Jens Becker, Goethe-Universität Frankfurt am Main, rezensiert für H-Soz-u-Kult
Gietinger, Klaus: Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere. Hamburg: Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg 2009. 539 S.; EUR 39,90.
Er schreibt: "In diesem Jahr häufen sich erneut die geschichtspolitischen Jubiläen: 20 Jahre Mauerfall, 50 Jahre Godesberger Programm der Sozialdemokratie, 60 Jahre Grundgesetz und Gründung des DGB, 70 Jahre Ausbruch des Zweiten Weltkriege oder 90 Jahre Weimarer Verfassung. Im Vordergrund stehen große Zäsuren oder identitätsstiftende Anlässe. Dazu gehört die Verfassung für den ersten demokratischen Staat auf deutschem Boden. Der Vorläufer des Grundgesetzes, so eine gängige These, war den zerstörerischen Angriffen antidemokratischer Kräfte, dem linken und rechten Totalitarismus, ausgesetzt. Weder Sozialdemokraten oder konservativ-liberale Vernunftrepublikaner noch die eher ungefestigten politischen Institutionen hatten dem viel entgegen zu setzen.
Wichtige Ursachenfaktoren ihres Scheiterns ließen sich bereits in der Frühphase der Weimarer Republik, im Kontext der ausgebremsten deutschen Novemberrevolution von 1918, finden: „Gegner“, so stellte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier jüngst anlässlich der Gedenkveranstaltung zu 90 Jahren Weimarer Nationalversammlung im Deutschen Nationaltheater fest, „hatte die Weimarer Republik aber nicht
nur von rechts, sondern auch von links: Es war vor allem der bewaffnete Aufstand der Kommunisten im Januar 1919, der die frei gewählten Abgeordneten zwang, Berlin zu verlassen und in Weimar Zuflucht zu suchen. Und es gehört zu den großen Belastungen der Weimarer Republik, dass die Regierung diesen Aufstand der Republikfeinde von links mit den Republikfeinden von rechts bekämpfte, auch den Freikorps.“ Dieser Mehrheitsdeutung der tragischen Nachnovember-Ereignisse vermag der Frankfurter Publizist, Drehbuchautor und Filmemacher Klaus Gietinger nur in Teilen zu folgen. Sein Fokus gilt dem zerstörerischen Wirken von Reichswehr (Freikorps), Teilen der Bürokratie und der Wirtschaft.
(...) Summa summarum hat Klaus Gietinger mittels einer dichten Beschreibung und unter Auswertung einer Vielzahl von Archivalien einen intelligenten, pragmatischen, nicht völlig verblendeten faschistischen Technokraten und einen Handwerker des organisierten Tötens vorgestellt. Das voluminöse Buch, versehen mit 104 Seiten Anmerkungen, einem ansehnlichen Literatur- und Quellenverzeichnis sowie fünf faksimilierten Dokumenten, die um die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs kreisen, ist solide gegliedert und soll nach dem Dafürhalten des Autors eine klare Funktion erfüllen: Aufklären und Polemisieren. Der bisweilen unsachliche Ton mindert freilich den immensen Ertrag dieser Spurensuche in rechtsextremen und ultrakonservativen Milieus. Er erleichtert es möglichen Widersachern Gietingers, ihn des linksradikalen Denunziantentums zu zeihen. Die dem Hauptkapitel untergliederten Unterkapitel sind genauso kurz gehalten wie Gietingers Stilistik. Wie etwa Franz Müntefering, der sicher auf der
anderen Seite der Barrikade kämpft, ist er ein Befürworter kurzer Sätze. Universitäre Fachhistoriker werden des Weiteren einwenden, dass das Buch keine theoretischen Maßstäbe, etwa hinsichtlich der biografischen Methode, setzt. Dem ist entgegenzuhalten, dass Gietingers politische Täterbiografie genug Diskussionsstoff bietet, um historische Mehrheitsdeutungen herauszufordern."
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