Von 1912 bis 1930 war die Galerie STURM in Berlin ein wichtiger Knotenpunkt im fragilen europäischen Netzwerk, das sich der Förderung avantgardistischer Kunst und Literatur verschrieb. Rund um die Galerie entstanden Ausstellungen und Lesungen, ein meistens agiler Verlag, eine Kunstschule und bereits 1910 die bis 1932 erscheinende gleichnamige Zeitschrift DER STURM. 1913 findet der erste Herbstsalon des STURM statt, der allgemein als erste in Deutschland stattfindende Ausstellung der europäischen Avantgarde gilt.
Gegründet und getragen wurde dieses Konglomerat von Herwarth Walden. Kandinsky, Marc, Delaunay, Chagall, Schwitters, Feininger, Schlemmer, Kokoschka, Moholy-Nagy stellten in der Galerie aus oder lieferten graphische und Textbeiträge zur Zeitschrift. Viele derjenigen, die später am Bauhaus in Weimar (und Dessau) wirkten und anderweitig berühmt wurden, kamen aus den Kreisen um STURM oder waren mit ihm verbunden. Angesichts der späteren und erst recht heutigen Prominenz dieser Namen wird leicht vergessen, wie angefeindet die Expressionist_innen und andere Künstler_innen damals waren. Bilang nennt die damaligen Kritiker „deutschnationale Kunstwärter“ und zitiert, wie jene gegen die „modernistische Überfremdung“ und, den, na klar, „jüdischen Kosmopolitismus“ wetterten. Georg Lewin (1878-1941), wie Walden eigentlich hieß, wiederum trat „um 1919“ der KPD bei, ging 1932 in die Sowjetunion und wurde dort, wie viele andere, ein Opfer des Stalinismus.
Die 1945 geborene und seit Mitte der 1970er Jahre freischaffende Kunstwissenschaftlerin Karla Bilang will der durch die Kunstgeschichtsschreibung mitproduzierten Marginalisierung von Frauen entgegenwirken. Ihr kommt nun das Verdienst zu, die Künstlerinnen zu würdigen, die Teil des STURM-Netzwerkes waren, ja es vereinzelt, wie etwa Elke Laske-Schüler (1869-1945), von 1903-1912 die erste Frau Waldens und dann Nell Walden, mittrugen, wenn nicht erst ermöglichten. Sie stellt knapp 30 Frauen ausführlicher vor. Da sind prominentere wie etwa Gabriele Münter, Marianne von Werefkin, die enorm vielfältige und produktive Sonia Delaunay oder die schon erwähnte Nell Walden (1887-1975), die von Ende 1912 bis 1924 mit Walden verheiratet ist. Sie verbringt 1933 eine große Sammlung in die Schweiz und rettet sie vor der Zerstörung durch die Nazis. Dann Frauen, die zu einer näheren Beschäftigung einladen, wie etwa die Keramikerin Margarete Heymann oder die sehr mit dem STURM identifizierte Holländerin Jacoba van Heemskerck. Sie lehrte an der STURM Kunstschule und verstarb 1923 im Alter von nur 47 Jahren. Etliche der genannten waren auch die „Frau von“ (von Kandinsky, von Jawlenski, von Delaunay ….).
Walden, dies zeigt das Buch, förderte Frauen. Es stellten viel mehr Frauen als die bisher genannten 30 im STURM aus, Bilang nennt sie, aber über viele ist außer dem Namen nur wenig bekannt. Sie hat mit ihrem Buch den bedeutenden Anteil, den Frauen am Durchbruch der künstlerischen Moderne hatten, als Künstlerinnen und anderweitig, in einer angenehm zu lesenden Weise umrissen. Das mit einem Personenregister versehene Buch ist sowohl für diejenigen geeignet, die sich für die Produkte des künstlerischen Schaffens interessieren wie auch für die, die sich vorrangig für die Umstände dieses Schaffens und die dazugehörigen Netzwerke interessieren.
Der AvivA-Verlag hat seit seiner Gründung 1997 eine sehr ansehnliche Reihe von Büchern zu Frauen in der Kunst- und Kulturgeschichte vorgelegt.
Karla Bilang: Frauen im „Sturm“. Künstlerinnen der Moderne, 286 S., 19,90 EUR, AvivA Verlag, Berlin 2013
Empfehlungen zum Thema:
Barbara Alms, Wiebke Steinmetz (Hrsg.) DER STURM im Berlin der zehner Jahre, Bremen 2000
Die Zeitschrift DER STURM digitalisiert im Volltext