Diese Forschungen bündeln die Ergebnisse jüngster Erkundungen zur Geschichte und zu Langzeitwirkungen einer Terrororganisation, die trotz ungezählter und zumeist auch ungesühnter Verbrechen bei ihrer Mitwirkung an der Etablierung, der Festigung und dem Erhalt des Naziregimes vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg nicht als verbrecherische Organisation verurteilt worden ist. Die Beiträge der 22 Autoren des Sammelbandes schließen beträchtliche Lücken in der zeithistorischen Forschung zur Thematik. Mit anerkennenswerter Detailtreue arbeiten sie unbekannte oder wenig bekannte Aspekte der Geschichte der „Sturmabteilung“ auf. Zugleich verstehen Herausgeber und Autoren ihre Forschungsergebnisse als Anregung für weitere Forschungen und neue Perspektiven. (S.24) Die von den Autoren gewählten unterschiedlichen methodischen Zugänge und die lokalen wie regionalen Perspektiven bereichern das Bild vom Wirken dieser Terrororganisation in den unterschiedlichen Phasen des NS-Regimes. Ihr gehörten 1932 landesweit 220.000 und ein Jahr später annähernd 700.000 SA-Leute an. Sie wirkten zeitweise im Einklang mit den „vaterländischen Kampfverbänden“, u.a. mit dem „Stahlhelm“, bis größere Teile dieser nationalkonservativen Strömungen der Gegnerschaft von Novemberrevolution und Weimarer Republik, einschließlich opportunistischer Überläufer aus Karrieregründen, aufgesogen wurden.
Über die historische Detailforschung hinaus, ist es ein Verdienst der Forschungen, dass sie die Langzeitwirkungen der Mythen dieser Bürgerkriegstruppe bis in die Gegenwart verfolgen. Die mannigfachen beruflichen Erfahrungen der Autoren als Historiker, Soziologen, Politik- und Kulturwissenschaftler und ihr Eingebundensein in Lehre und Forschung, auch in aktuelle Bewegungen an ihren unterschiedlichen Wirkungsstätten in Stadtstaaten wie Hamburg und Berlin oder in Ländern wie Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen u.a. erweisen sich als Vorteil für die vielfältigen Detailuntersuchungen, die sich zu einem Gesamtbild fügen.
Weitere gewichtige Gründe für das insgesamt hohe Niveau des Sammelbandes und dessen wissenschaftlicher Aussagekraft ergeben sich aus der soliden archivalischen Quellenforschung und der umfassenden bibliografischen Recherche. Bundes-, Landes-, Stadt- und Stiftungsarchive sowie Privatsammlungen wurden herangezogen, die regionale und überregionale Presse ausgewertet. Nicht nur schriftliche Überlieferungen wurden genutzt, sondern auch zeitgenössische Fotografien, Karten, Karikaturen, die nicht Zierrat, sondern historisch überliefertes Beweismittel sind.
Über die historische Detailforschung hinaus ist es ein Verdienst des Bandes, dass er die Langzeitwirkungen der Mythenbildung und –pflege dieser Bürgerkriegstruppe, einschließlich des „Blutzeugenkults“ bis in die Gegenwart verfolgt.
Zum Band gehört im Anhang eine umfassende Bibliografie (S. 455- 462). Darüber hinaus endet jeder Beitrag mit einer speziell auf sein Thema zugeschnittenen bibliografischen Übersicht. Ebenfalls wichtige Gründe für das hohe Niveau des Sammelbandes.
Die Themen des Sammelbandes sind: das Wirken der SA bei der Eroberung und Stabilisierung des Naziregimes − dabei vor allem der NS-Terror in der Machtsicherungsphase −, ihr Wirken im staatlichen Auftrag oder im gemeinsamen bzw. einander ergänzenden Handeln mit staatlichen Institutionen, als „Hilfs“- und „Feld“-polizei in Preußen, bei der Einrichtung und beim Betrieb der „wilden“ wie der „staatlichen“ KZs sowie bei Exzessen wie der „Köpenicker Blutwoche“, ferner die SA als Männerbund, einschließlich Wehrsport und Homosexualität.
Gerd Kaiser
Yves Müller/Reiner Zilkenat (Hrsg.): Bürgerkriegsarmee. Forschungen zur nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA), PETER LANG Verlag AG, Bern · Berlin · Bruxelles u.a. 2013, 469 S.
Zuerst erschienen in Nummer 44 der Mitteilungen des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung.