Finanzkrise, Rezessionen in der Weltwirtschaft und Konflikte über Rohstoff- und Absatzmärkte dominierten die Schlagzeilen der Presse und bestimmten die Agenda der Weltpolitik. Nahezu all diese Probleme entstanden durch den enormen Konsumhunger der Industrienationen, dem sogenannten globalen Norden, während die Länder des globalen Südens, auch Entwicklungsländer genannt, ausschließlich als Rohstofflieferanten oder billige Produktionsstätten angesehen werden. Trotz aller Negativerfahrungen der letzten Jahre dominieren auch weiterhin neoliberale Entwicklungs- und Wirtschaftskonzepte den politischen Alltag. Konsumkritische Stimmen finden sich nur begrenzt und es fehlt an einer großen Plattform.
Eine solche Plattform wollte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Südostasien zusammen mit dem myanmaresischen Local Resource Centre schaffen und hatte deshalb führende linke, progressive Aktivist_innen, Wissenschaftler_innen und Politiker_innen zu einer internationalen Konferenz über Alternativen zu Entwicklung in Rangun und Mandalay eingeladen. Die Konferenz mit dem Titel „Nachdenken über Transformation – vergleichende Perspektiven des globalen Südens“ fand vom 27. – 28. Mai in Rangun und am 29. Mai in Mandalay statt, mit Redebeiträgen aus und über Venezuela, Ecuador, Kambodscha, den Philippinen, Myanmar, Thailand, China und Deutschland. Thematische Schwerpunkte waren es, die gegenwärtigen Entwicklungsmodelle zu analysieren und Alternativen zu den klassischen Konzepten zu entwickeln. Dabei wurde immer wieder betont, dass der Entwicklungsgedanke von den Ländern des globalen Nordens nahezu deckungsgleich auf die Länder des globalen Südens übertragen wurde, obwohl diese eine ganz andere Geschichte haben. Viele dieser Länder wurden in der Kolonialzeit systematisch ausgebeutet, durchliefen häufig lange Kämpfe und Aufstände bis zur Erreichung der Unabhängigkeit und gerieten nicht selten in postkoloniale Konflikte. Demokratische Strukturen und die Einhaltung der Menschenrechte wurden auch trotz der Unabhängigkeit nur in den seltensten Fällen erreicht und so dominierten korrupte politische Staatsoberhäupter, Diktatoren oder Militärjunta die postkoloniale Zeit. So auch in Myanmar, dass seit dem Putsch durch General Ne Win 1962 durch das Militär regiert wurde. Innerhalb der letzten Jahrzehnte hat die alte politische Führung des Landes die enormen Rohstoffreserven des Landes zu günstigsten Bedingungen verscherbelt und die Profite in ihre eigene Tasche gesteckt. Deshalb ist es gegenwärtig wichtiger denn je, dass ein kritischer Diskurs über Entwicklungsmodelle in Myanmar geführt wird, der zu einer nachhaltigeren, sozial verträglichere und fairen Transformation führt.
Die Konferenz wurde von Pansy Tun Thein, der Direktorin des Local Resource Centres eröffnet. Frau Thein gab dabei einen kurzen Überblick auf den Transformationsprozess in Myanmar. Dabei blieb festzuhalten, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Myanmar nur wenige Menschen erreicht, während der große Bevölkerungsteil des Landes auch vier Jahre nach der begonnenen Demokratisierung in Armut lebt. Nadja Charaby, Leiterin des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung Südostasiens, sprach ebenfalls davon, dass mehr über Alternativen zu Entwicklung nachgedacht werden sollte, als weiterhin auf die neoliberalen Modelle zu setzen, die offensichtlich nicht funktionieren. Diesen Eindruck konnte die Rosa-Luxemburg-Stiftung bei ihrem 1,5-jährigen Engagement in Myanmar deutlich erkennen.
Der erste inhaltliche Beitrag „Entwicklung und soziale Folgen in Myanmar“ von Kyaw Myo Min führte den Veranstaltungsteilnehmer_innen deutlich vor Augen, dass die soziale Schieflage in Myanmar sich gegenwärtig vergrößert. Im Staatshaushalt stehen trotz geringe Umverteilung immer noch nicht genügend Mittel bereit. Es fehlt der Regierung derzeit noch an einer nachhaltigen, sozialverträglichen Entwicklungsstrategie. Entwicklungsziele sind teils utopisch und entsprechen nicht der Realität in Myanmar. Um die Entwicklung Myanmars mit anderen Transformationsprozessen zu vergleichen, folgten auf den Vortrag von Kyaw Myo Min drei Beiträge, die sich besonders mit der Situation Lateinamerikas befassten. Professor Edgardo Lander (Venezuela) informierte die Teilnehmer_innen, wie die hauptsächlich linken Regierungen des Kontinents in der letzten Dekade durch den gezielten Abbau von Rohstoffen die Einnahmen der Staatskasse steigern konnten. Leider vernachlässigten sie dabei Umweltstandards einzuhalten und viele Regionen sind kontaminiert. Auch wenn die Einnahmen größtenteils in Bildungs- und Wohlfahrtsprogramme gesteckt wurden, wird dieser radikale Eingriff langfristige Folgen auf die Regionen haben. Im Anschluss an Professor Lander stellte Dr. Miriam Lang, Leiterin des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung Andenländer in Quito, Alternativen zu Entwicklung vor. In den letzten Jahren haben sich insbesondere in Lateinamerika kritische und progressive Stimmen gemehrt, die alternative Ansätze für ein Leben mit und von der Natur einfordern und umsetzen. Dabei wurden viele Formen von dezentralisierter Energiegewinnung diskutiert, die der Natur weniger Schaden zufügt als die klassischen Konzepte. Zum Abschluss des Themenblocks gab Professor Ulrich Brand von der Universität Wien einen Überblick über die Erfolge und Misserfolge der Millenniums Entwicklungsziele (MDG) der Vereinten Nationen und einen Ausblick auf eine sozial-ökologische Transformation als Grundbedingung für eine realistische Post-2015-Agenda. Nach seiner Analyse müssen moderne Entwicklungsansätze darauf zielen eine globale Transformation des Lebenswandels zu erreichen, die nachhaltiger, sozialverträglicher und im Einklang mit der Natur ist.
Den zweiten Themenblock der Konferenz bildeten Vorträge über die Transformationsprozesse in zwei weiteren Ländern Südostasiens. Professor Rene Ofreneo berichtete über den wirtschaftlichen Transformationsprozess der Philippinen, der als alarmierendes Beispiel für Myanmar und auch andere südostasiatische Länder gesehen werden kann. Zum Ende der 80er Jahre waren die Philippinen eine aufstrebende Wirtschaftskraft in Südostasien. Doch die einseitige Ausrichtung der Wirtschaft auf die Produktion von Textilien hat zu einer schweren Krise geführt. Heute bilden Call-Centers und Dienstleistungsanbieter das Rückgrat der philippinischen Wirtschaft. Prekäre, teils kurzfristige Arbeitsverhältnisse und kein ausgeglichenes, durchdachtes Konzept werden die philippinische Wirtschaft auch weiterhin gefährden. Im Anschluss an Professor Ofreneo stellte Ngo Sothath in seinem Vortrag „Landverteilung und Politik in Kambodscha“ die wirtschaftliche Situation in dem Land dar. Landraub ist ein großes Problem in der gesamten Region. Menschen wird ihre Lebensgrundlage genommen, Abbaukonzessionen werden zu Spottpreisen an Investoren verkauft und viele Gebiete liegen auch Jahre nach der Räumung brach, da sie als Spekulationsobjekte dienen.
Der nächste Tag begann mit einer kurzen Zusammenfassung der Vorträge und Diskussionen des Vortages. Anschließend stellte Sun Wei, Projektmanagerin im Pekinger Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Chinas Entwicklung auf dem Weg zu Etablierung eines Sozialsystems mit chinesisch, sozialistischen Merkmalen“ vor. Dabei verdeutlichte sie die enormen sozio-ökologischen Probleme Chinas, die durch die rasante wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte entstanden sind. Zwar beeindrucken Chinas Wachstumsraten Expert_innen weltweit, doch sind soziale Fragen nach bezahlbarem Wohnraum, Schulbildung oder der Zugang zum Gesundheitssystem auch weiterhin unbeantwortet. Zwar versucht die Regierung in Peking diese Probleme zu lösen, es fehlt aber an bezahlbaren und visionären Konzepten. Der letzte Vortrag von Professor Wolfram Schaffar, Universität Wien, behandelte die Entwicklungsansätze die in Myanmars Nachbarland Thailand. In Thailand gibt es eine lange Tradition von Bürgerinitiativen und Netzwerken, in denen alternative Entwicklungskonzepte diskutiert und praktiziert werden. Doch auch hier lässt sich eine Kluft in der Gesellschaft feststellen, in der eine urbane, konsumorientiere Mittelschicht der mehr traditionell eingestellten Landbevölkerung gegenübersteht. Das thailändische Beispiel zeigt auch gut, wie herrschende Schichten sich alternativ anmutende Entwicklungskonzepte aneignen können.
Die Konferenz endete mit einer intensiven Diskussion über die Zukunft Myanmars, in der einstimmig festgehalten wurde, dass die Regierung die Politik zum Wohle der gesamten Bevölkerung gestalten muss, so dass nicht nur ein paar Wenige von den neuen wirtschaftlichen und politischen Freiheiten profitieren. Von besonderer Bedeutung wird es sein, dass die lokalen Arbeitskräfte und der Binnenmarkt, sowie die Natur vor den Zugriffen räuberischer Investoren geschützt werden.
Nach dieser sehr erfolgreichen Veranstaltung in Yangon, setzte die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Diskussion mit einer halbtägigen Konferenz in Mandalay, wo ähnliche Themen diskutiert wurden, fort. Die Region Mandalay ist unmittelbar und stark von Bergbauprojekten, Landraub und Rodung betroffen, und so bestand das Publikum überwiegend aus Aktivist_innen und Organisationen der Zivilgesellschaft, die mehr über die erfolgreichen zivilgesellschaftlichen Proteste in Lateinamerika erfahren wollten. Auch hier wurde deutlich, dass der kritische Ansatz zur Entwicklung der Rosa-Luxemburg-Stiftung von großem Interesse für viele Menschen in Myanmar ist und dass solche Veranstaltungen regelmäßiger stattfinden sollten. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung und das Local Resource Center sind beide bereit, weiter an diesem Thema zu arbeiten und die Diskussion mit den politischen Entscheidungsträgern auf der einen Seite zu führen, sowie auf der anderen Seite weiterhin die Zivilgesellschaft zu stärken, um einen fairen, gerechten und nachhaltigen Transformationsprozess in Myanmar zu erreichen, der nicht auf Ausbeutung und Umweltzerstörung aufgebaut ist.