Die Publikation beinhaltet eine umfassende und mit Dokumenten belegte Darstellung des kurzen Lebens des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung aus der Sicht des ersten und letzten freigewählten Direktors. Im engeren Sinn umfasst die Untersuchung den Zeitraum vom 27. Oktober 1989, wo unabhängig von der noch amtierenden Direktion des Instituts für Marxismus-Leninismus (IML) einige Mitarbeiter mit einer selbstkritischen Erklärung an die Öffentlichkeit traten und damit eine Entwicklung einleiteten, die am 4. Januar 1990 zur Gründung des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung (IfGA) führte, bis zum 31. März 1992, dem von der Treuhand erzwungenen Ende des Instituts. Benser verdeutlicht, dass Aufstieg und Niedergang des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung nicht in erster Linie von seinen inneren Erneuerungsbemühungen und den dabei erzielten Resultaten abhing, sondern von sich rasch verändernden äußeren Bedingungen, nicht zuletzt von den zunehmend westdominierten politischen Kräfteverhältnissen.
Im Zeitraum vom 4. Januar 1990 bis 18. März nahm das Institut reale Gestalt an und legte erste Arbeitsergebnisse vor. Eine Buchreihe „Sozialistisches Denken“ wurde eröffnet, in der nun auch Titel von Kautzky, Bernstein und Trotzki erschienen. Eine andere Schriftenriehe setzte sich mit dem Thema „SED und Stalinismus“ auseinander. Auch die auf dem XX. Parteitag der KPdSU von N.S. Chruschtschow gehaltene „Geheimrede“ und Begleitdokumente der SED wurden erstmals einem breiteren Leserkreis in der DDR unterbreitet. In dieser Zeit der Regierung Modrow verfügte die PDS trotz aller Anfeindungen und trotz schwindenden Einflusses noch über erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten und finanzielle Mittel, so dass vorerst die weitere Existenz des Instituts gesichert schien.
Das änderte sich nach den Wahlen vom 18. März 1990 mit der Bildung der Regierung de Maiziere. Das IfGA war nunmehr nicht mehr einer regierenden, sondern einer in die Isolierung gedrängten Oppositionspartei zugeordnet. Die Existenzbedingungen des Instituts verschlechterten sich signifikant, wenngleich es sich noch in selbstgewählten Bahnen bewegte. Nach dem 3. Oktober 1990 sah sich das Institut der massiv einsetzenden Kampagne zur Delegitimierung der DDR ausgesetzt. Es unterlag der nun mit dem Einigungsvertrag auf die neuen Bundesländer übertragenen westdeutschen Gesetzgebung. Trotz bedeutender wissenschaftlicher Ergebnisse und großzügiger Dienstleistungen von Archiv und Bibliothek, war nun das Institut zu massivem Personalabbau gezwungen, was die weiteren Möglichkeiten des Instituts einschränkte. Ende August 1991 schlug die von der Treuhand verfügte Sperrung aller Konten der PDS auf das IfGA durch. Am 25. September 1991 wurde das Todesurteil für das Institut mündlich ausgesprochen und am 18. November wurde es schriftlich ausgefertigt. Die Endphase des IfGA zog sich noch bis zum 31. März 1992 hin.
Benser verzichtete auf eine Neuaufarbeitung der Vorgeschichte des IfGA, der Geschichte des IML. Allerdings bemühte er sich um eine Bilanzierung dessen, welches Erbe das IfGA angetreten hatte. Werner Röhrs verdienstvoller Arbeit über die Abwicklung der DDR-Geschichtswissenschaft hielt er zugute, dass dieser am IML eine grundsätzlich berechtigte Kritik geübt hatte. Allerdings schränkte Benser ein, dass es sich um eine teils einseitige Kritik gehandelt habe, weil nicht wenige Arbeitsergebnisse dieses Hauses wie auch die meisten der unveröffentlichten Graduierungsarbeiten durchaus sich neben wissenschaftlichen Resultaten anderer Geschichtsinstitutionen der DDR hätten sehen lassen können. Berechtigt sei die Kritik deshalb gewesen, weil das IML als „Leiteinrichtung“ Positionen autoritär festgelegt habe und es an gebührendem Respekt gegenüber Forschungsresultaten von Kollegen anderer Institute mitunter habe fehlen lassen. Die Crux habe darin bestanden, dass mit dem IML ein Regime der politischen Steuerung und der Bevormundung von Wissenschaftlern installiert worden war. Die Mitarbeiter des IML waren stärker in die politischen Strukturen der DDR und speziell in den Apparat der SED eingebunden als Wissenschaftler anderer Institutionen. Vor allem mit der Thälmann-Biographie und mit dem Abriss der Geschichte der SED sei ein Geschichtsbild kolportiert worden, in dem der Werdegang der KPD und der Kommunistischen Internationale, der SED und der DDR geschönt, Krisenerscheinungen umschifft, Kritiker der Parteilinie und Opfer von Repressalien als „Unpersonen“ behandelt wurden.
Mit alledem hatte das IfGA gebrochen. Die bedeutenden Forschungsresultate seiner kurzen Existenz sind fester Bestandteil eines historisch kritischen Bildes der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und der Geschichte der DDR. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ihm im vereinten Deutschland keine Perspektive gewährt wurde. Außenstehende erklärten nunmehr, wie Benser zu Recht feststellt, den mit der DDR verbundenen oder ihr loyal gegenüber stehenden Bürgern, „ihre Lebensleistung (sei) im Grunde nichts wert.“ (S.119)
Siegfried Prokop
Günter Benser: „Aus“ per Treuhand-Bescheid. Der Überlebenskampf des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung mit einem Dokumentenanhang. edition bodoni, Berlin 2013 (230 Seiten ISBN 978-3-940781-34-5 Preis 18,- EUR)
(Zuerst erschienen in Neues Deutschland, Beilage zur Leipziger Buchmesse 14. bis 17. März 2013; S. 18)