Die Szenische Lesung findet auf dem Fest der Linken am Samstag, 20.9.2014 um 13 Uhr statt. Veranstaltungsort ist der Grüne Salon der Volksbühne. Neben Dr. Dagmar Enkelmann, Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung liest auch Franz Sodann «historische Rollen». Diese fundieren auf Reichstagsprotokollen, Zeitungsberichten und den Tagebuchnotizen von Karl Liebknecht aus dem Jahr 1914. Das JugendtheaterBüro Berlin wird ebenfalls eingebunden sein. Die Veranstaltung ist eine Kooperation der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.
Luc Jochimsen, Journalistin und für DIE LINKE von 2005 bis 2013 im Bundestag, hat die Szenische Lesung initiiert. Regie führt Franz Sodann.
Eine erste Veranstaltung fand bereits am Donnerstag, 28.8.2014 im Paul-Löbe-Haus statt. Dr. Florian Weis, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung las an diesem Abend gemeinsam mit weiteren Gästen aus der Textcollage «1914: Die Reichstagsdebatten zu den Kriegskrediten».
Was heißt es heute – 100 Jahre nach den Reichstagsdebatten zu den Kriegskrediten von 1914 – im Rahmen der Lesung «historische Rollen» zu übernehmen?
Dr. Florian Weis: Es mag bei dem ernsten Anlass etwas unseriös klingen, aber es ist auf jeden Fall ein leichterer, fast spielerischer und etwas distanziert-gebrochener Zugang zum Thema. Das macht meines Erachtens auch den Reiz dieser Szenischen Lesungen aus, ein Format, das wir ja seit 2009 schon mehrfach ausprobiert haben. Die Lesenden sagen nicht das Erwartete, sondern nehmen sich der Rolle anderer an. Dadurch tritt etwas Unerwartetes, ja etwas Überraschendes hervor. Das ist eine Brechung: Mehr hin zur Darstellung und weg vom Statement.
Beim Fest der Linken werden andere lesen als im Paul-Löbe-Haus ...
Dr. Florian Weis: Ja, das macht dieses Format aber auch aus. Ich glaube, genau das ist das Interessante: Erwartungen werden durchbrochen und bleiben unerfüllt. Dadurch entstehen politische Irritationen und positive Verwunderung. Das macht die Mischung von Politik, Prominenz und öffentlich eher weniger bekannten Menschen. Die Szenische Lesung lebt von dieser politisch-künstlerischen Strategie.
Sie sind Historiker. Trägt der Umgang mit den historischen Quellen Ihrer Meinung nach die Lesung?
Dr. Florian Weis: Solange die Textcollage als dramaturgisches und nicht als wissenschaftliches Instrument betrachtet wird, auf jeden Fall. Natürlich sind damit die Fragen nach dem Ersten Weltkrieg, den Kriegskrediten, der deutschen Haupt-, Allein- oder nicht Alleinschuld nicht abgehandelt. Das wäre eine Entwertung von Geschichtswissenschaft, wenn man die Komplexität auf diese Weise würde reduzieren können. Ich finde, die Textauswahl – federführend war Luc Jochimsen, und von der der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben Michael Brie und Michaela Klingberg mitgewirkt – ist äußerst differenziert. Deshalb ist das für mich durchaus ein angemessener Umgang mit dem historischen Material, denn der Text fängt sehr gut die Spannung ein, die Ende Juli, Anfang August 1914 herrschte. Die kluge Art der Textauswahl macht deutlich, wie sich bei den Sozialdemokraten tagtäglich der Versuch, den Krieg zu verhindern, abschwächt. Gleichzeitig wird offensichtlich, wie die nationalistischen Kräfte voll vorantreiben.
Besitzen die zusammengestellten Zeitdokumente einen aktuellen Bezug?
Dr. Florian Weis: Unbedingt, aber nicht in einem zu kurz gedachten Sinn. Seit dem Ende des Kalten Krieges und den damit verbundenen Fesseln, die er Europa im positiven wie im negativen angelegt hat, haben sich seit Anfang der 90er Jahre mit Ex-Jugoslawien und dem Kaukasus-Konflikt dramatische Veränderungen vollzogen. Heute denke ich dabei an den Ukraine-Konflikt, an die Entwicklung im Irak und in Syrien. Das zeigt, dass sich imperiale Konflikte wiederholen und mehr noch an die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges als des Zweiten Weltkrieges erinnern. Auch ein anderer Vergleich wird manchmal herangezogen: Die Situation zwischen China, Japan und den USA, bei der wohl keine Seite an einer kriegerischen Zuspitzung interessiert ist, jedoch provokative Gesten und Aufrüstung stattfinden. Bei einer Deutung des Ersten Weltkrieges – die ich persönlich so nicht teile – als eines Hineinschlitterns Deutschlands und der anderen damaligen Großmächte wird dieser Vergleich manchmal mitgedacht. 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ist manches beklemmend aktuell, ohne, dass das 1:1 übertragen werden kann.
Welchen direkten Bezug sehen Sie zwischen der Szenischen Lesung und der Arbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung?
Dr. Florian Weis: Für mich ist die Lesung ein zwar besonders attraktiver, aber dennoch nur ein punktueller Ausschnitt unserer Arbeit. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat um das Datum 1. September 2014 ein breites Angebot an Veranstaltungen konzipiert: Etwa das 18. Potsdamer Kolloquium zur Außen- und Sicherheitspolitik «Das Jahr 1914 und die Frage von Krieg und Frieden im 20. und 21. Jahrhundert» am Freitag, 29. August. Auch der Kongress zum Geschichtsjahr 2014 «Geschichte wiederholt sich nicht, aber ...», 100 Jahre Erster Weltkrieg – 100 Jahre Bezugnahme und Deutung in Europa, am Freitag, 19. September in Wuppertal gehört dazu.
Und die Szenische Lesung beim Fest der Linken am Samstag, 20. September?
Dr. Florian Weis: Das ist im Prinzip eine Fortschreibung, denn das Setting im Paul-Löbe-Haus lässt sich schon wegen der Besetzung der Leserollen nicht übertragen. Wesentlich ist, dass die Szenische Lesung auch nicht nur für einen Anlass und ein bestimmtes Publikum angedacht ist. Vor allem geht es um die unterschiedliche Besetzung der Leserollen. Das haben die anderen Lesungen der vergangenen fünf Jahre gezeigt. Insbesondere die zum 100. Geburtstag von Stefan Heym im Jahr 2013, mit dem Titel „Stefan Heym – Einer, der nie schwieg“. Das Fest der Linken wird die beiden Jahrestage 100 Jahre Erster Weltkrieg und 75 Jahre Zweiter Weltkrieg behandeln. Die Antikriegshaltung ist einer der konstitutiven Momente der Linken und der LINKEN.
Wie war Rosa Luxemburgs Haltung 1914 zur Debatte um die Kriegskredite?
Dr. Florian Weis: Sie war strikt gegen die Finanzierung des Krieges, hat – wie auch Clara Zetkin – einen konsequenten Antikriegskurs vertreten. Als Frau war sie ja aber nicht im Reichstag, auf Grund des Ausschlusses von Frauen vom aktiven und passiven Wahlrecht. Für Luxemburg war die Gewährung der Kriegskredite ein schwerer Schlag. Ihr Optimismus in die Menschheit als solche und in die Arbeiterbewegung als Avantgarde der Menschheit im Besonderen wurde dadurch ein Stück weit in Frage gestellt. Bei aller Kritik an der Vorkriegssozialdemokratie hat sie sich dennoch als Teil davon begriffen.
Das Gespräch führte Ulrike Hempel, Pressereferentin der Rosa-Luxemburg-Stiftung.