Mauritius, Mitglied der Entwicklungsgemeinschaft im Südlichen Afrika (Southern African Development Community), durchlief in den vergangenen Jahrzehnten einen umfassenden ökonomischen Transformationsprozess. Wachstumsraten von im Durchschnitt 6% pro Jahr in den letzten zwei Jahrzehnten verhalfen Mauritius mit seinen 1,3 Millionen Einwohnern zum Aufstieg von einem Land mit niedrigem Einkommen zu einem Land mit mittlerem Einkommen.
Die Zuckerindustrie, die den Kern der Inselökonomie fast seit Beginn der kolonialen Besiedlung bildete, ist heute nur noch von untergeordneter Bedeutung. In den 1960er Jahren erwirtschaftete die Zuckerindustrie noch ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts und beschäftigte Mitte der 1970er Jahre noch 30.000 Menschen. Ein Drittel der Bevölkerung im ländlichen Raum war direkt oder indirekt von der Zuckerindustrie abhängig. Heute steuert der süße Stoff nicht einmal mehr 2% zur Wirtschaft bei und die Beschäftigungszahl liegt bei 10.000 Arbeitnehmer_innen.
Viele Jahre hatte Mauritius Zuckerindustrie vom EU Zuckerregime profitiert. Fast die gesamte Zuckerproduktion, etwa 540.000 Tonnen Anfang der 2000er, wurde zu festen Preisen, die deutlich über den Weltmarktpreisen lagen, in die EU und zu einem geringeren Umfang in die USA geliefert. Seit 2005 drängt die EU auf eine Reform der Handelspräferenzen in der Zuckerindustrie und seit 2006 gibt es einen Plan (Multi-Annual Adaptation Strategy), welcher die Neuordnung des Zuckerregimes über mehrere Jahre bis Ende September 2015 vorsieht. Der Plan hat zu einem niedrigeren Zuckerpreis geführt und die Zuckerindustrie auf dem Archipel umfassend verändert.
Von einst 11 Zuckerfabriken sind heute nur noch 4 im Betrieb. Tausende von Arbeitnehmer_innen und selbständige (Klein)Zuckerbauern haben ihre Arbeit verloren. Exporteinnahmeausfälle von über 250 Millionen Euro pro Jahr sind die Folge. Die Leistungsbilanz Mauritius, dessen Inselökonomie auf Importe vor allem auch von Lebensmitteln angewiesen ist, wird durch die Reform belastet.
Die EU hat den Umbauprozess des Zuckerregimes finanziell in Millionenhöhe abzufedern versucht, vor allem mittels Frühverrentungen (Voluntary Retirement Scheme) sollten die Arbeitsplatzverluste sozialverträglich erfolgen. Arbeitnehmer_innen der Zuckerindustrie erhielten Abfindungen in Form von Geld und Land für die eigene Bewirtschaftung. Darüber hinaus versuchten die EU und die Regierung von Mauritius die Zuckerindustrie selbst zu modernisieren. Heute produziert ein Arbeiter ein Vielfaches an Zucker und mehr als Zweidrittel der Zuckerproduktion wird als veredelter weißer Zucker im Rahmen eines Abkommens mit Südzucker, Europas größtem Zuckerunternehmen, exportiert. Damit werden höhere Einnahmen erzielt. Darüber hinaus haben sich die Zuckerfabriken zu wichtigen nationalen Energieproduzenten gewandelt.
Und schließlich wurde die Diversifizierung der Inselökonomie weiter vorangetrieben. Heute weist die Wirtschaft neben der Zuckerindustrie vier weitere wichtige Wirtschaftsbereiche auf: Verarbeitende Industrie (insbes. Textil), Tourismus, Finanzdienstleistungen und Kommunikationsindustrie. Doch auch die für die Beschäftigung so wichtige Textilwirtschaft leidet unter dem Abbau von Handelspräferenzen sowie der wachsenden Konkurrenz aus Asien.
Die Kritik der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen auf Mauritius entzündet sich vor allem am Prozess der Frühverrentung, der langsamen und unzureichenden Kompensation vor allem mit Land, sowie an der fehlenden Beteiligung der Zivilgesellschaft am Umbauprozess der Zuckerindustrie.
Diese Kritik stand auch im Mittelpunkt der zweitägigen Konferenz (21.-22. Februar 2012) zu der CARES und der Joint Negotiating Panel of the Sugar Industry in der Nähe von Port Louis eingeladen hatten und zu der über 100 Gewerkschafter_innen und Vertreter_innen von sozialen Bewegungen kamen.
Am ersten Tag der Konferenz gingen Kleinbauern, Landarbeiter, Zuckerfabrikarbeiter und Gewerkschafter hart mit dem Prozess der Frühverrentung ins Gericht. Landarbeiter und Zuckerfabrikarbeiter beklagten, dass sie nur sehr zögerlich die versprochenen Landflächen erhalten hätten. Häufig wurden ihnen auch nur schlecht bebaubare Flächen angeboten.
Ashok Subron, Präsident der rls Partnerorganisation CARES, betonte in seinem Vortrag die verpassten Chancen für einen echten Umbau der Zuckerindustrie. Statt einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Inselökonomie im Zuge der Zuckerreform wurde lediglich deren Profitabilität in einem System nicht mehr bestehender Handelspräferenzen gesichert. Zuckerunternehmen wie Omnicane haben sich mittels Staatshilfen in andere Wirtschaftsbereiche wie Energieproduktion, Immobilienentwicklung und Nahrungsmittelproduktion ausgebreitet. Ashok Subron kritisiert denn auch, dass die umfangreichen EU-Hilfen im Rahmen der Zuckerreform nicht dem Archipel und seinen Menschen, sondern vor allem den Zuckerunternehmen zu gute gekommen sind. Verpasst wurde etwa die Chance Zuckerrohrplantagen für die Produktion von Lebensmittel zu verwenden.
Yann Hookoomsing von CARES plädierte in seinem Vortrag für die Umwandlung von Zuckerrohrplantagen nicht nur für die Lebensmittelproduktion sondern auch zur Produktion von Solarenergie. „Maurice, Ile Durabel“ (Mauritius, nachhaltige Insel) ist eine durchaus realisierbare Vision und könnte ehemaligen Bauern und Landarbeitern der Zuckerindustrie in Form von Solarenergie-Kooperativen neue wirtschaftliche Möglichkeiten bieten. Stattdessen aber setzt die Regierung auf den Ausbau der Kohleverstromung. Ein Kohlekraftwerk, das umgerechnet fast 200 Millionen Euro kosten wird, ist geplant.
In seinem Vortrag machte Bernd Schneider, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Europaabgeordneten Helmut Scholz (DIE LINKE), darauf aufmerksam, dass die EU durch die Welthandelsorganisation zu einer umfassenden Zuckerreform gezwungen war. Der seit 2006 schrittweise erfolgte Abbau der Marktpräferenzen hat sowohl die Zuckerproduktion in als auch außerhalb der EU grundlegend verändert. So fiel die Zuckerproduktion in Europa in den letzten Jahren von 22 auf 15 Millionen Tonnen Rohzucker. Trotz der Reformen ist bis heute die Zuckerproduktion in der EU teurer als in anderen Weltregionen, so dass das Marktpräferenzsystem wohl fortbestehen könnte. Sollten Quoten und Festpreise aber komplett wegfallen, hätte dies auch für Mauritius weitere negative Konsequenzen, da auch hier die Produktionskosten weiter weit über jenen in Brasilien liegen.
Abschließend versuchte der Generalsekretär der Vereinigung der Kleinbauern Kreepalloo Shunghoon eine Antwort auf den Umstand, warum immer mehr Kleinbauern ihre Felder nicht mehr bestellen. Für die fallenden Preise von produziertem Zucker sind neben den steigenden Kosten für Düngemittel, die hohen Transportkosten, die Zerstörung durch streunende Tiere und Überflutungen verantwortlich. Shungoon sprach sich für die Gründung einer „Land Bank“ aus, welche Kleinbauern finanziell und beratend unterstützen sollte.
Shungoon und viele der Teilnehmer_innen waren sich in der abschließenden Diskussion einig, dass der Druck auf die nationale Regierung erhöht werden müsse. Sie wird vor allem dafür verantwortlich gemacht, dass heute viele Kleinbauern trotz Hilfen sozial schlechter gestellt sind.
Links:
Yann Hookoomsing: Sugar Sector Reform, the missed opportunity: renewable energy, coal and energy security.
Bernd Schneider: The EU Sugar Reform Policy and the European Left & North-South People’s Solidarity.
Kreepalloo Shunghoon: Small Planters under the sugar sector reform.
Verena Tandrayen-Ragoobur: „Bitter EU Sugar Reforms for Mauritius: A Gender Perspective. European Journal of Economics, Finance and Administrative Sciences 46/2012. http://www.eurojournals.com/EJEFAS_46_14.pdf