Wer die Energiewirtschaft demokratisieren will, hat nicht nur mit dem Widerstand einer erfahrenen und mächtigen Lobby zu kämpfen. Für nahezu jedes Land verlangt eine Demokratisierung dieser Branche und das Erkämpfen wirklicher Beteiligungsrechte ein anderes Herangehen und andere Maßnahmen. Das machte die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte Diskussionsrunde "Energy Democrazy - How can we regain control over energy system? A question of ownership" am 9. Dezember 2015 im "Centquartre" in Paris während des Klimagipfels deutlich. Moderator war der stellvertretende Büroleiter des Brüsseler RLS-Büros, Claus-Dieter König.
Eingangs betonte die RLS-Vorsitzende Dr. Dagmar Enkelmann den engen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel sowie von Beteiligungsrechten und Demokratie. "Entscheidungen über die wirtschaftliche Entwicklung sind heute noch immer Entscheidungen von großen Unternehmen, von global agierenden Konzernen. Diese werden von Profitinteressen bestimmt, das ist nun einmal der Abtrieb der kapitalistischen Gesellschaft", betonte Enkelmann. Deren Folgen treffen aber vor allem die Ärmeren, die kommenden Generationen, Kinder und Enkelkinder.
Demokratische Beteiligungsrechte stärken
"Alle diese Gruppen sind bislang viel zu wenig an den Entscheidungsprozessen beteiligt", kritisierte die RLS-Vorsitzende. "Heute über den Klimawandel und über dessen Folgen zu reden, heißt auch, darüber zu sprechen, wie die demokratischen Beteiligungsrechte gestärkt werden können. Dazu ist über die Strukturen der Energiewirtschaft zu reden. In Deutschland haben noch immer vier große Energiekonzerne das Sagen". Diese legten fest, in welchem Verhältnis fossile zu erneuerbaren Energien stünden und sie bestimmten auch über den Preis der Energie. "Die Forderung nach einer Regionalisierung und Kommunalisierung der Energiewirtschaft ist wichtig, um die Macht der Konzerne zu brechen," erklärte die RLS-Vorsitzende. Hier müssten nach ihrer Auffassung neben den kommunalen Unternehmen künftig auch die Gewerkschaften eine stärkere Rolle spielen. Dazu sei die Gründung der Initiative "Gewerkschaften für Energiedemokratie" im Mai 2013 ein ganz wichtiger Schritt gewesen.
Zum Hintergrund: Die Initiative für Energiedemokratie war das Ergebnis der Konferenz "Energy Emergency, Energy Transition", die im Oktober 2012 gemeinsam vom RLS-Büro in New York City und dem Cornell Global Labor Institute ausgerichtet worden war.
Das Nachdenken darüber, die Macht der Konzerne zu brechen, nimmt bei Ken Henshaw, Kampagnenleiter bei "Social Action", einer Organisation aus Port Harcourt im Nigerdelta, einen ganz anderen Ausgangspunkt. In seinem Land Nigeria mit einer Bevölkerung von 150 Millionen bis 170 Millionen Menschen haben überhaupt nur 40 Prozent der Bevölkerung Zugang zu elektrischer Energie und selbst das häufig nur stundenweise. Zudem werde der Strom oft per Dieselgenerator erzeugt, also sehr lärmintensiv und die Öffentlichkeit mit Abgasen belastend. "Dabei ist Nigeria der sechstgrößte Ölexporteur der Welt", beschreibt Henshaw den Widerspruch zwischen dem offensichtlichen Reichtum des Landes und der allgemeine Energiearmut. Denn zugleich sieht sich die Bevölkerung mit steigenden Stromkosten konfrontiert, häufig sind Stromzähler eingebaut, bei denen der Strom vorher bezahlt werden muss.
Nach den vorhandenen Angaben sollen Nigerias Kraftwerke Ende 2013 eine Leistung von etwa 8.600 Megawatt besitzt haben, davon wären aber nur rund 4.700 Megawatt wirklich genutzt worden. Der Spitzenbedarf soll bei rund 12.800 Megawatt liegen. Diese "Lücke" wird, wie Henshaw ebenfalls schildert, durch Dieselgeneratoren "gedeckt", die landesweit über 10.000 bis 20.000 Megawatt verfügten.
Henshaw zeichnet zudem auch ein drastisches Bild von der Privatisierung des nigerianischen Stromsektors seit 1999, der nicht zu einem Aus- sondern zu einem Abbau der Kapazitäten geführt habe. "In der Konsequenz ist es eines schwierigsten Dinge, in Nigeria ein neues Geschäfts zu starten oder irgendwelche Geschäfte zu mache, weil die Energiekosten teilweise bis zu 40 Prozent der gesamten Kosten ausmachen."
Bezahlbarer Zugang zu Energie für jeden
Henshaw verdeutliche, dass bei diesen Umständen das Nachdenken über eine Demokratisierung des Sektors unter ganz anderem Vorzeichen steht. Aus seiner Sicht geht es in Nigeria um eine "langfristige umfassende Transformation" des Sektors. Ziel müsse sein, jeden Menschen einen bezahlbaren Zugang zu Elektrizität zu verschaffen. Ein Weg seien beispielsweise Energiekooperationen, denen im Prinzip jeder Einwohner beitreten kann und die umweltschonende Investitionen auf den Weg bringen. Für ihn bedeutet das, auf die natürlichen Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen. So böte sich im Nildelta der Aufbau von Windkraftwerken an, die von steten Atlantikwinden profitieren könnten. Der heiße und besonders sonnige Norden des Landes würden dagegen Solarstrom vorbehalten während in den mittleren Landesteile Wasserkraftanlagen installiert werden könnten. "Für jeden Landesteil kann künftig eine passende und zugleich klimaschonende Lösung für die Energieprobleme gefunden werden", erklärt der Experte.
Von einem ganz anderen Gang der Dinge konnte der demokratischen Dinge konnte Daniel Chavez vom Transnational Institute in Amsterdam (Niederlande) berichten. Am Beispiel seines Heimatlandes - Uruguay in Südamerika - schilderte er, wie es dank des Zurückweisens von Privatisierungsplänen und der konsequenten Nutzung von Staatseigentum gelang, in dem südamerikanischen Land inzwischen einen Anteil von mehr als 95 Prozent grünen Strom zu erreichen. Dank eines hohen Anteils von Windkraft - so hoch wie im führenden europäischen Land Dänemark - und in Kombination mit Wasserkraft, die überschüssigen Ökostrom speichert, kann sich Uruguay zu großen Teilen selbst in Zeiten mit wenig Wind sicher versorgen. Das Land will bis Ende 2015 weit über die Hälfte seines Primärenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen abdecken.
Realisiert wurde das alles durch die staatseigene Gesellschaft. Den ökologischen Umbau der Energiewirtschaft, berichtet Chavez, hatte die linke Volksfront Frente Amplio im Jahr 2005 begonnen. "Das war kein grünes, das war ein linkes Projekt", sagt er. Davor habe es schon einen lange Kampagne gegen die Privatisierung der Infrastruktur des Landes - Wasser, Strom, Verkehr - gegeben, die 2003 in einem Referendum vom Volk abgelehnt worden war. So ergab sich am Ende ein enges Zusammenwirken demokratischer und sozialer Kräfte beim Aufbau einer modernen grünen Energieversorgung in dem Lande.
Problem in Europa: die neoliberale Öffnung der Energiemärkte
Wieder mit einer ganz anderen Situation bei der Demokratisierung sieht sich von Anne Debrégeas, Sprecherin der französischen Gewerkschaft Solidaires konfrontiert. Für sie erschwere vor allem die in Frankreich (und in Europa) vollzogene neoliberale Öffnung der Energiemärkte den Kampf um demokratische Einflussnahme. Zwar bestehe beim bestimmenden Energiekonzern Frankreichs, der EDF, noch ein Staatsanteil von über 80 Prozent, über die Politik des Unternehmens würden aber am Ende Manager im Interesse eines profitablen Geschäfts entscheiden. "Im Wettbewerb verteidigt am Ende jeder sein eigenes Interesse und versucht, den Markt zu monopolisieren", sagt Debrégeas. Es sei sehr schwierig, unter diesen Bedingungen, Beteiligungsrechte an der Unternehmenspolitik zu erkämpfen.
Das Berliner Modell, eine auch für jeden Bürger der Stadt erlebbare Beteiligung an der Energieversorgung zu erreichen, schildert abschließend Stefan Taschner vom Berliner Energietisch. Dieser orientiere sich bei seinem Aktivitäten in der Stadt Berlin an drei Prinzipien: einem klaren Fokus auf die erneuerbaren Energien, auf eine soziale Verantwortung, die Energiearmut ablehnt sowie eine wirkliche demokratische Kontrolle über das Energiesystem.
"Das Energiesystem ist eine öffentliche Angelegenheit und sollte auch öffentlich behandelt werden", sagt Taschner. Bisher hätten die Bürger kaum Einfluss auf die Entscheidungen der Energiekonzerne gehabt, mit einer wirklichen demokratischen Kontrolle aber könnte das System in einem neues Modell von Energiedemokratie hineinwachsen, ist sich Taschner sicher.
Für ihn sind dabei selbst Energiegenossenschaften nicht die beste Lösung, weil hier wiederum nur Mitglieder eine Stimme haben. Der Energietisch sei da einen anderen Weg gegangen und hat das Prinzip "One Man, one Vote" auf seine praktische Arbeit angewendet. "Jeder Bürger und jeder Bürgerin Berlins kann bei uns seine Stimme zu energiepolitischen Vorhaben abgeben und zwar in einer Art direkter Energiedemokratie."
Nach Taschners Erfahrung ist es übrigens schwerer, wenn nicht sogar unmöglich, ein bestehendes Energie-Unternehmen zu demokratisieren - aufgrund der mehr als hundert Jahre alten, eingefahrenen Traditionen der Branche. Taschner plädierte dafür, für den Ausbau der grünen Energie lieber komplett neue Unternehmen zu gründen.