Nachricht | In Hass und Liebe zum Kommunismus

Mario Keßler hat eine kritische Biografie über Ruth Fischer verfasst

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Klaus Kinner,

Der den Lesern dieser Zeitung und historisch Interessierten als Autor wohlbekannte Mario Keßler hat ein erstaunliches Buch vorgelegt. Erstaunlich aus drei Gründen: Erstens wegen des Themas; Ruth Fischer ist heute nur noch wenigen bekannt. Zweitens wegen der Materialdichte, drittens wegen des Umfangs.

In Leipzig geboren, in Wien aufgewachsen, entwickelte sich die ältere Schwester von Gerhart und Hanns Eisler in der ersten Hälfte der 20er Jahre zu einer Führungsfigur des deutschen Kommunismus. Nach Rosa Luxemburgs tragischem Ende in der Gründungsphase der KPD war sie die erste Frau an der Spitze einer Organisation, die in ihrer Zeit zur weltweit größten  kommunistischen Partei außerhalb Sowjetrusslands anwuchs. Als eine führende Vertreterin des ultralinken Flügels in der KPD ist ihr Wirken an deren Spitze jedoch überwiegend kritisch zu bewerten. Mario Keßler schreibt zutreffend: »In ihrer Person bündeln sich Aufstieg und Elend der KPD. Dann wurde sie von Hitler und Stalin gejagt. Ihre letzten Jahre standen im Zeichen des Kampfes gegen den Kolonialismus. Mit den kommunistischen Dissidenten, die sie zuerst
bekämpfte, gehört sie zu den Verlierern des 20. Jahrhunderts.«

Dank unglaublich dichter Quellen- und Literaturanalyse kann Keßler eine nahezu intime Sicht auf Ruth Fischer bieten, die dazu verführen könnte, aus dem Verstehen heraus Akzeptanz wachsen zu lassen. Der Autor widersteht der Gefahr. Er rechtfertigt keineswegs die teils wahnwitzige Politik Ruth Fischers und ihres Lebenspartners Arkadij Maslow.

Der Biograf ordnet ihren Weg zum Kommunismus in die Geschichte der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie zwischen Leipzig und Wien ein. Er schildert ihren Beitrag zur Gründung der allerdings marginalen KP Österreichs, deren Mitglied Nummer Eins sie wurde. Ihr Wirken als Ultralinke in der KPD 1919 bis 1923 wird differenziert analysiert. Der Leser erfährt viel Neues über die Auseinandersetzungen innerhalb der KPD und Komintern in dieser dramatischen nachrevolutionären Periode, die von Fischer/Maslow jedoch als Auftakt der Weltrevolution gesehen wurde. Die enge Bindung der KPD an die Komintern und KPR(B) wird umfangreich beleuchtet. Kritisch wird die Politik von Fischer und Maslow, die an der Spitze der Berliner Parteiorganisation standen, bewertet. Die realistischen Politikansätze der Einheitsfront wurden von ihnen scharf kritisiert. Nach dem gescheiterten »deutschen Oktober« 1923 machten maßgebliche Kreise in der KPD und Komintern in den Vertretern der Einheitsfrontpolitik um Heinrich Brandler und August Thalheimer die Schuldigen aus. In diesem Klima wurden Ruth Fischer und Ernst Thälmann an die Spitze der Partei gespült.

Keßler beschreibt genauer und materialreicher als die bisherige Literatur den Anteil Ruth Fischers an der »Bolschewisierung« der KPD. Sie trug die zunehmende Dominanz Stalins bewusst mit, fiel dieser jedoch 1925 selbst zum Opfer. Stalin bevorzugte den leichter zu manipulierenden Thälmann statt der unkalkulierbaren Intellektuellen. Ob der Macho im Kreml generell nicht in der Lage war, mit einer Frau an der Spitze der größten kommunistischen Partei außerhalb Sowjetrusslands umzugehen, sei dahingestellt.

Der Rezensent möchte hier bei allem Respekt für diese großartige Arbeit einige Einwände geltend machen: Für Kessler ist der Prozess der »Bolschewisierung« der KPD ab Mitte der 20er Jahre irreversibel. Die Frage »Luxemburg oder Stalin?« sei 1925 entschieden gewesen. Dem ist entgegen zu halten, dass damals die denunziatorische Sicht auf Luxemburgs theoretisches Werk, für die die Ultralinken um Ruth Fischer standen, noch auf massiven Widerstand in der Partei stieß. Das Unwort des »Luxemburgismus« als Entgegensetzung zum »Leninismus« erfuhr nicht nur durch Intellektuelle Widerspruch. Und diese Kräfte dominierten noch bis 1928 die Politik der KPD. Die »Bolschewisierung« der KPD war nicht alternativlos. Der Bruch begann am 29. Februar 1928 mit dem von Stalin initiierten Geheimabkommen zwischen einer sowjetrussischen und deutschen Komintern-Delegation, das den Weg frei machte für eine sektiererische und linksextreme Politik, begleitet von der unseligen Sozialfaschismusthese und der Diffamierung der Traditionen der deutschen Linken als antileninistischem »Luxemburgismus«.

Die 1925 verstoßene »Stalinistin« Ruth Fischer ist auf der Suche nach neuen Zielen und Werten. Von Hitler und Stalin verfolgt, emigriert sie nach 1933 nach Paris und Lissabon und schließlich in die USA. Maslow gelangt auf abenteuerlichen Umwegen ins Exil nach Havanna. Keßler beschreibt bewegend, wie Ruth Fischer um ihren Lebenspartner kämpfte. 1941 hatte sie für ihn endlich ein Visum für die USA errungen. Unmittelbar vor seiner Ausreise ereilte Maslow indes ein tragischer Unfall, wie es bislang hieß. Kessler ist der Überzeugung, dass dieser herbeigeführt wurde. Ähnlich Trotzki sei auch Maslow Stalins Rache zum Opfer gefallen. Verstört durch den Tod ihres Lebensgefährten und konfrontiert mit stalinistischem Rufmord verstieg sich Ruth Fischer in der antikommunistischen Atmosphäre in den USA in einen psychotischen Wahn, witterte eine »kommunistische Verschwörung«. Zu deren Trägern zählte sie Bertolt Brecht sowie sogar ihre Brüder, die sie der Teilnahme am Mord an Maslows verdächtigte. Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre widmete sich Ruth Fischer der historischen Analyse des deutschen und internationalen Kommunismus. Ihr Buch »Stalin und der deutsche Kommunismus« (1948), im Detail anregend, aber in summa höchst subjektiv,
sollte die internationale Kommunismusforschung stark beeinflussen. Dem Rezensenten gelang es erst 1991, eine kritische Ausgabe der im Ostblock verfemten Arbeit herauszugeben. Keßler vermochte nun eine darüber hinausgehende Analyse vorzulegen.

Ruth Fischer blieb auch im Alter aktiv und wandlungsfähig. Nach Stalins Tod und mit Beginn der Entstalinisierung unter Chruschtschow wandte sie sich erneut dem Kommunismus zu, dem sie in Hass und Liebe ihr Leben lang verbunden blieb. Mario Keßler hat das Leben einer Frau nachgezeichnet, das einem Jahrhundertroman gleicht. Mit seinem opus magnum hat er Maßstäbe für die Kommunismusforschung gesetzt.

Klaus Kinner

Mario Keßler: Ruth Fischer (1895 - 1961). Ein Leben mit und gegen Kommunisten. Böhlau Verlag, Köln 2013. 759 S., geb., 59,90 €.

Quelle: Neues Deutschland, 21.03.2013, (Literatur/Politisches Buch)