Nachricht | Ungleichheit / Soziale Kämpfe Die Rosa-Luxemburg-Stiftung auf dem Kirchentag

Auswertung der Präsentation der RLS auf dem 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag vom 3. – 7. Juni 2015 in Stuttgart

Information

 „Viele spannende Debatten fanden außerhalb des Kirchentages statt –  teilweise, weil sie den Veranstaltern zu politisch waren …“ Wolfgang Kessler, Chefredakteur, Publik-Forum Nr. 12/2015

1. Einschätzung des Kirchentags

Die Rosa Luxemburg Stiftung hat in diesem Jahr zum siebenten Mal an einem „Deutschen Evangelischen Kirchentag“ teilgenommen. Zu diesem ungewöhnlichen Engagement fühlen wir uns durch einen Artikel unterer Namenspatronin herausfordert, den sie mit dem Titel: „Kirche und Sozialismus“ bereit 1905 in Polen unter Pseudonym veröffentlicht hatte. Der 35. Deutsche Evangelische Kirchentag fand vom 3. – 7. Juni 2015 in Stuttgart fast zeitgleich zum G7-Gipfel auf Schloss Elmau (Bayern) statt. Darüber hinaus hielt an diesem Wochenende die Partei DIE LINKE in Bielefeld ihren Parteitag ab.

Unter dem Thema: „damit wir klug werden“ (Psalm 90,12) kamen etwa 100.000 Dauerteilnehmer­Innen zusammen, darunter auffallend viele Menschen unter 20 Jahre. Das Wetter war ungewöhnlich heiß und prägte die Atmosphäre der Veranstaltungen in den großen und kleinen Zelten im Neckarstadion oder sogar in praller Sonne.

Auch der Markt der Möglichkeiten, auf dem sich auch die politischen Stiftungen präsentierten, war in Großzelten untergebracht und eher weiter weg vom Zentrum der „Stadt der 250 Brunnen“ - so wie Stuttgart in Prospekten gern gepriesen wird.

Wie auf jedem Kirchentag gab es auch diesmal ein großes Angebot an künstlerischen Veranstaltungen, Theater, Tanz und Musik. Und viele KirchentagsteilnehmerInnen waren selbst als ChorsängerInnen oder InstrumentalistInnen vor allem an der großen Schlusskundgebung beteiligt. Im täglich verteiltem „Kirchentagsmagazin“ war zu lesen, dass 4.307 freiwillige HelferInnen den Ablauf der vielen gleichzeitig stattfindenden Veranstaltungen möglich machten, unter ihnen wieder viele Mädchen und Jungen der Pfadfinder. Auch die erfreulich große Kirchentagsbuchhandlung fand mit ihrem überwältigenden Angebot viele Interessierte, bot Autorenlesungen und auch ein Lesekaffee. Außerdem hatten für erholungsbedürftige TeilnehmerInnen 129 Nacht-Cafés geöffnet.

Ein Kirchentag in Stuttgart und das Stuttgarter Schuldbekenntnis

Vor 70 Jahren, im Oktober 1945 – also unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – verabschiedete der Rat der Evangelischen Kirchen in Deutschland das sogenannte „Stuttgarter Schuldbekenntnis“. Dieses Schuldbekenntnis ist das erste und einzige Dokument der evangelischen Kirchen in Deutschland, in dem sich die Kirchen mit ihrer eigenen Verstrickung und Schuld während des Faschismus auseinandersetzen. Es beginnt mit den eindrucksvollen Worten: „ …wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt zu haben.“

Angesichts der alten und neuen Kriege hätte die Friedensfrage auf diesem Kirchentag –70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs – eine zentrale Stelle einnehmen müssen:

 

die Krise in der Ukraine, die Auseinandersetzungen mit dem IS und der kriegerischen Auseinandersetzungen in Asien und Afrika und die wachsenden Zahl von „failing states“ wie in Syrien, Irak, dem Jemen und einer Reihe afrikanischer Staaten. Dazu die Auseinandersetzung mit Ideologien und Politikansätzen, die für heutige Menschenverachtung und unmenschliche Verhältnisse stehen.

Der Kirchentag hätte hierzu nur an seine eigenen Traditionen anzuknüpfen brauchen.

Frauen und Männer der „Bekennenden Kirche“ waren seit 1934 davon überzeugt, dass die Unkenntnis der Bibel bei Christen und Christinnen folgenschwer den braunen Strategen der „arischen Herrenrasse“ direkt in die Hände spielte und gründeten deshalb als VertreterInnen der „Bekennenden Kirche“ „Bibelwochen“, um die Irrlehre der „Deutschen Christen“ zu entlarven, deren Anspruch „positives Christentum“ zu praktizieren, verbunden war mit Arierwahn, Judenhass und der verlockenden Floskel vom „Volk ohne Raum“, die den Angriffskrieg auf den „jüdischen Bolschewismus“ rechtfertigte. Schließlich hatte die Thüringer Landeskirche und die Theologische Fakultät in Jena in fataler Zusammenarbeit ein „entjudetes Neues Testament“ erarbeitet.

Diese Bibelwochen wurden mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vom Staat verboten.

An die Tradition der Bibelwochen knüpfte die Gründung des Kirchentags direkt an, vor allem um der Verachtung des Alten Testaments entgegen zu wirken. Insbesondere die VertreterInnen der Bekennenden Kirche drangen darauf, die Verstrickung und Schuld der evangelischen Kirchen öffentlich aufzuarbeiten.

Das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ von 1945 und mehr noch das 1948 erarbeitete „Darmstädter Wort zum politischen Weg unseres Volkes“ gehören zu den – mühevoll verabschiedeten Dokumenten dieser Auseinandersetzung – als Gründungsdokumente des Kirchentags. So heißt es im Darmstädter Wort unter 3.: „Wir sind in die Irre gegangen …. Wir haben die christliche Freiheit verraten, die uns erlaubt und gebietet Lebensformen abzuändern, wo das Zusammenleben der Menschen solche Wandlungen erfordert. Wir haben das Recht zur Revolution verneint, aber die Entwicklung zur absoluten [faschistischen] Diktatur geduldet und gut geheißen.“[1] Darüber hinaus wurde auch die biblische Parole zur Gründung des Evangelischen Weltkirchenrates „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein“ von 1948 zur Grundlage des Deutschen Evangelischen Kirchentags.

Mit der diesjährigen Losung des Kirchentags „damit wir klug werden“ hätte es nahe gelegen, diese eindeutig antifaschistische Gründungsüberzeugung der ersten evangelischen, kirchenkritischen Laienbewegung deutlich wieder ins Bewusstsein zu bringen. Gerade angesichts dieser kirchentagseigenen Tradition ist es nicht nachvollziehbar, warum die 38 Organisationen der Friedensbewegung mit ihren ca. 60 Veranstaltungen nicht Teil des Kirchentags werden konnten. Auch das Lied-Oratorium „Dietrich Bonhoeffer“, das an seine Ermordung vor 70 Jahren erinnert, wurde nicht in das offizielle Kirchentagsprogramm aufgenommen. Bonhoeffer hatte 1934 „kompromisslos klug“ gefordert, dass die Kirchen ihren Söhnen die Waffen aus der Hand nehmen sollten, um den zweiten Weltkrieg zu verhindern. Außerdem hatte er zu bedenken gegeben, dass man „um des Glaubens willen“ aus einer Kirche austreten müsse, die – in mörderischem Antisemitismus befangen – sogar ihre „getauften“ Juden und Jüdinnen in die Todeslager ziehen lässt. Passte Bonhoeffers erwiesene Klugheit etwa nicht ins organisatorische Konzept?

Immerhin verwies der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Bedford-Strohm, auf das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ und erklärte, dass gerade die Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung: „weil das Dunkle beim Namen genannt wurde“ 1945 den Neuanfang ermöglichte.

Themen, Kontroversen Gesellschaftskritik auf diesem Kirchentag

„Von Streitkultur und Kontroversen konnte in Stuttgart kaum die Rede gewesen sein, Fehlanzeige!“, heißt es in der taz von 8. Juni 2015.[2] System- und gesellschaftskritische Veranstaltungen hatten ihren Platz am Rande oder außerhalb des Kirchentags. „Viele spannende Debatten fanden außerhalb des Kirchentages statt – teilweise, weil sie den Veranstaltern zu politisch waren …“, schreibt Wolfgang Kessler, Chefredakteur von Publik-Forum in Reflektion des Kirchentags.[3]

Das betraf nicht nur politisch strittige Themen, die es reichlich gibt angesichts zunehmender Armut auch im globalen Norden, der Krise der EU, der Krise in der Ukraine, Griechenland, den Auseinandersetzung mit dem IS etc., sondern ebenso lebenswichtige Fragen wie Wert und Status von Ehe und Lebenspartnerschaften – Themen, das vor dem Hintergrund des erfolgreichen Referendums in Irland große Aufmerksamkeit erfuhren. Es wurde allerdings auch dazu kaum gestritten. So blieben wertekonservative Gruppen von sich aus eher unter sich.[4] Die konservativ-pietistische „Lebendige Gemeinde“, deren Mitglieder sich bisher in Distanz zum für sie zu „liberalen Kirchentag“ verstehen, lud erstmalig in Kooperation mit dem Kirchentag zum „Christustag“ in die Porsche-Arena ein.

(Auch) diesmal erfüllte der Kirchentag seine Funktion als Kritik herausfordernder Raum eines pluralen christlich-gesellschaftlichen BürgerInnen-Dialogs zu den grundlegenden Fragen der Gegenwart nicht.

Thema Frieden

In dem halbstündigen Dokumentarfilm des ZDF zum Kirchentag 2015 heißt es: „das Thema Frieden kam auf dem Kirchentag nur am Rande vor“. Immerhin wird im Beitrag auf die von 36 Initiativen organisierte „Menschenkette“ gegen die in Stuttgart angesiedelten US-Kommando-Zentralen Africom und Eucom verwiesen. In dem Interview mit Renke Brahms, Friedensbeauftragter der EKD erklärt dieser am Rande der RLS-Veranstaltung auf dem Markt der Möglichkeiten zu „Frieden wagen in neuen Zeiten der Abschreckung“, dass es schon bedauerlich sei, dass in den offiziellen Veranstaltungen des Kirchentags die Friedensfrage „nicht so zum Tragen kommt“.

Berichtet wird in dieser Dokumentation auch, dass ein Friedenszentrum im Gemeindehaus der Friedenskirche Stuttgart eingerichtet worden war, in dem über 60 Veranstaltungen parallel zum Kirchentag stattfanden. Aus der Veranstaltung der RLS: „Frieden wagen in neuen Zeiten der Abschreckung“ wird in diesem ZDF-Zusammenschnitt Bodo Ramelow zitiert mit dem Hinweis, dass die friedenspolitische Architektur innerhalb Europas einher geht mit der Dualität von Auseinandersetzungen und Renke Brahms mit den Worten, dass militärische Mittel offensichtlich nicht mehr die Mittel der Ultima Ratio, sondern der „Ultima Irratio“ seien, was Paul Russmann von der Initiative „Ohne Rüstung leben“ angesichts der verheerenden Folgen von Krieg und Zerstörung konkret ausführt.

Erfreulich war, dass auf dem Podium unter dem Titel: „Die Welt ist aus den Fugen“ Kofi Annan den Hauptvortrag hielt. Auf einem anderen Hauptpodium wurde die Frage nach einer Weltregierung aufgeworfen. Auf dem „Roten Sofa“ beschrieb Frank-Walter Steinmeier die Krise der Ukraine als ein „lösbares Problem“. Schwieriger sei es bei anderen Konfliktherden der Welt, wo die klassischen Staaten abhandengekommen seien wie in Nordafrika oder im mittleren Osten. Und noch schwieriger sei der Kampf gegen Netzwerke wie ISIS, bei denen diplomatische Aktivitäten nicht greifen.

Auf einem der Podien des Kirchentags zur öffentlichen Verantwortung der Kirchen in internationalen Konflikten sprach neben Renke Brahms u.a. Militärbischof Dr. Sigurd Ring, der auf dem Kirchentag einen Bittgottesdienst für den Frieden abhielt. Im Zusammenhang mit der „friedenspolitischen Verantwortung Deutschlands“ berichtete u.a. Martin Kobler, Leiter der UN-Friedensmission für den Kongo.

Die sich deutlich verändernde Rolle Deutschlands in der internationalen Politik als politischer und zunehmend auch militärischer Akteur, spiegelte bereits auf vorhergehenden Kirchentagen durch die wachende Präsenz der Militärseelsorge, die sich auch auf diesem Kirchentag auf dem Markt der Möglichkeiten mit einem der größten Marktstände darstellte.

So konnten unter dem Dach der Militärseelsorge Frau oder Mann beim Kaffee über den vollen Psalmentextwortlaut der Kirchentagslosung – in großen Lettern an der Stirnwand angebracht – nachdenken: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. Sterben müssen, dadurch also auch ggf. im Krieg, im Einsatz im Kongo, Mali oder am Hindukusch? Ob die Betreuer der Bundeswehr sich der Ironie dieser Kirchentagslosung bewusst waren? Denn wenn man klug wird, müsste man – (biblisch gefordert) doch helfen, den Krieg abzuschaffen, denn: Feinde töten und möglicherweise dabei selbst zu sterben – wer kann da noch klug werden?

Selbst die FAZ resümiert kritisch zum Umgang mit dem Friedensthema auf dem Kirchentag, dass politisches Handeln angesichts der fürchterlichen Kriege in Syrien und dem Irak, der Bürgerkriege in Afrika, des Konfliktes in der Ostukraine auf dem Kirchentag nicht gefordert wurde: „Es reicht, wenn wir alle ein wenig friedfertiger werden. Ach man soll nicht schimpfen mit Frau Ueberschär [Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags]. Lieber hoffen, auf den Geist, der ihr Erkenntnis schenkt.“ [5]

Wo also bleibt das politische Handeln, das auf den Kirchentagen der 1980er Jahre vielen Kirchentagsbesucher zur Politisierung ihres eigenen Handelns verhalf?

Und doch brachten die Friedensgruppen mit ihrer „friedlichen Menschenkette“ knapp 2.000 AktivistInnen zusammen. Das ist viel für Stuttgart 2015, aber wenig und kaum gesellschaftlich wirkungsmächtig im Vergleich zu den 40.000 DemonstrantInnen beim Kirchentag 2007 gegen den G7-Gipfel in Heiligendamm. Dies spiegelt die sich vollziehenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seit dem Kirchentag 2007. Gerade an diesem Punkt wurde die veränderte Bedeutung des G7-Gipfels für die globalisierungskritischen Bewegungen in Deutschland sowie die Veränderungen des politischen Selbstverständnisses des Kirchentags sichtbar.

Eindeutiger als der Deutsche Evangelische Kirchentag waren die Worte des Papstes, der zeitgleich zum Kirchentag in Sarajewo weilte und erklärte, dass Nationalismus in die Irre führe.

Zu weiteren Themen

Natürlich hatten auch andere Themen auf dem Kirchentag ihren Platz. Gefragt wurde auf einem der Hauptpodien nach einer „Weltregierung“, einem neuen „Dialog zwischen Christen und Juden“ und nach dem „Zusammenleben von Christen und Muslimen“. Wie lassen sich Menschenrechte und religiöse Pluralität verteidigen? – war eine der Fragen in diesem Zusammenhang. Wichtig wäre es gewesen – auch angesichts der eigenen Geschichte zu fragen: Gibt es Glauben ohne Fanatismus?

Was gehört zu einem guten Leben und einem „klugen Leben“ und was kann Politik für das Zusammenleben tun? Auch Klimagerechtigkeit stand auf der Tagesordnung und ebenso die neuen Herausforderungen der Digitalisierung von Arbeits- und Lebenswelt. Zu diesem Thema sprach z.B. Angela Merkel und verglich die Digitalisierung mit der Erfindung des Buchdrucks zu Luthers Zeiten. Und traditionell stand die Frage nach ethischen Kriterien der Marktwirtschaft oder marktwirtschaftlicher Verantwortung auf der Tagesordnung. Es gab sogar ein Podium zu TTIP.

Die Frage der Flüchtlinge wurde leider nicht auf den Hauptpodien behandelt, sondern vor allem dort diskutiert, wo es um konkretes Engagement wie konkrete Fragen der Unterbringung ging. Wie kommen sie nach Deutschland? Wie werden sie aufgenommen? Was heißt Willkommenskultur und wie hängen die großen internationalen Fragen mit den Problemen von Flüchtlingen hier in Deutschland zusammen? Dazu referierte auch Thomas de Maiziere.

Natürlich ging es auch um den Schuldenerlass für Griechenland – nachdrücklich gefordert von Margot Käßmann bei ihrer Bibelarbeit. Es ging um Gerechtigkeit für die Armen, um prekäre Arbeitsverhältnisse, Entschleunigung als Chance, Ende der Massentierhaltung, Öko als Lebensweise, Flüchtlinge. „Wer das Maximale forderte, wer all das als Eingeladener zur Sprache brachte, bekam prasselnden Applaus.“ Was aber fehlte, war die Konfrontation dieser Maximalforderungen mit der realen Politik – auch die Kritik an dieser. So endete der Kirchentag, das „größte Laienfest der protestantischen Christenheit im Wohlgefallen und war nur auf subtile Art politisch“. Applaus gab es für das Erwartbare, schrieb Jan Feddersen unmittelbar nach dem Kirchentag in der Beilage der taz zum Kirchentag[6].

 

 

2. Aktivitäten der Rosa Luxemburg Stiftung

2.1. Der Stand

Der Stand der Rosa Luxemburg Stiftung hatte auch in diesem Jahr wieder den Buchtitel von Ulrich Duchrow und Franz Hinkelammert: „Leben ist mehr als Kapital“ als Motto. Er lud stärker als auf vorangegangenen Kirchentagen als offener Stand zum Gespräch, zum Auswählen aus den diesmal gezielt ausgewählten Publikationen der RLS ein. Frau und Mann konnten nicht nur an den Tresen heran oder in den Stand hineintreten und selbst auswählen. Gefragt waren Publikationen der Argumente-Reihe, insbesondere zu Flüchtlingen, Griechenland, die Broschüre „Dialog mit dem politischen Islam“ und auch die Broschüre unter dem Titel: „Unheilige Allianz. Das Geflecht von christlichen Fundamentalisten und politisch Rechten am Beispiel des Widerstands gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg“ – eine aktuelle Broschüre, die auf Initiative der RLS Baden-Württemberg realisiert wurde. Gefragt waren ebenso die RLS-Paper: Kapitalismus als Religion mit Beiträgen von Franz Hinkelammert, Ulrich Duchrow, Franz Segbers und Michael Brie. Darüber hinaus gab es Informations- und Gesprächsinteresse bezüglich der aktuellen Publikationen und Informationen der RLS zur Entwicklung in Griechenland, zu historischen und aktuellen Frage des Friedenskampfes (insbesondere zu den Reden und wissenschaftlichen Beiträgen von Rosa Luxemburg, Dorothee Sölle, Dietrich Bonhoeffer und Ernesto Cardenal), zum Dialog der Religionen sowie den Möglichkeiten der Studienförderung der RLS.

Die permanente und kompetente Besetzung des Standes (selbst unter tropischen Arbeitsbedingungen!) durch den Mix aus ehrenamtlichen Mitgliedern der RLS, einem ehemaligen Europaabgeordneten sowie neuen und kirchentagserfahrenen MitarbeiterInnen der RLS sicherte eine hohe Kompetenz bei der Gesprächsführung am Stand, die von den KirchentagsteilnehmerInnen – davon einer Vielzahl Jugendlicher – rege genutzt wurde.

 

2.2. Veranstaltungen

Präsentation der Festschrift: Diese Wirtschaft tötet

Aus Anlass des 80. Geburtstags von Professor Ulrich Duchrow hat die Rosa Luxemburg Stiftung zusammen mit Publik-Forum eine Festschrift unter dem Titel: „Diese Wirtschaft tötet“ im VSA-Verlag herausgegeben. Die Veranstaltung zur Präsentation dieses Buches, moderiert von Wolfang Kessler, Chefredakteur des Publik-Forums, gehörte zu den herausragend gelungenen Veranstaltungen der RLS zum Kirchentag. Es sprachen neben dem Herausgeber Professor Franz Segbers, Wolfang Gern, Diakonisches Werk Hessen, Ministerpräsident Bodo Ramelow, Michael Brie und Cornelia Hildebrandt, Rosa-Luxemburg Stiftung. Außergewöhnlich war zunächst der Bericht des Erzbischofs der Unabhängigen Kirche auf den Philippinen, Bischof Ephraim über die Menschenrechtsverletzungen in seinem Land und erinnerte an die Ermordung des Bischofs Ramento, weil dieser sich für Menschenrechte auf den Philippinen einsetzte.

Der Gemeinde-Raum der Alt-Katholischen Gemeinde Stuttgart war mit 100 Teilnehmern völlig überfüllt, wer nicht auf Stühlen, stehend oder auf dem Fußboden Platz gefunden hatte, erhielt ein Exemplar der Festschrift „Diese Wirtschaft tötet“ als „Trost“.

Frieden wagen in einer neuen Zeit der Abschreckung

Bodo Ramelow, DIE LINKE, Ministerpräsident des Freistaats Thüringen diskutierte mit Renke Brahms, Friedensbeauftragter der EKD; Paul Russmann, „Ohne Rüstung leben“ über friedenspolitische Handlungsoptionen, moderiert von Claudia Haydt, Friedensaktivistin und Mitglied des Parteivorstands.

Angesichts der Zuspitzung der gegenwärtigen Krisen, den Fronten in der Ukraine mit noch unabsehbaren Auswirkungen über Europa hinaus, der ungelösten Probleme im Nahen Osten fragte sie nach den Wegen einer neuen Friedensordnung. Was ist real machbar und wo kann und müssen politisch und gesellschaftlich Verantwortliche ansetzen? Hierzu erklärte Bodo Ramelow aus der Sicht des Thüringer Ministerpräsidenten, dass die Friedensverantwortung im eigenen Land beginnt, und dass es darauf ankommt, die vielen gutwilligen Friedensaktivitäten koordiniert werden, bevor unabsehbare Auswirkungen durch heute ungelöste Probleme provoziert werden. Renke Brahms beschrieb die Möglichkeiten christlichen Friedensengagements als Beitrag einer möglichen Friedensordnung, zu der es keine Alternative gibt. Paul Russmann, „Ohne Rüstung leben“ fordert konsequent den Stopp von Rüstungsproduktion und -Export, die entgegen aller Handlungsbereitschaft kriegerische Konflikte befördern.

Veranstaltung zu Kinderarmut lässt sich abschaffen – Kindergrundsicherung und Kindergrundeinkommen in der Diskussion

Auf der Veranstaltung „Kindergrundsicherung und Kindergrundeinkommen“ diskutierten Regina-Dolores Stieler-Hinz, Vorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands e. V.; Birgit Löwe, 1. Vorsitzende der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen in Bayern e.V.; Professor Franz Segbers, Theologe, Sozialethiker. Ausgangspunkt der Diskussion ist die Kinderarmut in einem so reichen Land wie Deutschland. Unverständnis wurde von den TeilnehmerInnen der Diskussion darüber zum Ausdruck gebracht, dass besonders von Kinderarmut betroffene Familien, die als Bedarfsgemeinschaften Hartz IV-Leistungen beziehen, weder Kindergeld noch die steuerlichen Zuwendungen durch den Anspruch auf Kinderfreibeträge erhalten. Dagegen wurden in der Veranstaltung mehrere Lösungsansätze unterbreitet, die schon längere Zeit auf dem Tisch liegen und sich gegenseitig ergänzen könnten, wie die Forderung nach „Kindergeld + für alle Kinder“, die Kindergrundsicherung und ein Kindergrundeinkommen. Welche Konzepte, wer trägt sie mit und vor allem, wie lassen sich diese Forderungen gesellschaftlich und politisch umsetzen, wurde in den Räumen der RLS Baden-Württemberg kompetent und engagiert diskutiert.

 

Seminar Kapitalismus als Religion

Das Seminar Kapitalismus als Religion ist die Weiterführung des Seminars, das beim Kirchentag 2013 in Hamburg als offizielle Veranstaltung des Marktes der Möglichkeiten stattfand. Das Seminar 2015 fand außerhalb des Kirchentags im Gemeindesaal der Leonhardskirche in Stuttgart statt. Es konzentrierte sich zum einen auf die Diskussion der herausfordernden These: „Kapitalismus als Religion“, auf die ungelösten Versprechen des Neoliberalismus und die sozialen, politischen und ökologischen Folgen einer Politik, in der Profit und Geld Fetischcharakter haben. Prof. Franz Segbers konzentrierte sich auf die Analyse des Kapitalismus, dessen Verführungen und Versprechen im Neoliberalismus immer deutlicher als totalitäre Weltreligion auftreten. Hierzu gab Professor Michael Brie zu bedenken, dass Religion, egal ob die Abrahamitischen Religionen, der Buddhismus oder andere sich doch eigentlich dadurch auszeichnen, dass sie den Nächsten als Bruder/Schwester, die Geschwisterlichkeit in den Mittelpunkt stellen, was für den Neoliberalismus nicht zutrifft.

Professor Ulrich Duchrow stellte in den Mittelpunkt seiner Ausführungen die Möglichkeiten der Überwindung (Transformation) des Kapitalismus und wies auf die Erfahrungen widerständiger Praxen und alternativer Gesellschaftsentwürfe hin, die sich einerseits aus den Ansätzen einer „Wirtschaft des Lebens“ und andererseits sich von widerständigen Praxen von den Rändern ableiten lässt. Gerade auch der aus Lateinamerika stammende Ansatz des „Bon vivir“ – so Duchrow - öffne hinsichtlich des Zusammendenkens der verschiedenen Dimensionen eines notwendigen sozial-ökologischen Wandels erstaunliche Räume. Diese müssten dringlich für alternatives Handeln – gerade auch in Deutschland – erschlossen werden. Was also heißt das für die gesellschaftliche Linke bei uns – was bedeutet dies für internationale, europäische, regionale oder lokale Politikansätze. Das fordert eine bisher nicht praktizierte Formierung neuer Bündnisse, die Michael Brie als „Mitte-Unten Bündnisse“ beschrieb.

Seminar Feindbild Islam: Kampf der Kulturen oder Rassismus?

Im Winter demonstrierten Woche für Woche Tausende in Dresden und anderen Städten gegen die angebliche «Islamisierung des Abendlandes». Infolge der Pegida-Demonstrationen nahm die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlinge und Muslime um 130 Prozent zu. Dagegen gingen mehr als 100.000 Menschen bundesweit gegen Rassismus und für eine tolerante, weltoffene Gesellschaft auf die Straße. Auf der Veranstaltung mit Ahmed Aweimer, Dialog- und Kirchenbeauftragter des Zentralrats der Muslime; Iddo Bet-Hallahmi, Saalam-Shalom-Initiative, Berlin-Neukölln, Jürgen Klute, ehemaliger Sozialpfarrer, Herne und Christine Buchholz, religionspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE wurde über folgende Fragen diskutiert: Was bedeutet es, wenn das demokratische Zusammenleben in einer pluralen, multireligiösen Gesellschaft zunehmend in Frage gestellt wird? Wie können wir wachsender Islamfeindlichkeit und Antisemitismus entgegenwirken? Wie begegnen Religionsgemeinschaften, aber auch DIE LINKE den drängenden aktuellen Fragen nach Armut und der sozialen, politischen und kulturellen Polarisierung der Gesellschaft? Was muss der Beitrag von Linken in diesen Auseinandersetzungen sein?

Ahmed Aweimer berichtete vor allem über viele Praxisbeispiele aus seiner alltäglichen Arbeit, die aufzeigten, dass Dialog zwar möglich ist, aber immer wieder hergestellt werden muss. Es braucht die kontinuierliche ‚Praxis‘, die Begegnung untereinander, um Verständnis entstehen zu lassen, um aber auch kritische Diskussionen führen zu können. Der junge Musikstudent Iddo Bet-Hallahmi berichtete über die Gruppe Salaam-Shalom-Initiative, die sich gegründet hat, nach einer Aussage eines jüdischen Rabiners, dass Neukölln eine „No go area“ für Juden sei. Sie organisieren verschiedene Veranstaltungen unter anderem zu Themen wie: „Wie koscher sind Muslime? Wie halal sind Juden?“.

Die Veranstaltung in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg wurde von Claudia Haydt, Mitglied des Parteivorstands DIE LINKE moderiert.

 

Unheilige Allianz. Das Geflecht von Christlichen Fundamentalisten und politischen Rechten am Beispiel des Widerstands gegen den Bildungsplan

In diesem Seminar diskutierten Andreas Kemper und Janka Kluge (VVN-BdA) unter Moderation von Christoph Ozasek (Stuttgarter Stadtrat / Fraktion SÖS-LINKE-PluS). Der geladene Referent der GEW Marcus Felix konnte leider nicht teilnehmen.

Im November 2013 begann eine Debatte um ein Arbeitspapier der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg, das diese im Vorfeld einer geplanten Neufassung des Bildungsplans für 2015 erstellt hat. In diesem Arbeitspapier wurden «Leitprinzipien» vorgestellt, die übergreifend in allen Fächern behandelt werden sollen. Darunter fallen unter anderem berufliche Orientierung, Medienbildung, Prävention und Gesundheitsförderung. Eingearbeitet wurde ebenfalls die Maßgabe, die Akzeptanz sexueller Vielfalt zu «berücksichtigen», das heißt, dass beispielsweise SchülerInnen «die verschiedenen Formen des Zusammenlebens von/mit LSBTTI-Menschen» kennen lernen und «die Begegnungen in einer sich wandelnden, globalisierten Welt» reflektieren sollen[7] (Zit. Siehe: Arbeitspapier.)

Kultusminister Stoch zog nach erheblichem Protest der Landtagsopposition, evangelikaler, religiös-fundamentalistischer Gruppen, aber auch aus den vier Amtskirchen in Baden und Württemberg den ersten Entwurf zurück und präsentierte im April 2014 ein neues Arbeitspapier. Darin ersetzt nun die Leitperspektive «Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt» die ursprüngliche Zielsetzung. Dem interessierten Leser drängt sich der Gedanke auf, man wolle das Thema «geschlechtliche Identität» und «sexuelle Orientierung» nun in homöopathischen Dosen verabreichen und beinahe unsichtbar machen. Gleichzeitig wird die gesamte Leitperspektive dem «christlichen Menschenbild» untergeordnet, möglicherweise als Zugeständnis an die Kritik der Landesbischöfe.

Stets an einem Sonntag, einmal im Quartal, versammeln sich hunderte Menschen mit hellblauen und rosa Luftballons in der Stuttgarter Innenstadt, bewehrt mit Transparenten, Schildern und Flyern, die wahlweise vor der Sexualisierung der Kinder, der Gefährdung von Ehe und Familie warnen, oder den nahenden Volkstod beschwören. Vom bibeltreuen Christen über den martialisch auftretenden Jungnazi, bis hin zum CDU-Politiker aus der parteiinternen Struktur der «Christdemokraten für das Leben» reicht das politisch-religiöse Spektrum.

Das Gespräch des Moderators Christoph Ozasek mit den beiden Referenten/in Janka Kluge und Andreas Kemper fand entlang drei Fragerunden statt: in der ersten Fragerunde ging es zunächst um die Frage, welche Gruppierungen, Strömungen, Parteien an diesen Demonstrationen teilgenommen haben und welche Rolle die AfD darin spielt. Hierbei ging Andreas Kemper über die grundsätzlichen Strömungen innerhalb der AfD ein und beschrieb insbesondere die klerikal-aristokratischen Netzwerke in der AfD, darunter die Zivile Koalition e. V., in der die Europaabgeordnete der Beatrix von Storch eine zentrale Rolle spielt. Dieses Netzwerk engagiert sich bundesweit in Protesten dieser Art. Am Beispiel der AfD lassen sich jedoch verschiedene Verbindungen zwischen christlich-fundamentalistischen, antifeministischen und neoliberalen sowie nationalkonservativen Ideologien aufzeigen. Sie alle eint eine ‚antifeministische‘ Haltung und Ablehnung von ‚Gender-Mainstreaming‘. In einer zweiten Runde ging es um die Tatsache, dass es in Zeiten von Debatten um eine entpolitisierte Gesellschaft, dem Vertrauensverlust in politische Parteien, Institutionen und demokratische Verfahren, christliche Fundamentalist_innen es schaffen, rechtskonservative bis rechtsextreme Gruppen über Themen wie Sexualerziehung, Gleichberechtigung der Geschlechter und feministische Forderungen Menschen zu tausenden auf die Straßen zu mobilisieren. Dieses Spektrum nutzt vorhandene diffuse Ängste und schafft mit den Demonstrationen einen öffentlichen Austragungsort, in dem sich diese Gefühlslage artikulieren kann. Die Frage an die Podiumsteilnehmer/in lautete unter anderem inwieweit sie es einschätzen, dass hier ein Rechtsruck erfolgt. Insbesondere Janka Kluge vertrat die Meinung, dass dies der Fall ist. Sie verwies darüber hinaus auf die zahlreichen pietistischen Gemeinden um Stuttgart, wo sie ein viel stärkeres Mobilisierungspotenzial für solche Demonstrationen vermutet. Im dritten Teil ging es vor allem um Strategien – die der Bildungsplangegner (starke Professionalisierung; die Orientierung an „La Manif pour Tous“ etc.), aber auch um Fragen, wie sich das LSBTTIQ- und Antifa-Spektrum stärker gegen diese Demonstrationen aufstellen kann. Eine größere kontroverse Debatte entzündete sich zwischen Janka Kluge, die für den VVN-BdA auf dem Podium saß und anwesenden Aktiven aus der LSBTTIQ-Community, um die Kritik von Janka Kluge, die Community hätte sich aus dem Protest gegen diese Demos rausgezogen – auch aus Differenz an dem Protestansatz der Antifa der Blockaden. Diese Einschätzung wurde von Aktiven aus dem Spektrum nicht geteilt.

Dieses Seminar gehörte zu den Veranstaltungen im Rahmenprogramm in Kooperation mit Weissenburg e.V., schwul-lesbisches Zentrum Stuttgart. Zu dem Thema des Seminars ist die gleichnamige Broschüre entstanden – kostenlos erhältlich bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

 

Kooperationen vor und auf dem Kirchentag

Die Zusammenarbeit mit der Rosa Luxemburg Stiftung vor Ort war ausgesprochen konstruktiv, freundlich und engagiert. Das betraf die Mitarbeiter der RLS vor Ort wie auch den Vorstand der RLS-Baden-Württemberg, der fast die gesamte Zeit vor Ort vertreten war. Die Landesstiftung organisierte zwei der sechs Veranstaltungen in ihren Räumen und den wirklich gelungenen kleinen Empfang der RLS Baden-Württemberg zum Kirchentag mit Ministerpräsident Bodo Ramelow.

Mit der Veranstaltung zum Bildungsplan setzte die RLS vor Ort wichtige eigenständige Akzente, die dank der hierzu erarbeiteten Broschüre nachhaltig auch für die Auseinandersetzungen mit rechts- und wertekonservativen Strömungen in der Gesellschaft auch an anderen Orten genutzt werden kann.

Die Zusammenarbeit mit den VertreterInnen der LINKEN, hier insbesondere mit Monika von der Lippe, aber auch mit Monika Lehmann, Bundestagsfraktion war wie immer professionell, freundlich und jederzeit hilfreich.

Öffentlichkeitsarbeit zum Kirchentag

Es ist in diesem Jahr mit Unterstützung von Horst Eberlein gelungen, den Kirchentagsblog der RLS: http://kirchentag.blog.rosalux.de mit neuesten Beiträgen, Publikationen, Veranstaltungen, Texten zu den von der Stiftung bearbeiteten Themen und Hinweisen zu Veranstaltungen Dritter als virtueller Raum eines linken weltanschaulichen Dialogs aktuell zu gestalten. Auf dem Block finden sich neben den Publikationen der RLS, interessante Beiträge von Linken zu den aktuellen Fragen der Zeit. Es finden sich dort Einschätzungen zu den Kirchentagen – auch des diesjährigen Kirchentags, Foto-Galerien, die kompletten Livemitschnitte einiger unserer Veranstaltungen durch Torsten Trotzki und darüber hinaus ein Mitschnitt der Demonstration gegen Stuttgart 21. Der kurze Mitschnitt unserer Marktplatzveranstaltung „Frieden wagen in Zeiten neuer Abschreckung“ in der ZDF-Filmdokumentation war sowohl dem Thema als auch der Auswahl der Sprecher geschuldet – und traf offenbar auch den Nerv der Berichterstatter zum Kirchentag in Bezug auf inhaltliche Leerstellen des Kirchentags.

Erstmals gab es einen professionellen Flyer zu allen Veranstaltungen der RLS vor Ort. In der Kirchentagsbeilage von Publik-Forum fand sich unsere gemeinsame Kooperations­­veranstaltung wieder – diese Möglichkeit auch für andere Veranstaltungen zu nutzen, sollte künftig ausgebaut werden – die Bereitschaft von Seiten des Publik-Forums liegt vor. Übrigens wurde auf alle Veranstaltungen, die im RLS-Flyer enthalten waren, in den Beilagen der taz auch online verwiesen (http://bewegung.taz.de).

Erstmalig entstand auf dem Kirchentag ein RLS-Film: „Warum ist die Stiftung auf dem Kirchentag und was sind ihre Botschaften“. Dieser Film befindet sich auf dem Kirchentagsblog, der Mediathek der RLS und soll über Facebook mit der politischen Einschätzung zum Kirchentag weitergegeben werden. Im nächsten Jahr soll von dem zu gründenden Gesprächskreis „Linke und Religionen“ und mit Unterstützung von Akademie und PolKom hierzu Bildungsmaterial erarbeitet werden.

 

Ausblick auf den ökumenischen Kirchentag 2017 in Berlin

Beim nächsten Kirchentag 2017 in Berlin zum Thema „Luther und die Reformation“ ist die Herausforderung linker Positionen offensichtlich. Bei diesem Kirchentag sind Linke direkt gefragt, weil es um die Einschätzung der Reformation als gesellschaftlichen Prozess geht.

Bis jetzt haben wir als Linke – so auch die RLS – Beiträge zur Frage Gerechtigkeit und Friede eingebracht. Nun aber geht es um die Frage, ob Luther ohne Jan Hus und Thomas Müntzer überhaupt zu diskutieren ist und was die Rolle der „Rebellen von unten“ ist. Es geht also um die Einschätzung eines allgemeinen gesellschaftlichen Umbruchprozesses, der zugleich Teil einer 500-jährigen Biographie der Kirche ist.

Das aber heißt, dass wir durch die jahrelange Diskussion im Kontext der „Theologie der Befreiung“ bewusst Leute aus dem katholischen Spektrum als ReferentInnen einladen sollten, weil sie eine solidarische Reaktion darstellen im evolutionären Prozess der Gesellschaft im Bündnis mit den rebellierenden Unterdrückten. Außerdem ist es interessant, die Bann-Bulle, die der Papst einst gegen Luther verhängt hatte, mit der Position des derzeitigen Papstes Franziskus zu konfrontieren, da dieser in einer grundsätzlichen Solidarität mit den Unterdrückten die Bannbulle gegen die Herrschaftsform ausspricht: Diese Wirtschaft tötet.

Bisher haben wir wenige vorbereitende Veranstaltungen zum Kirchentag gemacht. Jetzt wäre zu überlegen, ob mit Hilfe des zu gründenden Gesprächskreises „Linke und Religionen“ (Arbeitstitel) im Dezember 2015 (unter Einbeziehung der Leseraktivitäten von Publik-Forum in Berlin) wir die politischen Dimensionen des Reformationsdenkens gemeinsam „andiskutieren“ sollten.

Rechtzeitig wäre zu überlegen, ob angesichts der Erfahrung des Herausdrängens systemkritischer Aktivitäten wie z.B. die Friedensfrage, Flüchtlingsfrage und Menschenrechtsfrage, ein gemeinsamer größerer Stand auf dem Markt der Möglichkeiten zusammen mit Publik-Forum, Kairos Europa, Institut für Theologie und Politik, Münster angestrebt werden sollte, um zu versuchen diese systemkritischen Aktivitäten wieder in den Markt der Möglichkeiten zu integrieren.

Ungeachtet dessen sollte darüber nachgedacht werden, ein linkes alternatives Kirchentags-Zentrum analog des Friedenszentrums in Stuttgart ggf. hier an der Stiftung einzurichten, dessen Aktivitäten auch im offiziellen Kirchentagsprogramm genannt werden sollten.

Selbstkritische Anmerkung in eigener Sache

Die Präsentation der RLS auf dem Kirchentag ist insgesamt der Erfolg eines Teams gewesen, an dem die MitarbeiterInnen der RLS Berlin aus dem Studienwerk, ZID, FIZ, IfG und PolKom sowie den MitarbeiterInnen der bundesweiten Arbeit (Lucie Billmann) und natürlich aus Baden-Württemberg beteiligt waren. Die nahezu ehrenamtliche Arbeit von Ilsegret Fink muss gesondert gewürdigt werden. Sie hilft uns die politisch-theologischen Dimensionen des Kirchentags zu erfassen, seine Geschichte zu berücksichtigen, seine Veränderungen aufzunehmen und in konkrete Angebote der RLS einzuarbeiten.

Aufgrund dieser Erfahrungen sollte die RLS strukturelle Defizite einer noch immer fehlenden arbeitsteiligen Vorbereitungsstruktur überwinden. Künftig sollte die kontinuierliche inhaltliche und organisatorische Vorbereitung des Kirchentags durch eine Vorbereitungsgruppe mit klarer Arbeitsteilung und Verantwortlichkeiten strukturell untersetzt werden. Diese sollte mit ausreichendem Vorlauf die organisatorische Vorbereitung sicherstellen (z.B. das von Gruppen-Buchungen von Hotelzimmern notwendiger Weise ein Jahr vor dem Kirchentag), die Einhaltung von Zeitschienen und Terminen, Festlegungen von und Absprachen mit ReferentInnen, die so erfolgen müssen, dass genügend Zeit bleibt, die eigenen Veranstaltungen in anderen Medien wie z.B. Publik-Forum bewerben zu können.

Mit der konzeptionellen Vorbereitung des Kirchentags 2017 sollte bereits im Herbst 2015 begonnen und mit Bildung des GK Linke und Religionen (Arbeitstitel) auf eine solide Zusammenarbeit als Grundlage einer Arbeitsstruktur gestellt werden.

Die RLS erwies sich auch dieses Mal als „lernfähige Organisation“. Das zeigt die verbesserte Qualität der Stand-Präsentation ebenso wie die Qualität der Veranstaltungen. Die Veranstaltungen waren vor allem deshalb erfolgreich, weil sie die Kirchentage zur Präsentation der RLS-Arbeits- und Kooperationsergebnisse nutzen konnte. Dazu gehören jene linken, kirchen- und gesellschaftskritischen Dialoge und die Fähigkeit eines weiterhin strategisch-kooperativen linken Mosaiks auf dem Feld des „weltanschaulichen Dialogs“ in jeweils aktueller politischer Verantwortung weiterzuentwickeln.

Die Rosa Luxemburg Stiftung ist auch auf diesem Kirchentag zunehmend als eigenständige Akteurin zu Grundfragen und Kontroversen der Zeit gefragt worden. Diese Aufgabe muss sie mit den Erfahrungen des zu gründenden Gesprächskreis ausbauen, aber auch in konkrete Projekte und Angebote übersetzen. So kann die RLS auf den Kirchentagen ihre ebenso eigenständige, originelle linke Handschrift zeigen – hoffentlich ganz im Sinne ihrer Namenspatronin.

Berlin, 6.8.2015

Cornelia Hildebrandt, Ilsegret Fink

 



[1] Günter Heidtmann (Hrsg.) (1954): Hat die Kirche geschwiegen? Das öffentliche Wort der Evangelischen Kirche aus den Jahren 1945-1954. Lettner-Verlag Berlin, S. 27

[2] Jens Feddersen. Kofi, Statthalter auf Erden. taz vom 8. Juni 2015, S. 5

[3] Wolfgang Kessler, Editorial, Publik-Forum Nr. 12/2015, S. 3

[4] Matthias Drobinski. Viele bunte Tiere in Gottes großem Zoo. Süddeutsche Zeitung vom 5. Juni 2015, S. 6

[5] Claudia Seidl, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 7. Juni 2015, Nr. 23, Seite33 (Feuilleton).

[6] Jan Feddersen. Kofi, Statthalter auf Erden.

[7] Siehe: http://www.kultusportal-bw.de/site/pbs-bw/get/documents/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/kultusportal-bw/Bildungsplanreform/Arbeitspapier_Leitprinzipien.pdf (13.08.2015)