Am 28. Juni 1914 ermordeten serbische Attentäter den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ehefrau in Sarajewo, der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas. Ein sich ins Pathologische steigernder Nationalismus verband sich nun mit einem unseligen Imperialismus der bis an die Zähne bewaffneten Mächte Europas.
Dieser Kombination sah sich das klassische diplomatische Krisenmanagement der Zeit nicht gewachsen. Gerade die kaiserliche Regierung des Deutschen Reiches zeigte nun eine von der militärischen Führung des Landes lang genährte verhängnisvolle Bereitschaft, wirtschaftliche und soziale Interessenkonflikte durch einen beherzten militärischen „Griff nach der Weltmacht“ mit einem Schlag zu „lösen“. Dadurch wurden die meisten europäischen Völker binnen Wochen in den Abgrund eines totalen, mit zunehmender Dauer erstmals global entgrenzten Krieges gerissen.
Mit dem Überfall auf das neutrale Belgien und den bald bekannt gewordenen Gräueltaten der deutschen Besatzer an der belgischen Zivilbevölkerung verspielte das Reich binnen kürzester Zeit auch in den Augen der Öffentlichkeit der (zunächst) neutralen Staaten jeglichen Kredit. Das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn und seine Verbündeten sahen sich seit dem August 1914 der Entente aus Frankreich, England und Russland gegenüber, auf deren Seite sich im Mai 1915 auch das Königreich Italien und im April 1917 schließlich die USA schlugen.
Die Sozialistische Internationale und der Krieg
Für die internationale Politik der sozialistischen Arbeiterbewegung bedeutete die Aufnahme der Kampfhandlungen eine vernichtende Niederlage, hatten die in der (Zweiten) Sozialistischen Internationale seit 1889 zusammen geschlossenen Parteien und Gewerkschaften das Bemühen um die internationale Völkerverständigung doch zu der handlungsleitenden Zentralaufgabe ihrer Politik erhoben. Der Kampf für den Frieden sollte sich in den folgenden Jahrzehnten in flammenden Resolutionen und Manifesten der Sozialistenkongresse gegen die nationale Aufrüstung der imperialen Mächte niederschlagen.
Schon auf dem Pariser Arbeiterkongress von 1889 wurde die Erhaltung des Friedens „als die erste und unerlässliche Bedingung jeder Arbeiteremanzipation“ bezeichnet. Der Kampf gegen Militarismus und Krieg blieb auch auf den folgenden Sozialistenkongressen neben den sozialpolitischen Forderungen das zentrale Thema schlechthin.
Insbesondere der „Friedenskongress“, den die Sozialistische Internationale 1912 angesichts kriegerischer Konflikte auf dem Balkan außerplanmäßig nach Basel einberufen hatte, stand ganz im Zeichen des Kampfes gegen den Krieg und fand ein weltweites mediales und politisches Echo. Und auch das Internationale Sozialistische Büro, das seit der Wahl eines hauptamtlichen Generalsekretärs im Jahr 1901 die Arbeit der Sozialistischen Internationale vom Brüsseler Volkshaus aus koordinierte – seit 1905 mit dem bestens vernetzten und hochaktiven Camille Huysmans als Generalsekretär –, widmete der Friedensfrage einen Großteil seiner Aufmerksamkeit. In Brüssel trafen sich dabei mehr oder minder regelmäßig jeweils zwei Delegierte der angeschlossenen Nationen, um die Kongresse vorzubereiten und über wichtige Fragen zu beraten. Ein kontinuierlicher institutionalisierter Austausch zwischen den sozialistischen Bewegungen innerhalb Europas war so bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gewährleistet.
Der komplette, zuerst auf www.gegenblende.de dem gewerkschaftlichen Debattenblog erschienene Beitrag von Dr. Rainer Fattmann ist online nachzulesen.