In weiten Teilen Afrikas und Europas ist die repräsentative Demokratie in der Krise. Wahlbeteiligungen von 20-30% bestätigen scheinbar die „Politikverdrossenheit“ der Bevölkerung. Diese Sichtweise ist jedoch sehr fragwürdig. Nicht die Menschen sind politikverdrossen, ganz im Gegenteil. Die Krise besteht in der schwindenden Legitimation demokratischer Prozeduren.
Das politische Engagement der Parteien und ihrer Eliten beschränkt sich nur auf den Wahlkampf. Die politische (Regierungs)Macht wird letztendlich aber nur zur eigenen Bereicherung genutzt. Die Interessen der Mehrheitsbevölkerung, nämlich Frauen und Jugendliche, sind in den Entscheidungen der Regierungen deutlich unterrepräsentiert, was zum einen zu Frustration führt, die sich vielerorts in Aufständen entlädt, andererseits aber auch die Frage provoziert, wie man als von der Regierung marginalisierter Mensch dennoch Einfluss auf die soziale Entwicklung des eigenen Landes nehmen kann.
Das 4. Internationale Kolloquium von Dakar, das die Gabriel Péri Stiftung in Kooperation mit der Partei für Unabhängigkeit und Arbeit (P.I.T.), Senegal und Recherches Internationales sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 22.-24. Mai 2013 organisiert haben, wollte genau an diesem Punkt ansetzen. Unter dem Oberthema „Die Rückkehr der politischen Frage: Repräsentationskrise und demokratische Kämpfe in Afrika“ wurden über 30 Vorträge von Gästen aus vielen afrikanischen und europäischen Ländern, darunter Mali, Ghana, Mauretanien, Nigeria, Frankreich, Deutschland und Côte d’Ivoire, gehalten. Sowohl Akademiker_innen als auch Aktivist_innen saßen auf dem Podium, wodurch neben diversen Fallbeispielen aus den einzelnen Ländern auch theoretische Betrachtungen zu dieser Problematik beleuchtet und diskutiert wurden.
Unter dem Thema „Welches sind die Symptome einer globalen Krise der repräsentativen Demokratie?“ diskutierten die Teilnehmer_innen im ersten Panel, wie soziale Ungleichheit die Krise repräsentativer Demokratie verschärft (Isabell Lorey) und welche Konsequenz dies für afrikanische Staaten zu einem Zeitpunkt hat, da die afrikanische Einheit zunehmend durch erstarkende Nationalismen bedroht wird (Samba Sy).
Im zweiten Panel mit der Überschrift „Neuerfindung der Politik und der Bürger_innenschaft: Welche Rolle spielen soziale Bewegungen und progressive Kräfte?“ wurden drei Themenfelder bearbeitet.
Zum einen wurde die Wichtigkeit der Mobilisierung von Jugend und Frauen als aktive Bürger_innen herausgestellt. Insbesondere die Situation vieler Frauen ist durch sozio-ökonomische Marginalisierung und durch das Fehlen von Bildung und Bürgerrechten geprägt. Dies lässt sich nur über soziale und damit Bürgerrechtsbewegungen verändern (Lucie Cissé). In einer ähnlichen Situation befinden sich auch viele Jugendliche, die in ihren Familien als Unmündige behandelt werden. Allerdings führen zunehmende individuelle Freiheiten, eine bessere Bildung und die Nutzung sozialer Medien heute bei Jugendlichen auch zu einer bewussteren Ablehnung von Manipulationsversuchen durch die Parteipolitik (Malick Diagne).
Ein weiterer Fokus der Diskussion in diesem Panel lag auf der Rolle traditioneller Mitgliederorganisationen wie Parteien und Gewerkschaften bei der Entstehung neuer Bewegungen. Soziale Bewegungen und etablierte Parteien müssen sich hier gegenseitig vorantreiben, insbesondere in Zeiten des Wahlkampfes, um sowohl die Menschen zu politisieren als auch um die eigene Arbeit zu qualifizieren (Kojo Opoku Aidoo).
Ferner wurde die Rolle der Religion als Faktor für die Entwicklung einer aktiven Zivilgesellschaft diskutiert. Während eine Annäherung politischer und religiöser Kräfte stattfindet, verhindert starke Religiosität jedoch auch individuelle Emanzipation von einer starren, hierarchischen Weltsicht (Naffet Keïta).
Eine weitere Gesprächsrunde thematisierte die politische Zukunft der Sahel-Region. Die Krise in Mali zeigt hier auch exemplarisch mögliche Krisenszenarien in Westafrika insgesamt, da viele Regierungen nicht in der Lage sind, den Gefahren, die von Terrorismus, Geldwäsche und Drogenhandel ausgehen, zu begegnen. Außerdem zeigt der Fall Malis auch die Folgen des Scheiterns von Dezentralisierungsprogrammen in vernachlässigten Regionen eines Landes, was anderen Staaten als mahnendes Beispiel dienen sollte (Mohamed Ag Akératane).
Zum Abschluss diskutierten die Teilnehmer_innen schließlich die Frage, wie sich Entwicklung, Demokratie und die Souveränität des Volkes auf progressive Art und Weise zusammenführen lassen. Auch dieses Panel war in zwei Teile gegliedert. Im ersten wurde die Frage diskutiert, ob Afrika ein neues Eldorado für Investitionen sei. Insbesondere die Kopplung des Franc-CFA an den Euro – mit der der schwächste Wirtschaftsraum der Erde an die stärkste Währung gebunden ist – erleichtert zwar Auslandsinvestitionen. Diese werden jedoch hauptsächlich im Bergbausektor getätigt, während allein China in die Infrastruktur investiert. Insbesondere die Auslandsinvestitionen müssen reguliert und verringert werden, zugunsten einer stärker diversifizierten inländischen Wirtschaft (Kako Nubukpo).
Im zweiten Teil der Abschlusssitzung stand die Frage auf der Tagesordnung, welche Rolle der Staat und die Gewerkschaften bei der öffentlichen Kontrolle von Ressourcen und der Gestaltung von Entwicklung spielen. Insbesondere Entwicklung kann nicht nur als wirtschaftliches Wachstum gesehen werden, sondern muss gleichzeitig auch qualitative Veränderungen hervorbringen. Es geht nicht nur um Reichtum, sondern auch um soziale Errungenschaften (Mansour Sy).
Für die Teilnehmer_innen bot diese Konferenz eine gute Gelegenheit zur Vernetzung mit unterschiedlichsten politischen Akteuren. Zwischen den Debatten über wissenschaftlichen Analysen und ganz praktische Probleme innerhalb des Kampfes für eine gerechtere Gesellschaft entstanden Fundamente für gemeinsames Handeln zur Förderung des dringend notwendigen sozial-ökonomischen Umbaus.
Max Wegener