In der Woche vom 16. bis 21. September 2013 organisierte das Regionalbüro Südostasien der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen mit dem Tampadipa Institut, einer burmesischen Nichtregierungsorganisation, einen Austausch für das Institut für Legislative Studien (ILS) der vietnamesischen Nationalversammlung in Myanmar. Hintergrund der Veranstaltung war es, die Beziehungen zwischen der vietnamesischen Nationalversammlung und den burmesischen Kolleg_innen zu stärken und über den Transformationsprozess in Myanmar hin zu einer Mehrparteiendemokratie zu diskutieren. Da der Transformationsprozess alle Teile der Gesellschaft und der staatlichen Institutionen einschließt, war das Programm umfassend und beinhaltete Treffen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, staatlichen und bundesstaatlichen Institutionen, sowie Mitgliedern der Nationalversammlung. Die Veranstaltungsorte der Gespräche gaben ebenfalls einen guten Einblick in die Diversität Myanmars und reichten vom ökonomischen Zentrum Yangon, über die Hauptstadt Naypidaw bis hin zum kulturellen Herzen Bagan.
Nach der Ankunft am Abend des 16. September traf sich die Delegation mit Dr. Khin Zaw Win, dem Direktor des Tampadipa Institutes, um das Programm der nächsten Tage zu besprechen und um sich über die jüngsten politischen Entwicklungen in beiden Ländern auszutauschen. Für den nächsten Morgen war ein Treffen mit dem Myanmar Institut für Strategische und Internationale Studien (MISIS) in Yangon vereinbart. MISIS ist ein unabhängiger Think Tank, bestehend aus ehemaligen Botschafter_innen und anderen erfahrenen Personen auf dem Feld der internationalen Beziehungen und Sicherheitspolitik. Ihre Studien und Forschungen werden an das burmesische Außenministerium weitergeleitet und dienen den Mitarbeiter_innen als Informationsquelle. Während des letzten Jahres untersuchten sie besonders die Entwicklungen im Ost Meer/Südchinesischen Meer, um sich besser mit den Positionen der einzelnen Akteure vertraut zu machen. Diese Forschung ist ein sehr wichtiger Bestandteil für Myanmar bei der Vorbereitung auf den nächsten ASEAN-Gipfel im Jahr 2014, den Myanmar erstmalig seit der Mitgliedschaft in ASEAN ausrichten wird. Mit großem internationalem Interesse wird verfolgt, wie das Land das wichtigste Treffen der ASEAN nach den Jahren der wirtschaftlichen und politischen Isolation organisiert. Durch sein Informationsangebot leistet MISIS einen großen Beitrag zur Kapazitätsentwicklung der burmesischen Entscheidungsträger_innen und es spielt eine wichtige, unabhängige Rolle in der Außenpolitik Myanmars. Nach dem Treffen mit MISIS stand ein Treffen mit der Land Core Group der Food Security Group, einem NRO-Netzwerk, dessen Arbeitsschwerpunkt auf Landkonflikten und Nahrungssicherheit liegt, auf dem Programm. Ein Vertreter der Gruppe, gab der Delegation einen Überblick über die jüngsten Gesetze in Bezug auf Land und Boden. In seiner kurzen Präsentation erläuterte er der Delegation, dass das Gesetzgebungsverfahren und die Rechtsvorschriften noch nicht befriedigend seien, da sie sich mit anderen Gesetzen zum Schutz der Kleinbauern widersprechen. Derzeit gibt es massive Landkonflikte in Myanmar, die nicht nur ökologische Schäden und soziale Ungerechtigkeit steigen lassen, sondern auch gegen grundlegende Menschenrechte verstoßen und die Lebensgrundlage vieler Menschen im ländlichen Raum gefährden. Neben chinesischen Unternehmen spielen auch vietnamesische Unternehmen in der aktuellen Debatte um Landraub eine wichtige Rolle. Daran erinnernd, dass ethnische Prinzipien und Arbeitnehmer_innenrechte universal seien und nicht an der Grenze des Nationalstaates halt machen sollen, reiste die Delegation in die Hauptstadt Naypidaw.
Am Mittwoch den 18. September hatte die Delegation die Gelegenheit Myanmars neue Hauptstadt Naypidaw zu besichtigen. Das erste Treffen an diesem Tag fand im burmesischen Außenministerium statt, wo die Delegation den stellvertretenden Außenminister Myanmars traf. Während des 90-minütigen Gesprächs mit den burmesischen Vertreter_innen wurden viele verschiedene politische Aspekte diskutiert. Durch seine eigenen beruflichen Erfahrungen in der burmesischen Botschaft in Hanoi zu Beginn der 90er Jahre, war der stellvertretende Außenminister bestens mit der politischen und wirtschaftlichen Situation Vietnams vertraut. Seitdem verfolgt er Vietnams Erfolgsgeschichte von einem Entwicklungsland zu einem Land mit mittleren Einkommen und gesteigerter Wirtschaftskraft. Aber es sei nicht möglich die Umstände des Transformationsprozesses zu vergleichen, da sie unter völlig unterschiedlichen Vorzeichen stattfanden, so seine Schlussfolgerung. Damals, zum Ende der 80er Jahre, waren Wirtschaft und Medien noch nicht globalisiert und der Informationsaustausch stärker beschränkt. Heute sind Medien und Wirtschaft global vernetzt und über jeden einzelnen Schritt informiert. Kleinste Krisen an einem Ende der Welt haben Einfluss auf die Entwicklungen am anderen Ende der Welt. Daher, das unterscheidet den Transformationsprozess voneinander, war es für Myanmar nicht möglich die wirtschaftliche Transformation von der politischen Transformation zu trennen. Dieser anstrengende Prozess wird von der gesamten Bevölkerung mitgetragen, da ein nationales Interesse bestehe die wirtschaftliche Schieflage gemeinsam in den Griff zu bekommen. Das Ende der Medienzensur habe dazu geführt, dass die Bevölkerung ein Überangebot an Informationen hat. Den Umgang mit dieser Fülle an Informationen müsse das burmesische Volk erst noch lernen. Für Myanmars Zukunft wird die Ausrichtung des ASEAN-Gipfels auch von besonderer Bedeutung sein. Deshalb sammelt die burmesische Regierung derzeit Informationen, um sich mit den verschiedenen Positionen der jeweiligen Länder und Interessensgruppen vertraut zu machen. Das Treffen im Außenministerium endete mit der wiederholten Anfrage nach mehr Austausch zwischen beiden Ländern und die RLS Südostasien kann dabei als Brückenbauer dienen. Nach der Mittagspause hatte die Delegation die Ehre, sich mit zwei Berater_innen des burmesischen Präsidenten zu treffen. Während des Gesprächs diskutierten die Teilnehmer_innen das Gesetzgebungsverfahren der Nationalversammlung mit ihren burmesischen Gastgeber_innen. Dabei wurde es offensichtlich, dass der gegenwärtige Status der Gesetzgebung noch nicht den Ansprüchen genüge und weitere Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Gesetzgebung zu professionalisieren. Professionalisierung jedoch ist derzeit noch eines der größten Defizite der burmesischen Parlamentarier_innen, da sie durch jahrelange Nicht-Existenz eines Parlaments erst die neuen politischen Spielregeln erlernen müssen. Neben den Unterschieden im Gesetzgebungsprozess ließen sich einige Parallelen zwischen beiden Ländern finden. So diskutieren beiden Länder gegenwärtig eine Verfassungsreform. Auch der Status der Medien in Vietnam bzw. Myanmar war erneut Gegenstand der Unterhaltung, da die Medien auch eine Bildungsfunktion haben, die dem Reformprozess unterstützend zur Seite stehen kann. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Verfassungsreform in Myanmar ist die Teilung der Macht zwischen Bundes- und Landesebene. Dieses Thema ist gerade in Myanmar aufgrund der ethnischen Diversität von enormer Bedeutung.
Am nächsten Tag machte sich die Delegation weiter auf nach Bagan, wo zwei Treffen mit einer Gruppe von Parlamentarier_innen geplant waren. Nach einer langen Reise durch Zentralmyanmar, die einen bemerkenswerten Eindruck der Lebensbedingungen der Menschen auf dem Land hinterließ, erreichte die Delegation am Nachmittag Bagan. Für den Abend und am frühen Morgen wurden zwei Sitzungen angesetzt, um die Arbeitsbedingungen der Mitglieder des Parlaments beider Länder zu diskutieren und zu vergleichen. Erneut wurde verdeutlicht, dass ein großes Defizit beider Parlamente in der Informationsbeschaffung liegt. In diesem Sinne sind beide Parlamente nach europäischen Standards noch nicht voll funktionsfähig, da die Mitglieder meist nicht über eigene Mitarbeiter_innen zur Informationsbeschaffung verfügen. Speziell für Gesetzgebungsprozesse ist eine unabhängige und wissenschaftlich hochwertige Forschung notwendig, sollen Fehler oder Mangel des Gesetzes vermieden werden. Schließlich diskutierten beide Seiten eine weitere Zusammenarbeit für die Zukunft und mehr Austausch zwischen beiden Parlamenten.
Zurück in Yangon wurde die Delegation am letzten Tag des Austauschprogrammes von einer Gruppe Lokalpolitiker des „Bundesstaates“ Yangon empfangen. Erneut wurden Themen der Informationsbeschaffung und der Machtverteilung zwischen Bundes- und Länderebene diskutiert. Gegenwärtig liegen viele Hoheiten noch in den Händen der Zentralregierung und bis zur Emanzipation der lokalen Regierungen ist es noch ein langer und steiniger Weg. Dennoch ist die Hoffnung groß, dass die lokalen Parlamente schon bald mehr Einfluss auf die regionale Gesetzgebung haben.
Zusammenfassend kann das Austauschprogramm als großer Erfolg gewertet werden. Durch die Hilfe der burmesischen Partnerorganisation bot sich der vietnamesischen Delegation die Chance, mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Funktion, so wie mit Verterter_innen unterschiedlichster Organisationen zu reden. Somit konnte der vietnamesischen Seite ein umfassender Einblick in den gegenwärtigen Transformationsprozess Myanmars gegeben werden. Für die Zukunft werden weitere solche Veranstaltungen in Betracht gezogen und die RLS kann stolz sein, dass sie durch ihr hervorragendes Netzwerk in der Region eine besondere Mittlerinnen- und Moderatorinnenrolle einnehmen kann. Ohne gegenseitiges Verständnis und Austausch innerhalb der Region, werden alle Länder härter arbeiten müssen um eine soziale und nachhaltige Entwicklung über die Landesgrenzen zu gewährleisten. Nur durch Kooperation innerhalb der Region können dauerhafte Strukturen der Verständigung geschaffen werden.