China mit seiner atemraubenden Industrialisierung der letzten Jahrzehnte ist zum Signum für enormes Wirtschaftswachstum, für globalisierte Wertschöpfungsketten, einen steigenden materiellen Wohlstand von Hunderten Millionen von Menschen sowie für die zunehmende politische und wirtschaftliche Macht der Schwellenländer auf internationalem Parkett geworden. Doch „atemraubend“ sind im wahrsten Sinne des Wortes auch die damit einhergehenden sozial-ökologischen Folgen. Von den zwanzig Städten weltweit, in denen die Luft am meisten verschmutzt ist, liegt ein Großteil in China. Viele Dörfer, Städte und Regionen haben Wasserprobleme, über 300 Millionen ChinesInnen haben Schätzungen zufolge keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Böden werden kontaminiert oder erodieren. Wirtschaftswachstum und politische Stärke gingen mit einem enormen und ebenfalls rapide steigendem Ressourcenverbrauch einher. Das Wachstum der Produktion und des Konsums widerspiegelt sich in steigenden Emissionen Chinas von klimaschädlichen Treibhausgasen. In absoluten Mengen hat China die USA bereits überholt, und es liegen bereits Berechnungen vor, die aussagen, dass China im Jahr 2013 die Europäische Union hinsichtlich der pro-Kopf Emissionen an CO2 überholt habe. Viele Probleme, wie die Luftverschmutzung und der Smog sind sichtbar und in den eigenen Atemwegen auch spürbar. Schon seit einigen Jahren wird dieses Problem auch von offizieller Seite nicht mehr verschwiegen, sondern ernst genommen. Der neue Präsident Xi Jinping versprach bereits 2012 unmittelbar nach seiner Wahl, sich nicht nur den zunehmenden sozialen Ungleichheiten und der Korruption, sondern auch dem Umweltschutz zuzuwenden. Schon von der vorausgegangenen Führungsriege wurde die Entwicklung einer „ökologischen Zivilisation“ zu einem politischen Arbeitsschwerpunkt erklärt. Die Lösung der Umweltprobleme wurde durch die neue Führung politisch aufgewertet, was nicht zuletzt den erheblichen Problemlagen geschuldet ist, die nicht mehr ignoriert werden können. Andere Begriffe, wie „harmonische“, „wissenschaftliche “, „ausgeglichene“ oder „grüne“ Entwicklung sind Anzeichen dafür, dass die Partei- und Staatsführung ihre „ökologische Verantwortung“ und die negativen Implikationen der wachstumsgetriebenen Entwicklung erkannt haben. Doch was hat das für Konsequenzen?
Das Chinesisch-Europäische Forum für sozial-ökologische und rechtliche Fragen diskutierte vom 25. bis 28. September 2013 diese Frage und suchte Antworten. Das Forum wurde bereits zum dritten Mal gemeinsam vom Büro Beijing der RLS, der Fakultät für Umweltrecht der renommierten Renmin Universität Beijing und der Universität Wien organisiert, so dass es bereits thematische wie personelle Kontinuitäten im Diskussionsprozess gab. In diesem Jahr konnte die Universität für Wirtschaft und Finanzen in Taiyuan (Provinz Shanxi) als Gastgeber sowie weitere Kooperationspartner und Mitorganisatoren gewonnen werden.
Über 60 TeilnehmerInnen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft diskutierten zwei Tage lang in vergleichender Perspektive jüngere umweltpolitische Entwicklungen in China und Europa. Zhou Ke von der Renmin Universität skizzierte die historische Entwicklung der Nachhaltigkeitspolitiken in China, die bereits in frühen Jahren formulierten Nachhaltigkeits-Programme und den stark gestiegenen Stellenwert in den letzten Jahren. Josef Baum (Uni Wien), Zhai Yong (Umwelt- und Ressourcenausschuss des chinesischen Nationalen Volkskongress) und Joachim Spangenberg (Umweltforschungszentrum Leipzig) zeichneten ein präzises Bild der sich verschärfenden ökologischen Krise, insbesondere über den Klimawandel. Aber sie stellten auch Handlungsmöglichkeiten dar, wie etwa die beeindruckende Modernisierung ehemaliger Minenstädte, auf die Liu Xin vom Land- und Ressourcenministerium einging, oder die von Chlarence Chiang aufgezeigten Chancen eines nachhaltigeren Bergbaus.
Spannend waren die vielen Fallstudien zu China, welche die Erfolge, aber auch die Grenzen aufzeigten. Fan Wenqiang zeigte Ansätze einer dezentralen Müllverwertung, Shen Lei von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften die zentrale und bislang wenig nachhaltige Rolle der Zementproduktion, Cao Xia von der gastgebenden Shanxi-Universität die deutlich verbesswerten Mess-Möglichkeiten zur Luftreinhaltung. Zhang Qiaozhen stellte die Ansätze im Hinblick auf Ökosteuern in China dar. Der Vertreter des Chinesischen Verbandes der kohlefördernden Unternehmen, Tang Jiaxuan sah vielfältige technologische Möglichkeiten, um die Umweltprobleme anzugehen.
Hinsichtlich der Möglichkeiten einer „Grünen Ökonomie“ gab es unterschiedliche Einschätzungen. Während Xiao Guoxing von der East China University in Shanghai Chancen sieht, insbesondere wenn die Eigentumsrechte an Land und Ressourcen durchgesetzt würden, kommt Ulrich Brand (Universität Wien) vor dem Hintergrund europäischer Entwicklungen zu einer deutlich skeptischeren Einschätzung und verweist auf den exklusiven und partiellen Charakter einer öko-kapitalistischen Modernisierung, welche die ökologische Krise nicht effektiv bearbeitet.
Dem Schwerpunkt der Tagung entsprechend spielten Rechtssetzung und staatliche Regulierungen eine wichtige Rolle. Petra Mahrenholz (Umweltbundesamt Halle) stellte die vielfältigen Instrumente der deutschen Umweltpolitik dar. Philip Andrew-speed (Singapore National University) zeigte am Beispiel Großbritanniens die Grenzen einer auf Privatisierung setzenden Modernisierung des Energiesystems auf. Auf chinesischer Seite wurden die jüngeren rechtlichen Entwicklungen von Bai Pingze (Rechtsberater in Shanxi), Wang Xiaping (Shanxi-Universität), Ren Gangjun (Rechtsabteilung des Parlaments der Provinz Shanxi) und Chen Demin (Chongqing-Universität) im Überblick dargestellt und von KollegInnen mit präzisen Beispielen illustriert. Gao Guilin von der Pekinger Universität für Wirtschaft und Handel zeichnet nach, wie wichtig Ende der 1990er Jahre die Vergabe der Olympischen Spiele des Jahres 2008 nach Peking war, um die Verlagerung der schmutzigsten Industrien ins Umland voranzutreiben.
Besonders hervorzuheben sind, neben den lebhaften Diskussionen, einige spannende Eindrücke. Der wissenschaftliche und politisch-strategische Diskurs in China ist offenbar sehr offen für die vielfältigen ökologischen Probleme, aber der Kern des Entwicklungsmodells – die weltmarktgetriebene Industrialisierung nach westlichem Vorbild - wird kaum infrage gestellt, der Markt nicht kritisiert, sondern meist als noch zu ineffektiv eingeschätzt. Der Begriff der Klasse fiel kein einziges Mal in den Beiträgen. Entsprechend werden immer wieder die Chancen neuer Technologien und des internationalen Technologietransfers betont, Effizienzsteigerungen und ein politischer Rahmen, der Planungssicherheit bietet, werden zum Königsweg. Nur am Rande wurde diese Perspektive von einigen als zu eng kritisiert. Die Debatte blieb auch sehr produktions- und angebotsorientiert, die Lebensweise der Menschen, die Vorstellungen von Fortschritt und Entwicklung als politische Terrains spielen offenbar in den avancierten universitären bzw. wissenschaftlichen Debatten in China – und die wurden bei der Tagung zweifellos präsentiert - keine Rolle.
Für die von Achim Brunnengräber (FU Berlin) und Nicola Bullard (Klimaaktivistin) vorgestellten Ansätze unabhängiger Initiativen seitens NGOs und sozialer Bewegungen scheint es in China kaum oder noch zu wenig Aufmerksamkeit im Wissenschaftsbetrieb zu geben. AktivistInnen, die in chinesische Umweltaktivitäten eingebunden sind, waren in Taiyuan, anders noch als ein Jahr zuvor bei der Forumsveranstaltung in Beijing, nicht eingeladen. Cao Mingde von der Chinesischen Universität für Recht und Politik in Peking ging auf solche Bewegungen im Zusammenhang mit der Frage nach der Umweltgerechtigkeit noch am deutlichsten ein. Huan Qinzhi vom Institut für Marxismus der Universität Peking tat dies indirekt in seinem Vortrag zur staatlichen Rechtsetzung im Hinblick auf ökologische Menschenrechte. Zhu Xiao (Renmin-Universität) stellte Möglichkeiten der rechtlichen Sicherung des öffentliches Interesse an einer gesunden Umwelt und Wang Xiuqing vom Taiyuan College die mitunter vorgenommenen Bezüge zu traditionalem Recht dar. Das Denken verläuft sehr stark entlang eines Staates, der – bei allen eher am Rande erwähnten Problemen – die Regeln zu setzen hat für die Privatwirtschaft oder selbst wirtschaftlich aktiv ist. Staatskritik äußert sich eher als Kritik an unzureichenden politischen Institutionen.
Vor allem für die ausländischen Teilnehmer war es schließlich spannend, in der 4,2-Millionen-Stadt Taiyuan und ihrem Umland in der Provinz Shanxi zu sein. Die Provinz ist etwa doppelt so groß wie Österreich und hat 35 Millionen EinwohnerInnen. Das im nördlichen Kernland Chinas gelegene Shanxi ist sehr stark von der Ressourcenextraktion abhängig. Etwa die Hälfte der weltweiten Kohleförderung findet derzeit in China statt. In Shanxi wiederum befinden sich ein Drittel der Kohlereserven Chinas und es wird derzeit ca. ein Viertel der chinesischen Kohle dort aus den Bergen geholt. Seit 2010 gibt es auch in Shanxi beträchtliche Probleme, hervorgerufen durch geringere Wachstumsraten, sinkende Kohlepreise und verstärkte Importe. Eine Exkursion zum Abschluss der Tagung zu der buddistischen Tempelanlage auf dem Wutai Shan, dem 2009 zum Weltkulturerbe erklärten „Fünf-Gipfel Berg“, führte durch eine der wichtigen Kohleregionen. Smog, Kohlestaub und tausende kohlebeladene LKWs auf dem Weg nach Beijing oder in die industriellen küstennahen Produktionszonen im Süden verdeutlichten noch einmal, mit welch immensen Schwierigkeiten und langwierigen Prozessen China konfrontiert ist, bis eine „ökologische Zivilisation“ Wirklichkeit werden könnte.
Josef Baum (Universität Wien), Ulrich Brand (Universität Wien, Fellow am Institut für Gesellschaftsanalyse der RLS), Achim Brunnengräber (FU Berlin, Forschungszentrum für Umweltpolitik, FFU) und Lutz Pohle (RLS Büro Peking)