von Matthias Krauß
Ein einschneidendes Ereignis für das ostdeutsche Land war Politikern der LINKEN am Mittwoch in Kyritz eine engagierte Debatte wert: Auf den Tag genau vor 70 Jahren verkündete der damalige KPD-Politiker Wilhelm Pieck an diesem Ort die „demokratische Bodenreform“. In der Folge wurden Großgrundbesitzer, Nazi-Aktivisten und Großbauern mit mehr als 100 Hektar Landeigentum enteignet zugunsten von Landarbeitern, Flüchtlingen und Kleinbauern.
Am Schauplatz der Diskussion am Mittwoch, dem örtlichen Friedrich-Ludwig-Jahn-Gymnasium, saß in der ersten Reihe die 94-jährige Vera Thiering. Sie arbeitete vor 70 Jahren bei diesem denkwürdigen und folgenreichen Ereignis als Protokollantin. „Ich hatte damals gar nicht gewusst, wer Wilhelm Pieck war. Und meine einzige Sorge war, dass dabei nicht so schnell gesprochen wird“, erzählte sie unter großer Anteilnahme der rund 80 Veranstaltungsteilnehmer. Dann schilderte Frau Thiering, wie angesichts von vielen Flüchtlingen und verlassenen Großgrundbesitztümern die Bodenreform Menschen Perspektive gab und die Ernährungsrundlage schuf.
Entgegen der aktuellen Darstellung der Bodenreform in den meisten Medien, wo die Perspektive der enteigneten Großgrundbesitzer eingenommen werde und dominiere, herrscht in der historischen Wissenschaft weitgehend Konsens darüber, dass sie auf alliiertem Recht fußte und ein Akt der Demokratisierung war, sagte Professor Siegfried Kuntsche. Auch wenn inzwischen klar sei, dass das „Rahmengesetz für die Bodenreform aus Moskau stammte“, ist die These widerlegt, die Reform sei mit dem Spätziel der “Kolchosenbildung“ durchgesetzt worden. Der Agrarökonom Wolfgang Jahn schilderte, wie nach 1990 der zuvor in staatlicher Hand befindliche Teil des landwirtschaftlichen DDR-Bodens in vorwiegend westdeutsche und ausländische Hände geriet.
Den heutigen Eigentumsfragen auf dem Lande widmete sich auch LINKEN-Bundestagsabgeordnete Kirsten Tackmann, die zu dieser Podiumsdiskussion geladen hatte. Angesichts der bestürzenden Tatsache, dass gegenwärtig das Land in immer größerem Umfang „meistbietend verkauft“ werde, „gehört der Boden eigentlich in gesellschaftliche Hand“, vertrat sie. Die Bodenreform habe seinerzeit korrigiert, was auf dem ostdeutschen Land „schief gelaufen“ sei. „Heute läuft es wieder schief.“ Und man möge sich nichts vormachen: „Was wir hier diskutieren, ist eine Machtfrage“.
Die Bodenreform hat zurückgedreht, was in den Jahrhunderten zuvor an rechtswidriger Aneignung durch die Grundbesitzer erfolgt war, sagte LINKEN-Europaabgeordneter Helmut Scholz. Die heutige Preisentwicklung für Ackerland sei alarmierend: „Der Acker bleibt, das Geld verfällt“. Die Landtagsabgeordnete Anke Schwarzenberg nannte die heutigen „Preise zu hoch, um sie später zu erwirtschaften“. Das bestätigte Dietrich Carls von der Agrargenossenschaft Karstädt. Ihm zufolge war der Hektar Ackerland Anfang der 90er Jahre für 3.500 D-Mark zu haben, heute koste er 15.000 Euro. Ob eine Bodenreform nach den Maßgaben der sowjetischen Besatzungszone heute eine Lösung für die Probleme in der Landwirtschaft wäre, lautete eine Frage. Das Podium war sich darin einig, dass für einen solchen Schritt im heutigen Europa alle Voraussetzungen fehlen und auch demnächst fehlen werden. Und doch: „In Schottland, wo inzwischen aller Boden 400 Familien gehört, treten solche Fragen wieder in den Vordergrund“, sagte Tackmann. In Ecuador bekomme nur derjenige Bauer Land, der sich zur Mitarbeit in einer Kooperative verpflichte, wo Technik effektiv eingesetzt werden könne.
An der Veranstaltung im Kyritzer Schulgebäude nahm kein Kind teil, die Gymnasiasten waren an diesem Tage laut Veranstaltungsplan von ihren Lehrern verpflichtet worden, im örtlichen Kulturhaus die Darstellung von Reiner Potratz, Vertreters der brandenburgischen Aufarbeitungs-Beauftragten, entgegenzunehmen unter der Überschrift „Sowjetische Vorgaben und Motive für die Bodenreform“. Vertreter der LINKEN hatten am örtlichen Bodenreform-Denkmal Kränze niedergelegt. Einige Stunden später hielt die Potsdamer Generalsuperintendentin Heilgard Asmus dort einen Gottesdienst ab.