Das Wirken und die Rezeption des Bauhaus´ wird vor allem mit den Namen von Männern wie Walter Gropius, Paul Klee oder Wassily Kandinsky verbunden. Ulrike Müller möchte mit ihrem Buch beweisen, dass Frauen das Bauhaus maßgeblich prägten und „wesentlich dazu beitrugen, dass das Bauhaus-Design im 20. Jahrhundert die ganze Welt eroberte“.
In der Zeit vor der Gründung des Bauhaus´ 1919 haben Frauen nur sehr beschränkten Zugang zu Ausbildungsinstitutionen im Bereich der Kunst. Bei den Kunstakademien ist der Zugang sehr reglementiert, bei den Kunstgewerbeschulen ist die Situation etwas besser. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass „Kunstgewerbe“ ab- und ausgrenzend der weiblichen Sphäre zugeordnet wurde, während „die Kunst“ selbstverständlich den Männern vorbehalten bleiben soll. 1920 wird die später am Bauhaus lehrende Innenarchitektin Lilly Reich als erste Frau in den Vorstand des 1907 gegründeten Deutschen Werkbundes gewählt.
Das Bauhaus hatte sich ein Zusammenwirken von Kunst und Handwerk (ob dies unter dem Dach der Architektur geschehen sollte, war und blieb umstritten) verschrieben – und beginnt mit einem nahezu ausgewogenen Geschlechterverhältnis was die Studierenden angeht. Für das Sommersemester 1919 schreiben sich 84 Frauen und 79 Männer zum Studium ein. Mit den Jahren sinkt die Anzahl und der Anteil der Frauen stetig ab: Im Sommersemester 1922 sind 52 Frauen und 95 Männer immatrikuliert, im Wintersemester 1924/25 dann 34 Frauen und 68 Männer). Hinzu kommt, dass die Frauen sich vor allem in bestimmten Werkstätten konzentrieren: Die Weberei, die dem weiblich konnotierten Kunsthandwerk zugeordnet ist und in der Hierarchie am unteren Ende steht (und heute Textildesign heißen würde) gilt intern als „Frauenklasse“ und auch die Fotografie (obwohl erst 1929 in Dessau eine Fotoklasse unter der Leitung von Walter Peterhans eingerichtet wird) gilt als Domäne der Frauen. Müller überliefert krass frauenfeindliche Zitate, etwa des für die Weimarer Zeit sehr wichtigen Johannes Itten, der meinte Frauen sei nur das zweidimensionale Sehen angeboren und s sie sollten deshalb doch besser in der Fläche arbeiten. Viele der Meister bevorzugen Männer und verhindern, dass zu viele Frauen den Männern die begehrten Werkstattplätze wegnehmen. In der gesamten Geschichte des Bauhauses sind in den Jahren in Weimar (insgesamt 45 Lehrkräfte) und Dessau (34 Personen) von den Lehrkräften nur jeweils sechs Frauen, und da sind Lehrbeauftragte schon mit eingerechnet.
Ziel des lesenswerten Buches von Ulrike Müller ist allerdings nicht, eine Geschlechtergeschichte des Bauhauses zu schreiben, sondern Frauen, die am Bauhaus prägend wirkten und/oder nach ihrer Zeit am Bauhaus bekannt wurden, vorzustellen.
Gertrud Grunow (1870-1944) ist bis 1925 am Bauhaus und unterrichtet bis 1924 im Vorkurs. Gunta Stölzl wird 1927 (!) erste weibliche Werkstattleiterin, in der schon erwähnten Weberei. Anni Albers (1899-1994) übernimmt 1931 die Weberei. Sie ist die Frau von Josef Albers und macht nach ihrer Emigration in die USA dort von allen Bauhausfrauen die größte Karriere. Marianne Brandt (1893-1983) wirkt als Gestalterin von Porzellan und Metall, Lou Scheper-Berkenkamp (1901-1976) arbeitet in der Wandmalerei. Lucia Moholy-Nagy (1894-1989) ist bis 1928 am Bauhaus. Von ihr stammen die meisten der Fotografien, die heute die Ikonografie des Bauhaus´ mitprägen. Moholy wirkt auch entscheidend an der Redaktion der 14 Titel umfassenden Buchreihe des Bauhaus´ mit, ohne dass dies freilich in den Büchern erwähnt wird. 1929 trennen sich Lucia Moholy-Nagy und der ebenfalls am Bauhaus tätige László Moholy-Nagy. Die schon erwähnte Lilly Reich nimmt 1932 eine leitende Position am Bauhaus ein – und macht zusammen mit Kandinsky nach 1933 zweifelhafte Vorschläge, wie das Bauhaus auch im Nationalsozialismus weiterarbeiten kann.
Die Frauen arbeiten durchweg zu schlechteren formalen Bedingungen als die Männer. Sechs der Bauhaus-Frauen werden im KZ ermordet, darunter die vielseitig tätige Friedl Dicker oder die Textildesignerin Otti Berger.
Müller hat dieses Buch bereits 2009 einmal publiziert. Für diese überarbeitete Taschenbuchausgabe wurden einige Biographien gekürzt. Müller nennt die Namen der jetzt herausgefallenen Frauen nicht, sie sind aber durch eine Online-Recherche schnell herauszufinden. Dass diese Kürzung stattfindet, und dann die Namen nicht einmal genannt werden, ist schade, denn damit setzt Müller die von ihr zurecht kritisierte Tendenz der Kunstgeschichtsschreibung fort, die Existenz und die Arbeit von Frauen zu entnennen.
Nach der Lektüre muss man feststellen, dass Frauen am Bauhaus sehr wohl Bedeutung hatten und noch mehr Frauen etwas hätten bewegen können, wenn die Männer sie nicht behindert hätten. Das Bauhaus war aus heutiger Sicht und erst recht mit zeitgenössischen Kriterien durchaus eine patriarchale Einrichtung. Gleichzeitig war das Bauhaus zu Zeiten seiner Existenz die weltweit erste Hochschule für Gestaltung und eine von vielen politischen Spektren angefeindete Institution der künstlerischen Moderne. Eine Einrichtung, die damals (und heute?) ohne Beispiel war und Freiräume bot.
Ulrike Müller: Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design, Insel Verlag bei Suhrkamp, Berlin 2014, 160 Seiten, 12,95 EUR
Hinweis
Link zum hilfreichen Personenatlas auf der Website bauhaus-online (gemeinsam verantwortet von Bauhaus-Archiv Berlin / Museum für Gestaltung, Klassik Stiftung Weimar und Stiftung Bauhaus Dessau). Dieser enthält z.B. keinen Eintrag zu Friedl Dicker, nennt aber mehr Frauen als Müller in ihrem Buch.