Nachricht | Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen Österreich hat paradox gewählt

Eine Kurzwahlanalyse von Walter Baier zu den Nationalratswahlen in Österreich.

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Walter Baier,

Das Ergebnis der Wahlen zum österreichischen Nationalrat muss in Europa paradox erscheinen. Trotz der, im Vergleich günstigen Wirtschaftsdaten, wurde die regierende «Große Koalition» aus Sozialdemokraten (SPÖ) und Konservativen (ÖVP) abgestraft. Ihr Stimmenanteil ging von 55 Prozent auf etwas weniger als 51 zurück. Die SPÖ konnte mit 27 Prozent zwar stärkste Partei bleiben, sitzt nun aber in einem Parlament mit vier Rechtsparteien, die gemeinsam über 107 von 183 Mandaten verfügen.

Besser als prognostiziert, erreichte die deutschnationale, rassistische FPÖ 21,4 Prozent (+3,9). Es ist ihr gelungen, den Großteil der Stimmen zurückzuholen, die sie seit 2005 an das von Jörg Haider gegründete BZÖ verloren hat. In der Steiermark gelang der FPÖ allerdings spektakulär in die Wählerschaften von ÖVP und SPÖ einzubrechen und stärkste Partei zu werden. Auch unter den ArbeiterInnen und Angestellten hat die FPÖ die SPÖ als stärkste Partei abgelöst.

Mit 11,5 Prozent blieben die Grünen unter den Erwartungen. In Wien mussten sie Verluste hinnehmen, was weniger mit kommunalpolitischen Fehlgriffen der rot-grünen Stadtregierung zusammenhängt als mit dem Auftreten einer neuen Partei, den NEOS.

Mit FRANK (5,8 Prozent), einer von dem kanadischen Milliardär österreichischer Herkunft Frank Stronach gesponserten Partei und den NEOS (4,8 Prozent),  einer von einem anderen Milliardär gesponserten Abspaltung der ÖVP ziehen zwei neue Rechtsparteien mit neoliberaler Programmatik ins Parlament ein. «FRANK – Team Stronach» präsentierte eine um den Rassismus bereinigte Variante des Rechtspopulismus und reüssierte damit vor allem im FPÖ-Wählerreservoir. Die besten Ergebnisse wurden in der Steiermark (10 Prozent) und in Kärnten (6,9 Prozent) erzielt. Im Kontrast dazu adressieren die NEOS ein urbanes, gesellschaftspolitisch liberal eingestelltes Klientel. Sie sind prononcierte Anhänger der Europäischen Integration. In Wien, wo sie mit 7,5 Prozent ihren Spitzenwert erreichten, mobilisierten sie WählerInnen in vergleichbarer Größenordnung vom seinerzeitigen Liberalen Forum, der ÖVP und den Grünen.

Als einzige ausgewiesen linke Partei stand die KPÖ zur Wahl und erreichte ihre traditionellen 1 Prozent (Wien 1,7 Prozent, Steiermark 1,8 Prozent). Dort, wo die KPÖ kommunal verankert ist, liegen die Ergebnisse zwischen 2,5 und 4 Prozent und stellen Positionsgewinne bei bevorstehenden lokalen Wahlgängen in Aussicht. Die Piraten erhielten 0,8 Prozent.

Obwohl das Wahlergebnis die Fortsetzung der Großen Koalition ermöglicht, könnte die Regierungsbildung sich als schwierig erweisen. Im Unterschied zur SPÖ fällt der ÖVP die Entscheidung für die Fortsetzung der Koalition schwer, weil sie sowohl von rechts, seitens der FPÖ, als auch in der Mitte, seitens der NEOS, unter Druck steht. Trotzdem dürften die Einflusszentren der ÖVP das Experiment einer Rechtsregierung unter Einschluss der FPÖ und einer der neuen Parteien als zu riskant beurteilen.

Möglich aber ist, dass die ÖVP versucht, das gestiegene parlamentarische Gewicht der Rechten in den Verhandlungen mit der SPÖ zu nützen, und eventuell auch auf die Beteiligung einer der neuen, rechten Parteien an der Regierung drängt. Wie weit die SPÖ diesem Druck nachgeben kann, ist unklar. Umgekehrt könnte sie SPÖ auf eine Einbeziehung der Grünen in eine Koalition mit der ÖVP drängen.

Die ÖsterreicherInnen haben am 29. September tatsächlich paradox gewählt. Sie haben ihre Unzufriedenheit mit der neoliberalen Politik der Koalition durch die Stärkung neoliberaler Parteien ausgedrückt, und werden daher noch mehr neoliberale Politik bekommen. Die deutschnationale, rassistische FPÖ bleibt in Lauerstellung.