und Staat in China als eine Einheit wahrgenommen. Die Partei durchdringt alle Bereiche von Regierung und Gesellschaft. Aber sie hat ihre eigenen Disziplinareinheiten. Vergehen von Parteimitgliedern werden zunächst dort behandelt, bevor sie, wenn überhaupt, an staatliche Stellen übergeben werden. Zugleich ist politische Entscheidungsgewalt eng mit wirtschaftlichen Interessen verbunden. Seit zuletzt die New York Times das riesige Vermögen offengelegt hat, dass die Familie von Ministerpräsident Wen Jiabao in seiner Amtszeit angehäuft haben soll, seit den Skandalen der letzten Jahre – von gepanschter Milch über gewissenslose Fälschung von Arzneimitteln unter Beteiligung höchster Regierungsstellen bis hin zum Sturz des Spitzenfunktionärs Bo Xilai - seitdem befindet sich die Partei in einer Legitimationskrise. Da hilft es wenig, wenn Hu auf dem Parteitag appelliert, dass die Funktionäre auch für das Verhalten ihrer Familienangehörigen Verantwortung tragen. Der Aufbau eines Rechtssytems kommt nicht schnell genug voran. Politische und wirtschaftliche Entscheidungen werden zumeist in kleinen Zirkeln ausgehandelt. Auch das neue Zentralkommittee der Partei, sein Politbüro und der Ständige Ausschuss sind letztlich das Ergebnis eines langwierigen Aushandelns und Ausgleichs hinter den Kulissen zwischen den verschiedenen Interessengruppen als das Resultat eines transparenten Auswahlverfahrens.
Stabilität und Einheit des Landes wahren
Es ist schließlich gelungen, auf dem Parteitag in Peking den Übergang auf die fünfte Führungsgeneration seit der Gründung der Volksrepublik ohne größere Verwerfungen zu vollziehen. Die eigentliche Herausforderung beginnt jedoch erst. An China werden von vielen Seiten große Erwartungen gestellt - sei es als Lokomotive der Weltkonjuntur oder seine Rolle als Entwicklungsmodell und Weltmacht. Die neue Führung muss die Einheit und territoriale Integrität des Riesenlandes wahren, gleichzeitig die sozialen und politischen Konflikte im Inneren ausgleichen und das alles unter den Bedingungen, dass sich alte und neue Konflikte mit den Nachbarn wieder aufbrechen und die internationale Lage mit ihren Krisen und Konflikten weiter zuspitzt. „Veränderung muss mit Kontinuität ausgewogen werden“, nennt die regierungsnahe Pekinger Zeitung „Global Times“ den neuen Kurs.