Nachricht | Zur Entschleunigung des Lebens

- ein Seminarbericht vom mcplanet-Workshop „Für ein ganz anderes Ganzes: Linke Interventionsmöglichkeiten zum Klimawandel am Beispiel Mobilität und Verkehrspolitik“

"Knight Rider! Ein Auto - ein Computer - ein Mann!" - wer hätte nicht gern ein cleveres Auto, das zugleich der beste Kumpel ist und auf Knopfdruck 300 Meilen (also 480 km/h!) auf die Reifen bringt. Kritiker behaupten jetzt, selbst David Hasselhoffs (alias Michael Knight´s) Wunderauto "k.i.t.t." (siehe Foto) - bekannt aus der zugleich faszinierenden wie phänomenal schlechten Vorabendserie der 80er Jahre - sei nicht wirklich bereit für die Utopie gewesen...

Dass die BewohnerInnen der westlichen Industrienationen bereits seit geraumer Zeit über ihre Verhältnisse leben, ist nichts Neues: Wir sind zu fett, gucken zu viel Fern und haben zu wenig Bewegung. Und dabei sind wir zugleich unglaublich flexibel und so mobil wie nie zuvor!

Diese Widersprüche kommen nicht von ungefähr. Sie sind direkte Folge unserer Produktions- und Lebensverhältnisse. An Mobilität und Verkehrspolitik spielten Monika Bricke (fels – für eine linke Strömung) und Olaf Bernau (No Lager Bremen) auf dem Umweltkongress Mc Planet einmal durch, was Mobilität heute bedeutet und wie linke Interventionsmöglichkeiten in diesem Feld aussehen können.  

Trotz der Gefahr, damit eine eher wenig motivierende Verzichtslogik zu bedienen, konstatierten die beiden ReferentInnen zunächst: „So wie wir hier bisher leben, kann es nicht weitergehen!“ Der permanente wirtschaftliche Wachstumsglaube wendet sich auch im Klimabereich gegen uns, denn der westliche Lebensstil, der es dank Globalisierung als Ideal-Bild bis in die entlegendsten Winkel der Welt geschafft hat, ist mit den real zur Verfügung stehenden Ressourcen überhaupt nicht vereinbar.

Die Richtung der Problemwanderung ist damit eigentlich bereits benannt. Doch insbesondere was den Ausstoß von Emissionen im Verkehrsbereich angeht, wird die Schuld an der Luftverschmutzung in der medialen Öffentlichkeit gern den „Schwellenländern“ in die Schuhe geschoben. Man ärgert sich über die vielen Autos in China, sorgt sich um die hinterherhinkenden Umweltstandards in Afrika – hier verschränken sich dann zuweilen Umweltsorgen mit patriarchalem Gutmenschendenken und Kapitalinteressen: Ja, den Afrikanern, denen muss man helfen. Dort sollte nun investiert werden, zum Beispiel in (deutsche) Solaranlagen, damit die nicht denselben Fehler wie „wir“ machen und dort die Kohlekraft ausbauen.

Dabei muss man gar nicht ganz bis nach China oder Afrika schauen. Denn Dreckschleudern gibt es  in der Bundesrepublik zu Hauf. Wer´ s nicht glaubt, kann sich von ein paar Zahlenbeispielen verblüffen lassen: „In Deutschland hängt fast jeder zweite Arbeitsplatz direkt oder indirekt von der Automobilindustrie ab. Noch nie fuhren so viele Autos auf deutschen Straßen wie heute – und wenn die Prognosen recht behalten, wird ihre Zahl weiter zunehmen.“ […] „Seit den 50er Jahren stieg die Anzahl der Pkw von drei Millionen in den alten Bundesländern auf heute rund 44 Millionen Fahrzeuge in ganz Deutschland. Obwohl künftig die Bevölkerung nur gering wachsen wird, sollen die Autozahlen bis zum Jahr 2020 auf 48 bis 52 Millionen Fahrzeuge klettern, vermutet eine Shell-Studie vom August 2001.“ (www.wissen.de/wde/generator/wissen/ressorts/technik/mobilitaet/index,page=1309984.html ) In NRW und Baden Württemberg fahren übrigens mehr Autos als in ganz Afrika zusammen!


Die direkte Übertragung von Forderungen des Verzichts beispielsweise auf den Individualverkehr ist allerdings nicht eins zu eins auf die Länder des globalen Südens übertragbar. Während die meisten Wegstrecken in der Bundesrepublik mit dem Auto immer noch deshalb zurückgelegt werden, weil es nun mal Spaß bringt*, spielen PKW hier eine vollkommen andere Rolle. Dort geht es vielmehr um die Überwindung von Transportwegen. In vielen afrikanischen Staaten sind es überwiegend Frauen, die täglich 65% ihrer Wachzeit darauf verwenden rund 20-60 kg Trinkwasser über mehrere Kilometer zu transportieren und so die privaten Haushalte zu versorgen. Hier wird öffentlicher Transport zur Genderfrage. Zusätzliche PKW, die für einen Transport von Wasser und anderen lebensnotwendigen Gütern zur Verfügung stehen würden, würden den BewohnerInnen weiter Landesstriche zumindest in der absoluten Armut eine kleine Unterstützung sein. Die Erweiterung und Verbesserung der Infrastruktur für ein funktionierendes öffentliches Verkehrsnetz findet in vielen Regionen jedoch nicht statt. Zur Ausfuhr von Rohstoffen ließen die Weißen den Eisenbahnverkehr während der Kolonialzeit nach ihren Interessen ausbauen. Diese wurden jedoch bis heute nicht zum tatsächlichen Nutzen der Bevölkerung erweitert. Seit den 80er Jahren werden entweder die Bahnen privatisiert oder Bahnstrecken stillgelegt. Stattdessen wird die Transportlücke nun mit Autos aufgefüllt, da Unternehmen auf diese Weise immer noch am meisten profitieren. Dabei ist allgemein bekannt, dass die zunehmende Privatisierung auch im Verkehrsbereich nicht zuletzt Folge von Bedingungen ist, die der IWF im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen für die Vergabe von Krediten an die betreffenden Länder gestellt hat.
Aber auch im globalen Norden selbst ist Mobilität ungerecht verteilt. Nach einer Untersuchung in Schweden sind Männer dort 100mal mobiler als Frauen, einfach aufgrund der Tatsache, dass sie öfter über ein Auto verfügen. Mobilsein steht für einen guten Job, einen guten Lebensstandard, aber eben auch dafür, mobil bleiben zu müssen. Dies bringt wiederum den Sachzwang mit sich, Geld verdienen zu müssen, um das eigene Auto halten zu können. Nicht jeder kann sich Mobilität leisten. Zugleich verhindern viele alltägliche soziale Zwänge den Verzicht auf den Individualverkehr. Hierin bestand auch eine Kontroverse unter den TeilnehmerInnen des Workshops. So schien es einigen eher unrealistisch, „den Verbraucher“ davon zu überzeugen, sein Fahrzeug in der Garage stehen zu lassen. Denn seine Lebensrealität legt ihm jeden Tag das Gegenteil nahe, sei es durch Werbung sei es durch die Anforderungen seines Arbeitgebers.  

Neue Visionen
Klima-Aktivistinnen wie Monika Bricke (GenderCC - Women for Climate Justice) sagen, dass es an der Zeit ist, unsere Lebens- und Konsumweisen radikal umzudenken und zu re-organisieren. Wir brauchen ein neues Verständnis von Mobilität, Leben, aber auch von Arbeit. Denn all diese Bereiche sind eng miteinander verknüpft. Soll der Ausstoß von Kohlendioxid verringert werden, müssten die BewohnerInnen insbesondere der westlichen Industriestaaten stärker den öffentlichen Nahverkehr nutzen und auf den immer noch steigenden Individualverkehr (PKW) verzichten. Auch das Flugzeug sollte viel weniger als Transportmittel genutzt werden. Reisestrecken sollten mit alternativen, umweltschonenderen Transportmitteln zurückgelegt werden können. Hierzu müsste den NutzerInnen allerdings auch mehr Zeit zur Verfügung gestellt werden und sie müssten sich den Transport natürlich auch leisten können. Es geht also nicht nur um ein Umweltproblem, sondern auch um die Organisierung des Lebens an sich, und wie wir die Versorgung der Gesellschaft mit den notwendigen Gütern zum Leben gestalten. Was soll produziert werden und wie viel brauchen wir überhaupt, wenn es nicht um ein bodenloses Wachstum, sondern um die Befriedigung unserer Bedürfnisse geht? Wer stellt diese Güter her und wie wird der Arbeitsprozess gestaltet? Es wäre wichtig, sich mehr Gedanken darüber zu machen, wie die Produktion und Verteilung der Güter, wie die Arbeitszeiten und die Zeit, die man selbst gestalten kann, besser verteilt werden, so dass alle etwas davon haben. Soll “nachhaltig“ produziert werden, müsste beispielsweise die Arbeitszeit radikal verkürzt werden und wir bräuchten längere bezahlte Urlaubszeiten. Denn wer sich mit dem Zug und dem Fernbus statt mit dem Flugzeug arrangieren muss, muss auch über mehr Zeit verfügen. Eine Reise nach Mexiko und zurück dauert dann eben vier Monate statt zwei Wochen. Da die gesellschaftlich notwendige Arbeit immer noch getan werden muss, bedeutet dies, dass die anfallende Arbeit auf mehr Menschen umverteilt werden müsste. Zugleich müsste der öffentliche Nahverkehr vergesellschaftet werden, damit er nach den Bedürfnissen der AnwohnerInnen ausgebaut und kostenlos angeboten werden kann. Die Geschwindigkeit des Alltags, die sich auch im Symptom “Stress“ äußert, muss gedrosselt werden. Was wir brauchen ist eine allgemeine langfristige Entschleunigung der Lebensverhältnisse.

Kurzfristig müssen Privatisierung und Ausverkauf des Nahverkehrs in den Städten verhindert werden. Das Regionalverkehrsnetz müsste ausgebaut werden. Mobilität muss ein öffentliches kostenfreies Gut bleiben, das auch Erwerbslose nutzen können. Der Auto- und Flugverkehr muss hingegen radikal reduziert und der Zug- und Schiffverkehr ausgeweitet werden. Verkehr und Konsum müssen stärker regionalisiert werden.

Und was wir selber tun können? - Es gibt bereits Netzwerke und Gruppen von AktivistInnen, die die Initiative ergreifen, um Forderungen öffentlichkeitswirksam zu artikulieren und alternative soziale Praktiken durchzusetzen. Angefangen bei der Forderung nach der Besteuerung von Flügen; dem Verzicht auf Autos von ParlamentarierInnen, die eine Vorbildfunktion haben, bis hin zur Durchführung von Demonstrationen gegen den Ausbau konkreter Autobahnprojekte; dem Anstoßen innerstädtischer Debatten um das Sozialticket, mit der auch soziale Ungleichheit thematisiert wird oder Kampagnen wie der BOG (Bremen ohne Geld), bei der es auch einen Klima-Verkehrstag gibt, bei dem von allen Bremerinnen und Bremern endlich einmal alle öffentlichen Verkehrsmittel umsonst genutzt werden können. Allerdings: Diese sehr sinnvollen Ansätze werden sich solange in Widersprüchen verstricken, solange sie nicht als Übergangsforderungen in eine ganz andere Gesellschaft verstanden werden.

 

 

Fußnote:

*„Die Begeisterung der Deutschen für automobile Themen und die emotionale Bindung zum Auto sind ungebrochen – Staus, Feinstaub und hohen Autokosten zum Trotz. Mehr als jedes andere Gebrauchs- und Investitionsgut steht das Automobil auch für den Ausdruck des Lebensgefühls der Deutschen. Gleichzeitig ist es Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit. In den gutverdienenden Top-Zielgruppen stehen hochklassige und exklusive Autos auf der persönlichen Wunschliste ganz oben. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle siebte Ausgabe der Studie „Autofahren in Deutschland 2005“ von der Motor Presse Stuttgart.“ (www.presseportal.de/pm/22036/721438/motorpresse_stuttgart)