Nachricht | Gesellschaftliche Alternativen - COP 21 Veranstaltungsbericht | Now is Not the Time for Small Steps | Mit Jeremy Corbyn und Naomi Klein

Lösungen für die Klimakrise und die Rolle der Gewerkschaften. Ein Gespräch mit Klimaaktivistin und Autorin Naomi Klein & dem britischen Labour-Chef Jeremy Corbyn.


7. Dezember 2015 | 18:00-20:30 Uhr | Salle Olympe de Gouges 15 Rue Merlin, 75011 Paris


Das New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist Mitbegründer der Initiative "Trade Unions for Energy Democracy (TUED)". Ziel des Bündnisses ist es, eine internationale Koalition aus Gewerkschaften aufzubauen, die sich für einen grundsätzlichen Wandel des auf der Ausbeutung fossiler Ressourcen basierten Wirtschaftsmodells einsetzen. Dieser Wandel, die"Just Transition", kann nur durch eine grundlegende Umstrukturierung des Energiesektors erreicht werden. Der Sektor muss demokratisiert, das Eigentum in öffentliche Hand überführt und die erneuerbaren Energien müssen gefördert werden [mehr...].

Keine Zeit für kleine Schritte

Vor einem vollen Haus mit 700 Leute sprachen Jeremy Corbyn und Naomi Klein zum ersten Mal gemeinsam auf einem Podium. Mehr als 30 Gewerkschaften hatten die Veranstaltung unterstützt, bei der Corbyn und Klein mit internationalen Gewerkschaftsführer_innen diskutierten. Es ging ihnen um nicht weniger als Lösungsansätze für die Klimakrise: "Now is not the time for small steps".

"Der Slogan der heutigen Veranstaltung - 'Dies ist nicht die Zeit für kleine Schritte' - richtet sich an unsere Regierungen, die nicht genug tun, um den Klimawandel zu stoppen", sagte der TUED-Mitbegründer Sean Sweeney vom Murphy Institute der City University of New York (CUNY). "Er richtet sich aber auch an uns selbst." Sweeney zufolge sollten die Gewerkschaften das Thema "gerechter Wandel" zu ihrer zentralen Forderung für das Klimaabkommens machen. Ein Systemwandel lasse sich nur erwirken, wenn man den Energiesektor demokratisch gestalte.

Neue Vorstellungskraft und Hoffnung

Der neue Vorsitzende der britischen Labour-Partei Jeremy Corbyn eröffnete mit der Forderung nach einer "neuen Erzählung". Die Klimabewegung müsse die bisherigen Vorstellungen überwinden und sehr viel stärker darauf fokussieren, wie man die Welt gestalten will, "die wir wollen". "Der Klimawandel muss schnell gestoppt werden, wir müssen unsere Vorstellungskraft erweitern, aufgeschlossen sein, wir müssen so reden, dass man hört, dass wir uns wirklich um den Planeten kümmern", so Corbyn.

Corbyn zufolge stellen sich drei zentrale Fragen, die sich eben nicht nur die Politik, sondern auch die Klimabewegung und die Gewerkschaften stellen sollten:

1. Wie wird die Zukunft aussehen, wenn wir so weiter machen wie bisher?

2. Welche Zukunft wollen wir?

3. Wie kommen wir dahin?

Ein Abkommen, das mehr als zwei Grad Erwärmung erlaubt, sei das Todesurteil für unseren Planeten, so Corbyn. Aber auch jede Erhöhung unter zwei Grad werde zu gefährlichen Klimaveränderungen führen. Überall auf der Welt könnten wir die Folgen des Klimawandels - wie Überflutungen und extreme Dürren - bereits beobachten. Entscheidend ist hierbei nach Meinung des Labour-Chefs das Folgende: Am Ende sind es stets die Mitarbeiter_innen des öffentlichen Sektors, die in diesen Katastrophen Mensch und Umwelt retten müssen - sei es als Feuerwehrleute bei der Löschung von Waldbränden oder als technische Hilfskräfte bei Flutkatastrophen. Gerade angesichts des Ausmaßes dieser Ereignisse könne man nicht akzeptieren, dass Regierungen weiterhin öffentliche Einrichtungen privatisieren. Stattdessen sollten sie den öffentlichen Sektor fördern und die Investitionen in klimafreundliche und klimaschützende Arbeitsplätze als Chance begreifen. Echten Klimaschutz, so Corbyns These, kann es nicht ohne eine starke Rolle des öffentlichen Sektors geben.

Darüber hinaus sieht Corbyn einen direkten Zusammenhang zwischen Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit. Wissen und Technologien gebe es in ausreichendem Maße, um eine gerechte Welt zu verwirklichen. Wichtig sei jetzt zum einen, dass reiche Staaten ihr Knowhow und ihre Technologien armen und vom Klimawandel betroffenen Staaten zur Verfügung stellten. Zum anderen müssten sie endlich aufhören, ihren Wohlstand über die Ausbeutung der Länder des Südens zu generieren. Aber auch innerhalb einzelner Länder müssten die Regierungen alles ihnen Mögliche tun, um die soziale Ungerechtigkeit zu beenden. Für all das kann Corbyn zufolge ein starkes Klimaabkommen den Rahmen setzen - allerdings nur dann, wenn die Staaten dessen Inhalte auch tatsächlich national umsetzen.

Das Klima darf keine Fußnote mehr sein

Auch Naomi Klein forderte an diesem Abend - wie bereits in ihrem Buch "This changes everything: Capitalism versus the Climate" - die sozialen Bewegungen dazu auf, sich selbst als diejenigen zu begreifen, die sozialen Wandel und eine weitreichende Demokratisierung des Wirtschaftssystems durchsetzen können. "Das Gipfelabkommen wird nicht genug sein, es wird gefährlich sein", warnte Klein in Bezug auf die Klimaverhandlungen. Es sei absehbar, dass die Staaten das Abkommen in jedem Fall als Erfolg feiern werden - selbst wenn es weit hinter dem zurückbleibt, was jetzt sofort getan werden muss, um den Klimawandel noch einzudämmen.

Klein sieht in den Verhandlungen eine Manifestation von strukturellem Rassismus. Die Anliegen der tatsächlich jetzt schon massiv vom Klimawandel Betroffenen - allen voran indigene Gruppen - würden überhaupt nicht ernst genommen. Auch am Beispiel von Hurrikan Katrina und der Zerstörung von New Orleans 2005 habe sich gezeigt, dass die Auswirkungen des Klimawandels in direktem Zusammenhang mit neoliberaler Austeritätspolitik und einem rassistischen Regime ungleicher Ressourcenverteilung stehen. In New Orleans war Klein zufolge das komplette Versagen eines Staatsapparates zu beobachten. Erst dieses Versagen habe die Auswirkungen der Katastrophe so groß werden lassen. Aber: "Ein Systemwandel ist möglich", sagte Klein. Er liege in einer demokratischen Wirtschaftsstruktur, in der Gemeinden die Energieproduktion vor Ort kontrollieren, die Subventionen von fossilen Brennstoffen und Militärausgaben eingeschränkt und Reiche höher besteuert werden.

Gleichzeitig zeige Paris, dass grundsätzliche Menschenrechte, wie Versammlungsfreiheit oder Meinungsfreiheit, durch unsere Regierungen bedroht werden. Klein rief dazu auf, zum Gipfelende am 12.12. um 12 Uhr an den öffentlichen Protesten auf den Straßen von Paris teilzunehmen. Bewegungen und Gewerkschaften müssten die Proteste nutzen, um sich solidarisch miteinander zu zeigen und die Werte der Freiheit zu verteidigen.

Den Kapitalisten die Macht nehmen

Eine wichtige Botschaft der Veranstaltung war, dass sich dieser notwendige Systemwandel nur erreichen lässt, indem soziale Bewegungen, betroffene Gemeinden und Gewerkschaften gemeinsam agieren. Aber die politischen Parteien und vor allem Regierungen müssen Verantwortung übernehmen. "Wenn das Klima eine Bank wäre, hätten wir es schon längst gerettet", so die Kritik von Clara Paillard von der britischen Public and Commercial Services Union. Auch die anderen Redner_innen der Veranstaltung - Judy Gonzales, Präsidentin der New Yorker Gewerkschaft der Pflegekräfte, Josua Mata, Generalsekretär der philippinischen Gewerkschaft Sentro, und Lyda Fernanda Forero vom Transnational Institute - unterstützten die Forderungen von Jeremy Corbyn und Naomi Klein nach einer bewegungsübergreifenden Koalition und einem Systemwandel. Vor einem sichtlich bewegten Publikum schloss Corbyn mit dem Aufruf: "Entfesselt den Optimismus, entfesselt die Vorstellungskraft, entfesselt die Hoffnung! Das ist der Weg in die Zukunft."