Der vorliegende Band enthält acht Artikel mehr oder minder etablierter AkademikerInnen zu den Themen Parlamentarismus, Presse, Bildung Wirtschaft, Religion/Kirchen im und vor dem Ersten Weltkrieg. Peter Kuckuk widmet sich gewohnt solide der Sozialdemokratie bis hin zur Räterepublik 1919 und Renate Meyer-Braun dem Alltag Bremer Frauen während des Krieges. Edith Laudowicz berichtet über den organisierten Einsatz von bürgerlichen Bremer Frauen (und ihrer Verbände) an der Heimatfront. Ziel des Buches, so der Herausgeber, der Frage nachzugehen, „wie sich der Krieg in Bremen auswirkte“ also „konkret auf das Alltagsleben an der Heimatfront“.
Den ersten beiden Artikeln lassen sich einige der heute allzu schnell vergessenen Rahmenbedingungen entnehmen. Mit Kriegsbeginn wird der Ausnahmezustand ausgerufen, das Deutsche Reich ist de facto eine Militärdiktatur. Das politische System wird von einem Klassenwahlrecht dominiert, wählen dürfen bis 1918 eh nur Männer. Nach einem Jahr Krieg wird Brot zwangsbewirtschaftet und rationiert und einige Monate später gibt es auch andere Grundnahrungsmittel nur noch auf Marken.
Die Bremer Wirtschaft ist v.a. wegen des Hafens zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts schon vergleichsweise stark globalisiert, umso einschneidender sind die Folgen der kriegsbedingten Autarkie. Folgen, die durch eine stark erhöhte Produktion zu Rüstungszwecken nur begrenzt ausgeglichen werden können. Statt zu importieren oder für den Export zu produzieren, baut man nun U-Boote (genau 81 laufen vom Stapel).
Nicht zuletzt gilt - und funktioniert - der nationale Burgfriede zwischen den etablierten Kräften und der Sozialdemokratie auch im lokalen Raum. Proteste (zumindest heute nachweisbare) kommen in mehreren der Texte vor. Erste gibt es im April 1916, als Frauen gegen die schlechte Versorgung demonstrieren und auch plündern. Größere Streiks, etwa auf den Werften, finden erst im März 1917 statt.
Ein Schwerpunkt des Bandes sind die Situation und die Handlungsspielräume von Frauen. Dass Frauen ins Kriegsgeschehen stark verwickelt sind, als Einzelpersonen (sofern Verwandte im Krieg waren) oder als „Kollektiv“, wird immer wieder deutlich. Teilweise werden sogar dieselben, militaristischen Worte verwendet: Da gibt es die Front und die Heimatfront, Frauen werden für die zweite „mobilisiert“ wie die Männer für die erstgenannte. Frauen sind Hunger, der Sorge um die Familie und die männlichen Kriegsteilnehmer ausgesetzt, sehr viele arbeiten zugleich noch in der Rüstungsindustrie. Eine extreme Belastung, die zu gesundheitlichen Schäden und nicht zuletzt auch politischem Unmut führt.
Der Band ist mit vielen zeitgenössischen Bildern und auch mit Faksimiles aus der damaligen Presse reichhaltig illustriert. Er gibt einen passablen Einblick in die Hansestadt Bremen während des Ersten Weltkrieges. Um aber einen wirklichen Eindruck vom „Kriegsalltag“, wie es der Titel des Buches andeutet, zu bekommen, hätten freilich noch Studien zur Situation im Haushalt oder am Arbeitsplatz bzw. im Betrieb aufgenommen werden müssen. Nichtsdestotrotz kann das Buch allen historisch und politisch Interessierten empfohlen werden..
Lars U. Scholl: Bremen und der Erste Weltkrieg. Kriegsalltag in der Hansestadt (Jahrbuch der Wittheit zu Bremen 2012/13), Verlag Edition Falkenberg, Bremen 2014, 224 Seiten, 24,90 EUR