„Verdeckter Bürgerkrieg“, eine Multi-Media-Veröffentlichung des linken LAIKA-Verlags, gibt einen spannenden Eindruck von der Komplexität, Vielschichtigkeit und Wucht der Kämpfe der italienischen Linken. Nicht zuletzt dank eines Films von Pasolini, der lange als verschollen galt.
Von Jan Lis, Düsseldorf
Seit 2010 erscheint im LAIKA-Verlag die Reihe „Bibliothek des Widerstands“, die sich in bisher über 30 Bänden der Geschichte linker Bewegungen widmete, von Hausbesetzungen und der Anti-AKW-Bewegung in der BRD bis zu den Kämpfen der Black Panther in den USA oder der revolutionären Linken in Chile oder Portugal. Sämtliche Bände umfassen neben wichtigen zeitgenössischen oder historischen Texten auch mehrere Filme auf Begleit-DVDs. Die jüngsten zwei Bände befassen sich unter dem Titel „Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien“ mit der italienischen Linken der 1960er Jahre. In dieser Zeit traf der Rechtsruck der konservativen italienischen Regierung, die ihre Polizei auf protestierende (Land-)Arbeiter*innen schießen ließ und mit der extremen Rechten paktierte, auf einen äußerst erbitterten Widerstand älterer kommunistischer Partisan*innen und einer neuen Generation von antifaschistischen Jugendlichen. Gleichzeitig kam es in den Fabriken Norditaliens zu zahlreichen, oft wilden Streiks, die sowohl in ihrer Militanz, als auch in ihren Forderungen weit über die politische Praxis der etablierten linken Gewerkschaften hinausgingen. Die streikenden Arbeiter (zu dieser Zeit tatsächlich noch fast ausschließlich Männer) forderten nicht nur höhere Löhne, sondern begannen gegen die Fabrikarbeit an sich zu kämpfen. Eine Gruppe von ehemaligen Mitgliedern der kommunistischen und sozialistischen Partei begann Kontakte zu diesen „politischen Basismilitanten“ zu knüpfen und die Arbeitsbedingungen in den Fabriken ebenso wie den Widerstand der Arbeiter genauestens zu untersuchen. Dieser später unter dem Namen „Operaismus“ (dt. etwa „Arbeiterismus“, aufgrund der Fokussierung auf die Fabrikkämpfe der Arbeiterklasse und die politische Subjektivität der Arbeiter) bekannt gewordenen Strömung gehörten auch Cesare Bermani und Sergio Bologna an, die im ersten Band über die antifaschistische Revolte von Genua 1960 und die Entwicklung des Operaismus in den 1960er Jahren schrieben.
68 und darüber hinaus
In dem mit über einhundert Seiten umfangreichsten Beitrag des gerade erschienenen zweiten Bands greift der italienische Historiker Diego Giachetti diese Entwicklung noch einmal auf und schildert die Krise der alten Linken und die Entwicklung neuer dissidenter Strömungen, insbesondere des Operaismus. Er führt aber auch einen neuen Akteur ein, der Ende der 1960er Jahre die politische Bühne betrat und diese innerhalb kürzester Zeit radikal veränderte: Die Studentenbewegung von 68. Anders als viele andere Autor*innen legt er seinen Fokus weniger auf die bald überall in Italien entstehenden Universitätsbesetzungen, Großdemonstrationen und Straßenschlachten mit der Polizei, sondern eher auf die Versammlungen, auf denen intensiv über die politische Ausrichtung der Bewegung debattiert wurde. Mit zahlreichen Zitaten von Zeitgenoss*innen rekonstruiert er sehr lebendig die damaligen Diskussionen um die Organisationsfrage. Schon bald suchte ein großer Teil der Studierendenbewegung aber vor allem nach Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit der kämpfenden Arbeiterklasse. Seit 1968 spitzten sich die Klassenkämpfe in den norditalienischen Fabriken immer mehr zu. An den wilden Streiks beteiligten sich zehntausende Arbeiter, die immer wieder auch mit Fabrik-Demonstrationen und durch Streikposten verteidigte Besetzungen die Produktion lahmlegten und auf großen Versammlungen gemeinsam über Forderungen und politische Strategien diskutierten. Trotz aller Widersprüche und beidseitiger Vorurteile gelang schließlich eine intensive Zusammenarbeit, zunächst über gemeinsame Basisversammlungen, später in großen landesweiten Organisationen. Giachetti beschreibt auch die Geschichte dieser Zusammenschlüsse, die aus der Verbindung von Studentenbewegung, Operaismus und streikenden Arbeitern entstanden und die ihre soziale Basis vorrangig nicht an der Universität, sondern in den Fabriken und Stadtteilen hatten. Eine der wichtigsten war Lotta Continua, die sich bald mit über 150 Büros in ganz Italien ausbreitete und auf ihrem Höhepunkt 20.000 Mitglieder hatte. Lotta Continua verband die Beteiligung an den Fabrikkämpfen mit einer umfangreichen politischen und kulturellen Arbeit in den Stadtteilen, initiierte Häuserbesetzungen und Kampagnen gegen steigende Energiepreise, aber auch große Straßenfeste. Sie produzierten nicht nur eine Tageszeitungen, sondern auch Comics, Satireblätter und zahlreiche Lieder, die bis heute im kulturellen Gedächtnis der Linken verwurzelt sind
Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien II: Die sechziger Jahre: Revolte und Strategie der Spannung, Hamburg 2015, 29,90 EUR, ISBN 978-3944233-31-4