2019 jährt sich die Gründung des bauhaus zum hundertsten Mal. Vor 90 Jahren erfolgte die Eröffnung des bauhaus am Standort in Dessau. Diese Jubiläen nimmt das bauhaus in Dessau zum Anlass in einer Ausstellung das Land Sachsen-Anhalt als Laboratorium und als Land der Moderne zu inszenieren. Dabei wird Moderne nicht als „Stil“, sondern als multiperspektivische Denkart verstanden, in der sich Neoromantik und Sozialismus, Lebensreform und Konstruktivismus vereinen und Bestandteile eines, so würde es heute genannt werden, „kreativen Milieus“ definiert werden. Selbstverständlich geht es in der ganzen bauhaus-Jubiläums-Kampagne vorrangig darum, die post-nationalsozialistische Bundesrepublik als kulturell geläutert zu beschreiben, und auf der Ebene darunter z.B. die Bundesländer Thüringen und Sachsen-Anhalt als interessante Standorte zu vermarkten. Dazu dient der umfangreiche, dezentrale Ausstellungsverbund in Sachsen-Anhalt (mehr Info dazu auf http://grosse-plaene.de/ bzw. www.bauhaus100.de). Dessen Kern ist die vor kurzem eröffnete Ausstellung am bauhaus in Dessau, die noch bis 6. Januar 2017 geöffnet ist – und deren Katalog hier besprochen wird.
Er konzentriert sich auf wenige Bereiche: Reform des Städtebaus, hier vor allem des sozialen Wohnungsbaus; zweitens die Entwicklung der Flugzeugproduktion am Beispiel der Junkerswerke in Dessau; die Typographie und „Werbung“ und schließlich die Industrie allgemein. Die Metaerzählung geht dabei ungefähr so, dass innovative, avantgardistische KünstlerInnen wie Bruno Taut oder Walter Gropius, nach einer avantgardistischen, um nicht zu sagen, linken Phase (Arbeitsrat für Kunst!) in Kooperation mit progressiven Teilen des Bürgertums und der Industrie versuchten, mit Hilfe von technischem Fortschritt, Planung, Rationalisierung und ökonomischem Wachstum Aufklärung und menschliche Emanzipation anzustoßen. So ist die hier skizzierte „mitteldeutsche“ Moderne, vor allem eine der Arbeit, Technik und Industrie. Kunst und Alltag bleiben dabei doch letztlich verschieden, auch wenn von vielen reformorientierten AkteurInnen „Kunst“, vor allen in und durch Architektur, Design und typografische Gestaltung als Erziehungsmittel angesehen wird. Die AutorInnen des Bandes schreiben selbst, dass jene Phase des Aufbruchs eher kurz gewesen sei, nur einige Jahre gedauert habe. Taut etwa verließ Magdeburg, wo er drei Jahre Stadtbaurat gewesen war, bereits 1924 wieder.
Das Bild dieser Region ist eben genauso vom Gartenreich Wörlitz (das Antike und beginnende Moderne als Bildungserlebnis zusammenführt) geprägt wie von riesigen Kohlekraftwerken und Kunstdüngerfabriken. An jene Kathedralen der Industrie, oder auch an die Flugzeugproduktion und vor allem die sie jeweils tragenden Prinzipien konnte der Nationalsozialismus dann relativ nahtlos anknüpfen. Von der „guten Form“ kann eben nicht auf eine progressive Gesinnung geschlossen werden.
Eine umfangreiche, von 1914 bis 1935 reichende Chronologie schließt den lesenswerten Band ab. Die Leserin bekommt mit diesem Katalog fundierte Beiträge und eine wahre Fundgrube an Bildern und Zitaten. Er gibt einen spannenden Überblick zu jener Periode der Weimarer Republik, wie auch Anlass über die widersprüchlichen Aspekte der Moderne nachzudenken.
Claudia Perren, Torsten Blume und Alexia Pooth für die Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.): Große Pläne! Moderne Typen, Fantasten und Erfinder. Zur Angewandten Moderne in Sachsen-Anhalt 1919–1933, ISBN 978-3-7356-0184-1, Kerber Verlag, Bielefeld 2016, 224 Seiten, 39,95 EUR, 29 farbige und 94 s/w Abbildungen