Nachricht | Stadt / Kommune / Region Was ist anders in Beckerich?

Studienfahrt in die vielleicht ungewöhnlichste Gemeinde Luxemburgs

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In Fortsetzung des Vortrags über Sinn oder Unsinn von Regionalwährungen im November 2012 mit Christian Gellerie ging es am 12. Juli 2013 nach Beckerich, einem etwa 2500 Einwohner zählenden Ort im westluxemburgischen Kanton Redingen. Dort soll es schon über 60 Geschäfte geben, in denen man der neuen Regionalwährung Beki bezahlen kann. Ein Beki entspricht einem Euro. Teilweise bezahlen schon über zehn Prozent der Kunden mit dem seit Anfang 2013 eingeführten Beki. Zwar sei bisher keine Umsatzsteigerung zu verzeichnen. Langfristig soll genau das jedoch Ziel sein.

Der Beki ist das neueste Werk des umtriebigen Bürgermeisters von Beckerich Camille Gira, der nach 23 Jahren Amtszeit stolz darauf verweisen kann, dass seine Gemeinde aktuell einen sehr niedrigen Altersdurchschnitt hat. Das war nicht immer so. Zu Beginn seiner Amtszeit herrschten in Beckerich krisenhafte Zustände, wie überall in ländlichen Räumen, die meist nur noch als Schlafstädte fungieren und in denen ausschließlich ältere Einwohner den Charakter der Dörfer bestimmen. So betrug Mitte der 80er Jahre die Einwohnerzahl etwa 1500. Zu diesem Zeitpunkt begannen die Einwohner begannen ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und nicht auf „oben“ zu warten.

Gira ist davon überzeugt, dass das Geschichtsbewusstsein einen Wandel ermöglichte, eine der ersten selbst organisierten Projekte waren die Restaurierung und Aufstellung von Wegekreuzen. „Die Leute kannten besser die Champs Elysées als die Kulturschätze ihrer Heimat“, so Gira.

Nächste Stufe der „Dorferneuerung“ war der Erhalt der alten, ländlichen Bausubstanz. Gleichzeitig beteiligten sich Menschen an Klimabündnissen, Agenda-Prozessen, diskutierten über die zahlreichen Klimagipfel und deren Umsetzung in der eigenen Umgebung.

Gira und seine Unterstützer entdeckten die überaus gute Wasserqualität ihres Leitungswassers. Mit einem französischen Investor wurde eine Sprudelabfüllung auf Aktienbasis gegründet. Daran ist die Gemeinde beteiligt und pro verkauften Liter erhält sie einen Beitrag der in die Gemeindekasse fließt. Geld, mit denen neue Projekte umgesetzt werden konnten.

Regenerative Energien waren ein weiteres „Zugpferd“ von Gira. Der Bau einer gemeindeeigenen Biogasanlage zur Erzeugung von Strom und die Verlegung eines ständig wachsenden Nahwärmenetzes waren weitere Etappenziele. Vor wenigen Jahren kamen eine Holzhackschnitzelanlage und ein kleines Holzhackschnitzelkraftwerk hinzu. Einwohner erhalten so günstige Energie und obendrein günstige Brennstoffe.

Alles das kostet Unsummen - Gira schätzt die Rücklaufzeit des Kapitals auf etwa 35 Jahre – wofür man keinen privaten Investor gefunden hatte und weshalb nur eine Kommune dieses Wagnis eingehen konnte und musste. Und der Erfolg gibt Gira recht.

Sich auf den Lorbeeren auszuruhen ist nicht seine Sache, haben sich doch gerade in den letzten Jahre durch das Internet neue Chancen für den ländlichen Raum eröffnet. Eine größere Buchhaltungsfirma entdeckte die ideale „Work-Life-Balance“ des Ortes mit günstiger Energie und leistungsstarkem Internet für sich und siedelte sich an. Gira dazu lapidar: „Wir brauchen keine Autobahnen durch Naturparke sondern großzügige Datenautobahnen.“

Die vielfältigen Aktivtäten haben Beckerich in den vergangenen Jahren bekannt gemacht. Konsequent, dass Gira bereits ein Hotel – natürlich das erste Bio- und Null-Emission-Hotel in Luxemburg – plant, um die über hundert Besuchergruppen pro Jahr zu beherbergen, die das ungewöhnliche Dorf nahe der belgischen Grenze kennen lernen möchten.

Die wichtigsten Maxime einer Kommune fasst Gira so zusammen:

- bestehende Ressourcen nutzen

- Herr der Dinge bleiben

- zu unökologischen Investitionen mal Nein sagen

- regionale Kreisläufe schließen

- soziales Gesicht zeigen und an Kindertagesstätten, Seniorenheimen, Behindertenwerkstätte denken

- bei Integrationsprojekten „nicht warten, bis es im sozialen Bereich anfängt zu brennen“.

Nach dem Geheimnis seines Erfolgs befragt, antwortet Gira „Wir haben die Bürger immer an den Entscheidungen beteiligt und in ihnen Verantwortungsbewusstsein geweckt!“

Da war es nur konsequent, mit einer Regionalwährung diese Aktivitäten zu ergänzen, so Max Hilber, der in Beckerich als quasi „Notenbankchef“ über den „Beki“ wacht.

Die Überlegungen zur Einführung kamen durch die Wirtschafts- und Währungskrise. Immerhin resultieren 85 Prozent aus dem Verleih von Geld und der daraus wachsenden Belastung durch die Zinsen, die aber ehrlicherweise nicht durch Arbeit oder Produktion entstehen, sondern ausschließlich durch virtuelles Finanzgeschacher. Die Probleme der öffentlichen Haushalte seien die ständig wachsenden Zinslasten, die häufig höher sind als die Tilgungen und somit den Haushalten die Möglichkeiten für Investitionen nehmen. Meist zu Lasten unterer Gesellschaftsschichten, sagt Hilber. Würde man die Zinsen streichen wären die Staaten praktisch schuldenfrei.

Genau dies war der Anlass zur Gründung des Vereins „De Kär“ (Der Kern), ein Zusammenschluss von Leuten aus Beckerich und einigen Nachbargemeinden, quer durch alle sozialen Schichten, die sich zum Ziel setzten, mit dem „Beki“ die klassische Politik der Verzinsung von bzw. Spekulierung mit Kapital zu durchbrechen und stattdessen für dessen unentwegte Zirkulation in lokalen Geldkreislaufen zu sorgen.

Der entscheidende Unterschied zum EURO: Wer den „Beki“ spart, verliert. Wer ihn ausgibt, macht sich und die Dorfgemeinschaft zum Gewinner.

Nach einem anschließenden Rundgang durch den Ort mit Besichtigung der neuen Mehrzweckhalle, Biogasanlage, Dorfgemeinschaftshaus, Biotop, Holzschnitzelanlage usw. steht fest:

So einen Bürgermeister wie Camille Gira wünschen wir uns in allen saarländischen Kommunen.